LVwG-600278/2/Br/HK

Linz, 23.04.2014

IM NAMEN DER REPUBLIK

 

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Dr. Bleier, über die Beschwerde von J K, geb. 1961, X, gegen das Strafausmaß des Straferkenntnisses der Landespolizeidirektion Oberösterreich, vom 20.3.2014,  Zl: S-5.933/14-1 gerichtete,  

 

zu Recht  e r k a n n t:

 

 

 

 

 

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der gegen das Strafausmaß gerichteten  Beschwerde mit der Maßgabe statt gegeben, als unter Anwendung des § 20 VStG die Geldstrafe auf 1.000 Euro und die Ersatzfreiheitsstrafe auf acht Tag ermäßigt wird.

 

II.      Gemäß § 52 Abs. 8VwGVG hat der Beschwerdeführer keine Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten. Gemäß § 64 Abs.1 VStG ermäßigen sich demnach die Erstinstanzlichen Verfahrenskosten auf 100 Euro.

 

 

III. Gegen diese Entscheidung ist gemäß § 25a VwGG eine Revision nach Art. 133 Abs. 4 B-VG zulässig.

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Die Landespolizeidirektion Oberösterreich hat am 20.3.2014  im Anschluss an eine mit dem Beschwerdeführer durchgeführten Strafverhandlungsschrift, wegen einer Übertretung nach § 5 Abs.1 iVm § 99 Abs.1 lit.a StVO 1960, über ihn eine Geldstrafe in Höhe von 1.800 € und im Fall der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 15 Tagen verhängt.

Es wurde ihm zur Last gelegt, er habe am 9.2.2014, um 10:35 Uhr, in Linz, S.straße ggü. Nr. 4, in Fahrtrichtung stadteinwärts, ein Fahrrad in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt, wobei sein Atemluftalkoholgehalt mit 1,41 mg/l festgestellt worden sei.

Die Behörde ist von einem Monatseinkommen des Beschwerdeführers von 900 €, die Sorgepflichten für eine Tochter und von einem Schuldenstand von ca. 12.000 € ausgegangen.

In der Begründung wurde auf die einschlägige Gesetzesbestimmung des § 5 Abs. 1 StVO und den im § 99 Abs.1 lit.a StVO 1960 zwischen 1.600 bis 5.900 € festgelegten Strafsatz verwiesen.

Als straferschwerend wertete die Behörde dabei die Höhe der Alkoholisierung und mildernd die Unbescholtenheit, das Geständnis und dass es sich beim gelenkten Fahrzeug um kein Kraftfahrzeug gehandelt habe.

Am Ende der Strafverhandlung hat der Beschwerdeführer keine Erklärung abgegeben.

 

 

 

II. Mit dem als Einspruch bezeichneten Schreiben vom 1.4.2014 an die belangte Behörde ersucht der Beschwerdeführer den Strafbescheid noch einmal zu prüfen. Da er derzeit lediglich ein Einkommen von 900 € beziehe und Unterhaltskosten sowie Alimente zurückzahlen müsse, ersuche er den Strafbescheid - gemeint offenkundig die mit dem Strafbescheid (Straferkenntnis) ausgesprochene Strafe - nochmals zu überprüfen. Diese Ausführungen können mangels jeglichen Bestreitens des Tatvorwurfes an sich  objektiv beurteilt nur als Beschwerde gegen die Strafe gerichtet interpretiert werden.

Beigelegt wurden der Beschwerde ein Einkommensnachweis, ein Beleg über die Unterhaltszahlung und ein Beleg über die Rückzahlungspflicht von Alimenten.

Diese gegen das Strafausmaß gerichtet zu wertende Beschwerde wurde binnen der offenen Beschwerdefrist und demnach rechtzeitig erhoben.

 

 

 

III. Die Behörde hat den Verfahrensakt unter Anschluss eines Aktenverzeichnisses mit dem Hinweis vorgelegt, nach Plausibilitätsprüfung eine Beschwerdevorentscheidung nicht in Erwägung gezogen zu haben.

Gemäß § 44 Abs.3 Z2 VwGVG konnte die Anberaumung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung unterbleiben. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage hinreichend und erschöpfend.

 

IV. Unbestritten ist hier, dass der Beschwerdeführer am 9.2.2014 um 10:35 Uhr ein Fahrrad in einem durch Alkohol beeinträchtigten Zustand gelenkt hat, wobei seine Alkoholisierung als höchstgradig zu bezeichnen ist. Der 9.2.2014 war ein Sonntag wobei von einem eher unterdurchschnittlichen Verkehrsaufkommen auszugehen ist, sodass objektiv betrachtet, abgesehen von der eigenen Gefährdung eines alkoholisierten Radfahrers, nur eine geringfügige Sicherheitsbeeinträchtigung für andere Verkehrsteilnehmer angenommen werden kann. Objektiv betrachtet, würde sich auch bei einem alkoholisierten Fußgänger eine durchaus vergleichbare Schädigung gesetzlich geschützter Interessen ableiten lassen.

Selbst aus der Anzeige lassen sich keinerlei Hinweise erkennen, inwiefern der Beschwerdeführer mit seinem Fahrverhalten etwa andere Verkehrsteilnehmer konkret nachteilig beeinträchtigt hätte.

Der Beschwerdeführer hat durchaus glaubwürdig belegt, dass er nur über ein sehr geringes Einkommen verfügt und darüber hinaus Rückzahlung zu tätigen hat. Von der Behörde wurde jedoch mit dem Hinweis auf das Ausmaß der Alkoholisierung als straferschwerendes Faktum im Grunde eine unzulässige Doppelverwertung zum Nachteil des Beschwerdeführers vorgenommen, weil bereits der Strafsatz des § 99 Abs.1 lit.a StVO eine entsprechende straferschwerende Bewertung in sich birgt. Damit wurde eine 200 € über dem gesetzlichen Mindeststrafausmaß liegende Bestrafung ausgesprochen.

Hier ist aber – entgegen der Auffassung der Behörde - sehr wohl von einem deutlichen Überwiegen der Strafmilderungsgründe bei keinem straferschwerenden Umstand auszugehen gewesen, sodass unter Berücksichtigung des bloßen Lenkens eines Fahrrades sich der Unwertgehalt und demnach der Strafanspruch doch deutlich von dem eines Kraftfahrzeuglenkers in einem derartigen Zustand unterscheidet.

 

IV.1. Zur Strafzumessung hat das Landesverwaltungsgericht erwogen:

Bei der Strafzumessung ist gemäß § 19 VStG Grundlage für die Bemessung der Strafe stets das Ausmaß der mit der Tat verbundenen Schädigung oder Gefährdung derjenigen Interessen, deren Schutz die Strafdrohung dient, sowie der Umstand, inwieweit die Tat sonst nachteilige Folgen nach sich gezogen hat. Überdies sind die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der § 32 bis § 35 Strafgesetzbuch - StGB sinngemäß anzuwenden.

Wie bereits der Unabhängige Verwaltungssenat in zahlreichen Entscheidungen immer wieder hervorgehoben hat, ist im Fall des beträchtlichen Überwiegens der Milderungsgründe kann nach   § 20 VStG die Mindeststrafe bis zur Hälfte unterschritten werden. Bei der Beurteilung der Frage des "beträchtlichen Überwiegens der Milderungsgründe" kommt es nicht auf die Zahl, sondern auf das Gewicht der Milderungsgründe an (VwGH 15.12.1989, 89/01/0100). Die Alkofahrt am Fahrrad, insbesondere an einem verkehrsarmen Sonntagvormittag kann in keiner wie immer gearteten Weise mit der Unwerthaftigkeit, wie sie etwa vom Lenker eines Kraftfahrzeuges oder gar Schwerfahrzeuges ausgeht, verglichen werden (vgl. etwa UVS-Erk. v. 10.11.2008, VwSen-163624/2/Br/RSt, oder jüngst – die belangte Behörde betreffend -  VwSen-167686 v. 8.4.2013).

Diese umfassend mit Blick auf das Sachlichkeitsgebot begründete Entscheidungspraxis wird offenbar von der Behörde nicht zur Kenntnis genommen.

Diese Umstände sind jedoch insbesondere auch mit Blick auf § 34 Abs.1 Z12 StGB, dessen Beurteilungskriterien durch § 19 VStG auch im Verwaltungsstrafverfahren gelten, als besonders überwiegende Milderungsgründe zu qualifizieren und wären daher zu berücksichtigen.

Dies darf unter Bedachtnahme auf das Sachlichkeitsgebot (Ungleiches in der Strafsanktion nicht gleich zu behandeln)  nicht unberücksichtigt bleiben (vgl. dazu die Oö. UVS-Erk. v. 08.02.2005, VwSen-160237/5/Br/Wü, sowie v. 9.2.1998, VwSen-105157/5/BR). Die h. Judikatur ist seit jeher bestrebt unsachliche Ergebnisse in entsprechender Wertung ungleicher Ausgangslagen zu vermeiden (so auch bereits UVS v. 19.06.1995, VwSen-102913/2/Gu/Atz).

            

 

 

IV.2. Auch wenn der Gesetzgeber ex lege keine diesbezügliche gesonderte Differenzierung vorsieht, hat eine entsprechende Berücksichtigung durch eine am Sachlichkeitsgebot zu orientierenden Gesetzesvollziehung Platz zu greifen, indem die Strafzumessungsregeln nicht nur pauschal, sondern lebensnahe und dem Gerechtigkeitsgebot entsprechend anzuwenden sind.

Die Bestimmung des § 20 VStG gelangte etwa nach Aufhebung des § 100 Abs.5 StVO 1960  durch den Verfassungsgerichtshof (VfGH 9.10.1997, G 216/96) auch für sogenannte Alkoverfahren wieder zur Anwendung. Wenn in diesem Punkt der Gesetzgeber korrigiert wurde, kann es wohl nicht richtig sein, wenn die Vollzugspraxis die durch das Höchstgericht korrigierte Rechtslage wieder als totes Recht praktiziert.

Bei Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen besteht  ein Rechtsanspruch auf die Anwendung des § 20 VStG (vgl. etwa VwGH vom 31. 1.1990, 89/03/0027, VwGH 21.5.1992, 92/09/0015 und VwGH 2.9.1992, 92/02/0150). Dies hat angesichts der hohen Mindeststrafen ganz besonders bei alkoholisierten Radfahrern mit deren deutlich reduzierten Gefährdungspotenz zu gelten, wobei nicht zuletzt die um die Hälfte reduzierte (hohe) gesetzlich Mindeststrafe für den Bezieher eines überdurchschnittlich geringen Einkommens immer noch überaus hart begriffen werden kann. 

Bereits mehrfach wurde ebenfalls schon vom Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oö.  ausgesprochen, dass der Schutzzweck dem die Strafdrohung dient und das Ausmaß der mit einer Tat verbundenen Schädigung gesetzlich geschützter Interessen (§ 19 VStG), bei rechtsrichtiger Auslegung, auf die Umstände des konkreten Falls inhaltlich einzugehen hat und nicht bloß formelhaft zur Anwendung gelangen darf. Widrigenfalls käme es unvermeidlich zur Ungleichbehandlung, wenn mit einer schablonenhaften Anwendung einer Bestimmung Ungleiches in den Sanktionsfolgen gleich zu behandeln (unter vielen oö.UVS-Erk. v. 21.2.1997, VwSen-104374 und zuletzt UVS v. 8. April 2013, VwSen-167686).

Jüngst hat etwa der Verfassungsgerichtshofes in dessen Erkenntnis vom 9.3.2011, G53/10 u.a., eine Gleichheitswidrigkeit betreffend Bestimmungen über Mindeststrafen (im Fremdenpolizeigesetz) erblickt, weil mangels hinreichender Differenzierung zwischen Verstößen unterschiedlicher Gravität, das Gesetz keine Berücksichtigung von Unterschieden ermöglichte (Hinweis auf VfSlg 19083).

Angesichts der hier vorliegenden Tatumstände galt es daher auch in diesem Fall den Unwert des Deliktes  zu differenzieren um im Sinne der Sachlichkeit und Gerechtigkeit entsprechend zu werten und mit dem außerordentlichen Strafmilderungsrecht zu einer angemesseneren Geldstrafe zu gelangen.

Der hier mit nahe an drei Promille exorbitant hohe Alkoholisierungsgrad, lässt jedoch die volle Ausschöpfung der unter Anwendung des § 20 VStG geltenden Mindeststrafe trotz der bescheidenen Einkommensverhältnissen des Beschwerdeführer nicht zu.

 

 

V. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Frage der undifferenzierten Strafpraxis eines alkoholisierten Radfahrers im Verhältnis zu dem eine ungleich höhere abstrakte Gefahr indizierenden Lenker eines Kraftfahrzeuges, insbesondere eines etwa über 40 Tonnen schweren Lastkraftwagens, vor dem Hintergrund zu der dazu ergangenen UVS-Spruchpraxis, vom Verwaltungsgerichtshof dazu bislang keine Aussage getroffen wurde.

Wie oben ausgeführt, sah sich in vielen Entscheidungen auch der Unabhängige Verwaltungssenat mit Blick auf das Sachlichkeitsgebot zur Anwendung des § 20 VStG immer wieder veranlasst um dadurch die hohe Mindeststrafe in ein angemessenes Verhältnis zum Tatunwert zu bringen.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

Dr. B l e i e r