LVwG-150685/16/DM/FE

Linz, 30.11.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Mag. Doris Manzenreiter über die Beschwerde des F S, x, vertreten durch x, gegen den Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Ried im Innkreis vom 26.3.2015, Zl. 131‑9/auleiten 40a-2015/Ing.MMag.Eckk/ha, betreffend einen baupolizeilichen Auftrag gemäß § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 28 VwGVG wird der Beschwerde insofern stattgegeben, als der Spruch des angefochtenen Bescheides vom 26.3.2015 wie folgt zu lauten hat:

 

"Gemäß § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994 wird dem Eigentümer der baulichen Anlage (Wohnhaus) auf der Baufläche Nr. x, Grundstück Nr. x, KG R, binnen einer Frist von acht Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich aufgetragen, hinsichtlich der statischen Sicherheit der oben angeführten baulichen Anlage eine Untersuchung durch einen befugten statischen Bausachverständigen zu veranlassen und der Baubehörde den entsprechenden Untersuchungsbefund vorzulegen."

 

Im Übrigen wird die Beschwerde abgewiesen.

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Sachverhalt, Verfahrensgang:

 

I.1. Mit Schreiben vom 27.10.2014 teilte der Beschwerdeführer (im Folgenden kurz: Bf) der Baubehörde mit, dass er nach Besichtigung seines Hauses Nr. x durch einen Sachverständigen Gefahr in Verzug anmelden möchte, da entgegen den Ausbauplänen des Nachbarn, Herrn R J, die Wohnungstrennwand im Dachgeschoß nicht wie im Plan vorgesehen auf der darunter liegenden Wohnungstrennwand platziert worden sei. Dadurch komme es zu Rissen in Außen- und Innenwänden und zu einem Durchbiegen der Decke.

 

Daraufhin teilte die Baubehörde dem Bf im Schreiben vom 4.11.2014 Folgendes mit:

 

"Sehr geehrter Herr S!

 

Sie haben heute der Baubehörde die Befürchtung bekanntgegeben, dass sich der Zustand Ihres Wohnhauses so verschlechtert hat, dass eine Gefahr für Ihr Bewohnen und für den Sachwert Ihres Hauses entstehen könnte. Lt. Ihrer Behauptung wurde im Zuge der Umbauarbeiten am Nachbargebäude des Hauses A x, Baufläche x, Parz. x, auch Umbaumaßnahmen an Ihrem Gebäude im Bereich des Dachstuhles vorgenommen. Weiters haben Sie mitgeteilt, dass die Risse im Bereich des obersten Fensters der Giebelwand vor ca. einem Jahr noch nicht bestanden haben. Gemäß BauO § 48 hat die Baubehörde bei Erlangen der Kenntnis, dass ein Baugebrechen vorliegt, allenfalls erforderliche Sicherungsmaßnahmen anzuordnen und dem Eigentümer unter Gewährung einer angemessenen Frist die Behebung des festgestellten Baugebrechens durch Instandsetzung aufzutragen. Lassen sich die Art und Umfang eines vermutlichen Baugebrechens nicht durch bloßen Augenschein feststellen, kann die Baubehörde dem Eigentümer unter Setzung einer angemessenen Frist die Untersuchung durch einen Bausachverständigen und die Vorlage des Untersuchungsbefundes vorschreiben.

 

Es ist beabsichtigt, dass diese Vorschreibung der Baubehörde zur Vorlage eines Untersuchungsbefundes innerhalb einer Frist von acht Wochen erfolgen wird. Es wird Ihnen Gelegenheit gegeben, innerhalb einer Frist von zwei Wochen ab Erhalt dieses Schreibens hierzu Stellung zu beziehen."

 

Der nunmehr rechtsfreundlich vertretene Bf gab in seiner Stellungnahme vom 20.11.2014 bekannt, dass am 8.11.2014 sein Rechtsvertreter einen Ortsaugenschein durchgeführt habe und er diesem die Sprünge, Risse und Schäden am Objekt vorgezeigt habe. Nach laienhafter Meinung des Rechtsvertreters bestehe angesichts dieser Risse und Sprünge keine unmittelbare Gefahr für das Leben, die Gesundheit, körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte. Art und Umfang des Baugebrechens ließen sich durch bloßen Augenschein feststellen, sodass kein Bausachverständiger beigezogen werden müsse. Dennoch versuche der Bf den Grundnachbarn J R dazu zu bewegen, gemeinsam einen Statiker zu beauftragen, um Befund aufzunehmen und sich Sanierungsmaßnahmen vorschlagen zu lassen. Der in Ried ansässige Statiker DI J W sei auf Grund seines beruflichen Naheverhältnisses zu J R nicht bereit gewesen, einen Auftrag zu übernehmen. Bis zur Erzielung einer Einigung mit dem Grundnachbarn werde daher um Fristerstreckung ersucht. Einige man sich auf die Beauftragung eines Statikers, könne in weiterer Folge dessen Befund und dessen Maßnahmenvorschlag der Baubehörde vorgelegt werden.

 

I.2. Mit Bescheid des Bürgermeisters der Stadtgemeinde Ried im Innkreis vom 3.12.2014 als Baubehörde erster Instanz wurde unter Bezugnahme auf § 48 Oö. BauO 1994 sodann ausgesprochen, der Grundstückseigentümer habe innerhalb einer Frist von acht Wochen ein Gutachten eines befugten Sachverständigen vorzulegen, aus dem zu entnehmen sei, dass in Bezug auf den Zustand des Wohnhauses keine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte bestehe. Begründet wurde dies im Wesentlichen damit, dass der Bf am 4.11.2014 der Baubehörde seine Befürchtung bekanntgegeben habe, dass sich der Zustand seines Wohnhauses so verschlechtert habe, dass eine Gefahr für das Bewohnen und für den Sachwert des Hauses entstehen könnte. Der Bf habe mitgeteilt, dass im Zuge der Umbauarbeiten am Nachbargebäude auch an seinem Haus Umbaumaßnahmen, im Wesentlichen am Dachstuhl, vorgenommen worden seien. Infolgedessen hätten sich Risse im Bereich des obersten Fensters der Giebelwand gebildet, die vor ca. einem Jahr noch nicht bestanden hätten. Nach Bekanntgabe der Baubehörde an den Bf, es sei beabsichtigt, gemäß § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994 die Vorlage eines Untersuchungsbefundes durch einen Bausachverständigen vorzuschreiben, räumte der Bf - nun rechtsfreundlich vertreten - ein, dass nach laienhafter Meinung des Rechtsvertreters keine unmittelbare Gefahr für das Leben, die Gesundheit, körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte bestehe und der Bf beabsichtige, mit dem Nachbarn ein Einvernehmen herzustellen und infolge einen Statiker zur Begutachtung zu beauftragen. Diesbezüglich sei um Fristerstreckung bis zur Einigung mit dem Nachbarn ersucht worden. Da ohne sachverständigen Gutachten nicht festgestellt werden könne, ob eine unmittelbare Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte bestehe, hätte die Baubehörde spruchgemäß zu entscheiden gehabt. Eine Frist von acht Wochen für die Vorlage eines Gutachtens werde als angemessen erachtet.

 

In der dagegen erhobenen Berufung vom 22.12.2014 bemängelte der Bf zunächst, dass die Baubehörde keinen Ortsaugenschein durchgeführt habe. Wenn es die Baubehörde unterlasse, die Liegenschaft und die bauliche Anlage zu besichtigen, könne sie auch keine Untersuchung durch einen Bausachverständigen auf Kosten des Eigentümers fordern. Schließlich seien die Mitarbeiter des Stadtbauamtes selbst Techniker und im Gegensatz zu Juristen in der Lage, zumindest den Umfang eines vermutlichen Baugebrechens festzustellen. Der Ortsaugenschein durch die Baubehörde und die Techniker sei die weniger eingriffsintensive Maßnahme in kostenmäßiger Hinsicht. Die rechtswidrige Unterlassung eines Ortsaugenscheines belaste den bekämpften Bescheid mit Rechtswidrigkeit wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften. Darüber hinaus moniert der Bf, entgegen dem Wortlaut in § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994, der vom Untersuchungsbefund durch einen Bausachverständigen spreche, hätte die Baubehörde erster Instanz im Spruch des Bescheides von einem befugten Sachverständigen gesprochen, ohne dessen Fach zu konkretisieren. Der Bf kritisiert in weiterer Folge jedoch auch den Wortlaut des Gesetzes insofern, als von einem Bausachverständigen ohne Rücksicht auf gewerbe- oder berufsrechtliche Vorschriften gesprochen werde. Der Sachverständige müsse also nicht befugt sein. Man könnte einen pensionierten Baumeister oder einen pensionierten Sachverständigen ebenso heranziehen, wie einen Studenten der Architektur. Voraussetzung sei lediglich dessen besondere Fachkunde im Bereich der Bautechnik. Der Bf kritisiert den Wortlaut des Gesetzes zudem insofern weiter, als es die Vorlage eines Untersuchungsbefundes durch einen Bausachverständigen regle. Von einem Gutachten sei weit und breit keine Rede. Bei einem Untersuchungsbefund handle es sich um die Grundlage für die Gutachten. Im Befund seien die tatsächlichen Grundlagen, die für das Gutachten des Sachverständigen erforderlich seien, sowie die Art ihrer Beschaffung anzugeben. Damit solle erreicht werden, dass das Gutachten auch für Dritte nachvollziehbar sei. Die Aufgabe des Bausachverständigen wäre also die Untersuchung der an seinem Gebäude aufgetretenen Risse und sonstigen Schäden und deren Beschreibung in schriftlicher Form. Diesen Untersuchungsbefund müsste er als Eigentümer dann vorlegen. Die Forderung der Baubehörde erster Instanz, dass er das Gutachten vorlegen soll, das bestätigen soll, dass keine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte bestehe, sei unmöglich.

 

Der Berufung liegt ein Schreiben des Rechtsvertreters des Nachbarn, Herrn J R, an den Rechtsvertreter des Bf vom 12.12.2014 mit folgendem Inhalt bei:

 

"Lieber Freund und Kollege!

 

Ich darf dir mitteilen, dass Herr J R, x, durch unsere Kanzlei rechtsfreundlich vertreten wird.

 

Mir liegt dein Schreiben vom 25.11.2014 vor und gab es mittlerweile nochmals direkte Gespräche zwischen den Mandantschaften. Mein Letztstand an Informationen ist, dass die Rechtsschutzversi­cherung deiner Mandantschaft die Kosten für die Beauftragung eines Bausachverständigen über­nehmen wird, sodass sich dein Vorschussersuchen erübrigt.

 

In der Sache selbst hat sich mein Mandant noch einmal ein Bild der Risse gemacht und besteht nach Ansicht meiner Mandantschaft keinerlei Einsturzgefahr. Auch vom Dachstuhl geht - entgegen dei­nem Schreiben - keine Gefahr aus.

 

Mein Mandant ist jederzeit bereit, die im ersten Obergeschoss des Hausteils deiner Mandantschaft entstandenen Deckenrisse zu beheben und schlage ich vor, dass sich dein Mandant hinsichtlich ei­nes Ausbesserungstermins direkt mit meiner Mandantschaft in Verbindung setzt.

 

Zu dem in deinem Schreiben erwähnten I-Träger ist darauf hinzuweisen, dass mein Mandant fest­stellte, dass sich über der Türe im ersten Obergeschoss deiner Mandantschaft - entgegen dem Stand der Technik bei tragenden Mauerwerken - kein Überleger über der Tür befand, weshalb es zu einer Rissbildung im Bereich kam. Unpräjudiziell der Sach- und Rechtslage und im Hinblick auf eine gute Nachbarschaft wurde ein Überleger von meiner Mandantschaft im Oktober eingebaut, ohne dass deiner Mandantschaft ein Aufwand entstanden ist. Seither ist auch in diesem Bereich kein Riss mehr festzustellen, was ein gutes Indiz dafür bildet, dass das Mauerwerk nicht in Bewegung ist.

 

Dass meiner Mandantschaft ebenfalls an einer guten Nachbarschaft gelegen ist, zeigt sich auch darin, dass dieser etwa bislang allein sämtliche Kosten für Stromanschlussarbeiten auch für den Hausteil deiner Mandantschaft getragen hat

 

Sollte deine Mandantschaft Interesse an einem Verkauf des Hausteiles haben, so darf ich um deine geschätzte Mitteilung ersuchen. Mein Mandant steht nach wie vor zu dem dir bekannten Angebot.

 

Ich gehe davon aus, dass die Sache damit vorerst erledigt ist und verbleibe

 

mit freundlichen kollegialen Grüßen

…"

 

I.3. Mit Berufungsvorentscheidung vom 17.2.2015 wurde der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides vom 3.12.2014 wie folgt geändert: "Der Grundstückseigentümer hat innerhalb einer Frist von acht Wochen einen Untersuchungsbefund eines Bausachverständigen bei der Baubehörde vorzulegen, aus dem zu entnehmen ist, dass in Bezug auf den Zustand des Wohnhauses keine Gefahr für das Leben, die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte besteht."

 

Mit Eingabe vom 4.3.2015 stellte der Bf einen Vorlageantrag und beantragte die Vorlage der Berufung an den Gemeinderat der Stadtgemeinde Ried im Innkreis.

 

I.4. Mit dem nun angefochtenen Bescheid des Gemeinderates der Stadtgemeinde Ried im Innkreis (= belangte Behörde) vom 26.3.2015 wurde der Spruch des erstinstanzlichen Bescheides vom 3.12.2014 neuerlich geändert und lautet nun wie folgt: "Der Grundstückseigentümer hat innerhalb einer Frist von acht Wochen einen Untersuchungsbefund eines Bausachverständigen bei der Baubehörde vorzulegen, aus dem zu entnehmen ist, ob in Bezug auf den Zustand des Wohnhauses mit Hinblick auf § 48 Abs. 3 Oö. BauO Gefahren für das Leben, die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte bestehen." In der Begründung wird nach Darlegung des Sachverhalts im Wesentlichen ausgeführt, dass eine Überprüfung der Liegenschaft durch ein Organ der Baubehörde mit Einverständnis des Bf bereits am 24.10.2014 stattgefunden habe. Erst nachdem sich Art und Umfang des vermutlichen Baugebrechens nicht durch bloßen Augenschein feststellen ließen, sei das Ermittlungsverfahren unter Wahrung aller einzuhaltenden Fristen durchgeführt worden und letztendlich der bescheidmäßige Auftrag an den Bf zur Vorlage eines Gutachtens erlassen worden.

 

In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde vom 11.5.2015 wurde beantragt, das Landesverwaltungsgericht möge den bekämpften Bescheid aufheben bzw. insofern abändern, als stattdessen ein Befund über die Art und den Umfang des vermutlichen Baugebrechens nach Untersuchung des Bauwerks auf der Baufläche 1799 aufgetragen werde. In der Begründung wird Folgendes vorgebracht:

 

"…

Vorweg wird zur Information vorgebracht, dass nunmehr durch den Beschwerdeführer eine Klage gegen seinen Nachbarn J R auf Zahlung des Deckungskapitals für einen Bausachverständigen eingeklagt wurde. Die Frist für den Einspruch ist noch am Laufen. Es kann daher noch nicht gesagt werden, ob der Grundanrainer bzw. Eigentümer des angrenzenden Bauwerkteiles die Klage bestreitet oder den Geldbetrag bezahlen wird.

 

Dessen ungeachtet ist der geänderte Spruch wiederum nicht tauglich und präzise genug formuliert. Im Spruch ist zum einen davon die Rede, dass der Baubehörde innerhalb einer bestimmten Frist ein Untersuchungsbefund vorzulegen ist. Das Gesetz spricht ausdrücklich davon, dass ein Bausachverständiger das Baugebrechen oder das Gebäude zu untersuchen hat. Davon ist im Spruch keine Rede. Es würde reichen lediglich aufgrund von Lichtbildern oder aufgrund von Schilderungen einen Befund vorzulegen. Der Sachverständige könnte sich auf sein Erfahrungswissen berufen und möglichweise noch die Pläne des Nachbarn studieren.

 

Unklar ist weiters, was mit „Wohnhaus" von der Behörde gemeint worden ist. Offen bleibt, ob damit lediglich jenes Bauwerk gemeint, dass im Eigentum des Beschwerdeführers steht oder das gesamt Bauwerk, dass aus den Gebäudeteilen des Beschwerdeführers und jenen seines Nachbarn besteht. Schließlich war der Beschwerdeführer der Meinung, dass sich der Zustand der relativ neuen Anlage des Nachbarn so verschlechtert hat, dass eine Gefahr für seinen Gebäudeteil eingetreten ist. Ohne Untersuchung beider Gebäudeteile lässt sich Art und Umfang des vermutlichen Baugebrechens, nämlich der Risse am Gebäudeteil des Beschwerdeführers nicht exakt und umfassend feststellen. Da allerdings nur der Beschwerdeführer Bescheidadressat ist, kann der von ihm zu beauftragende Bausachverständige keine Untersuchung der Bauwerke auf der Liegenschaft von J R durchführen. Der Untersuchungsbefund wird also darauf hinauslaufen, dass auch eine Untersuchung der neu errichteten Gebäudeteile des J R notwendig ist.

 

Der Bausachverständige soll lediglich einen Befund erheben. Aus den erhobenen Tatsachen brauch er keine Schlussfolgerung zu ziehen, weil das dann ein Gutachten wäre. Der Bausachverständige hat also Art und Umfang der geschilderten bzw. der kritisierten Risse im Gebäude festzustellen. Schlussfolgerungen braucht er daraus nicht zu ziehen, insbesondere braucht er nicht feststellen, ob aus diesen Rissen eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte entstanden ist oder entstehen wird. Diese rechtlichen Schlussforderungen müssen die Amtssachverständigen der Behörde ziehen.

Im Endeffekt hat daher die Baubehörde dem Eigentümer die Vorlage eines Sachverständigen Gutachtens aus dem Baufach aufgetragen.

Der Verwaltungsgerichtshof hat in seinem Erkenntnis vom 25.3.2010, Zahl 2007/05/0026 zu (§ 52 AVG und zu § 129 Abs. 5 Wiener Bauordnung. Ausgesprochen, das aufgrund eines einzuholenden Befundes eines Sachverständigen aus rechtlicher Sicht die Beurteilung getroffen werden können muss, ob bzw. nach Art und Umfang welches Baugebrechen gegeben ist. Der Befund muss so nachvollziehbar die örtliche Situation einschließlich der für ein Baugebrechen charakteristischen Merkmale so detailliert beschreiben, dass daraus die Beurteilung gestützt werden kann, ob bzw. in wie weit ein Baugebrechen vorliegt. Es ist also die Baubehörde, die das Vorliegen eines Baugebrechens prüft, nicht der mit der Befunderstellung befasste Bausachverständige.

…"

 

I.5. Im Zuge der am 25.11.2015 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung samt Lokalaugenschein stellte die erkennende Richterin dem bautechnischen Amtssachverständigen folgendes Beweisthema:

 

Liegt beim Objekt A x, x, ein vermutliches Baugebrechen vor, dessen Art und Umfang sich nicht durch bloßen Augenschein feststellen lässt (§ 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994)?"

 

Dazu erstattete der Amtssachverständige folgendes Gutachten:

 

"Beim gegenständlichen Objekt A x, x, ist im 1. Obergeschoß im Bereich des Stiegenhauses und im Gästezimmer in der tragenden Deckenkonstruktion ein Riss im Nahbereich der Trennwand zur Liegenschaft A xx festzustellen. Dieser Riss setzt sich auch in die tragende Zwischenwand des Stiegenhauses fort. Weiters sind auch Risse im Bereich der Giebelwand des Außenfensters des Dachbodens festzustellen. Aus bautechnischer Sicht ist durch bloßen Augenschein nicht festzustellen, woher diese Risse resultieren, wobei jedoch anzuführen ist, dass ein Baugebrechen dahingehend vorliegt, dass nicht von einer fachgerechten Ausführung bzw. das Tragverhalten auf einen dauernden Bestand nachzuweisen ist. Anzuführen ist, dass derzeit jedenfalls nicht von einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Benützer auszugehen ist, wobei auch anzuführen ist, dass nicht abgeschätzt werden kann, wie sich dies in einiger Zeit bei Schneeablagerungen am Dach oder ähnlicher Belastung des Dachstuhles fortsetzt.

 

Um den Umfang und die Art des Baugebrechens detailliert festzustellen, sind nähere statische Untersuchungen insbesondere hinsichtlich der Veränderung des statischen Systems durch die getätigten Bauarbeiten durchführen zu lassen."

 

Auf die Frage des Rechtsvertreters des Beschwerdeführers, was zu untersuchen sei, gab der bautechnische Amtssachverständige Folgendes an: "Es ist durch statische Untersuchungen festzustellen, welche Veränderungen durch die getätigte Bauausführung vorgenommen wurden und wie die Kräfte in die tragenden Elemente des Gebäudes abgeleitet werden und wie es zu den Rissen in der Decke und in der Giebelwand gekommen ist. Weiters wird zu untersuchen sein, welche Maßnahmen erforderlich sind oder ob Maßnahmen erforderlich sind, welche eine Vergrößerung der Risse bzw. eine Beeinträchtigung der Standfestigkeit des Gebäudes hintanhalten".

 


II. Beweiswürdigung, festgestellter Sachverhalt:

 

II.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt (einschließlich der Schriftsätze des Bf), Einholung eines aktuellen Grundbuchsauszuges des Grundstückes Nr. x und x, KG R, des Bf sowie Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung samt Lokalaugenschein am 25.11.2015.

 

II.2. Aufgrund des durchgeführten Ermittlungsverfahrens steht folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt als erwiesen fest:

 

Der Bf ist Alleineigentümer des Grundstücks Nr. x mit der Baufläche x, KG R.

 

Beim Objekt A x, x, ist im 1. Obergeschoß im Bereich des Stiegenhauses und im Gästezimmer in der tragenden Deckenkonstruktion ein Riss im Nahbereich der Trennwand zur Liegenschaft A xx festzustellen. Dieser Riss setzt sich auch in die tragende Zwischenwand des Stiegenhauses fort. Weiters sind auch Risse im Bereich der Giebelwand des Außenfensters des Dachbodens festzustellen.

 

Durch bloßen Augenschein ist nicht festzustellen, woher diese Risse resultieren. Das Tragverhalten kann nicht auf einen dauernden Bestand nachgewiesen werden. Derzeit ist nicht von einer Gefahr für das Leben oder die Gesundheit der Benützer auszugehen. Es kann jedoch nicht abgeschätzt werden, wie sich dies in einiger Zeit bei Schneeablagerungen am Dach oder ähnlicher Belastung des Dachstuhles fortsetzt.

 

Um den Umfang und die Art des Baugebrechens detailliert festzustellen zu können, sind nähere statische Untersuchungen insbesondere hinsichtlich der Veränderung des statischen Systems durch die getätigten Bauarbeiten durchführen zu lassen.

 

II.3. Der festgestellte Sachverhalt gründet im Wesentlichen auf dem im Zuge der mündlichen Verhandlung vom bautechnischen Amtssachverständigen erstatteten Gutachten, welches von den Parteien nicht bestritten wurde, und einem aktuellen Grundbuchsauszug betreffend die beschwerdegegenständliche Liegenschaft des Bf.

 

 


III. Maßgebliche Rechtslage:

 

Nach § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht, soweit es nicht Rechtswidrigkeit wegen Unzuständigkeit der Behörde gegeben findet, den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs. 1 Z 3 und Z 4) zu überprüfen.

 

Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG hat das Verwaltungsgericht die Rechtssache durch Erkenntnis zu erledigen, sofern die Beschwerde nicht zurückzuweisen oder das Verfahren einzustellen ist.

 

Die hier relevante Bestimmung der Oö. BauO 1994, LGBl. Nr. 66/1994, idF LGBl. Nr. 90/2013, lautet wie folgt:

 

"§ 48

Baugebrechen

 

(1) Hat sich der Zustand einer baulichen Anlage so verschlechtert, daß

1. eine Gefahr für das Leben, die Gesundheit, die Hygiene oder die körperliche Sicherheit von Menschen oder für fremde Sachwerte entsteht,

2. das Orts- und Landschaftsbild verunstaltet wird oder

3. schädliche Umwelteinwirkungen entstehen,

liegt, gleichgültig worauf die Verschlechterung zurückzuführen ist, ein Baugebrechen vor.

 

[…]

 

(3) Lassen sich Art und Umfang eines vermutlichen Baugebrechens nicht durch bloßen Augenschein feststellen, kann die Baubehörde dem Eigentümer unter Setzung einer angemessenen Frist die Untersuchung durch einen Bausachverständigen und die Vorlage des Untersuchungsbefundes vorschreiben. Auf Verlangen der Baubehörde ist der Untersuchung ein Organ dieser Behörde beizuziehen.

 

[…]“

 

 

IV. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat im Rahmen des durch die §§ 27 und 9 Abs. 1 Z 3 und Z 4 VwGVG normierten Prüfungsumfanges erwogen:

 

Entscheidet das Verwaltungsgericht in der Sache selbst, hat es seine Entscheidung an der zum Zeitpunkt seiner Entscheidung maßgeblichen Sach- und Rechtslage auszurichten (siehe zuletzt VwGH 9.9.2015, Ro 2015/03/0032 mit weiteren Hinweisen).

 

Das erkennende Gericht hat am 25.11.2015 zur Feststellung des maßgeblichen Sachverhalts eine mündliche Verhandlung an Ort und Stelle der beschwerdegegenständlichen Liegenschaft durchgeführt. Dabei stellte sich heraus, dass derzeit durch bloßen Augenschein nicht von einem Baugebrechen im Sinn des § 48 Abs. 1 Oö. BauO 1994 ausgegangen werden kann, weil keine Gefahr für das Leben oder die Gesundheit von Menschen besteht. Auch auf das Vorliegen sonstiger Tatbestände des Abs. 1 par.cit. liegen keine Hinweise vor.

 

Da durch die bestehenden Risse jedoch ein Baugebrechen vermutet werden kann und sich dessen Art und Umfang nicht durch bloßen Augenschein feststellen lassen, sondern dafür nähere statische Untersuchungen insbesondere hinsichtlich der Veränderung des statischen Systems durch die getätigten Bauarbeiten am Nachbarobjekt Baufläche x durchzuführen sind, erfolgte der baupolizeiliche Auftrag der belangten Behörde gemäß § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994 im Grunde zu Recht.

 

Der Spruch des angefochtenen Bescheides war allerdings insofern zu konkretisieren, als die Untersuchung der beschwerdegegenständlichen baulichen Anlage und die Vorlage eines Untersuchungsbefundes eines statischen Bausachverständigen hinsichtlich der statischen Sicherheit dieser baulichen Anlage vorzuschreiben war. Die Schlüsse daraus, ob ein Baugebrechen im Sinn des § 48 Abs. 1 leg.cit. vorliegt und welche Maßnahmen angeordnet werden müssen, hat sodann die Baubehörde (mit Hilfe ihrer zur Verfügung stehenden Amtssachverständigen) zu treffen.

 

Durch § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994 soll die Baubehörde daher in die Lage versetzt werden, einen Auftrag nach § 48 Abs. 2 leg.cit. zu erlassen (vgl. zur insoweit vergleichbaren Rechtslage des § 129 Abs. 5 Bauordnung für Wien, VwGH 24.2.2015, 2013/05/0020).

 

Die eingeräumte Erfüllungsfrist von acht Wochen ab Zustellung dieser Entscheidung ist angemessen, da die Frist geeignet ist, dem Bf als Leistungspflichtigen unter Anspannung aller seiner Kräfte nach der Lage des konkreten Falles die Erfüllung der aufgetragenen Leistung zu ermöglichen (vgl. VwGH 27.5.2004, 2003/07/0074 ua).

 

Es war spruchgemäß zu entscheiden.

V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Es besteht zwar – soweit ersichtlich – keine höchstgerichtliche Judikatur zur Bestimmung des § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994, allerdings haben sich bei der Anwendung dieser Bestimmung entsprechend dem Wortlaut keine Auslegungsfragen ergeben und besteht überdies Rechtsprechung des VwGH zur vergleichbaren Bestimmung des § 129 Abs. 5 der Wiener Bauordnung (vgl. 24.2.2015, 2013/05/0020; zur Frage von grundsätzlicher Bedeutung vgl. auch VwGH 30.1.2015, Ra 2014/02/0079). Insofern weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes weder ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Doris Manzenreiter

 

 

LVwG-150685/16/DM/FE vom 30. November 2015

 

Normen:

§ 48 OöBauO

Rechtssatz:

Durch § 48 Abs. 3 Oö. BauO 1994 soll die Baubehörde in die Lage versetzt werden, einen Auftrag nach § 48 Abs. 2 leg.cit. zu erlassen.

 

 

Schlagwörter:

Baubehörde; Auftrag