LVwG-601369/8/Bi

Linz, 27.06.2016

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Mag. Karin Bissenberger über die Beschwerde der Frau H P, G, F, vom 14. April 2016 gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Eferding vom 22. März 2016, VerkR96-847-2014, wegen Übertretungen der StVO 1960,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.

Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis zur Gänze behoben und das Verwaltungsstrafverfahren ohne Vorschreibung von Verfahrenskostenbeiträgen gemäß § 45 Abs.1 Z1 2. Alt. VStG eingestellt.

 

II.

Gemäß § 52 Abs.8 VwGVG entfällt ein Kostenbeitrag zum Beschwerdeverfahren.

 

 

III.

Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Zu I.:

1. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurden über die Beschuldigte wegen Verwaltungsübertretungen gemäß 1) §§ 4 Abs.1 lit.a iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960, 2) §§ 4 Abs.1 lit.c iVm 99 Abs.2 lit.a StVO 1960 und 3) §§ 4 Abs.5 iVm 99 Abs.3 lit.b StVO 1960 Geldstrafen von 1) und 2) je 250 Euro und 3) 200 Euro und für den Fall der Uneinbringlichkeit Ersatzfreiheitsstrafen von 1) und 2) je 122 Stunden und 3) 102 Stunden verhängt sowie ihr gemäß § 64 Abs.1 VStG Verfahrenskostenbeiträge von gesamt 70 Euro auferlegt. Zugrundegelegt wurde laut Schuldspruch, sie sei als Lenkerin des Pkw EF-x  am 3. April 2014, 15.20 Uhr, im Ortsgebiet Fraham, G, M, Kreuzung M – P, mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und

1) habe ihr Fahrzeug nicht sofort angehalten,

2) habe an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt, da sie es durch Verlassen der Unfallstelle unmöglich gemacht habe, ihre körperliche und geistige Verfassung zum Unfallszeitpunkt festzustellen und

3) habe nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl sie und die Person(en), in deren Vermögen der Schaden eingetreten sei, einander ihren Namen und ihre Anschriften nicht nachgewiesen hätten.

Die Zustellung des Straferkenntnisses erfolgte laut Rückschein am 25. März 2016.

 

2. Dagegen hat die Beschwerdeführerin (in Folge: Bf) – nach Abweisung des Antrages auf Beigebung eines Verfahrenshilfeverteidigers mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes vom 10. Mai 2016, LVwG-601369/2/Bi – fristgerecht Beschwerde gemäß § 7 VwGVG iVm Art.130 Abs.1 Z1 B-VG eingebracht, die von der belangten Behörde ohne Beschwerdevorentscheidung dem Landesverwaltungs­gericht zur Entscheidung vorgelegt wurde, das darüber gemäß Art.131 B-VG zu entscheiden hat. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung erübrigte sich gemäß § 44 Abs.2 VwGVG.

 

3. Die Bf legt im Rechtsmittel weitwendig dar, aus welchen Überlegungen sie der Ansicht ist, die ihr vorgeworfenen Übertretungen nicht begangen zu haben.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der belangten Behörde sowie weitere Erhebungen.

Aus der Verkehrsunfallanzeige des Meldungslegers GI M, PI Eferding, vom 4. April 2016, GZ:C2/1103/2014-Mah, geht hervor, dass A.M. seinen Pkw mit ca 30 km/h in einer aufgelockerten Kolonne auf der M von der H-Kreuzung kommend in Fahrtrichtung H-Kreisverkehr lenkte. Als er sich der Kreuzung mit der P näherte, bog plötzlich die Bf mit ihrem Pkw in die M ein, jedoch konnte A.M. trotz Bremsung und Ablenkung einen leichten Anstoß nicht mehr verhindern. Da die Bf ohne anzuhalten weiterfuhr, konnte A.M. nicht sagen, ob sie den Anstoß wahrnehmen hätte müssen. Er fuhr zur PI Eferding und zeigte den Vorfall anhand des Kennzeichens des von der Bf gelenkten Pkw an. Nach späteren eigenen Angaben hatte die Bf von einem Zusammenstoß nichts bemerkt. Aus der Anzeige ergibt sich außerdem, dass am Pkw der Bf EF-x eine Abriebspur links hinten am Kotflügel in einer Höhe von 50 bis 60 cm festgestellt worden sei, am Pkw von A.M. EF-x ein Lackabrieb rechts vorne an der Stoßstange in korrespondierender Höhe.

 

Nach den Angaben der Bf hat sie selbst keine Kollision wahrgenommen und bei der Überprüfung ihres Pkw sei am linken hinteren Kotflügel lediglich ein Staubstreifen festgestellt worden, bei dem kein fremder Lack zu sehen gewesen sei. Augenscheinlich habe ihr Fahrzeug keinen Schaden aufgewiesen.

A.M. wurde mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichtes vom 14. Juni 2016 um Mitteilung ersucht, ob beim Vorfall an seinem Pkw ein konkreter Schaden entstanden ist, und ev. Fotos davon vorzulegen. Er erklärte am 27. Juni 2016 telefonisch, der Lackabrieb an der Stoßstange sei in der Werkstätte mit Politur entfernt worden, am Blech darunter sei kein Schaden festgestellt worden.

 

Das Landesverwaltungsgericht in rechtlicher Hinsicht erwogen:

Gemäß § 4 Abs.1 lit.a StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, wenn sie ein Fahrzeug lenken, sofort anzuhalten.

Gemäß § 4 Abs.1 lit.c StVO 1960 haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

Gemäß § 4 Abs.5 StVO haben, wenn bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden ist, diese Personen die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs.1 genannten Personen – das sind alle Personen, deren Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall mit Sachschaden in ursächlichem Zusammenhang steht – oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

 

Zweck des § 4 ist es nicht, an Ort und Stelle festzustellen, ob ein Sachschaden von einem Unfall herrührt, ob die Angaben der am Unfall Beteiligten stimmen und das Verschulden an einem Unfall zu klären, sondern um den am Unfall beteiligten Fahrzeuglenkern die Möglichkeit zu geben, ohne unnötigen Aufwand und Schwierigkeiten klarstellen zu können, mit wem man sich hinsichtlich der Schadensregulierung in der Folge auseinanderzusetzen haben wird (vgl VwGH 26.1.2002, 2001/02/0240; uva). Sinn der Verständigungspflicht des Abs.5 ist es, gerade im Falle, dass ein gegenseitiger Identitätsnachweis zwischen den Beteiligten an einem Verkehrsunfall mit Sachschaden – aus welchen Gründen immer – nicht zustande gekommen ist, die Unfallbeteiligten in die Lage zu versetzen, durch Nachfrage bei der Polizei die Daten des Unfallgegners für einen allfälligen Schadenersatz in Erfahrung zu bringen (vgl E 11.5.2004, 2004/02/0064).

Voraussetzung für die Anhalte- und Meldepflicht der lit.a und des Abs.5 ist als objektives Tatbestandsmerkmal der Eintritt eines Sachschadens und in subjektiver Hinsicht das Wissen vom Eintritt eines derartigen Schadens, wobei der Tatbestand schon dann gegeben ist, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalls mit Sachschaden zu erkennen vermocht hätte (vgl VwGH 23.5.2002, 2001/03/0417, uva).

 

Nach ständiger Rechtsprechung des VwGH ist als Verkehrsunfall jedes plötzliche, mit dem Straßenverkehr ursächlich zusammenhängende Ereignis anzusehen, welches sich auf Straßen mit öffentlichem Verkehr zuträgt und einen Personen- oder Sachschaden zur Folge hat (vgl E 15.11.2000, 2000/03/0264; uva). Das Vorliegen mindestens eines Sachschadens ist Tatbestandsvoraussetzung für die Verletzung der Pflichten nach § 4 (vgl E 20.9.1976, 535/76).

Auch ein geringfügiger Schaden löst die Pflichten des § 4 StVO aus; hingegen stellen geringfügige Spuren, die in der Folge ohne Kostenaufwand beseitigt werden können oder vom Betroffenen gar nicht als Beschädigung aufgefasst werden, keinen Sachschaden im Sinne des Abs.5 dar. Eine Beschmutzung oder ein Gummiabrieb ohne Lackschaden oder bleibende Verformung der Karosserie sind keine Sachschäden im Sinne des Abs.5. Eine bloße Beschmutzung oder eine wegwischbare Kontaktspur stellt keinen Schaden dar, wohl aber ein leichter Lackschaden (vgl E 20.4.1989, 85/18/0146; 25.9.1991, 90/02/0217; 20.1.1984, 82/02/0022; ua).

 

Nach den Ergebnissen des Beweisverfahrens ist weder am Pkw des A.M. noch am von der Bf gelenkten Pkw ein Sachschaden entstanden. Auf dieser Grundlage kann nicht von einem Verkehrsunfall im Sinne des § 4 StVO ausgegangen werden, sodass gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG spruchgemäß zu entscheiden war, naturgemäß unter Entfall von Verfahrenskostenbeiträgen. 

 

 

 

 

Zu II.:

 

Gemäß § 52 Abs.8 VwGVG entfällt die Vorschreibung eines Kostenbeitrages zum Beschwerdeverfahren.

 

 

 

Zu III.:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs.4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungs­gerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungs­gerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Bissenberger