LVwG-750350/6/MB/HG

Linz, 14.06.2016

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des M G, geb. x, StA Türkei, vertreten durch RA Mag. V K, W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22. März 2016, GZ: Pol18-45968-2015,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der angefochtene Bescheid der belangten Behörde bestätigt.

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

 

1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (in der Folge: belangte Behörde) vom 22. März 2016, GZ: Pol18-45968-2015, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) vom 16. November 2015 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) i.d.g.F., sowie der Antrag des Bf vom 16. Februar 2016 auf Zulassung zur Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs 3 NAG abgewiesen.

 

Begründend führte die belangte Behörde darin aus wie folgt:

 

"Sie sind türkischer Staatsbürger und besitzen einen türkischen Reisepass, Nr. X, ausgestellt am 31. August 2015, gültig bis zum 31. August 2025. Der besagte Reisepass ist in K ausgestellt worden. Sie haben von der italienischen Botschaft in Ankara ein Visum C, mit einer Gültigkeit vom 28.09.2015 bis zum 17.10.2015, mit mehrmaliger Einreise und einem Aufenthalt mit höchstens 5 Tage erhalten. Am 4. Oktober 2015 sind Sie in den Schengenraum, Italien, eingereist. Der entsprechende Einreisestempel ist in Ihrem Reisepass ersichtlich. Dies bedeutet, dass Sie sich bis zum 8. Oktober 2015 rechtmäßig im Schengenraum aufgehalten haben. Seit dem 9. Oktober 2015 sind Sie unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig.

 

Sie haben sich am 28.10.2015 in A, S, bei K C , geb. x, öster. StA., polizeilich angemeldet. Festgehalten wird, dass Sie sich zu diesem Zeitpunkt bereits unrechtmäßig hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten haben. Am 09. November 2015 haben Sie am Standesamt der Marktgemeinde A K C  geheiratet.

 

Sie sind von der PI Vöcklabruck, GZ B6/19568/2015, wegen Verdacht auf Eingehen u. Vermittlung von Aufenthaltsehen u. Aufenthaltspartnerschaften ohne Bereicherung gemäß § 117 Abs. 1 FPG der StA Wels angezeigt worden. Gleichzeitig sind vom Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion , gegen Sie fremdenpolizeiliche Maßnahmen eingeleitet worden. Das Strafverfahren gemäß § 117 FPG ist am 13. Jänner 2016 von der StA Wels, ZI 42 BAZ 1090/15f-5, eingestellt worden.

 

Am 16. November 2015 haben Sie persönlich bei der hs. Niederlassungsbehörde einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) gestellt. In Ihrem Antrag haben Sie einen Dienstvertrag, abgeschlossen mit Ihrem Onkel, G S, vorgelegt. Sie haben Erwerbsabsicht.

 

Mit nachweislichem Schreiben vom 4. Februar 2016 hat Ihnen die hs. Niederlassungsbehörde mitgeteilt, dass Sie sich nicht auf das Assoziationsabkommen EWR/Türkei 1/80 berufen können. Weiteres ist festgestellt worden, dass Sie das nötige Mindestalter nicht aufweisen, Sie sind im Besitz einer positiven Deutschprüfung Niveau A 1 sind und kein ausreichendes Einkommen vorhanden ist. Sie sind aufgefordert worden binnen zwei Wochen nach Erhalt des angeführten Schreibens schriftlich zur beabsichtigen Abweisung Stellung zu nehmen.

 

Ihre schriftliche Stellungnahme ist fristgerecht eingelangt. Aus dieser Stellungnahme ist ersichtlich, dass Sie einen Antrag auf Zulassung zur Inlandsantragsstellung gemäß § 21 Abs. 3 NAG stellen.

 

Die Behörde hat hiezu erwogen:

 

[Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften setzt die belangte Behörde fort:]

 

1.               Aufgrund dieses Sachverhaltes hat die hs. Niederlassungsbehörde zu prüfen, ob Sie sich auf die Stillhalteklausel des Assoziationsabkommens EWR/Türkei 1/80 berufen können. Dazu hat die hs. Niederlassungsbehörde festzustellen, ob Sie ordnungsgemäß im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhältig sind.

 

1.1.1.      Der EuGH hat dabei auf seine bisherige Rechtsprechung verwiesen, wonach die „Stillhalte-klausel in Art 13 des Beschlusses Nr. 1/80 nicht dazu dient, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaates integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten soll, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 dieses Beschlusses genießen" (mit Hinweisen auf EuGH 21.10.2003, Abatay u.a., C-317/01 und C-69/01, Slg. 1-12301, Rn 83, und EuGH 29.04.2010, Kommission/Niederlande, -92/07, Slg. I-3683, Rn 45).

 

1.1.2.      Die Kriterien der „ordnungsmäßigen Beschäftigung und des ordnungsmäßigen Aufenthalt" sind von wesentlicher Bedeutung. Art. 13 ARB 1/80 bezieht sich seinem klaren Wortlaut zufolge auf Arbeitnehmer „deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind". Ob das Kriterium im Einzelfall erfüllt ist, ist nach der ständigen Rechtsprechung des EuGH und des Verwaltungsgerichtshofes „anhand der Rechtsvorschriften des Aufnahmestaates zu prüfen, die die Voraussetzungen regeln, unter denen der türkische Staatsangehörige in das nationale Hoheitsgebiet gelangt ist und dort eine Beschäftigung ausübt" (vgl. EuGH 20.09.1990, C-192/89, Sevince, EuGH 08.11.2012, C-268/1, Gülbahce, Rn 39 und die dort angeführte Rechtsprechung; EuGH 07.11.2013, Demir, C-225/12, Rn 46).

 

1.1.3.      Verneint wurde eine solche „gesicherte und nicht nur vorläufige Position" in Fällen innerstaatlicher Erlaubnisse zum vorläufigen Aufenthalt, die rechtlich so ausgestaltet waren, dass sie nur (gleichsam mit einstweiliger Wirkung) bis zu endgültigen Entscheidung über das Aufenthaltsrecht des Betreffenden galten (EuGH 29.09.2011. C-187/10, Unal, Slg. I-9045, Rn 47).

 

1.1.4.      Verneint wurde eine „gesicherte und nicht nur vorläufige Position" weiteres im Fall eines Aufenthalts während des Zeitraums, indem eine Klage des Arbeitnehmers gegen eine Entscheidung, durch die ihm eine Aufenthaltserlaubnis verweigert wurde, aufschiebende Wirkung hatte.

 

1.1.5.      Verneint wurde das Vorliegen einer „gesicherten und nicht nur vorläufigen Position" auch in Fällen, in denen dem Betreffenden ein Aufenthaltsrecht nur aufgrund einer nationalen Regelung eingeräumt war, nach der der Aufenthalt während des Verfahrens zur Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis im Aufnahmeland erlaubt ist, da er das Recht, sich bis zu einer endgültigen Entscheidung über sein Aufenthaltsrecht in dem betreffenden Staat aufzuhalten und dort zu arbeiten, nur vorläufig erhalten hatte (EuGH 16.12.1992, C-237/91, Kus, Slg. 1-6781, EuGH 30.09.1997, Ertanir Rn 48 bis 50).

 

1.1.6.      Darüber hinaus verneinte der EuGH die Einstufung eines Aufenthalts als „gesichert und nicht nur vorläufig" im Fall von Beschäftigungszeiten, die aufgrund einer Aufenthaltserlaubnis zurückgelegt wurden, die der Betreffende allein durch eine Täuschung, die zu seiner Verurteilung geführt hat, erwirkt hat (vgl. EuGH 05.06.1997, C-285/95, Kol. Slg. I-3069, Rn 27, und EuGH 11.05.2000, C-37/98, Sabas, Slg. I-2927, Rn61).

 

1.1.7.      Der Verwaltungsgerichtshof verneinte eine „gesicherte und nicht nur vorläufige Position" in Konstellationen, in denen der Aufenthalt des Fremden nicht im Einklang mit den aufenthaltsrechtlichen Vorschriften stand, weil seine Niederlassungsbewilligung bloß eingeschränkt auf unselbständige Erwerbstätigkeiten, die vom sachlichen Geltungsbereich des Ausländerbeschäftigungsgesetzes ausgenommen sind, erteilt gewesen war (VwGH 24.02.2009, ZI 2008/22/0410).

 

1.1.8.      Er verneinte sie weiteres im Fall eines vorläufigen asylrechtlichen Aufenthaltsrechtes, weil dieses mit dem zu einem ungewissen Zeitpunkt eintretenden Abschluss des Asylverfahrens endet (VwGH 01.06.2001, ZI 2001/19/0035).

 

1.1.9.      Sowohl aus der Rechtsprechung des EuGH als auch aus der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes wird die Eigenschaft als „gesicherte, nicht nur vorläufige Position" deswegen abgesprochen, weil ihnen bereits von ihrer gesetzlichen Konzeption her das Moment der „Vorläufigkeit" bzw. der „Unsicherheit" innewohnt, wie es beim asylrechtlichen Aufenthaltsrecht während eines Asylverfahrens (z.B. VwGH, 01.06.2001, ZI 2001/19/0035) oder bei einer im innerstaatlichen Recht explizit als vorläufiges Aufenthaltsrecht ausgestaltete Berechtigung der Fall ist (vgl. EuGH 07.11.2013, C- 225/12, Demir, insb. Rn 15 und 43 sowie die darin genannte Rechtsprechung).

 

1.1.10.    Aus diesen Gründen können sie sich nicht auf Art. 13 ARB 1/80 berufen. Da sie sich nicht auf Art. 13 ARB 1/80 berufen können, ist das geltende Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Gänze auf sie anzuwenden (vgl. VwGH vom 15.10.2015, ZI Ra 2015/21/0117).

 

1.2.           Die sog „Stillhalteklausel" des Art. 13 ARB Nr. 1/80 (bzw. des Art 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls) ist laut Judikatur des EuGH und des VwGH auch auf den (Neu-)Zuzug türkischer Staatsbürger anzuwenden, sofern diese beabsichtigen, im Aufnahmemitgliedstaat einer Erwerbstätigkeit nachzugehen und verbieten die „Stillhalteklauseln" des Art. 13 ARB Nr. 1/80, bzw. des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls allgemein die Einführung neuer innerstaatlicher Maßnahmen, die bezwecken oder bewirken, dass die Ausübung der Arbeitnehmerfreizügigkeit durch türkische Staatsangehörige strengeren Voraussetzungen unterworfen werden, als sie zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des ARB Nr. 1/80 im jeweiligen Mitgliedstaat galten (vgl. EuGH vom 17.09.2009 in der Rs Sahin, C-242/06).

 

1.3.           Die „Stillhalteklausel" des Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls ist nach ständiger Rechtsprechung des EuGH aber nicht aus sich heraus geeignet, türkischen Staatsangehörigen allein auf der Grundlage des Unionsrechts ein Niederlassungsrecht und ein damit einhergehendes Aufenthalts- recht zu verleihen, und kann ihnen auch weder ein Recht auf freien Dienstleistungsverkehr noch ein Recht zur Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates verschaffen (vgl. Urteil des EuGH vom 15.11.2011 in der Rs Dereci, C-256/11).

 

Wie bereits ausführlich dargelegt, können Sie sich weder auf das Assoziationsabkommen noch auf die „Stillhalteklausel" des Art. 41 des Assoziationsabkommens EWR/Türkei 1/80 berufen. Somit kommen für Sie die gesetzlichen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes zur Anwendung.

 

In Ihrer Stellungnahme haben Sie angeführt, vor allem aufgrund der Tatsache, dass das Assoziationsabkommen EWR-Türkei auf den gegenständlichen Fall zur Anwendung komme, erweise sich die beabsichtigte Abweisung des Antrages als rechtswidrig. Wie bereits vorgebracht haben Sie Ihre Erwerbsabsicht kundgetan.

 

Die Ansicht, wonach keine gesicherte und nur vorläufige Position bzw. Aufenthalt vorliege, kann nicht geteilt werden.

 

Sie sind in aufrechter Ehe mit Frau C  K verheiratet. Der daraus zu erteilende Aufenthaltstitel kann somit nicht als vorläufig betrachtet werden. Zudem würde die im Assoziationsabkommen vorgesehen sog. Stillhalteklausel, die auch auf den Neuzugang türkischer Staatsbürger anzuwenden ist ad absurdum geführt werden, wenn diese mit dem Argument, wonach noch kein endgültiger Aufenthaltstitel vorliege, ausgehebelt werde.

 

Zwischen der Antragsstellung und der Erteilung des Aufenthaltstitels liege naturgemäß ein gewisser Zeitraum, in welchem Sie Ihre aus dem Assoziationsabkommen entspringende Rechte nicht vorenthalten werden können.

 

Aufgrund der Anwendbarkeit der sog. Stillhalteklausel des Assoziationsabkommens EWR/Türkei sind die weiteren Gründe für die beabsichtigte Abweisung des gegenständlichen Antrages nicht zutreffend.

 

Die hs. Niederlassungsbehörde führt dazu an, dass Sie erst nach dem Sie sich unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten die Ehe mit K C geschlossen haben. Dies bedeutet, dass Sie sich zum Zeitpunkt der Eheschließung unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten. Aus diesem Grund war zu diesem Zeitpunkt keine gesicherte Position in Ihrem Fall gegeben.

 

Bereits der VwGH hat im Erkenntnis vom 15.10.2015, ZI Ra 2015721/0117, festgestellt, der unrechtmäßige Aufenthalt und zwar insbesondere vor der Heirat des Fremden mit einer öster. Staatsbürgerin und damit unabhängig von der mit 1. Jänner 2006 durch das NAG eingeführten neuen Beschränkungen, nicht einen Anwendungsfall für das Asso-Abkommen EWR Türkei 1/80 darstelle. Dies bedeutet in Ihrem Fall, dass Sie sich nicht auf das Assoziationsabkommen EWR-Türkei 1/80 berufen können.

 

Aus diesem Grund ist für Ihren Sachverhalt das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz zur Gänze anzuwenden. Daran ändert auch die Vorlage eines neuen Dienstvertrages vom 25.02.2016 nichts.

 

1.4.    Mindestalter: Sie sind am x geboren und sind bei der persönlichen Antragsstellung bei der hs. Niederlassungsbehörde 19 Jahre alt gewesen. Gemäß § 2 Abs. 2 Z 9 NAG müssen bei Ehepartner bei der Antragsstellung das 21. Lebensjahr vollendet haben. Dies ist bei Ihnen nicht der Fall und Sie sind nicht in der Lage, das Mindestalter im Ausmaß von 21 Jahren derzeit zu erreichen. Sie erfüllen diese Grundvoraussetzung nicht. Das Mindestalter ist auch nicht gemäß § 11 Abs. 3 NAG (Art. 8 EMRK) heilbar.

 

1.5.    Weiteres sind Sie nicht im Besitz eines positiven Deutschzertifikates Niveau A 1, welches von einem zertifizierten Institutes gemäß § 9 Abs. 2 NAG-DV ausgestellt worden ist.

 

1.6.    Da Sie sich zum Zeitpunkt der Antragsstellung bei der hs. Niederlassungsbehörde am 16. November 2015 unrechtmäßig im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten haben, sind Sie gemäß § 21 NAG zur Inlandsantragsstellung nicht berechtigt.

 

Zur Einkommenssituation wird von der hs. Niederlassungsbehörde festgestellt, dass Ihre Frau K C  ist Notstandsbezieherin und erhält monatlich Notstands-hilfe im Ausmaß von € 700,-. Sie selbst ist für drei Kinder im Alter von 4,9, und 12 Jahren sorgepflichtig. Der Richtsatz gemäß § 293 ASVG beträgt für ein Ehepaar monatlich netto € 1.323,59 und je minderjähriges Kind monatlich € 136,21. Dies bedeutet, monatlich netto € 1.732,22. Hinzu kommt noch die monatliche Miete abzüglich des Wertes der freien Station im Ausmaß von € 282,06. Weiteres betragen die Kosten für das Kinderdorf im Monat € 600,-. Auch diese Kosten müssen hinzugerechnet werden. Aus diesem Grund steht auch fest, dass Ihre Frau nicht in der Lage sein wird, für Ihren Unterhalt zur Gänze selbst aufzukommen ohne dafür Sozialleistungen einer öffentlichen Gebietskörperschaft zu verwenden.

 

Der von Ihnen vorgelegte Dienstvertrag ist obsolet, da wie bereits unter Pkt. 1.4. angeführt, das Mindestalter nicht erreichen.

 

Im Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 und 3 NAG hat die Behörde infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 15. November 2011 in der Rechtsache C-256/11, Murat Dereci u.a., zu berücksichtigen, ob eine öster-reichische Ankerperson eines drittstaatsangehörigen Antragstellers bei Nichtgewährung des von diesem begehrten Aufenthaltstitels des facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

 

Mit Aufforderungsschreiben von der hs. Niederlassungsbehörde vom 04.02.2016, ZI Poll 8-45968-2015, wurde Ihnen Gelegenheit gegeben, Umstände im oben genannten Sinne vorzubringen.

 

In Ihrer Urkundenvorlage/Stellungnahme vom 16.02.2016 haben sie darauf hingewiesen, dass Ihre österreichische Ankerperson bei Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels an Sie zur Aufrechterhaltung des Familienlebens de facto gezwungen wäre sowohl Österreich, als auch das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Hierfür haben Sie folgende Gründe genannt:

 

Durch die beabsichtigte Abweisung Ihres Antrages würde zudem gegen das Unionsrecht verstoßen werden, zumal der die öster. Staatsbürgerschaft besitzenden Ehefrau der tatsächliche Genuss des Kernbestands der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt werden würde. Sowohl Sie als auch Ihre Ehefrau würden somit aufgrund der Verwehrung des Kernbestandes der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, dazu gezwungen nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes (EuGH vom 15 November 2011, C-256/11, VwGH 2011/22/0309).

 

In seiner aktuellen Entscheidung in der Rechtsache Dereci (C-256/11) hebt der EuGH mehrfach hervor, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Art. 20 AEUV stehe nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern (hier der öster. Ankerperson) der tatsächliche Genuss des Kernbestandes der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. Rz 62 der genannten EuGH Entscheidung).

 

Mit der Entscheidung in der Rechtssache Dereci präzisierte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung (insbesondere in der Rs. Zambrano, C-34/09) und folgerte, dass sich das Kriterium der Verwehrung des Kernbestandes der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, auf Sachverhalte bezieht, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaates, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes" (vgl. Rz 66 der genannten EuGH Entscheidung Dereci).

 

Ein Aufenthaltsrecht darf dieser Entscheidung zu Folge einem drittstaatszugehörigen Familienangehörigen eines Österreichers nicht verwehrt werden, wenn die österreichische Ankerperson im Falle der Verweigerung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 oder 3 NAG für den drittstaatszugehörigen Antragssteiler des facto gezwungen wäre, sowohl Österreich als auch das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. In einem derartigen Fall würde die Nichtgewährung des Aufenthaltsrechts bedeuten, dass die Unionsbürgerschaft der öster. Ankerperson ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde.

Als Anhaltspunkte für die maßgebliche Frage, unter welchen tatsächlichen Gegebenheiten ein Antragsteller de facto gezwungen ist, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, erläutert der EuGH, dass die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Europäischen Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Drittstaatsangehörige mit ihm zusammen im Gebiet der Europäischen Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (vgl. EuGH Rechtssache Dereci, C-256/11, Rz 68 bzw. VwGH vom 19. Jänner 2012, ZI 2011/22/0313 sowie VwGH vom 19. Jänner 2012, ZI 2011/22/0312).

 

Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Zambrano, C-34/09, ist jedenfalls in jenen Fällen der Kernbestand der Unionsbürgerrechte beeinträchtigt, in denen ein minderjähriger Unionsbürger aus dem Gebiet der Europäischen Union ausreisen müsste, um seinen beiden drittstaatsangehörigen Elternteilen (weil diesen kein Aufenthaltsrecht gewährt wurde) zu folgen.

 

Auf Grundlage der bisherigen Judikatur des EuGH ist daher lediglich in Ausnahmesituationen von einer Gefahr der Beeinträchtigung des Kernbestands der Unionsbürgerrechte auszugehen (vgl. EuGH Entscheidung in der Rechtssache Dereci, Rz 67). Diese Auffassung des EuGH hat mittlerweile auch der VwGH seinen Entscheidungen mehrfach zugrunde gelegt (vgl. z.B: VwGH vom 21. Dezember 2011, ZI 2009/22/0054, sowie vom 19. Jänner 2012, ZI 2008/22/0130). Die in Ihrer Stellungnahme vorgebrachten Umstände legen daher vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen im Ergebnis nicht dar, dass es für Ihre österreichische Ankerperson bedeuten würde, „de facto" Österreich und das Gebiet der Europäischen Union verlassen zu müssen, wenn Ihnen kein Aufenthaltstitel erteilt wird. Dies aus folgenden Erwägungen:

 

Sie sind der Ehemann einer erwachsenen Österreicherin. Aus der Aktenlage bzw. aus Ihrer Stellungnahme ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass sich Ihre Ehefrau in einer Ausnahmesituation befindet, die bei Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels an Sie bedeuten würde, dass der Zusammenführende de facto gezwungen wäre das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Vielmehr ist ihr Vorbringen als bloßer Wunsch nach einem gemeinsamen Familienleben in Österreich wirtschaftliche Überlegungen zu Grunde. Weder der bloße Wunsch nach einem Zusammenleben in Österreich, noch wirtschaftliche Überlegungen rechtfertigen jedoch für sich genommen die Annahme eines de facto Zwanges im oben genannten Sinn. Weitere besondere Umstände, die in Ihrem Fall auf eine Ausnahmesituation schließen lassen könnten, haben Sie weder vorgebracht, noch ergeben sich diese unmittelbar aus dem Akteninhalt.

 

Erwachsenen und handlungsfähigen Unionsbürgern steht es grundsätzlich frei, von ihrem Freizügigkeitsrecht Gebrauch zu machen und sich in einen anderen Mitgliedstaat der Europäischen Union zu begeben, wodurch der Unionsbürger und seine Angehörigen in den Anwendungsbereich der Freizügigkeitsrichtlinie fallen würden und der Unionsbürger somit de facto nicht gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Wenn der Unionsbürger von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch macht, ist auch der Nachzug der Angehörigen möglich (und somit ein gemeinsames Familienleben gewährleistet).

Die Tatsache, dass mit der Inanspruchnahme der Freizügigkeit ein Arbeitsplatzwechsel und/oder ein Wohnsitzwechsel verbunden sind, ist der Freizügigkeit systemimmanent und begründet daher keine Ausnahmesituation, die einen „de facto Zwang" zum Verlassen des Gebietes der Europäischen Union bedeutet.

 

Eine Beeinträchtigung des Kernbestandes der Unionsbürgerrechte kann daher in Ihrem Fall nicht erkannt werden. Vielmehr liegt ein regulärer Fall des Familiennachzuges vor und konnten keine besonderen Umstände festgestellt werden, die auf eine Ausnahmesituation im Sinn der Judikatur des EuGH sowie des VwGH hinweisen würden.

 

Da Sie somit die besondere Erteilungsvoraussetzung - das Mindestalter im Ausmaß von 21 Jahren nicht erfüllen, ist auf Ihr Privat- und Familienleben nicht einzugehen.

 

2.    Zur Inlandsantragsstellung

Die hs. Niederlassungsbehörde hat Ihren schriftlichen Antrag auf Zulassung zur Inalndsantragsstellung ebenfalls abgewiesen. Dies deshalb, weil Sie das Mindestalter von 21 -Jahren, welche eine besondere Erteilungsvoraussetzung darstellt, nicht erfüllen. Dieser Umstand kann in Ihrem Fall auch durch Ihr Privat- und Familienleben nicht „geheilt" werden."

 

2. Mit Schreiben 18. April 2016 erhob der Bf in rechtsfreundlicher Vertretung rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde und führte darin wie folgt aus:

 

"A. Beschwerdegegenstand

 

Gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 22.03.2016. GZ: Pol18-45968-2015, zugestellt am 23.03.2016, erhebt der Beschwerdeführer gemäß Art 130 Abs 1 Z 1 iVm Art132 Abs 1 Z1 B-VG binnen offener Frist nachstehende

 

Beschwerde

 

an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.

 

B. Sachverhalt

 

Der Beschwerdeführer ist am 04.10.2015 mit einem Visum C nach Italien und anschließend nach Österreich eingereist.

 

Am 09.11.2015 hat der Beschwerdeführer die österr. Staatsbürgerin C  K am Standesamt Marktgemeinde A geheiratet.

 

Mit gegenständlichem Antrag vom 16.11.2015 beantragte der Beschwerdeführer die Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG und bekundete durch Vorlage eines Dienstvertrages seine Erwerbsabsicht.

 

Die belangte Behörde teilte dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 04.02.2016 mit, dass sie der Ansicht sei, dass das Assoziationsabkommen EWR/Türkei 1/80 nicht zur Anwendung kommt Und daher die Voraussetzungen des NAG wie z.B. Erreichen des nötigen Mindestalters, Einkommensverhältnisse, Deutschkenntnisse zu prüfen sind.

 

Dagegen brachte der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Vertreter eine Stellungnahme ein, in welcher vorgebracht wurde, dass das "Assoziationsabkommen EWR/Türkei 1/80 sehr wohl anzuwenden ist und überdies vorsorglich ein Antrag nach § 21 Abs 3 NAG gestellt wurde.

 

Der Beschwerdeführer stellte in der Zwischenzeit einen Antrag auf internationalen Schutz und ist sein Asylverfahren zur Karten Nr. x anhängig.

 

Mit dem nunmehr angefochtenen Bescheid der belangten Behörde vom 22.03.2016 wurde der Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG und der Antrag auf Zulassung zur Inlandsantragstellung abgewiesen.

 

Dagegen richtet sich nunmehr gegenständliche Beschwerde.

 

C. Zulässigkeit der Beschwerde

 

Mit der Einbringung der gegenständlichen Beschwerde ist die Beschwerdefrist von 4 Wochen ab Zustellung am 23.03.2016 gewahrt.

 

Die Zuständigkeit des angerufenen Landesverwaltungsgerichts gründet sich unter anderem auf §3 Abs 2 NAG.

 

D. Beschwerdegründe

 

1) Die belangte Behörde stellt zutreffend fest, dass die sogenannte Stillhalteklausel des Assoziationsabkommens EWR/Türkei 1/80 nicht dazu dient die schon in den Arbeitsmarkt eines, Mitgliedsstaates integrierten türkische Staatsangehörigen zu schützen, sondern gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten soll, die noch kein Recht in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art 6 Abs 1 dieses Beschlusses genießen.

 

Die belangte Behörde führt in ihrer Begründung für die Abweisung des Antrages jedoch an, dass zu prüfen ist, ob der Beschwerdeführer ordnungsgemäß im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhält ist

 

Hierzu ist anzuführen, dass wenn der Rechtsansicht der belangten Behörde gefolgt wird, die Stillhalteklausel ad absurdum geführt werden würde, weil diese dann mit dem Argument, dass nur eine vorläufige Position bzw. Aufenthalts vorliegt ausgehebelt Wird.

 

Haben nämlich türkische Staatsbürger Im Bundesgebiet einen ordnungsgemäßen Aufenthalt, bedarf es dann aber keiner Stillhalteklausel und auch nicht der Feststellung, dass diese gerade für türkische Staatsbürger gelten, die noch kein Recht auf Beschäftigung und Aufenthalt genießen.

 

2) Die von er belangten Behörde zitierte Entscheidung des EuGH vom 29.09.2011, C-187/10j betrifft in ihrem Kern Art 6 Abs 1 des Assoziationsabkommens. Nur In Bezug auf diese Bestimmung wurde vom EuGH angeführt, dass die Ordnungsmäßigkeit der Beschäftigung eines türkischen Staatsangehörigen im Aufnahmemitgliedstaat im Sinne von Art. 6 Abs. 1 erster Gedankenstrich des Beschlusses Nr. 1/80 eine gesicherte und nicht nur vorläufige Position des Betroffenen auf dem Arbeitsmarkt dieses Mitgliedstaats und damit ein nicht bestrittenes Aufenthaltsrecht voraussetzt.

 

Die belangte Behörde verkennt daher, dass die vom EuGH angeführten „gesicherte und nicht nur vorläufige Position" nur in Bezug auf eine Prüfung nach Art 6 des Assoziationsabkommens zu prüfen ist, da es dort um Fälle geht, in denen türkische Staatsbürger allein durch ihre mind. 1 jährige Beschäftigung ein Aufenthaltsrecht ableiten können.

 

Ein Erstantragstellender türkischer Staatsbürger, der sich auf das Assoziationsabkommen berufen möchte, kann keinen rechtmäßigen Aufenthalt haben, da erst durch die Entscheidung des Mitgliedsstaates ein Aufenthaltsrecht erteilt wird.

 

3) Unter Hinweis auf das Urteil des Europäischen Gerichtshofs vom 9. Dezember 2010, C-300/09, C-301/09, T. und O., RN 45, hielt der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 13. Dezember 2011, 2008/22/0180, fest, dass es der Anwendung des Art 13 ARB 1/80 nicht entgegen stehe, dass der betreffende Arbeitnehmer nicht bereits (legal) in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert ist, also die Voraussetzungen gemäß Art 6 Abs 1 ARB 1/80 nicht erfüllt

 

Die Stillhalteklausel in Art 13 ARB 1/80 dient nämlich nicht dazu, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern solle gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art 6 Abs 1 ARB 1/80 genießen.

 

In seinem Erkenntnis vom 28. März 2012, 2009/22/0344, verwies der Verwaltungs­gerichtshof

 

"gemäß §43 Abs. 2 zweiter Satz VwGG im Hinblick darauf, dass es sich beim (...) Be­schwerdeführer, um einen türkischen Staatsangehörigen handelt, der die Vornahme einer Erwerbstätigkeit anstrebt - im Verwaltungsverfahren wurde als Nachweis für das diesbezügliche Vorbringen eine Einstellungszusage vorgelegt - auch auf die Entscheidungsgründe des hg. Erkenntnisses vom 13. Dezember 2011, ZI. 2008/22/0180, dessen Fall in seinem entscheidungsmaßgeblichen Sachverhalt und der auf Art. 13 ARB 1/80 bezugnehmenden Rechtsfrage dem vorliegenden gleicht".

 

Der Beschwerdeführer, der türkischer Staatsbürger ist, verfügt über eine aktuelle Einstellungszusage vom 24. Februar 2016.

 

ISd zitierten Judikatur sind somit die Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nach den Bestimmungen des FrG 1997, die aufgrund der „Stillhalteklausel" des Art 13 ARB 1/80 für Berechtigte nach dem ARB heranzuziehen sind, zu prüfen.

 

Nach der vor dem 1. Jänner 2006 geltenden Rechtslage des Fremdengesetzes 1997 (FrG) durfte jeder Ehegatte eines Österreichers - gleich welcher Staatsangehörigkeit - den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland stellen und die Entscheidung im Inland abwarten.

 

Der Antrag durfte nur dann abgelehnt werden, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die Ordnung und Sicherheit darstellte (§ 49 FrG). Der Anwendungsbereich des § 49 FrG erfasste (nicht nur, aber) auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige waren. Eine Gefahr für die Ordnung und Sicherheit wird von der belangten Behörde nicht behauptet.

 

Mit der am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Änderung der Rechtslage (Außerkrafttreten des FrG und Inkrafttreten des NAG) wurde die Rechtsposition aller drittstaatszugehörigen Angehörigen von Österreichern umgestaltet. Von den ab diesem Zeitpunkt geltenden strengeren Voraussetzungen waren wiederum auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige sind, betroffen.

 

Da der von der belangten Behörde angesprochene nicht ordnungsgemäße Aufenthalt lediglich auf die Änderung der Gesetzeslage zurückzuführen ist, kann sich der Beschwerdeführer auf die Stillhalteklausel des Assoziationsabkommens berufen.

 

Hierzu wird auf die Entscheidung des EuGH vom 07.11.2013, C-225/12, verwiesen:

 

„Wenn also mit einer Maßnahme eines Aufnahmemitgliedstaats, die nach dem Beschluss Nr. 1/80 erlassen wird, die Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Lage der türkischen Staatsangehörigen festgelegt werden sollen, Indem die materiell- und/oder verfahrensrechtlichen Voraussetzungen für die Aufnahme, den Aufenthalt und gegebenenfalls die Beschäftigung dieser Staatsangehörigen im Gebiet dieses Staates erlassen oder geändert werden, und wenn diese Voraussetzungen eine neue Beschränkung der Freizügigkeit der türkischen Arbeitnehmer im Sinne der Stillhalteklausel in Art. 13 darstellen, kann die Anwendung dieser Klausel nicht schon dann ausgeschlossen werden, wenn mit der Maßnahme die rechtswidrige Einreise und der rechtswidrige Aufenthalt vor Stellung eines Antrags auf eine Aufenthaltserlaubnis verhindert werden sollen. (Rz 39)"

 

Während des aufrechten Asylverfahrens befindet sich der Beschwerdeführer zudem ordnungsgemäß im Bundesgebiet.

 

4) Festzuhalten ist weiters, dass sowohl der Beschwerdeführer als auch seine Ehegattin jeweils wechselseitig auch in unterhaltsrechtlicher Sicht aufeinander angewiesen sind.

 

Das Familieneinkommen beträgt derzeit lediglich etwa EUR 700,- und ist mangels Aufenthaltserteilung derzeit der Beschwerdeführer auf die finanzielle Unterstützung seiner Ehegattin angewiesen und umgekehrt auch diese auf die finanzielle Unterstützung des Beschwerdeführers wenn dieser einen Aufenthaltstitel erhält und seine Einstellungszusage aufgreifen kann.

 

Der Ehegattin des Beschwerdeführers ist es nicht möglich mit dem derzeitigen Monatsbezug sowohl ihre eigenen Lebensbedürfnisse zu decken, als auch für ihren Ehegatten unterhaltspflichtig zu sein.

 

Die Familie ist daher auf ein Einkommen des Beschwerdeführers angewiesen und müsste die Ehegattin daher für den Fall der rechtskräftigen Abweisung des Aufenthaltsrechts des Beschwerdeführers zu diesem in die Türkei ziehen.

 

5) Zum Antrag nach § 21 Abs 3 NAG für die die belangte Behörde lediglich aus, dass der Beschwerdeführer das Mindestalter von 21 Jahren nicht erfüllt hat und dies eine besondere Erteilungsvoraussetzung darstellt.

 

§ 21 Abs 3 NAG lautet:

[Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften setzt der Bf fort:]

 

§11 Abs 1 NAG lautet:

[Nach Wiedergabe der einschlägigen Rechtsvorschriften setzt der Bf fort:]

 

Weder in § 11 Abs. 1 Z1, 2 oder 4 NAG noch an anderer Stelle des NAG ist angeführt, dass ein Antrag nach § 21 Abs 3 NAG abzuweisen ist, wenn der Antragsteller das Mindestalter von 21 Jahren nicht erreicht.

 

Die belangte Behörde ist daher ihrer bestehenden Begründungspflicht nicht nachgekommen.

 

E. Beschwerdeanträge

 

Aus diesen Gründen richtet der Beschwerdeführer an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die

 

Anträge,

 

1.    gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchzuführen und

2a. gemäß Art 130 Abs 4 B-VG und § 28 Abs 2 VwGVG in der Sache selbst zu entscheiden und den angefochtenen Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck,  vom 22.03.2016, GZ: Pol18-45968-2015, dahin gehend abändern, dass dem gegenständlichen Antrag vom 16.11.2015 stattgegeben wird

in eventu

2b. den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs 3 VwGVG mit Beschluss aufzuheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die belangte Behörde zurückzuverweisen."

 

3. Die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck legte den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Schreiben vom 19. April 2016 zur Entscheidung vor. Eine Beschwerdevorentscheidung wurde nicht erlassen.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt der belangten Behörde.

 

 

II.

 

1.1. Das Landesverwaltungsgericht geht von dem sich aus dem unter Punkt I. angeführten Schriftsätze ergebenden Sachverhalt aus. Dieser ergibt sich in den entscheidungswesentlichen Punkten unstrittig.

 

1.2. Darüber hinaus stellt das Landesverwaltungsgericht folgende Punkte des Sachverhalts fest:

 

Der Bf wurde am x in H/Türkei geboren und ist türkischer Staatsangehöriger.

 

Der Bf hat von der italienischen Botschaft in Ankara ein Visum C mit einer Gültigkeit vom 28. September 2015 bis zum 17. Oktober 2015 und einem Aufenthaltsrecht von höchstens 5 Tage erhalten.

 

Am 4. Oktober 2015 ist der Bf über Italien in den Schengenraum eingereist und hält sich seit diesem Zeitpunkt (spätestens jedenfalls seit 6. Oktober 2015) im Bundesgebiet der Republik Österreich auf. Auf Grund der begrenzten Gültigkeit des Visums ist der Aufenthalt des Bf in Österreich seit 9. Oktober 2015 unrechtmäßig. Von diesem Sachverhalt wurde das Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Regionaldirektion , von der belangten Behörde mittlerweile verständigt.

 

Seit 28. Oktober 2015 ist der Bf in A, S, bei C  K, geb x, österr. StA, polizeilich gemeldet.

 

Am 9. November 2015 hat der Bf am Standesamt der Marktgemeinde A die mehr als 20 Jahre ältere C  K geheiratet.

 

Der Bf und Frau K sind am Tag nach der Hochzeit, am x.x.2015, von der PI Vöcklabruck wegen Verdachts auf Eingehen und Vermittlung von Aufenthaltsehen und Aufenthaltspartnerschaften ohne Bereicherung gemäß § 117 FPG einvernommen und bei der Staatsanwaltschaft Wels angezeigt worden. Begründet wurde die Anzeige damit, dass sich der Bf und seine nunmehrige Ehefrau vor der Heirat kaum persönlichen Kontakt hatten. Die beiden lernten sich etwa ein halbes Jahr vor der Heirat über das Internet kennen und haben mittels sozialer Medien (vor allem Facebook) miteinander kommuniziert. Nachdem der Bf nicht Deutsch spricht und Frau K kein Türkisch, wurde dazu ein Übersetzungsprogramm (Google Translate) in Anspruch genommen. Seit seiner Ankunft in Österreich war der Bf vorwiegend bei seinem Onkel in W wohnhaft und hat Frau K nur gelegentlich – hauptsächlich am Wochenende für einige Stunden – besucht. Der Bf gab dazu an, dass ein Übernachten vor der Heirat für einen Moslem unangemessen gewesen wäre. Mit Schreiben vom 13. Jänner 2016 wurde die belangte Behörde von der Staatsanwaltschaft Wels darüber informiert, dass das Verfahren gemäß § 117 FPG eingestellt worden ist.

 

Am 16. November 2015 hat der Bf einen quotenfreien Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs 2 NAG gestellt. Diesem Antrag wurde ein Dienstvertrag mit einer Zusage ab Erhalt des Aufenthaltstitels beigelegt (Einstellungszusage).

 

Mit Schreiben vom 16. Februar 2016 hat der Bf seine rechtsfreundliche Vertretung bekannt gegeben und einen Antrag auf Zulassung zur Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs 3 NAG gestellt.

 

Der Antrag des Bf auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" wurde von der belangten Behörde mit dem angefochtenen Bescheid vom 22. März 2016 mangels Erfüllung der Voraussetzungen abgelehnt.

 

Am 9. April 2016 hat der Bf einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, das Verfahren beim Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl ist derzeit noch nicht abgeschlossen.

 

Der Bf ist 20 Jahre alt und verfügt über kein positives Deutschzertifikat Niveau A 1. Auf Grund der vorgelegten Einstellungszusage würde der Bf auf ein Einkommen von etwa € 1.350,- netto (unter Einrechnung des 13. und 14. Monatsgehalts) kommen.

 

Frau K ist 42 Jahre alt und Bezieherin der Notstandshilfe im Ausmaß von etwa € 700,- monatlich. Frau K hat vier Kinder im Alter von 4, 9, 12 und 21 Jahren. Die 4-jährige Tochter wohnt bei Frau K, die Buben im Alter von 9 und 12 Jahren sind im Kinderdorf X untergebracht und die älteste Tochter lebt bei der Mutter von Frau K. Die jüngeren drei Kinder hat sie gemeinsam mit Herrn A S. Mit Herrn S war Frau K etwa 12-13 Jahre zusammen. Zuvor war sie etwa 3 Jahre mit D O (Nigerianischer StA) und davor etwa 4-5 Jahre mit R K (Tunesicher StA) verheiratet.

 

2.1. Gemäß § 24 Abs. 4 VwGVG kann das Verwaltungsgericht, sofern durch Bundes- oder Landesgesetz nichts anderes bestimmt ist, ungeachtet eines Parteiantrages von der Durchführung einer Verhandlung absehen, wenn die Akten erkennen lassen, dass die mündliche Erörterung eine weitere Klärung der Rechtssache nicht erwarten lässt, und einem Entfall der Verhandlung weder Art. 6 Abs. 1 der Konvention zum Schutz der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) noch Art. 47 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entgegenstehen.

 

2.2 Dass der Bf mit einer österreichischen Staatsbürgerin verheiratet ist, selbst türkischer Staatsbürger ist und in Österreich arbeitswillig ist, wird im gegenständlichen Verfahren nicht bestritten. Der Bf bringt im Wesentlichen jedoch vor, dass die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 zu berücksichtigen sei, weil der Aufenthalt des Bf als ordnungs­gemäß zu bezeichnen ist. Hierbei handelt es sich um eine reine Rechtsfrage. Es ist für das erkennende Gericht nicht zu erkennen, dass eine öffentliche mündliche Verhandlung hier zu einer weiteren Klärung beizutragen vermag.

 

 

III.

 

1. Gemäß Art 130 B-VG iVm §§ 3 Abs 2 und 4 Abs 2 Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG), BGBl. I Nr. 100/2005, in der Fassung BGBl. I Nr. 122/2015, ist das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung über die vorliegende Beschwerde zuständig.

 

2.1. Das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz regelt die Erteilung von Aufenthaltstiteln von Fremden. § 1 Abs 1 und 2 NAG lauten auszugsweise:

 

"§ 1. (1) Dieses Bundesgesetz regelt die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, sowie die Dokumentation des unionsrechtlichen Aufenthaltsrechts.

 

(2) Dieses Bundesgesetz gilt nicht für Fremde, die

1. nach dem Asylgesetz 2005 (AsylG 2005), BGBl. I Nr. 100, oder nach vorigen asylgesetzlichen Bestimmungen zum Aufenthalt berechtigt sind oder faktischen Abschiebeschutz genießen oder sich nach Stellung eines Folgeantrages (§ 2 Abs. 1 Z 23 AsylG 2005) im Zulassungsverfahren (§ 28 AsylG 2005) befinden, soweit dieses Bundesgesetz nicht anderes bestimmt;

[…]"

 

2.2. Der Bf hat am 9. April 2016 einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Auf Grund dieses – derzeit noch nicht abgeschlossenen – Verfahrens nach dem AsylG 2005 ist der Bf zum Aufenthalt nach dem Asylgesetz berechtigt. Auf Grund des (wenn auch nur vorläufig) berechtigten Aufenthalts, ist gemäß § 1 Abs. 2 Z. 1 NAG die Anwendung des NAG ausgeschlossen (vgl. VwGH 17.04.2013, 2010/22/0097).

 

Im Zeitpunkt der Erlassung des gegenständlichen Bescheides hatte der Bf zwar noch keinen Asylantrag gestellt, das Landesverwaltungsgericht hat jedoch seine Entscheidung an der im Zeitpunkt ihrer Erlassung maßgeblich Sach- und Rechtslage auszurichten (vgl. VwGH 21.10.2014, Ro 2014/03/0076).

 

2.3 Die Zulassung zur Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 2 NAG sowie die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG war daher ebenso abzuweisen.

 

3.1. Selbst wenn derzeit kein Asylverfahren anhängig wäre, wie dies im Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides durch die belangte Behörde auch der Fall war, so erfüllt der Bf zudem dennoch nicht die Voraussetzungen des beantragten Aufenthaltstitels.

 

3.2. Gemäß § 47 Abs. 2 NAG ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger“ zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen.

 

Zusammenführende sind gemäß § 47 Abs. 1 NAG Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

 

Familienangehöriger ist gemäß § 2 Abs. 1 Z. 9:

"wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- oder Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiters auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; […]".

 

3.3. Frau C K ist österreichische Staatsbürgerin und mit dem Bf verheiratet. Sie ist somit Zusammenführende im gegenständlichen Verfahren. Der Bf ist derzeit 20 Jahre alt und gilt daher nicht als Familienangehöriger gemäß § 2 Abs 1 Z 9 NAG, da der Ehegatte zum Zeitpunkt der Antragstellung das 21. Lebensjahr vollendet haben muss. Die Voraussetzungen des 1. Teiles des NAG waren daher nicht mehr weiter zu prüfen. Eine Ausnahmeregelung zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gemäß § 11 Abs. 3 NAG ist somit ausgeschlossen.

 

3.4 Die Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG war daher auch unabhängig vom laufenden Asylverfahren abzuweisen.

 

4.1. Wenn derzeit kein Asylverfahren anhängig wäre, so wäre auch das Ansuchen zur Zulassung zur Inlandsantragstellung inhaltlich zu prüfen.

 

4.2. Gemäß § 21 Abs. 1 NAG sind Erstanträge sind vor der Einreise in das Bundesgebiet bei der örtlich zuständigen Berufsvertretungsbehörde im Ausland einzubringen. Die Entscheidung ist im Ausland abzuwarten.

 

Gemäß § 21 Abs. 2 NAG sind abweichend von Abs. 1 zur Antragstellung im Inland berechtigt:

"[…]

1.    Familienangehörige von Österreichern, EWR-Bürgern und Schweizer Bürgern, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben, nach rechtmäßiger Einreise und während ihres rechtmäßigen Aufenthalts;

[…]"

 

4.2. Da der Bf, wie bereits oben ausgeführt, kein Familienangehöriger im Sinne des NAG ist und sein Aufenthalt auch nicht rechtmäßig war, konnte sich der Bf nicht auf § 21 Abs 2 Z 1 NAG berufen.

 

4.3. Gemäß § 21 Abs. 3 NAG kann die Behörde abweichend von Abs. 1 auf begründeten Antrag die Antragstellung im Inland zulassen, wenn

"kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und die Ausreise des Fremden aus dem Bundesgebiet zum Zweck der Antragstellung nachweislich nicht möglich oder nicht zumutbar ist:

1.    […]

2.    zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK (§ 11 Abs. 3).

[…]"

 

Zum Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK § 11 Abs 3 NAG lautet dazu auszugsweise:

"(3) […] Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.    die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.    das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.    die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.    der Grad der Integration;

5.    die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.    die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.    Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.    die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.    die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist."

 

4.4. Der Bf ist erst seit 4. Oktober 2015, also etwa 8 Monate, in Österreich und sein Aufenthalt war vorwiegend rechtswidrig, nachdem er seit 9. Oktober 2015 über kein gültiges Visum mehr verfügte und er dadurch bis zur Stellung des Asylantrags am 9. April 2016 keinen gültigen Aufenthaltstitel besaß. Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass, sofern überhaupt ein Privat- und Familienleben vorliegt, dieses in einem Zeitpunkt entstanden ist, in dem sich der Bf seines unsicheren Aufenthaltsstatus auch bewusst war. Der Bf kann sich daher auch nicht auf eine Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK stützen, da die Voraussetzungen des § 11 Abs 3 NAG nicht vorliegen.

 

4.5 Die Zulassung zur Inlandsantragstellung gemäß § 21 Abs. 2 NAG war daher auch unabhängig vom laufenden Asylverfahren abzuweisen.

 

5.1. Da es sich bei dem Bf, der in Österreich offenkundig die Aufnahme einer Erwerbstätigkeit beabsichtigt, um einen türkischen Staatsangehörigen handelt, könnte ihm allerdings die Stillhalteklausel des Art. 13 des Beschlusses Nr. 1/80 des Assoziationsrates EWG/Türkei über die Entwicklung der Assoziation vom 19. September 1980 (im Folgenden: ARB 1/80) bzw. des Art. 41 Abs. 1 des mit der Verordnung (EWG) Nr. 2760/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 im Namen der Gemeinschaft geschlossenen, gebilligten und bestätigten Zusatzprotokolls zum Assoziierungsabkommen (im Folgenden kurz: Zusatzprotokoll) zugute­kommen.

 

5.2. Gemäß Art. 13 ARB 1/80 dürfen die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen der Bedingungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen. Gemäß Art. 41 Abs. 1 des Zusatzprotokolls führen die Vertragsparteien untereinander keine neuen Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit und des freien Dienstleistungsverkehrs ein. Diese Klauseln entfalten unmittelbare Wirkung und schließen bezüglich der in ihren Geltungsbereich fallenden türkischen Staatsangehörigen die Anwendbarkeit aller neu eingeführten Beschränkungen aus (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180).

 

Artikel 13 ARB 1/80 lautet:

"Die Mitgliedstaaten der Gemeinschaft und die Türkei dürfen für Arbeitnehmer und ihre Familienangehörigen, deren Aufenthalt und Beschäftigung in ihrem Hoheitsgebiet ordnungsgemäß sind, keine neuen Beschränkungen für den Zugang zum Arbeitsmarkt einführen."

 

5.3. Wenn also die sogenannte "Stillhalteklausel" des Artikel 13 ARB 1/80 im gegenständlichen Fall anzuwenden wäre, so wäre nicht das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz - NAG, BGBl. I Nr. 100/2005, in der derzeit geltenden Fassung, sondern das Fremdengesetz - FrG, BGBl. Nr. 838/1992, anzuwenden, weil die Anwendung des NAG zu einer Schlechterstellung türkischer Staatsangehöriger gegenüber einer Anwendung jener Rechtslage darstellen würde, welche zum Zeitpunkt des Beitritts Österreichs zur Europäischen Union in Kraft war.

 

In diesem Fall wäre die noch offene Antragstellung auf Asyl für die Erteilung des gegenständlichen Aufenthaltstitels nicht beachtlich. Dem Angehörigen eines österreichischen Staatsbürgers stand nämlich im Geltungsbereich des Fremdengesetzes der Status eines vorläufig aufenthaltsberechtigten Asylwerbers bei der Erteilung einer Niederlassungsbewilligung nicht entgegen (vgl. das hg. Erkenntnis vom 19. Dezember 2000, 99/19/0234). Daher bewirkte § 1 Abs. 2 Z 1 NAG, der vorläufig aufenthaltsberechtigte Asylwerber, auch wenn sie Angehörige von Österreichern sind, von der Erteilung eines Aufenthaltstitels ausschließt, eine unzulässige Schlechterstellung im Sinn des zitierten Assoziationsrechts (VwGH 19.01.2012, 2008/22/0837).

 

Zudem würde im Anwendungsbereich der Stillhalteklausel das im NAG vorgesehene Mindestalter von 21 Jahren in Bezug auf die Stellung als Familien­angehöriger nicht zur Geltung kommen.

 

Nach der vor dem 1. Jänner 2006 geltenden Rechtslage des Fremdengesetzes durfte jeder Ehegatte eines Österreichers – gleich welcher Staatsangehörigkeit – den Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland stellen und die Entscheidung im Inland abwarten. Im Anwendungsbereich der Stillhalteklausel wäre die Antragstellung auf Erteilung eines Aufenthaltstitels im Inland daher zulässig. Der Antrag war nur dann abzulehnen, wenn der Drittstaatsangehörige eine Gefahr für die Ordnung und Sicherheit darstellte (§ 49 FrG). Der Anwendungsbereich des § 49 FrG erfasste (nicht nur, aber) auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige waren. Mit der am 1. Jänner 2006 in Kraft getretenen Änderung der Rechtslage (Außerkrafttreten des FrG und Inkrafttreten des NAG) wurde die Rechtsposition aller drittstaatszugehörigen Angehörigen von Österreichern verändert. Von den ab diesem Zeitpunkt geltenden strengeren Voraussetzungen waren wiederum auch jene Angehörigen von Österreichern, die türkische Staatsangehörige sind, betroffen (VwGH 13.12.2011, 2008/22/0180).

 

5.4. Der Bf ist unstrittig arbeitswillig und hat eine Einstellungszusage vorgelegt. Festzuhalten ist hier, dass das Assoziierungsabkommen auf eine Erwerbstätigkeit abstellt. Der EuGH hat aber diesbezüglich klargestellt, dass es der Anwendung des Art. 13 ARB 1/80 nicht entgegenstehe, wenn der betreffende Arbeitnehmer nicht bereits (legal) in den Arbeitsmarkt des Mitgliedstaates integriert ist, also die Voraussetzungen gemäß Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 nicht erfüllt; die Stillhalteklausel in Art. 13 ARB 1/80 dient nämlich, so der EuGH, nicht dazu, die schon in den Arbeitsmarkt eines Mitgliedstaats integrierten türkischen Staatsangehörigen zu schützen, sondern soll gerade für die türkischen Staatsangehörigen gelten, die noch keine Rechte in Bezug auf Beschäftigung und entsprechend auf Aufenthalt nach Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 genießen (vgl. das Urteil Toprak und Oguz, Randnr. 45, samt den dortigen Hinweisen auf die bisherige Rechtsprechung des EuGH, VwGH 23.12.2011, 2008/22/0180).

 

5.5. Art. 13 ARB 1/80 setzt jedoch den ordnungsgemäßen Aufenthalt im Mitgliedsstaat voraus. Die Ordnungsgemäßheit liegt im Sinne der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes dann nicht vor, wenn der Aufenthalt nicht rechtmäßig ist und dies nicht die Folge einer Gesetzesänderung während des (vormalig rechtmäßigen) Aufenthalts ist (vgl. dazu auch den Beschluss des VwGH 15. Oktober 2015, 2015/21/0117: Liegt die Unregelmäßigkeit des Aufenthalts des Fremden schon von vornherein vor, und zwar insbesondere vor seiner Heirat mit einer österreichischen Staatsbürgerin und damit unabhängig von der mit 1. Jänner 2006 durch das NAG 2005 eingeführten "neuen Beschränkung", so ist die Unregelmäßigkeit der Situation des Fremden gerade nicht infolge der Anwendung der neuen Bestimmungen eingetreten; sie hatte sich vielmehr schlicht dadurch ergeben, dass er während seines Asylverfahrens keine gesicherte, sondern nur eine vorläufige Position im österreichischen Hoheitsgebiet innehatte. Sein Aufenthalt war daher nicht "ordnungsgemäß" (vgl. EuGH 7.11.2013, C-225/12 "C. Demir"), weshalb er sich nicht auf die Stillhalteklausel des Art. 13 ARB 1/80 berufen kann. Dies steht nicht nur in Einklang mit den Urteilen des EuGH (21.10.2003, C-317/01, "Abatay"; 17.09.2009, C-242/06, "T. Sahin"), sondern entspricht auch der Judikatur des VwGH (dazu, dass eine asylrechtliche vorläufige Aufenthaltsberechtigung keine "gesicherte Position" vermittelt, E 16.01.2007, 2006/18/0402; E 21.03.2013, 2011/09/0171; zum Erfordernis der "Ordnungsgemäßheit" für die Anwendbarkeit von Art. 13 ARB 1/80 E 26.01.2012, 2008/21/0304; E 24.03.2015, Ro 2014/09/0057).).

 

5.6. Bezüglich des ordnungsgemäßen Aufenthalts während des derzeit laufenden Asylverfahrens des Bf ist festzustellen, dass – wie bereits oben zitiert - Art. 13 ARB 1/80 dahin auszulegen ist, dass der Aufenthalt der türkischen Staatsangehörigen nicht ordnungsgemäß ist, wenn diese eine vorläufige Aufenthaltserlaubnis besitzen, die nur bis zur endgültigen Entscheidung über ihr Aufenthaltsrecht gilt (EuGH 7.11.2013, C-255/12, "Demir", Randnr. 49). Daher kann der Bf auf Grund der Stellung seines Asylantrags die Ordnungsmäßigkeit seines Aufenthalts nicht geltend machen.

 

Der Bf hat sich nach Ablauf seines Visums am 9. Oktober 2015 und vor der Stellung des Asylantrags am 9. April 2016 für 5 Monate im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgehalten. Dieser Aufenthalt war jedenfalls rechtswidrig und somit nicht "ordnungsgemäß" im Sinne der oben angeführten Rechtsprechung. Das Abstellen auf den ordnungsgemäßen Aufenthalt stellt in der verfahrensgegenständlichen Situation keine Änderung oder Verschärfung der österreichischen Gesetzeslage dar.

 

6.1. Die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitglied-Staates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familien­gemeinschaft im Gebiet der Europäischen Union wünschenswert erscheinen könnte, dass sich Drittstaatsangehörige mit ihm zusammen im Gebiet der Europäischen Union aufhalten können, rechtfertigt für sich genommen die Annahme nicht, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (vgl. EuGH Rechtssache Dereci, C-256/11, Rz 68 bzw. VwGH vom 21. Dezember 2011, 2009/22/0054 sowie vom 19. Jänner 2012, 2011/22/0313 und 2011/22/0312).

 

6.2. Die Geltendmachung der (wechselseitigen) wirtschaftlichen Abhängigkeit führt daher nicht zum Erfolg.

 

7.1. Es war somit im Ergebnis die Beschwerde als unbegründet abzuweisen, der angefochtene Bescheid zu bestätigen und spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

IV.

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor. Insbesondere sei bezüglich der Stillhalteklausel nochmals auf den unter Punkt III angeführten Beschluss des Verwaltungs­gerichtshofes vom 15. Oktober 2015, Ra 2015/21/0117, verwiesen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

Dr. Markus Brandstetter

Beachte:

Das angefochtene Erkenntnis wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

VwGH vom 31. Mai 2017, Zl.: Ra 2016/22/0089-5