LVwG-750061/2/Gf/Rt

Linz, 07.02.2014

B E S C H L U S S

 

 

 

Geschäftszeichen:                                                                                                                                                                                                                                                 Datum:

LVwG-750061/2/Gf/Rt                                                                     Linz, 7. Februar 2014

 

 

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Alfred Gróf aus Anlass der Beschwerde des x, vertreten durch die RAe x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 26. September 2013, Zl. Sich40-42720-2013, mit dem sein Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz abgewiesen wurde,

 

b e s c h l o s s e n:

 

 

I.          Gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG wird der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Angelegenheit an die belangte Behörde zurückverwiesen.

 

II.         Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 

 


 

 

B e g r ü n d u n g:

 

I.

 

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Vöcklabruck vom 26. September 2013, Zl. Sich40-42720-2013, wurde der vom Rechtsmittelwerber am 16. Mai 2013 gestellte Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels abgewiesen.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Beschwerdeführer erstmals – allerdings illegal – am 31. Mai 2008 eingereist sei. In der Folge seien sein Asylantrag mit Bescheid des Bundesasylamtes Linz vom 1. September 2008, Zl. 0804753, und seine dagegen erhobene Beschwerde mit Erkenntnis des Asylgerichtshofes vom 5. November 2008, Zl. B7-401623-1/2008/2E, jeweils abgewiesen und seine Ausweisung in die Republik x verfügt worden; die Abschiebung dorthin sei am 28. November 2008 erfolgt.

 

Im November 2011 sei der Rechtsmittelwerber neuerlich illegal in das Bundesgebiet eingereist, am 25. November 2011 allerdings wieder freiwillig in die Republik x zurückgekehrt.

 

In der Folge habe er am 16. Mai 2013 in x bei der österreichischen Botschaft einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ – der von der belangten Behörde als  quotenpflichtiger Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ i.S.d. § 46 Abs. 1 Z. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes, BGBl.Nr. I 100/2005 (im Folgenden: NAG) qualifiziert wurde – gestellt und dabei seine Gattin als Bezugsperson (bzw. als „Zusammenführende“) angegeben. Im Rahmen des darauf hin durchgeführten Ermittlungsverfahrens sei allerdings von der belangten Behörde festgestellt worden, dass deren verfügbares Einkommen lediglich 1.218,72 Euro betrage. Da dieses jedoch um 37,17 Euro unter dem Richtsatz für Ehepaare (§ 239 ASVG: 1.255,89 Euro) liege, sei seine Gattin offenbar nicht in der Lage, sowohl für ihren eigenen als auch für den Unterhalt des Beschwerdeführers aufzukommen, sodass im Ergebnis die begründete Gefahr bestehe, dass der künftige Aufenthalt des Rechtsmittelwerbers in Österreich zu einer finanziellen Belastung für eine Gebietskörperschaft führen könne, wodurch in weiterer Folge auch das wirtschaftliche Wohl des Staates gefährdet erscheine. Dazu komme noch, dass der Beschwerdeführer durch sein bisheriges Verhalten (zweimalige illegale Einreise; Anzeige wegen § 129 StGB) dokumentiert habe, dass er nicht gewillt sei, die hiesigen fremden- und ordnungsrechtlichen Bestimmungen, die einem eminenten öffentlichen Interesse dienten, zu akzeptieren. Da der Rechtsmittelwerber andererseits mit den Sitten und Gebräuchen seines Heimatstaates vertraut sei, er dort seine Schul- und Berufsausbildung absolviert und er sich zeitlebens nahezu ständig im x aufgehalten habe, sodass anzunehmen sei, dass er auch über entsprechende familiäre Bindungen verfüge und sozial gut integriert sei, während dem gegenüber aus der Ehe mit seiner Gattin keine Kinder entstanden seien und er auch keinen Vertrag über ein Arbeitsverhältnis in Österreich vorlegen könne, sei sein Antrag sohin – insbesondere auch im Hinblick darauf, dass entweder seine Gattin ihn jederzeit im x bzw. auch umgekehrt er (mit einem Besuchervisum) seine Gattin in Österreich aufsuchen könne – abzuweisen gewesen.

 

2. Gegen diesen ihm am 2. Oktober 2013 zugestellten Bescheid richtet sich die vorliegende, am 16. Oktober 2013 – und damit rechtzeitig – zur Post gegebene Berufung.

 

Darin wird eingewendet, dass nach der ständigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes sogar wiederholte illegale Einreisen nicht zwingend zum Fehlen der Erteilungsvoraussetzung des § 11 Abs. 2 Z. 1 NAG führen müssten; Gleiches gelte im Übrigen auch bezüglich einer von der belangten Behörde ins Treffen geführten Anzeige wegen eines angeblichen Verdachtes einer Übertretung des § 129 StGB (Diebstahl durch Einbruch oder mit Waffen). Davon abgesehen sei auch ein monatliches Zusatzeinkommen der Gattin des Rechtsmittelwerbers in Höhe von 75,00 Euro nicht berücksichtigt worden, sodass insgesamt durchaus eine Selbsterhaltungsfähigkeit gegeben sei bzw. keine Gefahr einer finanziellen Belastung des Staates bestehe.

 

Daher wird beantragt, dem Beschwerdeführer die begehrte Niederlassungsbewilligung zu erteilen.

 

3. Mit Schriftsatz vom 20. Jänner 2014, Zl. 323649/2, hat das Bundesministerium für Inneres diese Berufung im Hinblick auf die mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle BGBl.Nr. I 50/2012 seit dem 1. Jänner 2014 geänderte Rechtslage dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung vorgelegt.

 

 

II.

 

1. Gemäß Art. 131 Abs. 1 B-VG i.V.m. Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG erkennen über wegen Rechtswidrigkeit erhobene Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde (sofern nicht ein Fall des Art. 132 Abs. 6 B-VG – nämlich eine Angelegenheit des eigenen Wirkungsbereiches der Gemeinde – vorliegt, was jedoch gegenständlich nicht zutrifft) die Verwaltungsgerichte der Länder.

 

Da hier die Bestimmungen des Art. 131 Abs. 2 bis 4 B-VG über von diesem Grundsatz abweichende Anordnungen nicht zum Tragen kommen (vgl. auch § 81 Abs. 26 NAG), ist somit nach der Generalklausel des Art. 131 Abs. 1 B-VG die funktionelle und örtliche Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich gegeben.  

 

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zu Zl. Sich40-42720-2013; da sich bereits aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen der für die gegenständliche Entscheidung wesentliche – zuvor bereits unter I. dargestellte – Sachverhalt klären ließ, konnte im Übrigen gemäß § 24 VwGVG von der Durchführung einer Verhandlung abgesehen werden.

 

 

III.

 

1. Zu den maßgeblichen Rechtsgrundlagen:

 

1.1. Gemäß § 46 Abs. 1 NAG in der zum Zeitpunkt des angefochtenen Bescheides maßgeblichen Fassung BGBl.Nr. I 50/2012 war einem Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen – im Sinne einer Rechtsentscheidung – ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus“ zu erteilen, wenn einerseits dieser Familienangehörige die Voraussetzungen des Ersten Teiles (des NAG, d.s. die §§ 1 bis 40 NAG) erfüllte und andererseits  der Zusammenführende 1.) entweder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte“ (§ 41 NAG) bzw. einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ (§ 41a Abs. 1 oder Abs. 4 NAG) innehatte (§ 46 Abs. 1 Z. 1 NAG) oder 2.) ein Quotenplatz (i.S.d. § 12 NAG) vorhanden war und der Zusammenführende entweder einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EG“ (§ 46 Abs. 1 Z. 2 lit. a NAG) oder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1 oder Abs. 4 NAG, innehatte (§ 46 Abs. 1 Z. 2 lit. b NAG) oder wenn der Zusammenführende ein Asylberechtigter war und § 34 Abs. 2 AsylG nicht galt (§ 46 Abs. 1 Z. 2 lit. c NAG).

 

Gemäß § 46 Abs. 4 NAG war einem Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen eine (normale) „Niederlassungsbewilligung“ (i.S.d. § 43 NAG) zu erteilen, wenn einerseits dieser Familienangehörige die Voraussetzungen des Ersten Teiles (des NAG, d.s. die §§ 1 bis 40 NAG) erfüllte, ein Quotenplatz vorhanden war und andererseits der Zusammenführende selbst entweder eine „Niederlassungsbewilligung“ oder eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger“ innehatte.

 

Nach § 46 Abs. 5 NAG konnte einem Familienangehörigen eines Drittstaatsangehörigen i.S.d. § 43 Abs. 2 NAG oder i.S.d. § 44 NAG eine „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“ (i.S.d. § 44 NAG) erteilt werden, wenn dieser Familienangehörige die Voraussetzungen des Ersten Teiles (des NAG, d.s. die §§ 1 bis 40 NAG) erfüllte und für ihn dann, wenn er ein Familienangehöriger eines Drittstaatsangehörigen i.S.d. § 44 Abs. 1 NAG war – Letzterer also selbst bloß über eine „Niederlassungsbewilligung – ausgenommen Erwerbstätigkeit“ verfügte –, ein Quotenplatz vorhanden war.

 

Sollte hingegen im Falle einer Familienzusammenführung gemäß § 46 Abs. 1 Z. 2 NAG oder gemäß § 46 Abs. 4 NAG ein Aufenthaltstitel quotenfrei erteilt werden, so hatte die Niederlassungsbehörde über einen Antrag auf Prüfung der Gründe nach § 11 Abs. 3 NAG gesondert abzusprechen, wenn diesem Antrag nicht Rechnung getragen wird; ein solcher Antrag auf Klärung dieser Vorfrage war jedoch nur zulässig, wenn gleichzeitig ein Antrag in der Hauptfrage auf Familienzusammenführung eingebracht worden oder ein solcher bereits anhängig war.

          

1.2. Hinsichtlich der mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei der Bundesministerin für Inneres anhängig gewesenen Berufungsverfahren legt die Übergangsbestimmung des § 81 Abs. 26 NAG fest, dass diese vom zuständigen Landesverwaltungsgericht nach dem NAG „in der Fassung vor der Novelle BGBl.Nr. I 87/2012“, damit also nach dem NAG in der Fassung BGBl.Nr. I 50/2012 – in welcher dieses Gesetz auch von der belangten Behörde anzuwenden war –, „zu Ende zu führen“ sind.

 

1.3. Insgesamt ergibt sich somit, dass für die vorliegende Entscheidung das NAG in der Fassung BGBl.Nr. I 50/2012 – und nicht die geltende Fassung BGBl.Nr. I 144/2013, aber auch noch nicht die mit BGBl.Nr. I 87/2012 (sog. „BFA-Novelle“) vorgenommene umfassende Neustrukturierung des Fremdenwesens – maßgeblich ist; dies gilt analog auch hinsichtlich der im NAG (in der Fassung BGBl.Nr. I 50/2012) explizit oder implizit enthaltenen Verweisungen auf das Fremdenpolizeigesetz (sohin: BGBl.Nr. I 100/2005 i.d.F. BGBl.Nr. I 50/2012, im Folgenden: FPG; vgl. auch § 125 Abs. 23 FPG) und auf das Asylgesetz (also: BGBl.Nr. I 100/2005 i.d.F. BGBl.Nr. I 50/2012, im Folgenden: AsylG).

 

 

2. Davon ausgehend hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich über die gegenständliche Beschwerde erwogen:

 

 

2.1. Im vorliegenden Fall besteht das vom Beschwerdeführer am 16. Mai 2013 persönlich der Österreichischen Botschaft im x übermittelte Anbringen in einem mit „Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘“ überschriebenen „Formular-Nr. 08 § 8 Abs. 1 Z 2 NAG“. Bei diesem (neben zahlreichen anderen) von der Homepage des Bundesministeriums für Inneres downloadbaren Formular (en)[1] dürfte es sich jedoch nicht um ein solches handeln, das auf einer Verordnung gemäß § 19 Abs. 3 zweiter Satz NAG basiert; denn es ist nicht ersichtlich, dass sich in einer der derzeit geltenden (bzw. zum Entscheidungszeitpunkt der belangten Behörde in Geltung gestanden habenden), auf Grund des NAG ergangenen Verordnungen eines Bundesministers bzw. einer Bundesministerin für Inneres hierfür einer entsprechende Rechtsgrundlage finden würde.

 

Daher ist davon auszugehen, dass dem Antragsformular „Nr. 08 § 8 Abs. 1 Z. 2 NAG“ keine Rechtsverbindlichkeit in dem Sinne zukommt, dass Einschreiter für ihre Anträge zwingend solche Formulare zu verwenden hätten.

 

2.2. Dieser Umstand ist hier deshalb von maßgeblicher Bedeutung, weil in inhaltlicher Hinsicht aus dem gegenständlichen Vorbringen des Rechtsmittelwerbers vom 16. Mai 2013 nicht abgeleitet werden kann, dass er – wie dies die belangte Behörde aber ohne nähere Auseinandersetzung angenommen hat – dezidiert einen Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ stellen wollte; objektiv besehen lässt sich diesem – ohnehin nur sehr kursorisch ausgefüllten – Formular vielmehr nur entnehmen, dass er einen Aufenthalt bei seiner offenbar bereits in Österreich niedergelassenen Ehegattin anstrebt.

 

Für einen in diesem Sinne legalen Aufenthalt stellt das NAG jedoch – wie zuvor unter III.1.1. aufgezeigt – nicht nur eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“, sondern auch noch diverse andere Formen einer Bewilligungserteilung zur Verfügung.

 

2.3. Davon ausgehend hätte die belangte Behörde den vorliegenden Antrag nicht – wie im angefochtenen Bescheid – autonom und ohne nähere Begründung als einen solchen gemäß § 46 Abs. 1 Z. 2 NAG qualifizieren dürfen; dies insbesondere erst recht dann nicht, wenn sie letztlich zum Ergebnis kommt, dass der Rechtsmittelwerber die Voraussetzungen für eine derartige Bewilligungserteilung ohnehin nicht erfüllt.

 

Vor dem Hintergrund der gegenwärtig – insbesondere für einen Fremden – zudem zu konstatierenden weitgehenden Undurchschaubarkeit des Fremden-, des Asyl- und des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts wäre sohin vielmehr im Wege eines Mängelbehebungsauftrages zu klären gewesen, welche konkrete Form eines Aufenthaltstitels i.S.d. § 46 NAG der Beschwerdeführer tatsächlich anstrebt, wobei ihm in diesem Zusammenhang insbesondere auch jene Alternative aufgezeigt hätte werden müssen, deren Anforderungen er noch am ehesten erfüllen könnte – dies ganz abgesehen davon, dass dem angefochtenen Bescheid ohnehin nicht zweifelsfrei entnommen werden kann, ob die in § 46 Abs. 1 Z. 2 2 NAG normierten Tatbestandsvoraussetzungen – z.B. Vorhandensein eines Quotenplatzes; fremdenrechtlicher Status der Gattin des Rechtsmittelwerbers – von der Behörde überhaupt einer entsprechenden Subsumtionsprüfung unterzogen wurden.

 

2.4. Gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG hat das Landesverwaltungsgericht über Beschwerden gemäß Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn entweder der für eine solche Sachentscheidung maßgebliche Sachverhalt feststeht oder dessen Feststellung durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist. Liegen diese Voraussetzungen hingegen nicht vor, hat das Verwaltungsgericht nur dann in der Sache selbst zu entscheiden, wenn die Behörde dem bei der Vorlage der Beschwerde nicht widersprochen hat.

 

2.4.1. Diese einfachgesetzliche Verfahrensbestimmung ist jeweils vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund zu betrachten, dass infolge der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle BGBl.Nr. I 50/2012 vorgenommenen Umwandlung der früheren, bloß Behördenqualität aufweisenden Unabhängigen Verwaltungssenate in nunmehrige Gerichte i.S.d. B-VG auch das gemäß § 17 VwGVG i.V.m. § 39 Abs. 2 AVG für das Verfahren der Verwaltungsgerichte – jetzt nur mehr subsidiär – maßgebliche Amtswegigkeitsprinzip systembedingt insoweit eine Einschränkung erfahren hat, als sich bei kohärent-systemkonformer Sichtweise ergibt, dass die grundlegende rechtspolitische Entscheidungskompetenz prinzipiell weitestmöglich bei der Verwaltungsbehörde verbleiben soll, während die Verwaltungsgerichte funktionsbedingt in erster Linie auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt sind.

 

2.4.2. Um daher einerseits der belangten Behörde – der hier im Übrigen auch keine Möglichkeit zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG zukam – diese Befugnis zur rechtspolitischen Gestaltung offenzuhalten, andererseits aber auch angesichts der zuvor beanstandeten Unzulänglichkeiten des behördlichen Ermittlungsverfahrens, war daher im gegenständlichen Fall gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG mit einer Aufhebung des angefochtenen Bescheides und einer Zurückverweisung der Angelegenheit vorzugehen, wobei die belangte Behörde dann, wenn sie die Rechtsauffassung vertritt, dass jede Form der Familienzusammenführung i.S.d. § 46 NAG dann schon von vornherein ausgeschlossen ist, wenn der Antragsteller eine der Voraussetzungen des § 11 NAG nicht erfüllt (sodass sich jegliche weitere Prüfung der sonstigen, in § 46 NAG jeweils normierten Tatbestandsvoraussetzungen schon deshalb erübrigt), sowohl diese Rechtsansicht als auch eine in deren Gefolge allenfalls vorzunehmende Interessenabwägung i.S.d. Art. 8 EMRK entsprechend objektiv nachvollziehbar zu begründen hätte.   

 


 

 

IV.

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG insofern grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil bislang eine entsprechende Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag seiner Zustellung eine Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder eine ordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben werden. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision muss durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240 Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr.  G r ó f

 

 

 

 

LVwG-750061/2/Gf/Rt vom 7. Februar 2014

 

Rechtssatz

 

Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG;

§ 19 Abs. 3 NAG;

§ 46 Abs. 1 NAG;

§ 28 Abs. 3 VwGVG;

§ 39 Abs. 2 AVG

 

* Im vorliegenden Fall besteht das vom Beschwerdeführer übermittelte Anbringen in einem mit „Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot – Karte plus‘“ überschriebenen „Formular-Nr. 08 § 8 Abs. 1 Z 2 NAG“. Bei diesem (neben zahlreichen anderen) von der Homepage des Bundesministeriums für Inneres downloadbaren Formular (en)  dürfte es sich jedoch nicht um ein solches handeln, das auf einer Verordnung gemäß § 19 Abs. 3 zweiter Satz NAG basiert; denn es ist nicht ersichtlich, dass sich in einer der auf Grund des NAG ergangenen Verordnungen des Bundesministers für Inneres hierfür einer entsprechende Rechtsgrundlage finden würde. Daher müssen Fremde für ihre Anträge auch nicht zwingend solche Formulare verwenden;

 

* Lässt sich derartiges dem Antrag nicht zweifelsfrei entnehmen, dann darf die Behörden diesen nicht autonom und ohne nähere Begründung als einen solchen gemäß § 46 Abs. 1 Z. 2 NAG („Rot-Weiß-Rot – Karte plus“) qualifizieren; dies erst recht dann nicht, wenn sie letztlich zum Ergebnis kommt, dass der Fremde die Voraussetzungen für eine derartige Bewilligungserteilung ohnehin nicht erfüllt. Vor dem Hintergrund der gegenwärtig – insbesondere für einen Fremden – zudem zu konstatierenden weitgehenden Undurchschaubarkeit des Fremden-, des Asyl- und des Niederlassungs- und Aufenthaltsrechts wäre sohin vielmehr im Wege eines Mängelbehebungsauftrages zu klären gewesen, welche konkrete Form eines Aufenthaltstitels i.S.d. § 46 NAG der Beschwerdeführer tatsächlich anstrebt, wobei ihm in diesem Zusammenhang insbesondere auch jene Alternative aufgezeigt hätte werden müssen, deren Anforderungen er noch am ehesten erfüllen könnte;

 

* Die einfachgesetzliche Verfahrensbestimmung des § 28 Abs. 2 und 3 VwGVG ist jeweils vor dem verfassungsrechtlichen Hintergrund zu betrachten, dass infolge der mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle BGBl.Nr. I 50/2012 vorgenommenen Umwandlung der früheren, bloß Behördenqualität aufweisenden Unabhängigen Verwaltungssenate in nunmehrige Gerichte i.S.d. B-VG auch das gemäß § 17 VwGVG i.V.m. § 39 Abs. 2 AVG für das Verfahren der Verwaltungsgerichte – jetzt nur mehr subsidiär – maßgebliche Amtswegigkeitsprinzip systembedingt insoweit eine Einschränkung erfahren hat, als sich bei kohärent-systemkonformer Sichtweise ergibt, dass die grundlegende rechtspolitische Entscheidungskompetenz prinzipiell weitestmöglich bei der Verwaltungsbehörde verbleiben soll, während die Verwaltungsgerichte funktionsbedingt in erster Linie auf eine Rechtmäßigkeitskontrolle beschränkt sind;

 

* Um einerseits der belangten Behörde – der hier im Übrigen auch keine Möglichkeit zur Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung gemäß § 14 VwGVG zukam – diese Möglichkeit offenzuhalten, andererseits aber auch angesichts der festgestellten Unzulänglichkeiten des behördlichen Ermittlungsverfahrens (nämlich dahin, dass dem angefochtenen Bescheid nicht entnommen werden kann, ob die in § 46 Abs. 1 Z. 2 2 NAG normierten Tatbestandsvoraussetzungen – z.B. Vorhandensein eines Quotenplatzes und Status des Zusammenführenden – überhaupt einer Subsumtionsprüfung unterzogen wurden), war daher im gegenständlichen Fall gemäß § 28 Abs. 3 zweiter Satz VwGVG mit einer Aufhebung des Bescheides und einer Zurückverweisung der Angelegenheit vorzugehen.

 

Beschlagwortung:

 

Rot-Weiß-Rot-Karte; Formular; Innenministerium; Homepage; Antrag – Auslegung (Interpretation) desselben durch die Behörde; Amtswegigkeit; Rechtmäßigkeitskontrolle; politische Gestaltungsbefugnis

 

 

 


[1] Vgl. http://www.bmi.gv.at/cms/BMI_Niederlassung/formulare/start.aspx

 

Beachte:

Der Beschluss wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

VwGH vom 30.09.2014, Zl.: Ro 2014/22/0021-3