LVwG-350168/3/Re/TO

Linz, 04.11.2015

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Werner Reichenberger über die Beschwerde von A.B., x, vertreten durch Mag. I.B., x, S., gegen den Bescheid des Bürgermeisters der Stadt Steyr vom 30. Juni 2015, GZ: SH-67/15, betreffend Hilfe zur Sicherung des Lebens­unterhaltes und des Wohnbedarfs (bedarfsorientierte Mindestsicherung), den

 

 

B E S C H L U S S

 

gefasst:

 

I.         Der Bescheid wird gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückverwiesen.

 

 

 

II.      Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Mit dem angefochtenen Bescheid vom 30.06.2015, GZ: SH-67/15, hat die belangte Behörde den Antrag der Beschwerdeführerin (in Folge: Bf) vom 3.06.2015 auf Hilfe zur Sicherung des Lebensunterhaltes und Wohnbedarfs abgewiesen.  

 

Begründend wird ausgeführt, dass aufgrund des durchgeführten Ermittlungs­verfahrens folgender entscheidungsrelevanter Sachverhalt feststehe:

„Sie wohnen bei Ihren Eltern und Geschwistern im gemeinsamen Haushalt.

Seitens des AMS S. haben Sie von 20.04.15 bis 17.05.2015 die Produktionsschule besucht. Diese Kursmaßnahme haben Sie mit 17.05.2015 vorzeitig abgebrochen. Sie hätten die Produktionsschule noch bis 19.10.2015 besuchen können, mit einem Kursgeld von täglich € 23,26. In Ihrer Stellungnahme zur Beweisaufnahme vom 24.06.2015 geben Sie eine Belästigung durch einen Kursteilnehmer bekannt. Aufgrund familiärer Auseinandersetzungen haben Sie die Produktionsschule vorzeitig abgebrochen. Diese Aussage deckt sich nicht mit der eingeholten Information seitens der Produktionsschule.

Voraussetzung für den Anspruch auf bedarfsorientierte Mindestsicherung ist gem. §§ 7 und 11 Abs. 1 Oö. BMSG der Einsatz der eigenen Arbeitskraft. Hilfebe­dürftige haben ihre Arbeitskraft in zumutbarer Weise einzusetzen und sich um entsprechende Erwerbsmöglichkeiten zu bemühen. Die Leistung bedarfs­orientierter Mindestsicherung setzt die Bereitschaft der hilfebedürftigen Person voraus, in angemessener, ihr möglicher und zumutbarer Weise zur Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage beizutragen.

Eine diesbezügliche Bemühung ist aufgrund des vorzeitigen Abbruches der Produktionsschule nicht gegeben.

Da Sie bis 19.10.2015 über ausreichendes Einkommen (täglich € 23,26) ver­fügen würden, überschreiten Sie den für Sie anzuwendenden Mindeststandard.“

 

2. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 28.07.2015, mit der Folgendes (wortwörtlich wiedergegeben) beantragt wurde:

„1) die BMS wegen mangelnder Bemühungspflicht im Hinblick auf den Einsatz der Arbeitskraft lediglich um 10 % zu kürzen und nicht für die Dauer vom 17.05 - 19.10.2015 einzustellen. Das Bedarfsmindestsicherungsgesetz sieht keine Sanktionierung in Form einer dauerhaften Einstellung des Bezuges vor. Im Falle der Produktionsschule handelt sich um eine Maßnahme am 2. Arbeitsmarkt und daher sind im Falle einer mangelnden Bemühungspflicht nur geringe Leistungs­kürzungen (10%) vorgesehen §20 ABS 6. Es darf auch nicht auf Ansprüche gegenüber Dritten Bezug genommen werden, da es sich hier um ein potentielles Einkommen handelt und um keinen tatsächlichen Einkommenseingang.

2) den angefochtenen Bescheid beheben und zur neuerlichen Verhandlung an die Behörde erster Instanz zurückverweisen

3) eine mündliche Verhandlung durchführen

 

Begründung:

Dies sperre der BMS über 5 Monate wäre ein besonderer Härtefall. Die BF beginnt am 3. August einen AMS Kurs Tripple A, der 5 Wochen dauert. Sie hat nur für diese Zeit ein Einkommen, außerhalb dieser Zeit ist sie auf die BMS angewiesen um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Des Weiteren beweist die BF ihre Mitwirkung bei der Arbeitssuche durch die Teilnahme an diesem AMS Kurs.

 

Dem Antrag möge daher stattgegeben werden.“

 

3. Mit Schreiben vom 5.08.2015 legte die belangte Behörde den bezug­habenden Verwaltungsakt samt Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vor, das gemäß § 2 VwGVG zur Entscheidung durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter berufen ist.

 

4. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Akten­einsicht.

Da die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht er­warten lässt und der Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten, BGBl. Nr. 210/1958, noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ABl. Nr. C83 vom 30. März 2010 S. 389 entgegenstehen, konnte, ungeachtet eines Parteien­antrages, von einer Durchführung einer mündlichen Verhandlung gemäß § 24 VwGVG abgesehen werden. Es waren ausschließlich Rechtsfragen zu beurteilen.

 

4.1. Das Oö. Landesverwaltungsgericht geht bei seiner Entscheidung von folgendem Sachverhalt aus:

Der Bf, geb. 18.05.1995, Staatsangehörige der R. F., wurde mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 4.11.2004 Asylberechtigungsstatus zuer­kannt. An der Adresse S., x, lebt sie gemeinsam mit ihren Eltern, einem bereits volljährigen Bruder und weiteren 4 minderjährigen Geschwistern in einer Wohnung. Die Bf ist seit 01/2015 arbeitslos gemeldet. Mit Eingabe vom 3.06.2015 stellte die Bf einen Antrag auf bedarfsorientierte Mindestsicherung.

In der Beschwerde vom 28.07.2015 wird festgehalten, dass die Bf am 3.08.2015 einen AMS Kurs (Tripple A), der 5 Wochen dauert, besuchen werde.

 

4.2. Dieser Sachverhalt ergibt sich aus dem Akteninhalt sowie dem Beschwerdevorbringen der Bf und ist in dieser Form unbestritten.

 

5. In rechtlicher Hinsicht hat das Oö. Landesverwaltungsgericht erwogen:

 

5.1. § 4 Abs. 1 Oö. Mindestsicherungsgesetz – Oö. BMSG, LGBL. Nr. 74/2011 idgF, lautet:

Bedarfsorientierte Mindestsicherung kann, sofern dieses Landesgesetz nicht anderes bestimmt, nur Personen geleistet werden, die

1.   ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Land Oberösterreich haben und die Voraussetzungen des § 19 oder des § 19a Meldegesetz, BGBl.Nr. 9/1992, in der Fassung des Bundesgesetzes BGBl. I Nr. 135/2009, erfüllen und

2.   a) österreichische Staatsbürgerinnen und -bürger oder deren Familien­ angehörige,

b) Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte,

c) EU-/EWR-Bürgerinnen oder -Bürger, Schweizer Staatsangehörige oder deren Familienangehörige, jeweils soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden,

d) Personen mit einem Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt - EG“ oder „Dauer­aufenthalt - Familienangehörige“ oder mit einem Niederlassungsnachweis oder einer unbefristeten Niederlassungsbewilligung,

e) Personen mit einem sonstigen dauernden Aufenthaltsrecht im Inland, soweit sie durch den Bezug dieser Leistungen nicht ihr Aufenthaltsrecht verlieren würden,

sind.

 

Gemäß § 5 Oö. Mindestsicherungsgesetz ist Voraussetzung für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung, dass eine Person im Sinn des § 4

1. von einer sozialen Notlage (§ 6) betroffen ist

2. bereit ist, sich um die Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage zu bemühen (§ 7).

 

Gemäß § 6 Abs. 1 Oö. BMSG liegt eine soziale Notlage bei Personen vor, die

1. ihren eigenen Lebensunterhalt und Wohnbedarf oder

2. den Lebensunterhalt und Wohnbedarf von unterhaltsberechtigten Ange­hörigen, die mit ihnen in Hausgemeinschaft leben,

nicht decken können oder im Zusammenhang damit den erforderlichen Schutz bei Krankheit, Schwangerschaft und Entbindung nicht gewährleisten können.

 

Gemäß § 6 Abs. 5 leg.cit. gelten nicht als soziale Notlage Situationen, für die bereits auf der Basis anderer gesetzlicher Grundlagen ausreichend Vorsorge getroffen wurde.

 

Gemäß § 7 Abs. 1 Oö. BMSG setzt die Leistung bedarfsorientierter Mindest­sicherung die Bereitschaft der hilfebedürftigen Person voraus, in angemessener, ihr möglicher und zumutbarer Weise zur Abwendung, Milderung bzw. Über­windung der sozialen Notlage beizutragen. Eine Bemühung ist jedenfalls dann nicht angemessen, wenn sie offenbar aussichtslos wäre.

 

Gemäß § 7 Abs. 2 Oö. BMSG gelten als Beitrag der hilfebedürftigen Person im Sinn des Abs. 1 insbesondere

  1. der Einsatz der eigenen Mittel nach Maßgabe der §§ 8 bis 10;
  2. der Einsatz der Arbeitskraft nach Maßgabe des § 11;
  3. die Verfolgung von Ansprüchen gegen Dritte, bei deren Erfüllung die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung nicht oder nicht in diesem Ausmaß erforderlich wäre sowie
  4. die Umsetzung ihr von einem Träger bedarfsorientierter Mindestsicherung oder einer Behörde nach diesem Landesgesetz aufgetragenen Maßnahmen zur Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage.

 

5.2. Wenn die belangte Behörde ausführt, dass die Bf durch den vorzeitigen Abbruch der Kursmaßnahme die Notlage selbst herbeigeführt habe und damit ihre Bemühungspflicht verletzt habe, ist anzumerken, dass der Wochen vor der Antragstellung durch familiäre Auseinandersetzungen bedingte Entschluss den Kurs abzubrechen, entgegen der Rechtsansicht der belangten Behörde keine Grundlage für die Verweigerung der Zuerkennung von bedarfsorientierter Mindestsicherung bildet.

 

Gemäß § 5 Oö. BMSG ist Voraussetzung für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung, dass eine anspruchsberechtigte Person iSd § 4 von einer sozialen Notlage betroffen ist und bereit ist, sich um die Abwendung, Milderung bzw. Überwindung der sozialen Notlage zu bemühen. Bei der Hilfegewährung ist somit situationsbezogen auf die aktuelle Notlage abzustellen, früher nicht genutzte Möglichkeiten des Hilfeempfängers haben außer Betracht zu bleiben. Auch ein allfälliges Verschulden des Hilfeempfängers an der eingetretenen Notlage ist an sich ohne Belang, der Gesetzgeber hat jedoch deutlich gemacht, dass die hilfebedürftige Person zur Abwendung wie auch zur Milderung und dauerhaften Überwindung einer Notlage beizutragen hat (vgl. dazu VwGH v. 29.9.2010, Zl. 2009/10/0198 zu vergleichbaren Regelungen nach dem SHG Stmk 1998). Dass diese Voraussetzungen bei der Bf nicht vorliegen, kann dem vorliegenden Verwaltungsakt jedoch nicht entnommen werden. Somit hat eine Neuprüfung der Antragsvoraussetzungen stattzufinden.

 

5.3. Gemäß § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

Wie bereits ausgeführt bildet das von der Bf vor Antragstellung gesetzte Verhalten, indem sie auf Grund familiärer Auseinandersetzungen den Besuch der Produktionsschule abgebrochen hat, keine Grundlage, die ein Nichtvorliegen der sachlichen Voraussetzungen für die Leistung bedarfsorientierter Mindestsicherung begründen würde. Die belangte Behörde hat daher aufgrund der gegen­ständlichen Entscheidung des Verwaltungsgerichtes die Voraussetzungen hinsichtlich der Ermittlung der sozialen Notlage der Bf neu zu beurteilen. Nach den gesetzlichen Bestimmungen des Oö. BMSG steht es der Bf nicht nur zu, eine Beschwerde gegen einen abweisenden Bescheid dem Grunde nach zu erheben; vielmehr besteht für die Bf auch das Recht, eine Beschwerde der Höhe nach zu erheben, sollte nach ihrer Auffassung die ihr gewährte bedarfsorientierte Mindestsicherung zu niedrig bemessen worden sein. Über die Frage der Höhe der Mindestsicherung hat im Falle eines solchen Beschwerdefalles wiederum das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu entscheiden. Durch eine sofortige Sachentscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich würde der Bf im gegenständlichen Verfahren daher eine Instanz im Hinblick auf die Höhe der beantragten Leistung vorenthalten bleiben.

 

Insofern war daher der Beschwerde derart Folge zu geben, dass der Bescheid der belangten Behörde aufgehoben und das Verfahren zur neuerlichen Entscheidung an dieselbe zurückverwiesen wird. Die belangte Behörde ist im Rahmen ihrer Entscheidung an die Rechtsauffassung des Landesverwaltungsgerichtes Ober-österreich gebunden und hat das vollständige Vorliegen der Antragsvoraus­setzungen, gegebenenfalls die tatsächliche Höhe der Leistung ab Antragstellung, im weiteren Verfahren  zu klären.

 

 

II.             

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Recht­sprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Recht­sprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungs­gerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungs­gerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungs­gerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechts­anwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240 Euro zu entrichten.

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzu­bringen.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Reichenberger