LVwG-050039/51/Gf/Mu – 050040/31

Linz, 08.09.2016

I M  N A M E N  D E R  R E P U B L I K !

 

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                   

LVwG-050039/51/Gf/Mu – 050040/31                                           Linz, 8. September 2016

 

 

Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat durch seinen Einzelrichter Dr. Alfred Grof über die Beschwerden 1.) der Mag. G M, vertreten durch RA Dr. W V, und 2.) der Mag. J & Mag. F OHG, vertreten durch RA Mag.Dr. H B, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 8. Oktober 2014, Zl. SanRB01-45-13-2011/Km, wegen einer Standorterweiterung nach dem Apothekengesetz (Mitbeteiligte Partei: Mag. Ü KG, vertreten durch RA Mag. K Ü)

 

 

 

z u  R e c h t  e r k a n n t :

 

 

 

I. Die Beschwerden werden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe als unbegründet abgewiesen, dass die zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der Apotheke der Mitbeteiligten Partei und der Betriebsstätte einer der nächstgelegenen öffentlichen Apotheken nach § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG bestehende Entfernung mindestens 500 Meter betragen muss.

 

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nicht zulässig.

 

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

 

I.

 

Vorgängiges Behörden- und Verwaltungsgerichtsverfahren

 

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 8. Oktober 2014, Zl. SanRB01-45-13-2011/Km, wurde dem von der Mag. Ü KG als Inhaberin der „B Apotheke“ (im Folgenden: Mitbeteiligte Partei) eingebrachten Antrag auf Erweiterung des Standortes ihrer im Einkaufszentrum „U“, x, situierten Apotheke dahin stattgegeben, dass der künftige Standort dieser Apotheke wie folgt festgesetzt wurde:

 

„Bereich des Gemeindegebietes L, ausgehend vom Schnittpunkt der B 139 mit der Gemeindegrenze, die Gemeindegrenze entlang bis zum Schnittpunkt ‚Im Bäckerfeld/Meisterstraße‘, die Meisterstraße entlang bis zur Waldstraße, die Waldstraße entlang bis zur Schulstraße, die Schulstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit der Haidfeldstraße, die Haidfeldstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit der Welserstraße (Meixnerkreuzung), diese richtungsbeibehaltend überquerend entlang der Ehrenfellnerstraße bis zum Schnittpunkt mit der Limesstraße, die Limesstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit dem Rebhahnweg, den Rebhahnweg entlang über die Reitherstraße bis zum Schnittpunkt mit der B 139, die B 139 entlang bis zum Ausgangsschnittpunkt mit der Gemeindegrenze.“

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der Mitbeteiligten Partei mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 24. April 2001 die Konzession zum Betrieb der bestehenden öffentlichen Apotheke an der Betriebsstättenadresse „I, L“ unter Aufrechterhaltung ihres damaligen Standortes (nämlich: „Bereich des Gemeindegebietes L, ausgehend vom Schnittpunkt der B 139 mit der Gemeindegrenze, die Gemeindegrenze entlang bis zum Schnittpunkt ,Im Bäckerfeld/Meisterstraße‘, die Meisterstraße entlang bis zur Waldstraße, die Waldstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit der Herzogstraße, Herzogstraße nördlich bis zum Schnittpunkt mit der B 139, die B 139 entlang bis zum Ausgangsschnittpunkt mit der Gemeindegrenze“) erteilt worden sei.

 

In der Folge habe die Mitbeteiligte Partei mit Schriftsatz vom 10. Februar 2011 einen Antrag auf Erweiterung dieses Standortes (nämlich: „Bereich des Gemeindegebietes L, ausgehend vom Schnittpunkt der B 139 mit der Gemeindegrenze, die Gemeindegrenze entlang bis zum Schnittpunkt ,Im Bäckerfeld/Meisterstraße‘, die Meisterstraße entlang bis zur Waldstraße, die Waldstraße entlang bis zur Schulstraße, die Schulstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit der Haidfeldstraße, die Haidfeldstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit der Limesstraße, die Limesstraße entlang bis zum Schnittpunkt mit dem Rebhahnweg, den Rebhahnweg entlang über die Reitherstraße bis zum Schnittpunkt mit der B 139, die B 139 bis zum Ausgangsschnittpunkt der Gemeindegrenze“) gestellt und diesen über Veranlassung der belangten Behörde am 12. April 2011 um einen Eventualantrag dahin ergänzt, dass im Falle der Abweisung des Hauptantrages vom 10. Februar 2011 die beantragten Standortgrenzen so festgelegt werden mögen, dass darin auch die Kornstraße enthalten ist, sodass gegebenenfalls die Adresse „K,  L“ als neue Betriebsstätte angesehen werden könne.

 

Mit Bescheid der belangten Behörde vom 5. Juni 2012 seien sowohl dieser Hauptantrag als auch die beiden Eventualanträge abzuweisen gewesen, weil einerseits eine Standorterweiterung ohne gleichzeitige Verlegung der Betriebsstätte nicht in Betracht komme und andererseits das Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 28. Dezember 2011 ergeben habe, dass für eine Standortverlegung mit einer neuen Betriebsstätte „K, L“ kein Bedarf bestehe.

 

Mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 27. Juli 2012 sei dieser Bescheid jedoch aufgehoben worden, wobei die belangte Behörde an die in dieser Entscheidung zum Ausdruck gebrachte Rechtsansicht, dass eine Standorterweiterung nicht zwingend eine Verlegung der Betriebsstätte voraussetze, gebunden sei. Davon ausgehend, dass die Österreichische Apothekerkammer in ihrer Mitteilung vom 24. Oktober 2013 darauf hingewiesen habe, dass bei einer Standorterweiterung ohne Betriebsstättenverlegung keine negative Veränderung des Versorgungspotentials der umliegenden Apotheken eintreten könne, weshalb die Vornahme einer konkreten Bedarfsprüfung dezidiert abgelehnt werde, habe die belangte Behörde mit Blick auf die ständige Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zu § 66 Abs. 2 und 4 AVG (im Besonderen auf das Erkenntnis des VwGH vom 30. Jänner 2014, Zl. 2013/10/0197) eigenständig eine entsprechende Bedarfsprüfung vorgenommen. Da diese ergeben habe, dass im verfahrensgegenständlichen Gebiet in den letzten 20 Jahren zahlreiche Wohn-, Geschäfts- und Verwaltungsgebäude errichtet worden und demgemäß die Zahl der weiterhin zu versorgenden Personen stark angestiegen sei, müsse davon ausgegangen werden, dass auch das Versorgungspotential der umliegenden Apotheken im Falle der Genehmigung der Standorterweiterung nicht unter 5.500 Personen sinken werde, weshalb die beantragte Bewilligung zu erteilen gewesen sei. Im Übrigen würde – wie sich aus der Rechtsprechung des VwGH ergebe (vgl. die Erkenntnisse vom 16. April 1982, Zl. 81/08/0067, und vom 15. Februar 1999, 98/10/0073) – selbst eine dadurch bewirkte Einschränkung des Standortes einer bereits bestehenden Apotheke die beantragte Konzessionserteilung nicht hindern.

 

2. Gegen diesen Bescheid richteten sich die rechtzeitig eingebrachten Beschwerden der beiden Rechtsmittwerberinnen, die jeweils Inhaberinnen einer Konzession zum Betrieb einer bereits bestehenden umliegenden öffentlichen Apotheke sind.

 

2.1. Darin bringt die Erstbeschwerdeführerin vor, dass es die Mitbeteiligte Partei unterlassen habe, eine neue Betriebsstätte bekanntzugeben; dies sei jedoch nach der Judikatur des VwGH im Falle eines Antrages auf Standorterweiterung unerlässlich (vgl. z.B. die Erkenntnisse vom 20. Oktober 1960, Zl. 1540/60, und vom 11. Dezember 1973, Zl. 1203/73).

 

Davon ausgehend erweise sich die Rechtsansicht der belangten Behörde als verfehlt, weshalb die Abweisung des Ansuchens der Mitbeteiligten Partei beantragt wird.

 

2.2. Auch die Zweitbeschwerdeführerin wendet ein, dass es der Mitbeteiligten Partei in Wahrheit nicht um eine Erweiterung ihres Standortes, sondern um die Verlegung ihrer Betriebsstätte gehe, weil jenes Einkaufszentrum, in dem sich ihre Apotheke derzeit befindet, stillgelegt worden sei bzw. werden wird.

 

Davon abgesehen lasse sich auf Grund der von der belangten Behörde getroffenen Annahmen nicht nachvollziehen, ob tatsächlich ein Bedarf an der beabsichtigten Standorterweiterung gegeben sei.

 

3. Die belangte Behörde hat diese Beschwerden dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich mit Schriftsatz vom 17. November 2014 vorgelegt und darin neuerlich auf ihre Bindung an die Rechtsansicht des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich hingewiesen.

 

4. Mit hg. Schriftsatz vom 8. Dezember 2014, LVwG-050013/35/Gf/Rt, hat das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich an den Gerichtshof der Europäischen Union einen Antrag auf Vorabentscheidung gemäß Art. 267 AEUV zur Klärung der Vereinbarkeit der Bestimmung des § 63 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes mit Art. 267 AEUV und/oder allgemein mit dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts gestellt.

 

4.1. Begründend wurde dazu u.a. unter Hinweis auf das hg. Erkenntnis vom 28. Mai 2014, LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg, ausgeführt, dass die Problematik, wie von einem Gericht in einem fortgesetzten bzw. in bereits anhängigen, von der Problemlage her gleich gelagerten Verfahren vorzugehen ist, wenn der Gerichtshof der Europäischen Union (im Folgenden: EuGH) auf dessen Vorlageantrag hin eine nationale Rechtsvorschrift als unionsrechtswidrig erklärt hat, in Österreich (zumindest bislang) gesetzlich nicht normiert sei.

 

Auf Basis dieser Regelungslücke habe der Verfassungsgerichtshof (im Folgenden: VfGH) in einer ähnlich gelagerten Konstellation wie der hier vorliegenden in seiner Entscheidung vom 6. Oktober 2011, G 41,42/10 u.a. (die von ihm in der Folge durch das Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, G 61/10 u.a., bestätigt wurde), die Meinung vertreten, dass sich

 

„die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass hinsichtlich der Bedarfsprüfung für Ambulatorien aufgrund der in Prüfung gezogenen Bestimmung des KAKuG bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung am 19. August 2010 eine Rechtslage vorlag, die dazu führte, dass inländische Bewilligungssachverhalte in unsachlicher Weise schlechter behandelt werden als in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende Sachverhalte, ..... angesichts der begrenzten zeitlichen Geltungsdauer dieser Rechtslage im Ergebnis als nicht zutreffend“

 

erwiesen habe. Zwar hätten

 

„Urteile des EuGH, die aussprechen, dass unmittelbar anwendbares Unionsrecht einer innerstaatlichen Norm entgegensteht, ..... die Wirkung, dass die betreffenden Teile der nationalen Rechtsordnung wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Bestimmungen künftig unangewendet zu bleiben haben, sodass eine nach innerstaatlichen Maßstäben an sich verfassungskonforme Rechtslage im Gefolge des Urteils des EuGH nur mehr auf Sachverhalte, die nicht vom Vorrang des Unionsrechtes betroffen sind, weiterhin anzuwenden ist. Ein solches Urteil des EuGH kann daher mit seiner Erlassung in diesem Restanwendungsbereich im Ergebnis eine sogenannte 'Inländerdiskriminierung' bewirken. ..... Ein Urteil des EuGH kann also auf jedwedem Rechtsgebiet eine ..... beachtliche Anzahl von rein inlandsbezogenen Folgefällen provozieren, die im Falle der erfolgreichen Geltendmachung einer nunmehr eingetretenen Verfassungswidrigkeit der Norm dazu führen können, dass aufgrund der Anlassfallwirkung eines das Gesetz aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG Bewilligungen ohne die Berücksichtigung von im öffentlichen Interesse bestehenden Schranken des Gesetzes erlangt werden können, die bei Fortbestehen der früheren Rechtslage nicht hätten erteilt werden dürfen.“

 

Allerdings könne

 

„dieser Effekt ..... den öffentlichen Interessen zuwiderlaufen, wenn – wie hier – der in der Norm vorgesehene Erlaubnisvorbehalt zur Errichtung von Krankenanstalten an sich unionsrechtlich zulässig ist, aber nur in seiner konkreten Ausgestaltung als unionsrechtswidrig festgestellt wurde. In einem solchen Fall stehen dem Gesetzgeber nämlich im Allgemeinen mehrere Reaktionsmöglichkeiten unionsrechtskonformer Neuregelungen offen, einschließlich der Möglichkeit, den strittigen Erlaubnisvorbehalt – vorbehaltlich der unionsrechtlich erforderlichen Begleitmaßnahmen – beizubehalten. Eine geordnete Krankenanstaltenplanung dient der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung und der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, wie der EuGH in der Entscheidung 'Hartlauer Handelsgesellschaft mbH' (10.3.2009, Rs. C-169/07, .....) erneut ausdrücklich anerkannt hat (.....), und damit dem wichtigen öffentlichen Interesse an einem funktionierenden Gesundheitswesen. In dieser Konstellation widerspricht ein zwischen der Verkündung des Urteils des EuGH und dem Zeitpunkt der Neuregelung durch den Gesetzgeber als Folge der Anlassfallwirkung einer Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof entstehendes gesetzliches Vakuum dem jeweils der Norm zugrundeliegenden öffentlichen Interesse an einer geordneten Krankenanstaltenplanung, weil dadurch der Zugang zu Bewilligungen eröffnet werden kann, die weder nach alter Rechtslage noch nach einer (möglichen) unionsrechtskonformen neuen Rechtslage erteilt werden dürfen. Es besteht in einer Konstellation wie der hier vorliegenden daher ein erhebliches öffentliches Interesse an der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des nationalen Regelungsregimes zumindest im überwiegend innerstaatlichen Restanwendungsbereich für jenen Zeitraum, der vom Gesetzgeber für eine (unionsrechtlich zulässige) Neuregelung benötigt wird. Dieses öffentliche Interesse vermag daher die aus (allein) unionsrechtlicher Ursache entstandene 'inländerdiskriminierende' Wirkung einer Norm vorübergehend, nämlich für die Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit, sachlich zu rechtfertigen. Was die Dauer eines solchen Zeitraums betrifft, so ist der in Art. 140 Abs. 5 B-VG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch hier sinngemäß zu berücksichtigen. Im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses ist daher – in einem Fall wie dem vorliegenden – die diskriminierende Wirkung einer Norm aus den genannten Gründen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorübergehend für einen angemessenen Zeitraum hinzunehmen.“

 

Eine solcherart entstandene Inländerdiskriminierung würde sich daher während des angemessenen Übergangszeitraumes aus innerstaatlicher Sicht nicht als verfassungswidrig erweisen (vgl. auch VfGH vom 15. Dezember 2011, G 290/09).

 

Der VwGH habe sich dieser Rechtsansicht zunächst für Fallkonstellationen, in denen ein Gesetzesprüfungsverfahren beim VfGH anhängig war, angeschlossen (vgl. z.B. VwGH vom 20. März 2013, Zl. 2012/11/0046) und sie in der Folge (allerdings ohne nähere eigenständige Begründung, sondern unter bloßem Hinweis auf das vorzitierte VfGH-Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, G 61/10) dahin verallgemeinert, dass die unionsrechtswidrigen Bestimmungen bei rein inlandsbezogenen Sachverhalten weiterhin anzuwenden seien (vgl. z.B. VwGH vom 23. Mai 2013, Zl. 2011/11/0029, und vom 24. Juli 2013, Zl. 2010/11/0195), nachdem dieser Gerichtshof schon zuvor unter Hinweis auf eine deutsche Literaturstelle gemeint hatte (vgl. VwGH vom 17. April 2008, Zl. 2008/15/0064), dass

 

 „die Verdrängung von nationalem Recht durch Gemeinschaftsrecht ..... bloß jenes Ausmaß umfassen [darf], das gerade noch hinreicht, um einen gemeinschaftsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Dabei sind die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse in das nationale Gesetz ‚hineinzulesen‘ (vgl. Gosch, ....., DStR 2007, 1553 [1555], der in diesem Zusammenhang auch von der ‚geltungserhaltenden Reduktion nationaler Normen spricht).“

 

Ungeachtet der Frage, ob diese eher restriktive Sichtweise der nationalen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bezüglich des Grundsatzes des Vorranges des Unionsrechts ihrerseits unionsrechtskonform erscheine, sei für das gegenständliche Verfahren jedoch zunächst darauf hinzuweisen, dass dieses – bei grundsätzlich identischer Problemlage – von jenen Fallkonstellationen, die den vorerwähnten Entscheidungen des VfGH und des VwGH zu Grunde lagen, hinsichtlich maßgeblicher Parameter divergiere:

 

·         Denn zum einen habe der EuGH – im Unterschied zu seinem (vom VfGH und vom VwGH jeweils zentral zur Begründung ihrer Ansicht herangezogenen) Urteil vom 10. März 2009, C-169/07 (Hartlauer) – hier unmissverständlich  klargestellt, dass das in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Bedarfsprüfungskriterium der „weiterhin zu versorgenden Personen“ als solches (arg.: „Art. 49 AEUV ..... ist dahin auszulegen, dass er ..... entgegensteht“) und nicht bloß hinsichtlich spezifischer Aspekte – und sohin nicht nur unter bestimmen Vorbehalten – dem Art. 49 AEUV widerspricht, wobei sich die hierfür vom EuGH gegebene Begründung nicht primär auf das Anlassverfahren beziehe, sondern vielmehr und vorrangig für den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung, nämlich der unionsrechtskonformen national-einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieser Materie von Interesse sei;

 

·         In der Sache betreffe die vom EuGH konstatierte Unionsrechtswidrigkeit im gegenständlichen Fall zudem nicht bloß einen peripheren (vgl. dagegen VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10, Pkt. I.2.5.: „nur in seiner konkreten Ausgestaltung als unionsrechtswidrig festgestellt“), sondern vielmehr geradezu den zentralen Aspekt des in § 10 ApG normierten Bedarfsprüfungsverfahrens, nämlich den das Kohärenzziel einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung verdrängenden Bestandsschutz für bereits bestehende Apotheken;

 

·         Schließlich sei im vorliegenden Fall in prozessualer Hinsicht auch kein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art. 140 B‑VG anhängig (und wäre die Initiierung eines solchen, auf das Argument der Inländerdiskriminierung gegründeten Antrages im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – vgl. wiederum VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10 – überdies auch wenig erfolgversprechend), sodass auch – jedenfalls formal – keine bloß vorübergehende Unionsrechtswidrigkeit i.S.d. Art. 140 Abs. 5 und 7 B-VG vorliege.

 

Sei aber vor dem Hintergrund, dass der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, der eine zentrale Voraussetzung der Marktzulassung in Form einer Bedarfsprüfung normiert, vorbehaltslos – und damit auch mit unmittelbarer sowie sofortiger Wirkung – festgestellt hat, zu konstatieren, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung im österreichischen Recht für Fallkonstellationen wie die hier vorliegende nicht bestehe, so verbleibe im öffentlichen Interesse an einem geordneten Gesundheitswesen daher nur die Möglichkeit, die der Sache nach am ehesten adäquate verfahrensrechtliche Norm, nämlich Art. 140 B-VG, analog heranzuziehen.

 

Dabei sei jedoch darauf zu achten, dass öffentliche Interessen weder einseitig noch exklusiv bevorzugt werden, sondern – im Sinne einer möglichst effizienten Unionsrechtskonformität und eines möglichst effektiven Grundrechtsschutzes – auch auf die konträren Interessen der Konzessionswerber ausreichend Bedacht genommen wird; beispielsweise könne daher – anders als in den vom VfGH zu führenden Gesetzesprüfungsverfahren – die in Art. 140 Abs. 5 letzter Satz B‑VG mit 18 Monaten objektiv besehen bereits extensiv festgelegte Frist schon im Hinblick auf eine angemessene Verfahrensdauer i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 EGRC nicht verabsolutierend als ein jedenfalls „vorübergehend angemessener Zeitraum“ (vgl. VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10, Pkt. I.2.7.3.) erscheinen. Denn im Hinblick auf die für Vollzugsorgane im Bereich des Öffentlichen Rechts grundsätzlich maßgebliche Entscheidungsfrist von 6 Monaten (vgl. z.B. § 73 AVG; § 34 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, BGBl.Nr. I 33/2013 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 122/2013 [im Folgenden: VwGVG]; § 284 Bundesabgabenordnung, BGBl.Nr. 194/1961 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 40/2014 [im Folgenden: BAO]) sei vielmehr vorläufig kein zwingender Grund ersichtlich, weshalb diese für den Gesetzgeber wesentlich länger sein sollte, zumal in gewissen Konstellationen eine Unionsrechtswidrigkeitserklärung durch den EuGH ohnehin nicht ganz unabsehbar sei.

 

Festzuhalten sei, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aktivitäten des Gesetzgebers im Hinblick auf eine Novellierung des § 10 ApG erkennbar seien und dass solche – sollten sie erst einmal eingeleitet werden – erfahrungsgemäß jedenfalls einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Es könne daher nicht davon ausgegangen werden, dass zeitgerecht, d.h. noch während der dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich zur Erledigung der im do. Verfahren anhängigen Säumnisbeschwerde zur Verfügung stehenden Zeitspanne (wobei schon die in § 34 Abs. 1 VwGVG festgelegten sechs Monate eine Maximalfrist verkörpern und angesichts der Gesamtdauer des anhängigen Verfahrens die in dieser Bestimmung normierten Nichteinrechnungszeiträume im Lichte des Effizienzgebotes des Art. 6 Abs. 1 EMRK [„innerhalb angemessener Frist“] wohl keinen Bestand haben dürften), eine unionsrechtskonforme Neuregelung erfolgen wird.

 

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH seien aufgrund des Vorranges des Unionsrechts dem Primärrecht entgegenstehende Regelungen unanwendbar. Dieser Vorrang des Unionsrechts gelte absolut. Im Besonderen gehe er daher sowohl einer unmittelbaren Bindung gemäß § 63 Abs. 1 des Verwaltungsgerichtshofgesetzes, BGBl.Nr. 10/1985 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 122/2013 (im Folgenden: VwGG) als auch einer „indirekten“ Bindung (wie etwa an das Erkenntnis des VwGH vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209) vor.

 

Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, wonach keinesfalls ein Bedarf bestehe, sobald sich die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen in Folge der Neuerrichtung einer weiteren Apotheke verringert und weniger als 5.500 betragen wird, widerspreche auf Grund ihrer mangelnden Flexibilität dem Unionsrecht und sei sohin – in gleicher Weise wie die darauf aufbauenden Anordnungen der Abs. 4, 5, 7 und 8 des § 10 ApG – auch im Fall LVwG-050013 nicht anzuwenden. Davon ausgehend liege somit ein Ausschließungsgrund i.S.d. § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG ebenso wenig vor wie der Hinderungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 (i.V.m. Abs. 3 bis Abs. 3b) ApG, weil im Gutachten der Apothekerkammer vom 23. April 2014, Zl. III-5/2/2-146/2/14, festgestellt worden sei (vgl. dort, S. 4), dass sich in der in Aussicht genommenen Betriebsstätte keine ärztliche Hausapotheke befinde.

 

Soweit es die Frage der Bedarfsprüfung betrifft, sei daher im Fall LVwG-050013 lediglich die Anordnung des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG, wonach die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke nicht weniger als 500 Meter betragen darf, zu beachten, weil diese im Wege des § 10 Abs. 6 ApG mit der unionsrechtlich erforderlichen Flexibilität ausgestattet ist.

 

All dies berücksichtigend sei daher dem auf § 46 Abs. 5 ApG gegründeten Antrag des do. Beschwerdeführers auf Erweiterung des Standortes seiner Apotheke gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe stattzugeben gewesen, dass durch den neuen Standort die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte seiner Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheken gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG nicht weniger als 500 Meter beträgt (was wiederum einer gesonderten Prüfung nach § 14 ApG unterliege).

 

4.2. Gegen das Erkenntnis vom 28. Mai 2014, LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg, wurde eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben; mit dg. Erkenntnis vom 8. Oktober 2014, Zlen. Ro 2014/10/0096 u.a., hat der VwGH die Entscheidung des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass der VwGH in seinem Erkenntnis vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209, unter Hinweis auf die Rechtsprechung des EuGH, insbesondere auf dessen Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 (Sokoll-Seebacher; EU:C:2014:68) ausgeführt habe, dass Gerichte und Behörden nach dem Unionsrecht bei der Entscheidung über einen Konzessionsantrag die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG unangewendet zu lassen und die Konzession – bei Vorliegen der übrigen Voraussetzungen – ohne Rücksicht auf eine allfällige Einschränkung des Kundenpotentials der benachbarten Apotheken auf unter 5.500 zu versorgende Personen zu erteilen hätten, wenn die neu beantragte Apotheke erforderlich ist, um für die in bestimmten ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung – unter Bedachtnahme auf die Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln durch ärztliche Hausapotheken und unter Berücksichtigung der bei der Bedarfsprüfung im Vordergrund stehenden Erreichbarkeit mit Kraftfahrzeugen – die zumutbare Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle zu gewährleisten. Wenn jedoch die Erteilung der beantragten Konzession nicht bereits aus diesen Gründen unionsrechtlich erforderlich ist, so sei § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG – der in diesem Fall nach den Ausführungen des EuGH nicht unionsrechtswidrig sei – weiterhin anzuwenden (vgl. dazu auch VwGH vom 25. April 2014, Zl. 2013/10/0022, und vom 12. August 2014, Zl. 2012/10/0181).

 

Indem das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich aber ohne jede Prüfung dahin, ob die vom Beschwerdeführer beantragte Standorterweiterung erforderlich ist, um für die in bestimmten ländlichen Gebieten wohnhafte Bevölkerung die zumutbare Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle zu gewährleisten, von vornherein die Anwendbarkeit der Bedarfsprüfung nach § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG verneint hat, habe es die Rechtslage verkannt. Anzumerken sei schließlich noch, dass sich auf Grund der bisherigen Verfahrensergebnisse keine Anhaltspunkte für eine Auswirkung der vom Beschwerdeführer beantragten Erweiterung des Standortes seiner Apotheke auf die Versorgung einer in ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhaften Bevölkerung ergäben.

 

4.3. Dem gegenüber seien die vom EuGH in dessen Urteil vom 13. Februar 2014, C 367/12 (Sokoll-Seebacher; EU:C:2014:68) getroffenen Feststellungen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich dahin zu verstehen, dass die Regelung der Bedarfsprüfung in der Form, wie diese – derzeit immer noch – in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegt ist, nicht bloß in Sonderkonstellationen wie dünn besiedelten ländlichen Gebieten, sondern vielmehr grundsätzlich dem Art. 49 AEUV widerspreche, weil sie es infolge des darin normierten starren Grenzwertes der Behörde nicht ermöglicht, Spezifika des konkreten Einzelfalles – wie sie auch im Zusammenhang mit der gegenständlich beantragten Erweiterung des Standortes eines von vornherein extrem eingeschränkten Versorgungsgebietes auftreten können – angemessen, nämlich zu Gunsten des kohärent anzustrebenden Primärzieles einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung (dem gegenüber das Ziel des Bestandsschutzes bereits bestehender Apotheken in den Hintergrund zu treten hat), zu berücksichtigen.

 

Dass in diesem EuGH-Urteil die Hervorhebung von „dünn besiedelten ländlichen Regionen“ bzw. eigentlich: von „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“ in nahe liegender Anlehnung an das einschlägige dg. Vorjudikat vom 1. Juni 2010, C‑570/07 (Perez u. Gomez; EU:C:2010:300), bloß paradigmatisch, nämlich zur Verdeutlichung der mit einer starren Grenze verbundenen Auswirkungen, erfolgte, scheine sich auch daraus zu ergeben, dass dessen Tenor (bloß) lautet (vgl. nach RN 53):

 

„Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, ist dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von ‚weiterhin zu versorgenden Personen‘ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen.“ (Hervorhebung im Original)

 

Im Urteilsspruch sei sohin eine Bezugnahme auf „dünn besiedelte ländliche Gebiete“, auf „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“ o.Ä. nicht enthalten (eine ähnliche Verkürzung finde sich beispielsweise – dem Wesen eines Urteilstenors entsprechend – auch in der Entscheidung des EuGH vom 11. September 2014, C‑112/13 [EU:C:2014:2195], wie sich aus dessen RN 62 einerseits und den RN 36 bis 40 andererseits ergebe).

 

Dem gegenüber scheine jedoch der VwGH – beginnend mit seinem Erkenntnis vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209, bis zu seiner Entscheidung vom 8. Oktober 2014, Zln. Ro 2014/10/0096 u.a. (m.w.N.) – davon auszugehen, dass das in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegte Bedarfskriterium der „weiterhin zu versorgenden Personen“ nach dem Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, C-367/12 (Sokoll-Seebacher; EU:C:2014:68), lediglich dann und insoweit als unionsrechtswidrig anzusehen ist, als dieses in Sachverhaltskonstellationen herangezogen werden muss, in denen die Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle für die in bestimmten ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung zu beurteilen ist; im Übrigen stehe § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG jedoch nicht im Widerspruch zu Art. 49 AEUV, weshalb diese Bestimmung gemäß § 46 Abs. 5 ApG in Verfahren, in denen die Erweiterung des Standortes der Betriebsstätte einer im Stadtgebiet gelegenen Apotheke zu beurteilen ist, uneingeschränkt zum Tragen komme.

 

Im Besonderen gelte dies sogar dann, wenn jene Partei, hinsichtlich der im Gutachten der Apothekerkammer ausschließlich festgestellt wurde, dass ihr Kundenpotential im Falle der Bewilligung der beantragten Standorterweiterung unter 5.500 Personen sinken wird, selbst gar keine Revision an den VwGH erhoben hat.

 

4.4. Offenkundig im Interesse der Rechtssicherheit sehe § 63 Abs. 1 VwGG bezüglich derartiger Auffassungsunterschiede unter der Überschrift „Vollstreckung“ Folgendes vor:

 

§ 63. (1) Wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, sind die Verwaltungsgerichte und die Verwaltungsbehörden verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des Verwaltungsgerichtshofes entsprechenden Rechtszustand herzustellen.“

 

Für den vorliegenden Fall bedeute dies, dass das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich sein infolge der Aufhebung durch das Erkenntnis des VwGH vom 8. Oktober 2014, Zlen. Ro 2014/10/0096 u.a., nunmehr wieder offenes Rechtsmittelverfahren fortzusetzen und im Wege einer Sachentscheidung über die Frage der vom Beschwerdeführer beantragten Standorterweiterung abzuschließen hat, wobei dieser die zuvor referierte Rechtsansicht des VwGH zu Grunde zu legen ist.

 

Eine unionsrechtliche und/oder eine innerstaatliche gesetzliche Regelung, wie in jenen Verfahren vorzugehen ist, die sich zum Zeitpunkt der Feststellung der Unionsrechtswidrigkeit einer innerstaatlichen Norm durch den EuGH in divergierenden Stadien ihrer Erledigung befinden und/oder in unterschiedlichen Instanzen anhängig sind, existiere bislang nicht. In gleicher Weise habe der nationale Gesetzgeber bislang auch weder eine Modifikation des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG vorgenommen noch konkrete diesbezügliche Aktivitäten erkennen lassen. Schließlich sei auch noch darauf hinzuweisen, dass dem Beschwerdeführer des hg. Anlassverfahrens – anders als im Fall der präsumtiven Verletzung eines durch die EMRK gewährleisteten Grundrechts – schon a priori keine prozessuale Möglichkeit zukommt, zwecks Klärung der Frage der Reichweite der im Hinblick auf Art. AEUV und Art. 16 EGRC bestehenden Unionsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG im Wege einer Individualbeschwerde an den EuGH heranzutreten.

 

Zusammenfassend erhebe sich daher vor dem Hintergrund dessen, dass das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich binnen einer Frist von (höchstens) sechs Monaten über den anhängigen Standorterweiterungsantrag zu entscheiden hat, der Gesetzgeber bislang keine inhaltlich klarstellende Reaktion auf das Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, C-367/12 (Sokoll-Seebacher; EU:C:2014:68), erkennen lässt und dem Beschwerdeführer selbst keine Möglichkeit zur Geltendmachung einer Unionsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 3 ApG zukommt, die vom materiellen Recht (im gegenständlichen Fall: dem ApG) losgelöste verfahrensrechtliche Kernfrage, ob die dargestellte nationale Rechtslage, insbesondere die in § 63 VwGG normierte vorbehaltslose Bindungswirkung, im Ergebnis mit Art. 49 AEUV, mit Art. 267 AEUV und/oder bzw. allgemein mit dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts (vgl. jüngst EuGH vom 11. September 2014, C-112/13 [EU:C:2014:2195], RN 29) vereinbar ist.

 

Auf Grund der bundesstaatlichen Struktur Österreichs komme dieser Frage aus der Sicht des (Verwaltungsgerichtes des) Landes Oberösterreich nicht zuletzt im Zusammenhang mit allfälligen sukzessiven Amtshaftungs- (denen Entscheidungen des VwGH nicht unterliegen; vgl. § 2 Abs. 3 des Amtshaftungsgesetzes, BGBl.Nr. 20/1949 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 122/2013) und Staatshaftungsansprüchen sowie daraus resultierenden Regressansprüchen nicht unerhebliche Bedeutung zu.

 

Nach dem österreichischen System der Gerichtsbarkeit sei der VwGH zwar – neben dem VfGH und dem Obersten Gerichtshof (im Folgenden: OGH) – als ein letztinstanzliches Gericht konzipiert; ihm komme aber innerstaatlich keine ausschließliche Kompetenz zur verbindlichen Auslegung des Unionsrechts zu: Vielmehr obliege es auch den beiden anderen Höchstgerichten, darüber hinaus aber auch jedem anderen (ordentlichen oder Verwaltungs-)Gericht, aus eigener Entscheidungsbefugnis eine von ihm als unionsrechtswidrig erachtete nationale Norm unangewendet zu lassen, wie dies das Unionsrecht als einen fundamentalen Rechtsgrundsatz vorsehe (vgl. EuGH vom 11. September 2014, C-112/13 EU:C:2014:2195], RN 36, 40 und 46).

 

Mit diesen unionsrechtlichen Anforderungen scheine aber (und gänzlich unabhängig von der Frage, welche Rechtsauffassung sich tatsächlich als zutreffend erweist) eine vorbehaltslose – und damit eben auch unionsrechtliche Fragen umfassende – Bindungswirkung, wie diese § 63 Abs. 1 VwGG statuiert, unvereinbar zu sein, wenn in diesem Zusammenhang in RN 37 des eben zitierten Urteils vom 11. September 2014 vom EuGH explizit festgestellt wurde:

 

„Mit den in der Natur des Unionsrechts liegenden Erfordernissen wäre nämlich jede Bestimmung einer nationalen Rechtsordnung oder jede Gesetzgebungs-, Verwaltungs- oder Gerichtspraxis unvereinbar, die dadurch zu einer Schwächung der Wirksamkeit des Unionsrechts führen würde, dass dem für die Anwendung dieses Rechts zuständigen Gericht die Befugnis abgesprochen wird, ..... zum Zeitpunkt dieser Anwendung alles Erforderliche zu tun, um diejenigen innerstaatlichen Rechtsvorschriften auszuschalten, die unter Umständen ein Hindernis für die volle Wirksamkeit der Unionsnormen bilden (vgl. Urteile Simmenthal, EU:C:1978:49, Rn. 22, Factortame u. a., C213/89, EU:C:1990:257, Rn. 20, sowie Åkerberg Fransson, EU:C:2013:105, Rn. 46 und die dort angeführte Rechtsprechung).“

 

4.5. Weil diese spezifische Problemlage bislang – soweit ersichtlich – inhaltlich noch nicht geklärt wurde und prozessuale Hindernisse (vgl. insbesondere die RN 34 bis 41 des EuGH-Urteils vom 1. Juni 2010, C 570/07 [Perez u. Gomez; EU:C:2010:300]) aus hg. Sicht nicht entgegen stehen dürften (zur grundsätzlichen innerstaatlichen Anerkennung des Verbotes der Diskriminierung im Zuge der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht vgl. nochmals VfGH vom 6. Oktober 2011, G 41/10, m.w.N.), erlaube sich daher das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich, im Wege seines nach der Geschäftsverteilung hierfür zuständigen Mitgliedes dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

Ist eine nationale Rechtslage, nach der einerseits innerstaatliche Verfahrensbestimmungen zur Regelung der Frage, wie ein Gericht in jenen bereits bei ihm anhängigen Fällen vorzugehen hat, die unter Bedachtnahme auf eine vom Gerichtshof der Europäischen Union als unionsrechtswidrig festgestellte Rechtsgrundlage abzuschließen sind, fehlen, andererseits jedoch eine vorbehaltslose Bindung dieses Gerichts an die Auslegung des Unionsrechts durch ein anderes nationales Gericht vorgesehen ist, mit Art. 267 AEUV und/oder allgemein mit dem Grundsatz des Vorranges des Unionsrechts (vgl. jüngst EuGH vom 11. September 2014, C-112/13 [EU:C:2014:2195], RN 29) vereinbar?

 

Abschließend dürfe angemerkt werden, dass mittlerweile die Viertmitbeteiligte Partei des Anlassverfahrens zu LVwG-050013[1] auch ihrerseits einen Antrag auf Erweiterung des Standortes ihrer Apotheke unter Beibehaltung ihrer bisherigen Betriebsstätte gestellt hat. Diesem Antrag sei von der Behörde unter Hinweis auf die auf Grund der in den letzten 20 Jahren vorgenommenen Errichtung von zahlreichen Wohn- und Geschäftsgebäuden stark angestiegene Zahl der weiterhin zu versorgenden Personen stattgegeben worden, weil vor diesem Hintergrund anzunehmen sei, dass die beantragte Standorterweiterung nicht dazu führen werde, dass das Kundenpotential der bereits bestehenden umliegenden Apotheken unter 5.500 Personen sinken wird (sondern vielmehr ebenfalls steigen wird – was nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich die Verdrängung des Kohärenzzieles einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung zugunsten des Bestandsschutzes für bereits bestehende Apotheken verdeutliche).

 

5. Da die Antwort des EuGH nach Auffassung des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich auch für die Entscheidung der gegenständlich anhängigen Rechtssache von Bedeutung ist, wurde dieses Verfahren mit Beschluss vom 8. Dezember 2014, LVwG-050039/2/Gf/Rt u.a., gemäß § 17 VwGVG i.V.m. den §§ 38 und 38a AVG bis zur Beendigung des Vorabentscheidungsverfahrens durch den EuGH ausgesetzt.

 

6. Gegen diesen Beschluss hat die Mitbeteiligte Partei eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben und diese damit begründet, dass dieser Zwischenerledigung nicht zu entnehmen sei, weshalb und inwieweit der Entscheidung des EuGH auch für die vorliegende Rechtssache eine Bedeutung zukomme.

 

7. Mit Erkenntnis vom 20. Mai 2015, Zl. Ra 2015/10/0023, hat der VwGH dieser Revision stattgegeben und den angefochtenen Beschluss wegen Verletzung von Verfahrensvorschriften aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die Aussetzung des Verfahrens eine Ermessensentscheidung darstelle und somit eine die besonderen Verhältnisse des Einzelfalles voll berücksichtigende Interessenabwägung erfordere.

 

8. Hierauf hat das LVwG das Beschwerdeverfahren mit Beschluss vom 25. Juni 2015, LVwG-050039/16/Gf/Mu, neuerlich bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH im Verfahren LVwG-050013 ausgesetzt und diesen im Wesentlichen damit begründet, dass die öffentlichen Interessen an der vorläufigen Nichterteilung der begehrten Standorterweiterung überwiegen würden und im Übrigen dadurch auch nicht in eine bestehende Rechtsposition der Mitbeteiligten Partei eingegriffen werde.

 

Die dagegen von der Erstbeschwerdeführerin und von der Mitbeteiligten Partei erhobenen außerordentlichen Revisionen wurden vom VwGH mit Beschluss vom 28. Oktober 2015, Ra 2015/10/0102, zurückgewiesen.

 

9. Zwischenzeitlich hatte der EuGH mit Beschluss vom 15. Oktober 2015, C‑581/14 (ECLI:EU:C:2015:707 – „Naderhirn“), für Recht erkannt:

 

Das Unionsrecht ist dahin auszulegen, dass es einer nationalen Rechtslage entgegensteht, die zum einen dadurch gekennzeichnet ist, dass innerstaatliche Vorschriften zur Regelung der Frage fehlen, wie ein nationales Gericht in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand Rechnung zu tragen hat, dass nach einem Urteil des Gerichtshofs eine nationale Vorschrift als unionsrechtswidrig anzusehen ist, und zum anderen durch das Vorliegen innerstaatlicher Vorschriften, nach denen das fragliche Gericht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch ein anderes nationales Gericht gebunden ist, sofern das fragliche nationale Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift daran gehindert wäre, sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es im Rahmen seiner Zuständigkeiten alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift.

 

Begründend wurde dazu u.a. ausgeführt,

 

− dass die nationalen Gerichte an die vom Gerichtshof nach Art. 267 AEUV vorgenommene Auslegung gebunden sind; es kommt ihnen jedoch zu, zu beurteilen, ob die Vorabentscheidung hinreichende Klarheit geschaffen hat oder ob eine erneute Befassung des Gerichtshofs notwendig ist (RN 28);

 

− dass sich aus dem Vorlageantrag ergibt, dass zwischen dem vorlegenden Verwaltungsgericht und dem Verwaltungsgerichtshof eine Meinungsverschiedenheit hinsichtlich der Tragweite des Urteils Sokoll-Seebacher (C367/12, EU:C:2014:68) besteht, das vorlegende Gericht jedoch den Gerichtshof nicht zu dessen Tragweite befragt hat (RN 29);

 

− dass hinsichtlich des Fehlens innerstaatlicher Vorschriften zur Regelung der Frage, wie ein nationales Gericht in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand Rechnung zu tragen hat, dass nach einem Urteil des Gerichtshofs eine nationale Vorschrift als unionsrechtswidrig anzusehen ist, aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH hervorgeht, dass die Mitgliedstaaten nach dem in Art. 4 Abs. 3 EUV niedergelegten Grundsatz der loyalen Zusammenarbeit verpflichtet sind, die rechtswidrigen Folgen eines Verstoßes gegen das Unionsrecht zu beheben und dass diese Verpflichtung jedem Organ des betreffenden Mitgliedstaats im Rahmen seiner Zuständigkeiten obliegt, woraus folgt, dass die Gerichte eines Mitgliedstaats im Rahmen ihrer Zuständigkeiten alle erforderlichen allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen haben, damit die Unvereinbarkeit einer nationalen Vorschrift mit dem Unionsrecht behoben wird, und zwar auch dann, wenn es keine innerstaatlichen Vorschriften gibt, die regeln, wie ein nationales Gericht dieser Verpflichtung nachzukommen hat; nach ständiger Rechtsprechung des EuGH ist das nationale Gericht, das im Rahmen seiner Zuständigkeit die Bestimmungen des Unionsrechts anzuwenden hat, gehalten, für die volle Wirksamkeit dieser Normen Sorge zu tragen, indem es erforderlichenfalls jede – auch spätere – entgegenstehende Bestimmung des nationalen Rechts aus eigener Entscheidungsbefugnis unangewendet lässt, ohne dass es die vorherige Beseitigung dieser Bestimmung auf gesetzgeberischem Wege oder durch irgendein anderes verfassungsrechtliches Verfahren beantragen oder abwarten müsste (RN 30 bis 33); sowie

 

− dass der EuGH hinsichtlich des Vorliegens innerstaatlicher Vorschriften, nach denen ein nationales Gericht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch ein anderes nationales Gericht gebunden ist, bereits entschieden hat, dass es mit dem Unionsrecht nicht vereinbar ist, dass ein nationales Gericht nach einer nationalen Vorschrift an die rechtliche Beurteilung eines übergeordneten nationalen Gerichts gebunden ist, wenn diese Beurteilung des übergeordneten Gerichts nicht dem Unionsrecht in seiner Auslegung durch den Gerichtshof entspricht (RN 34); entspricht also die Beurteilung eines nationalen Gerichts nicht dem Unionsrecht, ist ein anderes nationales Gericht, das nach dem innerstaatlichen Recht vorbehaltlos an die Auslegung des Unionsrechts durch das erstgenannte Gericht gebunden ist, nach dem Unionsrecht verpflichtet, aus eigener Entscheidungsbefugnis die innerstaatliche Rechtsvorschrift unangewendet zu lassen, die von ihm verlangt, sich an die vom erstgenannten Gericht herangezogene Auslegung des Unionsrechts zu halten (RN 35), was u. a. dann der Fall wäre, wenn ein nationales Gericht aufgrund einer solchen innerstaatlichen Rechtsvorschrift, an die es gebunden ist, daran gehindert wäre, in den bei ihm anhängigen Rechtssachen dem Umstand, dass eine nationale Vorschrift nach einem Urteil des Gerichtshofs als unionsrechtswidrig anzusehen ist, angemessen Rechnung zu tragen und sicherzustellen, dass der Vorrang des Unionsrechts ordnungsgemäß gewährleistet wird, indem es alle hierfür erforderlichen Maßnahmen ergreift (RN 36).

 

10. Hierauf hat das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich mit Schriftsatz vom 24. November 2015, LVwG-050006/29/Gf/JE/Mu, einen weiteren Antrag gemäß Art. 267 AEUV eingebracht und mit diesem folgende Frage(n) an den EuGH gestellt:

 

„Ist Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, im Hinblick auf die bzw. unter Zugrundelegung der vom Gerichtshof der Europäischen Union in dessen Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 (ECLI:EU:C:2014:68 – „Sokoll-Seebacher“), im Tenor (bzw. in RN 51) getroffene Feststellung, dass eine mitgliedstaatlichen Regelung wie § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von weiterhin zu versorgenden (konkret: in einem Ausmaß von 5.500) Personen festlegt, entgegensteht,

 

a) dahin zu verstehen, dass der Umstand der Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes diese Regelung gesamthaft besehen inkohärent und damit unionsrechtswidrig macht, weil die zuständigen nationalen Behörden damit generell keine Möglichkeit haben, von diesem Grenzwert abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen (zumal ja die in RN 24 des vorangeführten Urteils aufgestellten Kriterien für eine kohärente und systematische Zielerreichung jeweils kumulativ vorliegen müssen) – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium innerstaatlich so lange nicht anzuwenden ist, bis dieses vom nationalen Gesetzgeber durch eine unionsrechtskonforme, flexiblere Regelung (etwa analog zu § 10 Abs. 6 ApG hinsichtlich der in § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG festgelegten 500-Meter-Grenze) ersetzt wird?

 

oder

 

b) dahin zu verstehen, dass die in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes lediglich dann und insoweit unionsrechtswidrig ist, wenn bzw. als diese in einem konkreten Fall auf eine Sachverhaltskonstellation anzuwenden ist, in der auf Grund örtlicher Besonderheiten oder sonstiger faktischer Gegebenheiten tatsächlich deshalb ein Bedarf an der Neuerrichtung einer Apotheke besteht, weil anders für bestimmte Personen (insbesondere für sog. „Einfluter“, Neuzugezogene etc.) kein angemessener Zugang zu Arzneimitteln gewährleistet ist (vgl. RN 45 i.V.m. RN 50 des vorangeführten Urteils), selbst wenn dadurch das Versorgungspotential für eine oder mehrere bereits bestehende(n) Apotheke(n) künftig tatsächlich unter 5.500 Personen sinken sollte – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium bis zu einer klarstellenden Neuregelung durch den nationalen Gesetzgeber nur in solchen Konstellationen, jedoch gleichermaßen für ländliche, städtische oder sonstige Gebiete, nicht anzuwenden ist?

 

oder

 

c) dahin zu verstehen, dass die in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Festlegung nicht bloß eines flexiblen Richt-, sondern eines exakten (d.h. eines ziffernmäßig bestimmten und somit im Wege der Auslegung nicht flexibilisierbaren) Grenzwertes nur dann und insoweit unionsrechtswidrig ist, wenn bzw. als diese in einem konkreten Fall auf eine Sachverhaltskonstellation anzuwenden ist, die sich auf eine ländliche und abgelegene Gegend bezieht, selbst wenn dadurch das Versorgungspotential für eine oder mehrere bereits bestehende(n) Apotheke(n) künftig tatsächlich unter 5.500 Personen sinken sollte – mit der Folge, dass jenes Bedarfsprüfungskriterium bis zu einer klarstellenden Neuregelung durch den nationalen Gesetzgeber nur dann nicht anzuwenden ist, wenn dies Auswirkungen auf die Bevölkerung in einem ländlichen und/oder abgelegenen Gebiet hat?“

 

10.1. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass die vom EuGH in dessen Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 (ECLI:EU:C:2014:68 – „Sokoll-Seebacher I“) getroffenen Feststellungen nach Ansicht des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich dahin zu verstehen sind, dass die Regelung der Bedarfsprüfung in der Form, wie diese – derzeit immer noch – in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegt ist, nicht bloß in Sonderkonstellationen wie der beabsichtigten Neuerrichtung einer Apotheke in dünn besiedelten ländlichen Gebieten (dort freilich besonders!), sondern vielmehr ganz grundsätzlich dem Art. 49 AEUV widerspricht, weil sie es infolge des darin normierten starren Grenzwertes von 5.500 Personen der Behörde (bspw. im Gegensatz zu § 10 Abs. 6 ApG, der im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ein ausnahmsweises Unterschreiten der prinzipiell fixen 500-Meter-Entfernung durchaus zulässt!) nicht ermöglicht, Spezifika des konkreten Einzelfalles angemessen, nämlich zu Gunsten des kohärent anzustrebenden Primärzieles einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung bzw. des gleichen und angemessenen Zuganges zu Apothekendienstleistungen (dem gegenüber das Ziel des Bestandsschutzes bereits bestehender Apotheken wohl in den Hintergrund zu treten hat), zu berücksichtigen.

 

Nach Auffassung des LVwG Oberösterreich hat der EuGH mit dem Abstellen auf ländliche und abgelegene Gegenden im „Sokoll-Seebacher“-Urteil bloß eine besonders illustrative Beispielskonstellation zur Begründung seiner Feststellung, dass die Festlegung eines starren, nicht interpretativ flexibilisierbaren Grenzwertes eine adäquate Reaktion auf eine neu entstandene Bedarfslage nicht ermöglicht, gewählt, damit aber wohl nicht ausgeschlossen, dass das Ziel einer optimalen Heilmittelversorgung der Bevölkerung auch im städtischen Bereich eine gleichermaßen adäquate Flexibilität erfordert, selbst wenn dadurch der Bestandsschutz bestehender Apotheken (in aller Regel ohnehin nur geringfügig) beeinträchtigt werden sollte.

 

Eine solche Anpassungsmöglichkeit dürfte nämlich weder im ländlichen noch im städtischen Raum gegeben sein, wenn in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG – nicht in Form eines bloßen Richt-, sondern eines fixen Grenzwertes – eine explizite – und damit im Wege der Auslegung schon a priori nicht variierbare – Personenzahl festgelegt ist: Indem auf diese Weise jede solche Verringerung des Kundenstocks bestehender Apotheken, aus der ein unter der 5.500-Personen-Grenze liegendes Quantum resultiert – und somit im Extremfall auch ein verbleibendes Kundenpotential von bloß 5.499 Personen –, ex lege zur Verneinung des Bedarfes führen muss (arg. „besteht nicht“ in § 10 Abs. 2 ApG), können spezifische tatsächliche Gegebenheiten wie etwa ein dringendes öffentliche Interesse an einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung i.S.d. § 10 Abs. 6 ApG schon von vornherein nicht in eine solche Bedarfsbeurteilung einfließen. Dies kann vornehmlich in ländlichen und abgelegenen Gebieten zu einer verfälschten Bedarfsbeurteilung führen. In gleicher Weise ist aber auch in dichter besiedelten Gegenden keineswegs ausgeschlossen, dass faktisch selbst dann ein dringender Bedarf besteht, wenn sich der Kundenstock bestehender Apotheken auf weniger als 5.500 Personen verringert; konkret müsste etwa die beantragte Konzession für eine Neuapotheke z.B. versagt werden, wenn im Zuge der Neugestaltung eines Stadtviertels (Errichtung von Hochhäusern, Bahnhöfen, Einkaufszentren, etc.) für eine solche wegen der damit verbundenen Neuansiedlung, Einflutung usw. weiterer Personen zwar objektiv besehen durchaus ein zusätzlicher Versorgungsbedarf entsteht, dadurch jedoch gleichzeitig der Kundenstock von einer oder von mehreren bereits bestehenden Apotheke(n) auf (knapp) unter 5.500 Personen absinken würde.

 

Dass im Urteil vom 13. Februar 2014, C-367/12 (ECLI:EU:C:2014:68 – „Sokoll-Seebacher), die Hervorhebung von „dünn besiedelten ländlichen Regionen“ (bzw. eigentlich: von „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“) – zudem in nahe liegender Anlehnung an das einschlägige EuGH-Vorjudikat vom 1. Juni 2010, C‑570/07 (ECLI:EU:C:2010:300 – „Blanco Pérez und Chao Gómez“) – bloß paradigmatisch, nämlich zur Verdeutlichung der mit einer starren Grenze verbundenen Auswirkungen, erfolgte, dürfte sich schließlich auch daraus ergeben, dass im Tenor eine entsprechende Hervorhebung – wohl nicht zufällig – weggelassen wurde (vgl. nach RN 53):

 

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Vierte Kammer) für Recht erkannt:

 

Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, ist dahin auszulegen, dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von ‚weiterhin zu versorgenden Personen‘ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen.“ (Hervorhebung im Original)

 

Im Urteilsspruch ist also offenbar bewusst keine Bezugnahme auf „dünn besiedelte ländliche Gebiete“, auf „Menschen mit eingeschränkter Mobilität“ o.Ä. enthalten.

 

10.2. Dem gegenüber scheint der Verwaltungsgerichtshof – beginnend mit seinem Erkenntnis vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209, bis zu seiner im vorliegenden Fall maßgeblichen Entscheidung vom 30. September 2015, Ro 2014/10/0081 (m.w.N.) – davon auszugehen, dass das in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG festgelegte Bedarfskriterium der „weiterhin zu versorgenden Personen“ nach dem Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, C-367/12 (ECLI:EU:C:2014:68 – „Sokoll-Seebacher“), lediglich dann und insoweit als unionsrechtswidrig anzusehen ist, als dieses in Sachverhaltskonstellationen heranzuziehen wäre, in denen die Versorgungssituation, d.h. die Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle, für die in bestimmten ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung zu prüfen ist; im Übrigen stehe § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG jedoch nicht im Widerspruch zu Art. 49 AEUV, weshalb diese Bestimmung in Verfahren zur Erteilung einer Neukonzession bzw. in Verfahren, in denen die Erweiterung des Standortes der Betriebsstätte jeweils einer im städtischen Raum gelegenen Apotheke zu beurteilen ist, uneingeschränkt zum Tragen kommt. (Im Besonderen gilt dies sogar dann, wenn jene Mitbeteiligte, hinsichtlich der im Gutachten der Apothekerkammer ausschließlich festgestellt wurde, dass ihr Kundenpotential im Falle der Bewilligung der beantragten Standorterweiterung unter 5.500 Personen sinken wird, selbst gar nicht Partei im Verfahren vor dem VwGH ist.)

 

11. Davon ausgehend hat das LVwG OÖ in der Folge mit Beschluss vom 26. November 2015, LVwG-050039/34/Gf/Mu, das gegenständliche Beschwerdeverfahren gemäß § 17 VwGVG i.V.m. den §§ 38 und 38a AVG bis zum Einlangen der Vorabentscheidung des EuGH in den Verfahren LVwG-050006 und 050013 ausgesetzt.

 

12. Gegen diesen Beschluss hat die Mitbeteiligte Partei eine außerordentliche Revision an den VwGH erhoben.

 

13. Mit Beschluss vom 30. Juni 2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“ – EU:C:2016:510), hat der EuGH für Recht erkannt:

 

Das Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68), ist so zu verstehen, dass das in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung festgelegte Kriterium einer starren Grenze der Zahl der ‚weiterhin zu versorgenden Personen‘ bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, Anwendung finden darf.

 

13.1. Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass zunächst darauf zu verweisen ist, dass es die Bindungswirkung eines im Vorabentscheidungsverfahren ergangenen Urteils nicht ausschließt, dass das nationale Gericht, an das dieses Urteil gerichtet ist, vor der Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits eine erneute Anrufung des Gerichtshofs für erforderlich hält. Eine solche Vorlage ist gerechtfertigt, wenn das nationale Gericht beim Verständnis oder bei der Anwendung des Urteils Schwierigkeiten hat, wenn es dem Gerichtshof eine neue Rechtsfrage stellt oder wenn es ihm neue Gesichtspunkte unterbreitet, die ihn dazu veranlassen könnten, eine bereits gestellte Frage abweichend zu beantworten (Beschluss vom 5. März 1986, Wünsche, 69/85, EU:C:1986:104, RN 15; Urteile vom 11. Juni 1987, X, 14/86, EU:C:1987:275, RN 12, und vom 6. März 2003, Kaba, C-466/00, EU:C:2003:127, RN 39). Dies ist hier insofern der Fall, als das vorlegende Gericht wissen möchte, ob aus dem Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68), hervorgeht, dass von der Anwendung des Kriteriums einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" in jedem Fall abzusehen ist oder nur in Rechtssachen, die bestimmte Gebiete oder besondere Situationen betreffen (RN 19 und 20).

 

13.2. Gemäß Art. 99 seiner Verfahrensordnung kann der Gerichtshof, wenn die Beantwortung der zur Vorabentscheidung vorgelegten Frage keinen Raum für vernünftige Zweifel lässt oder wenn die Antwort auf eine solche Frage klar aus seiner Rechtsprechung abgeleitet werden kann, auf Vorschlag des Berichterstatters und nach Anhörung des Generalanwalts jederzeit die Entscheidung treffen, durch mit Gründen versehenen Beschluss zu entscheiden. Genau dies ist hier der Fall, da die Antwort auf die Vorlagefrage klar aus dem Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68), abgeleitet werden kann (RN 21 und 22).

 

13.3. Nach der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung wird eine Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke nur dann erteilt, wenn ein "Bedarf' besteht. Dieser Bedarf wird vermutet, es sei denn, mindestens

einer der in dieser Regelung genannten konkreten Umstände steht dem entgegen (Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 28).

 

Zu diesen Umständen gehört die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus "weiterhin zu versorgenden Personen", d.h. der ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern um diese Betriebsstätte (Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 43).

 

So ist nach dieser Regelung das Bestehen eines Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke dann ausgeschlossen, wenn die Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen", d.h. der ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern um diese Betriebsstätte, sich infolge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5.500 betragen wird (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 29 und 43). Diese Regelung sieht jedoch eine Anpassungsmaßnahme vor, wonach dann, wenn die Zahl der ständigen Einwohner weniger als 5.500 beträgt, die aufgrund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs von dieser Apotheke in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen sind (Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 43). Es ist sachdienlich, das vorlegende Gericht darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofs eine nationale Regelung nur dann geeignet ist, die Erreichung des angestrebten Ziels zu gewährleisten, wenn sie tatsächlich dem Anliegen gerecht wird, es in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. März 2009, Hartlauer, C-169/07, EU:C:2009:141, RN 55; vom 19. Mai 2009, Apothekerkammer des Saarlandes u.a., C-171/07 und C-172/07, EU:C:2009:316, RN 42; und vom 1. Juni 2010, Blanco Pérez und Chao Gómez, C-570/07 und C-571107, EU:C:2010:300, RN 94). Hierzu hat der Gerichtshof im Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68, RN 45 und 46), zum einen festgestellt, dass nach der im Ausgangsverfahren fraglichen Regelung sich für bestimmte, insbesondere in ländlichen Regionen wohnende Personen, erst recht, wenn sie wie z. B. ältere Menschen, Menschen mit Behinderungen und Kranke zeitweilig oder längerfristig über eine eingeschränkte Mobilität verfügen, der Zugang zu Arzneimitteln als kaum angemessen erweisen kann. Es gibt nämlich Personen, die nicht im Umkreis von vier Straßenkilometern um die Betriebsstätte der nächstgelegenen öffentlichen Apotheke wohnen und daher

weder in deren Versorgungsgebiet noch in einem anderen bestehenden Gebiet als ständige Einwohner berücksichtigt werden. Diese Personen können zwar allenfalls als „Einfluter" berücksichtigt werden. Jedoch hängt ihr Zugang zu Apothekendienstleistungen in jedem Fall von Umständen ab, die ihnen grundsätzlich keinen dauerhaften und kontinuierlichen Zugang gewähren, da dieser an der Beschäftigung in einem bestimmten Gebiet oder einem dort benutzten Verkehrsmittel anknüpft (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 45). Zum anderen hat der Gerichtshof darauf hingewiesen, dass in ländlichen und abgelegenen Gebieten, in die nur wenige einfluten, die Zahl der weiterhin zu versorgenden Personen wegen der niedrigen Bevölkerungsdichte ohne Weiteres unter 5.500 liegen kann, so dass der Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke niemals als zureichend angesehen werden könnte (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 47 bis 49).

 

Daraus folgt, dass bei der Anwendung des Kriteriums der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" trotz der von der nationalen Regelung vorgesehenen Anpassungsmaßnahme die Gefahr besteht, dass für bestimmte Personen, die in Gebieten mit gewissen örtlichen Besonderheiten, wie ländlichen und abgelegenen

Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken, wohnen, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, kein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 50).

 

Durch die Bezugnahme auf ländliche oder abgelegene Regionen sowie auf Menschen mit eingeschränkter Mobilität wollte der Gerichtshof die Tragweite seiner Beurteilung der Kohärenz der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung jedoch keineswegs auf diese Art von Regionen und auf diese Kategorie von Personen begrenzen.

 

Aufgrund der von ihr festgelegten starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" ermöglicht die im Ausgangsverfahren fragliche nationale Regelung es der zuständigen Behörde nämlich nicht, die Besonderheiten jeder einzelnen geprüften Situation gehörig zu berücksichtigen und auf diese Weise die kohärente und systematische Erreichung des mit dieser Regelung angestrebten

Hauptziels zu gewährleisten, das, wie der Gerichtshof in RN 25 seines Urteils vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68), angemerkt hat, darin besteht, eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln zu gewährleisten.

 

Vor diesem Hintergrund ist der Gerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass eine mitgliedstaatliche Regelung wie die im Ausgangsverfahren fragliche, die als essenzielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" festlegt, im Widerspruch zu Art. 49 AEUV, insbesondere zum Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, steht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten, d.h. im Endeffekt Besonderheiten der verschiedenen konkreten Situationen, wobei jede einzelne zu prüfen ist, zu berücksichtigen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher, C-367/12, EU:C:2014:68, RN 51).

 

Daraus folgt, dass die mit der Anwendung des Kriteriums einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" verbundene Inkohärenz systemimmanent ist. Daher können sich die Gefahren, die mit einer derartigen Anwendung einhergehen, auf die Beurteilung jeder einzelnen Situation auswirken (RN 35).

 

Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass das Urteil vom 13. Februar 2014, Sokoll-Seebacher (C-367/12, EU:C:2014:68), so zu verstehen ist, dass das in der im Ausgangsverfahren fraglichen nationalen Regelung festgelegte Kriterium einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, Anwendung finden darf (RN 36).

 

14. Mit Schriftsatz vom 15. Juli 2016 hat die Mitbeteiligte Partei ihre außerordentliche Revision gegen den hg. Aussetzungsbeschluss vom 26. November 2015, LVwG-050039/34/Gf/Mu (s.o., Pkt. I.11.), zurückgezogen; daraufhin hat der VwGH das außerordentliche Revisionsverfahren mit Beschluss vom 9. August 2016, Ra 2016/10/0007, eingestellt und dem LVwG am 30. August 2016 die Bezug habenden Akten übermittelt.

 

 

 

II.

 

Fortgesetztes Verfahren

 

 

1. Gemäß § 63 Abs. 1 VwGG sind die Verwaltungsgerichte dann, wenn der Verwaltungsgerichtshof einer Revision stattgegeben hat, dazu verpflichtet, in der betreffenden Rechtssache – bzw. aus Gründen der Verfahrensökonomie: auch in allen anderen gleich gelagerten Fällen – mit den ihnen zu Gebote stehenden rechtlichen Mitteln unverzüglich den der Rechtsanschauung des VwGH entsprechenden Rechtszustand herzustellen.

 

Wie aus dem oben unter I.9. zitierten Beschluss des EuGH vom 15. Oktober 2015, C-581/14 (ECLI:EU:C:2015:707 – „Naderhirn“), hervorgeht, gilt dies jedoch nicht, wenn diese Rechtsauffassung dem Unionsrecht widerspricht.

 

2. Im vorliegenden Zusammenhang hat der EuGH im oben unter I.13. angeführten Beschluss vom 30. Juni 2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“), im Ergebnis festgestellt, dass die vom VwGH in dessen Erkenntnis vom 30. September 2015, Ro 2014/10/0081, mit dem das Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich vom 28. Mai 2014, LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg, wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben wurde, vertretene Rechtsmeinung dem Unionsrecht widerspricht (vgl. RN 13 i.V.m. RN 36 dieses Beschlusses).

 

Daher kommt die in § 63 Abs. 1 VwGG normierte Bindungswirkung auch in sachlich und rechtlich gleich gelagerten Fällen nicht zum Tragen.

 

3. Vielmehr ist für den gegenständlichen Fall in inhaltlicher Hinsicht zu beachten, dass nach dem Beschluss des EuGH vom 30. Juni 2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“ – EU:C:2016:510), das in § 10 Abs. 2 Z. 3 i.V.m. § 10 Abs. 4 ApG festgelegte Kriterium einer starren Grenze der Zahl der "weiterhin zu versorgenden Personen" – zumal auch die jüngst erfolgte Einfügung eines Abs. 6a in § 10 ApG durch die Novelle des ApG durch BGBl I 30/2016 infolge seines explizit eingeschränkten Abstellens auf „ländliche und abgelegene Regionen“ ebenfalls keine Unionsrechtskonformität dieser Regelung bewirkt (vgl. in diesem Sinne auch H. Eberhard – Ch. Ranacher – M. Weinhandl – K. Wallnöfer, Rechtsprechungsbericht: Landesverwaltungsgerichte, Bundesverwaltungsgericht und Verwaltungsgerichtshof, ZfV 2016, 233) – bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke allgemein in keiner konkreten Situation, die einer Prüfung unterzogen wird, Anwendung finden darf.

 

4. Nachdem gemäß § 46 Abs. 5 ApG über einen Antrag auf Erweiterung des bei Erteilung der Konzession zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke festgesetzten Standortes das für die Konzessionserteilung nach § 10 ApG vorgesehene Verfahren durchzuführen ist, stellt sich die letztere, um ihren unionsrechtswidrigen materiellen Gehalt bereinigte Bestimmung nunmehr – soweit für den gegenständlichen Fall maßgeblich – wie folgt dar:

 

§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

 

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

1. sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen nach § 342 Abs. 1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt.“

 

5. Wie sich aus RN 23 des Beschlusses des EuGH vom 30. Juni 2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“ – EU:C:2016:510), ergibt, ist nach der Konzeption des § 10 ApG das Vorliegen eines Bedarfes als prinzipiell gegeben anzunehmen, es sei denn, dass dieser Vermutung mindestens einer der in dieser Regelung genannten konkreten Umstände entgegensteht (s.a. das Urteil des EuGH vom 13. Februar 2014, C‑367/12 [„Sokoll-Seebacher I“ – EU:C:2014:68], RN 28).

 

Demgemäß ist gleichsam eine „Negativprüfung“ vorzunehmen, d.h., dass nach der bereinigten Rechtslage ein Bedarf als jedenfalls gegeben zu erachten und damit die Anforderung des § 10 Abs. 1 Z. 2 ApG bereits dann als erfüllt anzusehen ist, wenn (nur mehr) weder der Ausschlussgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 ApG noch jener des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG vorliegt.

 

6. Diesbezüglich hat bereits die belangte Behörde im angefochtenen Bescheid vom 8. Oktober 2014, Zl. SanRB01-45-13-2011/Km, festgestellt (vgl. S. 6), dass weder die Entfernung zu den nächstgelegenen öffentlichen Apotheken weniger als 500 Meter beträgt noch sich in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet.

 

Dem sind auch die Beschwerdeführerinnen während des gesamten Verfahrens nicht entgegengetreten.

 

Da sohin – unter der Voraussetzung, dass die Entfernung der Betriebsstätte der geplanten zu den nächstgelegenen bereits bestehenden öffentlichen Apotheken jeweils mindestens 500 Meter beträgt – weder der Ausschlussgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 ApG noch jener des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG vorliegt und somit sowohl die Voraussetzung des § 10 Abs. 1 Z. 1 ApG als auch jene des § 10 Abs. 1 Z. 2 ApG erfüllt ist, kommt der Mitbeteiligten Partei im Ergebnis gemäß § 46 Abs. 5 ApG ein subjektiv-öffentliches Recht auf Erweiterung ihres Standortes zu.

 

7.1. Als nicht tragfähig erweist sich in diesem Zusammenhang hingegen die von der Österreichischen Apothekerkammer in einer unmittelbaren Reaktion auf den Beschluss des EuGH vom 30. Juni 2016, C-634/15 („Sokoll-Seebacher II“ – EU:C:2016:510), in einer Presseaussendung vom 7. Juli 2016 vertretene reduktionistische Rechtsauffassung, dass „die Bedarfsprüfung für Apotheken ..... weiterhin aufrecht“ bleibe, die Behörden „aber nun mehr Flexibilität darin“ hätten, „in bestimmten Fällen Ausnahmen zuzulassen, wenn dies der Versorgung der Bevölkerung dienlich ist.“[2].

 

Denn diese Meinung steht sowohl im eindeutigen Widerspruch zum gegenwärtigen bestehenden Gesetzestext des § 10 ApG, der den Behörden keinerlei Ermessen einräumt, als auch in Opposition zum insoweit völlig klaren Tenor des vorzitierten Beschlusses des EuGH.

 

7.2. Außerdem lässt sich auch nicht einwenden, dass im gegenständlichen Fall das Unionsrecht mangels Auslandsbezug nicht zum Tragen komme:

 

Denn der EuGH hat etwa schon in seinem Urteil vom 19. Juli 2012, C‑470/11 („Garkalns“ – EU:C:2012:505) betont, dass das Unionsrecht auch für rein innerstaatliche Konstellationen, die außerhalb des Anwendungsbereiches der Grundfreiheiten bzw. der EGRC liegen, insbesondere dann maßgeblich ist, wenn das nationale Recht vorschreibt, dass einem inländischen Staatsangehörigen die gleichen Rechte zukommen, die einem Staatsangehörigen eines anderen Mitgliedstaats in der gleichen Lage kraft Unionsrecht zustünden (vgl. RN 20).

 

In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass Art. 7 Abs. 1 erster Satz B-VG einen verfassungsmäßigen Gleichheitsgrundsatz für sämtliche österreichischen Staatsbürger normiert. Daraus leitet der VfGH in ständiger Judikatur ein Inländerdiskriminierungsverbot ab (vgl. z.B. VfGH vom 6. Oktober 2011, G 41/10 [= VfSlg 19529/2011], Pkt. III.2.1., m.w.N.).

 

Um also eine darin bestehende Inländerdiskriminierung, dass ein Ausländer in einer vergleichbaren Situation dadurch bessergestellt wäre, dass für diesen § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG direkt unanwendbar ist, hintanzuhalten, gebietet eine verfassungskonforme Interpretation dieser Bestimmung, sie auch bei Sachverhalten ohne Auslandsbezug unionsrechtskonform auszulegen, d.h., deren unionsrechtswidrigen Inhalt nicht anzuwenden.

 

7.3. Aus allen diesen Überlegungen waren daher die vorliegenden Beschwerden gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe als unbegründet abzuweisen, dass durch den neuen Standort die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der Apotheke der Mitbeteiligten Partei und der Betriebsstätte einer der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheken gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG mindestens 500 Meter betragen muss.

 

8. Daraus, dass das gegenständliche Verfahren insgesamt mehr als 51/2 Jahre gedauert hat, resultierende Rechtsbeeinträchtigungen i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und/oder allfällige materielle Schäden müsste die Mitbeteiligte Partei in einem gesonderten Staatshaftungs- (gemäß Art. 137 B-VG) oder Amtshaftungsverfahren (i.S.d. § 1 Abs. 1 AHG) geltend machen; für beide Verfahrensarten ist jedoch das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich schon in abstracto nicht zuständig.

 

 

 

III.

 

Revision an den Verwaltungsgerichtshof

 

 

Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsge-richtshof unzulässig, weil im Zuge des vorliegenden Verfahrens keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt.

 

Weder weicht nämlich die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen, unter I. und II. ausführlich dargestellten Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union ab noch fehlt es an einer solchen Judikatur; zudem ist diese auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen.

 

Schließlich liegen auch keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfragen vor.

 

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen dieses Erkenntnis kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Eine solche Beschwerde ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

Gegen dieses Erkenntnis kann innerhalb derselben Frist auch eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden, die durch einen bevollmächtigen Rechtsanwalt abzufassen und beim Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich einzubringen ist; die Eingabegebühr von 240 Euro ist hingegen unmittelbar an den Verwaltungsgerichtshof zu entrichten.

 

 

 

 

Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

[1] D.i. zugleich die Mitbeteiligte Partei des gegenständlichen Verfahrens.

[2] Vgl. „EuGH-Entscheid: Zulassung von Apotheken neu interpretiert“, abrufbar unter: www.ots.at/presseaussendung/OTS_20160707_OTS0171/eugh-entscheid-zulassung-von-apotheken-neu-interpretiert-bild.

Beachte:

Die beschwerdeführende Partei ist durch das angefochtene Erkenntnis im verfassungsgesetzlich gewährleisteten Recht auf Gleichheit aller Staatsbürger vor dem Gesetz gemäß Art. 2 StGG und Art. 7 B-VG verletzt worden.

Das Erkenntnis wurde aufgehoben.

VfGH vom 28. September 2017, Zl.: E 2666/2016-16