LVwG-780001/8/Wg

Linz, 03.02.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Wolfgang Weigl über die Beschwerde des x, vertreten durch Rechtsanwalt x, wegen Ausübung unmittelbarer verwaltungsbehördlicher Befehls- und Zwangsgewalt,

 

zu Recht  e r k a n n t:

 

         I.    Der Beschwerde wird stattgegeben. Es wird gemäß § 28 Abs 6 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) festgestellt,

a)   dass die von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck am 23.10.2013 um 13.35 Uhr in den Amtsräumlichkeiten des UVS des Landes Oberösterreich in Linz, Fabrikstraße 32, ausgesprochene Festnahme des Beschwerdeführers sowie die nachfolgende Anhaltung bis zur tatsächlich erfolgten Abschiebung am 24.10.2013 nach Italien rechtswidrig war,

b)   sowie, dass die Abschiebung des Beschwerdeführers am 24.10.2013 nach Italien rechtswidrig war.

 

       II.    Der Bund hat dem Beschwerdeführer gemäß § 1 Z 1 der VwG-Aufwandersatzverordnung Kosten in der Höhe von insgesamt 737,60 Euro binnen 14 Tagen bei sonstiger Exekution zu ersetzen.

 

     III.    Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

1.           Der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) wendet sich mit  Maßnahmebeschwerde vom 2. Dezember 2013 gegen die von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (im Folgenden: belangte Behörde) am 23. Oktober 2013 um ca. 13:35 Uhr veranlasste Festnahme sowie die nachfolgende Anhaltung in „Abschiebehaft“  sowie die am 24. Oktober 2013 erfolgte Abschiebung nach Italien. Begründend führt der Beschwerdeführer aus, der belangten Behörde habe jedwede Kompetenz zum Ausspruch der Festnahme gefehlt, zumal er sich zu diesem Zeitpunkt im Stadtgebiet der Landeshauptstadt Linz befunden habe. Der UVS habe unmittelbar vor dem Ausspruch der Festnahme die Rechtswidrigkeit seiner Anhaltung in Schubhaft festgestellt. Vor diesem Hintergrund fehle für die neuerliche Festnahme und Anhaltung in Haft sowie seine Abschiebung nach Italien jedwede Rechtsgrundlage. Vielmehr wäre es zwingend notwendig gewesen, ihn unverzüglich auf freien Fuß zu setzen und ihm die freiwillige Ausreise nach Italien am folgenden Tag zu gestatten.

 

2.           Die belangte Behörde erstattete mit Eingabe vom 17. Dezember 2013 eine Gegenschrift und legte den fremdenpolizeilichen Verfahrensakt vor. Sie beantragt die Abweisung der Maßnahmebeschwerde. Die Festnahme sei auf § 74 Abs 2 Z 3 FPG gestützt worden. Auf Grund des um 12.57 Uhr an das PAZ übermittelten Abschiebeauftrag sei die Zuständigkeit gem § 6 Abs 4a FPG gegeben. Der Bf verfüge – so die belangte Behörde – über keine Reisefreiheit in jenen Staat, in welchen er innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgewiesen wurde. Die belangte Behörde habe keinen weiteren Handlungsspielraum mehr gehabt. In gegenständlicher Konstellation hätte selbst nach Anordnung gelinderer Mittel unverzüglich darauffolgend die Festnahme ausgesprochen werden müssen, um die bereits beauftragte Abschiebung vollziehen zu können. Im Email vom 9. Jänner 2014 bekräftigte die belangte Behörde, dass hinsichtlich der angenommenen Zuständigkeit zur Festnahmeanordnung kein rechtswidriges Vorgehen erkannt werden könne.

 

3.           Sowohl die belangte Behörde als auch der Bf verzichteten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung.

I. Auf Grund der Beschwerde, der Gegenschrift der belangten Behörde, des vorgelegten Verfahrensaktes und nach schriftlicher Wahrung des Parteiengehörs steht folgender Sachverhalt fest:

4.           Der Bf ist Staatsangehöriger von Syrien und wurde am 20. Februar 1990 geboren. Am 16. Dezember 2011 stellte er in Italien einen Asylantrag. Am 26. August 2013 wurde ihm in Italien ein befristeter Aufenthaltstitel ausgestellt. Am 13. September 2013 stellte er in Österreich einen Antrag auf internationalen Schutz. Er führte keinen Reisepass mit sich. Es wurde ein Verfahren nach der Dublin II Verordnung eingeleitet und der Antrag auf internationalen Schutz mit Bescheid des Bundesasylamtes vom 10. Oktober 2013, AZ 1313. 239-EAST West, als unzulässig zurückgewiesen und seine Ausweisung nach Italien ausgesprochen. Im Anschluss an diesen Bescheid erließ die belangte Behörde einen Schubhaftbescheid und wurde der Bf am 11. Oktober 2013  in Schubhaft genommen. Am 14. Oktober 2013 wandte er sich an den Verein Menschenrechte Österreich (VMÖ) und unterfertigte ein Formular, in dem er eine Erklärung zur beabsichtigten Rückkehr unterfertigte. Am 16. Oktober 2013 unterfertigte er eine Erklärung, wonach er auf die Weiterführung des Asylverfahrens verzichtete. Die Behörde organisierte am 17. Oktober 2013 für den 24. Oktober 2013 einen Flug von Wien nach Italien. In der Ticketanforderung führte sie ua aus: „Der Genannte will freiwillig nach Italien, demzufolge bitte unbegleiteter Deportee“ (Vorbringen Beschwerdeschriftsatz, schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses des UVS Oö. vom 23.10.2013).

 

5.           Der Beschwerdeführer erhob Schubhaftbeschwerde, über die der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich (im Folgenden: UVS) am 23. Oktober 2013 eine mündliche Verhandlung durchführte. An der mündlichen Verhandlung nahm neben dem Beschwerdeführer und einem Rechtsberater auch ein Vertreter der belangten Behörde teil. Die mündliche Verhandlung wurde um 12.45 Uhr geschlossen, woraufhin sich der Verhandlungsleiter zurückzog, um die Entscheidung vorzubereiten (Vorbringen Beschwerdeschriftsatz, Niederschrift über die Verhandlung zu AZ VwSen-401335). 

 

6.           Um 12.57 Uhr übermittelte die belangte Behörde dem PAZ Rossauerlände den Abschiebeauftrag, den Bf am 24. Oktober 2013 im Luftweg außer Landes zu bringen (Gegenschrift, Abschiebeauftrag).

 

7.           Um 13.30 Uhr kamen die Verhandlungsteilnehmer zur Entscheidungsverkündung zusammen. Mit mündlich verkündetem – als Erkenntnis bezeichneten - Bescheid wurde festgestellt, dass die Festnahme, die Anordnung der Schubhaft und die Anhaltung in Schubhaft bis zum 17. Oktober 2013 um 17:00 Uhr (Ende der Regeldienstzeit) rechtmäßig war. Da dem Beschwerdeführer nicht mehr unterstellt werden konnte, dass er  untertauchen wolle bzw. seine Bereitschaft zur Ausreise nur vortäusche, wurde gleichzeitig ausgesprochen, dass seine Anhaltung in Schubhaft seit 17. Oktober 2013 17:00 Uhr unverhältnismäßig und damit nicht mehr rechtmäßig war und die Voraussetzungen für die Fortsetzung der Schubhaft nicht vorlagen. (Vorbringen Beschwerdeschriftsatz, schriftliche Ausfertigung des Erkenntnisses des UVS Oö. vom 23.10.2013).

 

8.           Der bei der Verkündung anwesende Behördenvertreter sprach um 13:35 Uhr die Enthaftung des Beschwerdeführers mit dem Zeitpunkt 13:30 Uhr aus. Unmittelbar nach dem Ausspruch der Enthaftung ordnete der Behördenvertreter die Festnahme mit 13:35 Uhr zur Abschiebung nach Italien an, welche am 24. Oktober 2013 zu erfolgen habe. Die Abschiebung wurde am 24. Oktober 2013 im Luftweg von Wien nach Rom durchgeführt (Abflug von Wien Schwechat um 11:40 Uhr). Der Beschwerdeführer wurde bis zur Abschiebung am 24. Oktober 2013 angehalten (Vorbringen Beschwerdeschriftsatz, Gegenschrift, Bericht LPD NÖ. vom 24. Oktober 2013).

 

9.           Mit eingangs erwähnter Eingabe vom 2. Dezember 2013 erhob der Beschwerdeführer beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich Maßnahmenbeschwerde und stellte die Anträge, der UVS des Landes Oberösterreich möge feststellen, dass

a) die vom Organwalter der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck am 23. Oktober 2013 um ca. 13:35 Uhr in den Amtsräumlichkeiten des UVS des Landes Oberösterreich in Linz, Fabrikstraße 32, ausgesprochene Festnahme des Beschwerdeführers sowie die nachfolgende Anhaltung in „Abschiebehaft“ bis zur tatsächlich erfolgten Abschiebung des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2013 nach Italien rechtswidrig waren, weiters

b) dass auch die Abschiebung des Beschwerdeführers am 24. Oktober 2013 nach Italien rechtswidrig war, zumal dem Beschwerdeführer keine Möglichkeit einer freiwilligen Ausreise nach Italien gewährt wurde; sowie erkennen, der Rechtsträger der belangten Behörde ist schuldig, dem Beschwerdeführer die Kosten des Maßnahmebeschwerdeverfahrens im gesetzlichen Ausmaß binnen 14 Tagen bei sonstigem Zwang zu Handen des Beschwerdeführervertreters zu bezahlen.

10.        Die belangte Behörde legte den bezughabenden Verfahrensakt vor und erstattete mit Eingabe vom 17. Dezember 2013 eine Gegenschrift. Die belangte Behörde beantragt darin die Abweisung der Beschwerde und führt ua aus: „Nach der Entscheidungsverkündung fragte ich Herrn Mag. x um die Uhrzeit der Erlassung vorliegender Rechtssprechung und hob daraufhin förmlich die Schubhaft um 13.30 auf.“ Weiters: „Die Festnahme sprach ich daraufhin gem § 74 Abs 2 Z 3 aus und beauftragte die Exekutive mit dem schriftlichen Vermerk der Uhrzeit (13:35 Uhr), der Festnahme und der weiteren Verbringung zur Verfügung der BH Vöcklabruck in das PAZ Wien Rossauer Lände zum Zweck der Abschiebung nach Italien am darauffolgenden Tag.“ Auf Grund des um 12.57 Uhr an das PAZ übermittelten Abschiebeauftrag sei die Zuständigkeit gem § 6 Abs 4a FPG gegeben. Der Bf verfüge – so die belangte Behörde – über keine Reisefreiheit in jenen Staat, in welchen er innerhalb der Mitgliedstaaten der Europäischen Union ausgewiesen wurde.

 

11.        Mit 1. Jänner 2014 trat das LVwG an die Stelle des UVS. Das LVwG ersuchte die belangte Behörde um Mitteilung, ob sie eine mündliche Verhandlung beantragen wolle. Die belangte Behörde erklärte daraufhin einen Verhandlungsverzicht, hielt aber mit Eingabe vom 9. Jänner 2014 fest, dass hinsichtlich der angenommenen Zuständigkeit zur Festnahmeanordnung kein rechtswidriges Vorgehen erkannt werden könne.  Der Bf erklärte ebenfalls, auf eine mündliche Verhandlung zu verzichten.

 

12.        Die zur ggst. Beschwerde protokollierte Aktenzahl des UVS lautete VwSen-420817, die Aktenzahl des LVwG lautet LVwG-780001.

II. Beweiswürdigung

13.        Der zu Pkt 9 bis 12 festgestellte Sachverhalt beschränkt sich auf eine Darstellung des Verfahrensablaufes und die (auszugsweise) Wiedergabe des Parteivorbringens.

 

14.        Der Beschwerde ist wie ein Gedächtnisprotokoll des Rechtsberaters angeschlossen.  In diesem Gedächtnisprotokoll schildert der Rechtsberater die von ihm wahrgenommenen „Geschehnisse in der Unterbrechung der mündlichen Verhandlung“ und die „Geschehnisse nach Schluss der mündlichen Verhandlung“. In der Gegenschrift wird dazu ausgeführt: „Auch wenn dieses Protokoll in rechtlicher und sachlicher Beurteilung keine Relevanz haben dürfte, so spiegelt es doch die Absicht des Beschwerdeführers klar wieder, die belangte Behörde samt dem Behördenvertreter ins schlechte Licht zu stellen und mutmaßliches Handeln zu unterstellen. Die darin unglaublichen Wort-, Sinn- und Ablaufverdrehungen, Übertreibungen und Falschangaben sind daher zunächst richtig zu stellen.“ Der Inhalt des Gespräches zwischen dem Rechtsberater und dem Behördenvertreter ist nicht entscheidungsrelevant. Maßgeblich war, dass sich der zu Pkt 4 bis 8 festgestellte Sachverhalt widerspruchsfrei aus dem Beschwerdevorbringen, dem vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde und dem Akt des UVS Oö. VwSen 401335 ergibt (s. dazu die in Klammer angegebenen Beweismittel).

III. Rechtliche Beurteilung

15.        Gem § 125 Abs 22 Fremdenpolizeigesetz (FPG) idF BGBl I Nr. 68/2013 ist das LVwG zur Entscheidung über die ggst. Beschwerde berufen.

 

16.        Eine mündliche Verhandlung war infolge des Verhandlungsverzichts (Pkt 3) gemäß § 44 Abs 5  Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) nicht erforderlich.

 

17.        Die maßgeblichen Rechtsvorschriften ergeben sich aus folgenden Bestimmungen des Bundes-Verfassungsgesetzes (B-VG), des Fremdenpolizeigesetzes (FPG) und des Schengener Grenzkodex:

Art 130 Abs 3 B-VG lautet:

(3) Außer in Verwaltungsstrafsachen und in den zur Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Bundes für Finanzen gehörenden Rechtssachen liegt Rechtswidrigkeit nicht vor, soweit das Gesetz der Verwaltungsbehörde Ermessen einräumt und sie dieses im Sinne des Gesetzes geübt hat.

 

§ 6 Abs 4a Fremdenpolizeigesetz (FPG) lautet:

 

(4a) Die örtliche Zuständigkeit zur Verhängung der Schubhaft oder zur Anordnung gelinderer Mittel richtet sich nach dem Aufenthalt. Die örtliche Zuständigkeit zur Abschiebung richtet sich nach der Behörde, welche die Schubhaft verhängt oder das gelindere Mittel angeordnet hat. Die Zuständigkeit zur weiteren Besorgung der Fremdenpolizei (§ 2 Abs. 2) verbleibt bei jener Behörde, welche die Abschiebung veranlasst hat. Diese Zuständigkeit endet

1. mit der Ausreise des Fremden;

2. zwei Monate nach der ursprünglichen Veranlassung der Abschiebung gemäß § 46 oder

3. mit dem Ende der Schubhaft oder des gelinderen Mittels, sofern diese Maßnahme über den Zeitraum gemäß Z 2 hinaus andauert.

§ 46 FPG lautet unter der Überschrift „Abschiebung“:

(1) Fremde, gegen die eine Rückkehrentscheidung, eine Ausweisung (§§ 61, 66 § 10 AsylG 2005) oder ein Aufenthaltsverbot durchsetzbar ist, sind von den Organen des öffentlichen Sicherheitsdienstes im Auftrag der Behörde zur Ausreise zu verhalten (Abschiebung), wenn

1. die Überwachung ihrer Ausreise aus Gründen der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit notwendig scheint,

2. sie ihrer Verpflichtung zur Ausreise nicht zeitgerecht nachgekommen sind,

3. auf Grund bestimmter Tatsachen zu befürchten ist, sie würden ihrer Ausreiseverpflichtung nicht nachkommen, oder

4. sie einem Einreiseverbot oder Aufenthaltsverbot zuwider in das Bundesgebiet zurückgekehrt sind.

(2) Verfügt der Fremde über kein Reisedokument und kann die Abschiebung nicht ohne ein solches durchgeführt werden, hat die Behörde bei der für ihn zuständigen ausländischen Behörde ein Ersatzreisedokument für die Abschiebung einzuholen oder ein Reisedokument für die Rückführung von Drittstaatsangehörigen auszustellen. § 97 Abs. 1 gilt.

(2a) Die Behörde ist berechtigt, Personen, die in ihrem Amtsbereich ihren Aufenthalt haben und für die die Behörde ein Ersatzreisedokument bei der zuständigen ausländischen Behörde für die Abschiebung einzuholen hat, vorzuladen. Die Amtshandlung kann auch außerhalb des Amtsbereiches der zuständigen Behörde stattfinden. § 19 Abs. 2 bis 4 AVG gilt.

(3) Die Behörde hat alle zur Durchführung der Abschiebung erforderlichen Veranlassungen unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalles (insbesondere Abs. 2 und 4) ehestmöglich zu treffen, insbesondere hat sie sich vor der Abschiebung eines unbegleiteten minderjährigen Fremden zu vergewissern, dass dieser einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung im Zielstaat übergeben werden kann. Amtshandlungen betreffend Fremde, deren faktischer Abschiebeschutz gemäß § 12a Abs. 2 AsylG 2005 aufgehoben wurde, sind prioritär zu führen.

(4) Liegen bei Angehörigen (§ 72 StGB) die Voraussetzungen für die Abschiebung gleichzeitig vor, so hat die Behörde bei der Erteilung des Auftrages zur Abschiebung Maßnahmen anzuordnen, die im Rahmen der Durchführung sicherstellen, dass die Auswirkung auf das Familienleben dieser Fremden so gering wie möglich bleibt.

(5) Die Abschiebung ist im Reisedokument des Fremden ersichtlich zu machen, sofern dadurch die Abschiebung nicht unzulässig oder unmöglich gemacht wird. Diese Eintragung ist auf Antrag des Betroffenen zu streichen, sofern deren Rechtswidrigkeit durch den unabhängigen Verwaltungssenat festgestellt worden ist.

(6) Abschiebungen sind systematisch zu überwachen. Nähere Bestimmungen über die Durchführung der Überwachung hat der Bundesminister für Inneres durch Verordnung festzulegen.

 

§ 52 Abs 2 FPG lautet:

(2) Ist ein nicht rechtmäßig im Bundesgebiet aufhältiger Drittstaatsangehöriger im Besitz eines Aufenthaltstitels oder einer sonstigen Aufenthaltsberechtigung eines anderen Mitgliedstaates, hat er sich unverzüglich in das Hoheitsgebiet dieses Staates zu begeben. Dies hat der Drittstaatsangehörige nachzuweisen. Kommt er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nach oder ist seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich, ist eine Rückkehrentscheidung gemäß Abs. 1 zu erlassen.

 

Aus den amtlichen Erläuterungen der Regierungsvorlage zu § 52 Abs 2 FPG idF BGBl I Nr 38/2011 geht folgendes hervor:

„Im vorgeschlagenen Abs 2 wird auf die Vorgaben der Art 6 Abs 2 iVm Art 7 Abs 4 und Art 8 Abs 1 der RückführungsRL Bedacht genommen, die anstelle des Art 23 Abs 2 und 3 SDÜ treten. Letztgenannte regelten die Verpflichtungen der Drittstaatsangehörigen, sich in den Vertragsstaat zu begeben, der ihm einen Aufenthaltstitel ausgestellt hat sowie dessen Abschiebung bei Missachtung dieser Verpflichtung oder im Fall der Verletzung des ordre-public sowie die ausnahmsweise Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis trotz Illegalität. In diesem Fall ergeht gegen den Drittstaatsangehörigen grundsätzlich keine Rückkehrentscheidung, sondern nur dann, wenn er seiner Ausreiseverpflichtung nicht nachkommt oder seine sofortige Ausreise aus dem Bundesgebiet aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit erforderlich ist. Die Ankunft im Hoheitsgebiet des Mitgliedstaates, der ihm einen Aufenthaltstitel ausgestellt oder eine sonstige Aufenthaltsberechtigung erteilt hat, hat der Drittstaatsangehörige in geeigneter Art und Weise nachzuweisen. Dies kann insbesondere durch Vorstelligwerden bei einer Behörde im betreffenden Mitgliedstaat und dortige Vorlage des Aufenthaltstitels geschehen.“ 

 

§ 74 Abs 2 FPG lautet:

Ein Festnahmeauftrag kann gegen einen Fremden auch dann erlassen werden,

1. wenn die Voraussetzungen zur Verhängung der Schubhaft nach § 76 oder zur Anordnung gelinderer Mittel gemäß § 77 Abs. 1 vorliegen und nicht aus anderen Gründen die Vorführung vor die Fremdenpolizeibehörde erfolgt;

2. wenn er seiner Verpflichtung zur Ausreise (§§ 52 Abs. 1 und 70 Abs. 1, § 10 AsylG 2005) nicht nachgekommen ist;

3. wenn gegen den Fremden ein Auftrag zur Abschiebung (§ 46) erlassen werden soll oder

4. wenn er, ohne ausreichende Entschuldigung einer ihm zu eigenen Handen zugestellten Ladung gemäß § 46 Abs. 2a, in der dieses Zwangsmittel angedroht war, zur Befragung zur Klärung seiner Identität und Herkunft, insbesondere zum Zweck der Einholung eines Ersatzreisedokumentes bei der zuständigen ausländischen Behörde durch die Behörde, nicht Folge geleistet hat.

 

Artikel 5 Abs 1 und 4 lit a der Verordnung (EG) Nr. 562/2006 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 15. März 2006 über einen Gemeinschaftskodex für das Überschreiten der Grenzen durch Personen (Schengener Grenzkodex) lauten unter der Überschrift „Einreisevoraussetzungen für Drittstaatsangehörige“:

 

(1) Für einen Aufenthalt von bis zu drei Monaten je Sechsmonatszeitraum gelten für einen Drittstaatsangehörigen folgende Einreisevoraussetzungen:

a) Er muss im Besitz eines oder mehrerer gültiger Reisedokumente sein, die ihn zum Überschreiten der Grenze berechtigen.

b) Er muss im Besitz eines gültigen Visums sein, falls dies nach der Verordnung (EG) Nr. 539/2001 des Rates vom 15. März 2001 zur Aufstellung der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige beim Überschreiten der Außengrenzen im Besitz eines Visums sein müssen, sowie der Liste der Drittländer, deren Staatsangehörige von dieser Visumpflicht befreit sind (1), vorgeschrieben ist, außer wenn er Inhaber eines gültigen Aufenthaltstitels ist.

c) Er muss den Zweck und die Umstände des beabsichtigten Aufenthalts belegen, und er muss über ausreichende Mittel zur Bestreitung des Lebensunterhalts sowohl für die Dauer des beabsichtigten Aufenthalts als auch für die Rückreise in

den Herkunftsstaat oder für die Durchreise in einen Drittstaat, in dem seine Zulassung gewährleistet ist, verfügen oder in der Lage sein, diese Mittel rechtmäßig zu erwerben.

d) Er darf nicht im SIS zur Einreiseverweigerung ausgeschrieben sein.

e) Er darf keine Gefahr für die öffentliche Ordnung, die innere Sicherheit, die öffentliche Gesundheit oder die internationalen Beziehungen eines Mitgliedstaats darstellen und darf insbesondere nicht in den nationalen Datenbanken der

Mitgliedstaaten zur Einreiseverweigerung aus denselben Gründen ausgeschrieben worden sein.

 

(4) Abweichend von Absatz 1 gilt Folgendes:

a) Drittstaatsangehörigen, die nicht alle Voraussetzungen des Absatzes 1 erfüllen, aber Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels oder Rückreisevisums oder erforderlichenfalls beider Dokumente sind, wird die Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats gestattet, der den Aufenthaltstitel oder das Rückreisevisum ausgestellt hat, es sei denn, sie sind auf der nationalen Ausschreibungsliste des Mitgliedstaats, an dessen Außengrenzen sie einreisen wollen, mit einer Anweisung ausgeschrieben, ihnen die Einreise oder die Durchreise zu verweigern.

 

Pkt 4.5.2. des – im Amtsblatt veröffentlichten - Durchführungsbeschlusses der Kommission vom 26. Februar 2013, über das SIRENE-Handbuch und andere Durchführungsbestimmungen für das Schengener Informationssystem der zweiten Generation (SIS II) lautet unter der Überschrift „Verfahren nach Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a“ unter anderem: 

„Nach Artikel 5 Absatz 4 Buchstabe a des Schengener Grenzkodexes wird Drittstaatsangehörigen, die zwecks Einreise- oder Aufenthaltsverweigerung ausgeschrieben wurden, aber Inhaber eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Aufenthaltstitels, Visums für den längerfristigen Aufenthalt oder Rückreisevisums sind, die Einreise in das Hoheitsgebiet der anderen Mitgliedstaaten zum Zwecke der Durchreise zur Erreichung des Hoheitsgebiets des Mitgliedstaats gestattet, der das Dokument ausgestellt hat. Die Einreise kann verweigert werden, wenn sie im nationalen Ausschreibungsverzeichnis des letzteren Mitgliedstaats zwecks Einreiseverweigerung eingetragen sind. In beiden Fällen übermittelt das SIRENE-Büro des Mitgliedstaats, in den die Person einzureisen versucht, auf Ersuchen der zuständigen Behörde den SIRENE-Büros der beiden anderen Mitgliedstaaten eine Mitteilung (Formular H, wenn die Durchreise gestattet wurde/Formular G, wenn die Einreise verweigert wurde), mit der es sie über die widersprüchliche Regelung informiert und sie auffordert, im gegenseitigen Einvernehmen entweder die Ausschreibung im SIS II zu löschen oder den Aufenthaltstitel bzw. das Visum zu entziehen. Es kann auch beantragen, über die Ergebnisse der Konsultationen informiert zu werden.

Der Mitgliedstaat, der die Ausschreibung in das SIS II eingegeben hat, kann dem betreffenden Drittstaatsangehörigen die Einreise verweigern. Auf Ersuchen der zuständigen Behörde konsultiert das SIRENE-Büro dieses Mitgliedstaats jedoch das SIRENE-Büro des Mitgliedstaats, der den Aufenthaltstitel oder das Visum erteilt hat, damit die zuständige Behörde entscheiden kann, ob genügend Gründe für den Entzug des Aufenthaltstitels oder des Visums vorliegen. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum erteilt hat, informiert den ausschreibenden Mitgliedstaat mit dem Formular O darüber, ob der Aufenthaltstitel oder das Visum entzogen werden soll oder nicht. Beschließt dieser Mitgliedstaat, den Aufenthaltstitel oder das Visum nicht zu entziehen, wird die Ausschreibung gelöscht. Die Person kann jedoch in das nationale Ausschreibungsverzeichnis eines Mitgliedstaats zwecks Einreiseverweigerung eingetragen werden.

Die betreffende Person darf in das Hoheitsgebiet des Mitgliedstaats, der den Aufenthaltstitel oder das Visum erteilt hat, einreisen, jedoch konsultiert das SIRENE-Büro dieses Mitgliedstaats auf Ersuchen der zuständigen Behörde das SIRENE-Büro des ausschreibenden Mitgliedstaats, damit die zuständigen Behörden über den Entzug des Aufenthaltstitels oder des Visums bzw. die Löschung der Ausschreibung entscheiden können. Der Mitgliedstaat, der den Aufenthaltstitel oder das Visum erteilt hat, informiert den ausschreibenden Mitgliedstaat mit dem Formular O darüber, ob der Aufenthaltstitel oder das Visum entzogen werden soll oder nicht. Beschließt dieser Mitgliedstaat, dass der Aufenthaltstitel oder das Visum weiterhin gültig sind, wird die Ausschreibung gelöscht. Die Person kann jedoch in das nationale Ausschreibungsverzeichnis eines Mitgliedstaats zwecks Einreiseverweigerung eingetragen werden.“

 

18.        Die belangte Behörde hatte noch im Stande der Schubhaft die Abschiebung des Bf veranlasst. Sie war daher entgegen der Auffassung des Bf gemäß § 6 Abs 4a Z 2 bzw Z 3 FPG zur „weiteren Besorgung der Fremdenpolizei“ örtlich zuständige Behörde.

 

19.        Ob die beanstandete Festnahme und Abschiebung im konkreten Einzelfall rechtmäßig war, ergibt sich aus einer systematischen Gesamtbetrachtung der oben angeführten nationalen Vorschriften des FPG und der gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen des Schengener Grenzkodex. 

 

20.        Der Bf verfügt über einen ital. Aufenthaltstitel, führte aber keinen Reisepass mit sich. Infolge der rechtskräftigen asylrechtlichen Ausweisung war sein Aufenthalt nicht rechtmäßig iSd § 31 Abs 1a FPG. Aus den angeführten erläuternden Bemerkungen der Regierungsvorlage zu § 52 Abs 2 FPG ergibt sich, dass die freiwillige Ausreise eines Fremden mit Aufenthaltstitel eines anderen Mitgliedstaates in diesen Mitgliedstaat ohne besondere Formalitäten, dh auch ohne Reisepass, zulässig ist. Lediglich dann, wenn  dazu die Einreise in einen anderen Mitgliedstaat zum Zwecke der Durchreise erforderlich ist, sehen die Bestimmungen des zu Art 5 Abs 4 Schengener Grenzkodex ergangenen Durchführungsbeschlusses der Kommission uU ein besonderes Verfahren vor.

 

21.        Da Italien unmittelbar an Österreich angrenzt, hätte die freiwillige Ausreise des Bf bspw. mit einem öffentlichen Verkehrsmittel ohne besondere Formalitäten bewerkstelligt werden können. Die Vorgangsweise der Behörde, den Bf weiter anzuhalten und mit Zwang zur Ausreise im Luftweg am 24. Oktober 2013 zu verhalten, war dagegen unverhältnismäßig. Die von der belangten Behörde herangezogene Bestimmung des § 74 Abs 2 Z 3 FPG vermag daran nichts zu ändern. Damit ist sowohl die nach Verkündung am 23. Oktober 2013 fortgesetzte Anhaltung als auch die am 24. Oktober 2013 erfolgte Abschiebung rechtswidrig.

 

22.        Aus diesem Grund war spruchgemäß zu entscheiden. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus der VwG-Aufwandersatzverordnung vom 31. Dezember 2013, BGBl II Nr 517/2013 iVm § 35 Abs 1 VwGVG.

IV. Zulässigkeit der ordentlichen Revision

23.        Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil keine Rechtsprechung des VwGH zur Frage, ob unter den festgestellten Umständen eine weitere Anhaltung gerechtfertigt war, vorliegt.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Die Beschwerde bzw. Revision ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. einer bevollmächtigte Rechtsanwältin abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

Im Beschwerdeverfahren sind Stempelgebühren idH von 33,80 Euro angefallen (für Eingabe und Beilagen).

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

Wolfgang Weigl