LVwG-600202/8/Sch/KR

Linz, 14.07.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Schön über die Beschwerde des Herrn X, geb. X, X, vertreten durch Rechtsanwalt
Dr. X, X vom 25. Februar 2014, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land vom 6. Februar 2014, VerkR96-8191-2013, wegen einer Übertretung der StVO 1960, nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 8. Juli 2014

 

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

 

I.          Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis behoben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 45 Abs.1 Z1 VStG eingestellt.

 

II.         Gemäß § 52 Abs.9 VwGVG entfällt die Verpflichtung zur Leistung jeglicher Verfahrenskostenbeiträge.

 

III.        Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revison an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs.4 B-VG unzulässig. 

 

 

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Zu I.:

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land hat Herrn X im angefochtenen Straferkenntnis vom 6. Februar 2014, VerkR96-8191-2013, die Begehung einer Verwaltungsübertretung nach § 19 Abs.7 iVm § 19 Abs.4
StVO 1960 vorgeworfen und über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 90 Euro, im Falle der Uneinbringlichkeit der Geldstrafe eine Ersatzfreiheitsstrafe im Ausmaß von 36 Stunden, verhängt. Weiters wurde er von der belangten Behörde zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in der Höhe von 10 Euro verpflichtet.

 

Dem Schuldspruch liegt folgender Tatvorwurf zu Grunde (auszugsweise Wiedergabe):

 

Sie haben als wartepflichtiger Lenker des angeführten Fahrzeuges durch Einbiegen auf der Kreuzung vor der sich das Vorschriftszeichen HALT befindet einem im Vorrang befindlichen Fahrzeug den Vorrang nicht gegeben und dieses dadurch zu unvermitteltem Bremsen genötigt und ist es dadurch zu einer Gefährdung der Verkehrssicherheit gekommen.

Tatort: Gemeinde Pichl bei Wels, Landesstraße, Ortsgebiet, L519, bei km 8.500, Ri. Wels Kreuzung Abfahrtsrampe von B 134 zu L 519; Tatzeit: 22.08.2013, 16:10 Uhr. Sie haben dadurch folgende Rechtsvorschrift(en) verletzt: § 19 Abs. 7 i.V.m. § 19 Abs. 4 StVO Fahrzeug: Kennzeichen
X , PKW, Opel X , weiß“

 

Begründend stützte die Behörde den Schuldspruch im Wesentlichen auf die erstattete polizeiliche Anzeige der Polizeiinspektion Krenglbach vom
25. August 2013 und die zeugenschaftliche Befragung der eingeschrittenen Beamten vom 9. Dezember 2013. 

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis, das dem Beschwerdeführer nachweislich am
11. Februar 2014 zugestellt wurde, richtet sich seine rechtzeitig durch seinen ausgewiesenen Vertreter eingebrachte Beschwerde vom 25. Februar 2014. Diese wurde von der belangten Behörde samt Verfahrensakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Schreiben vom 5. März 2014 vorgelegt.

Die Entscheidung hat gemäß § 2 VwGVG durch einen Einzelrichter des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zu erfolgen.

 

3. Am 8. Juli 2014 fand in der Angelegenheit eine mit einem Lokalaugenschein verbundene öffentliche mündliche Verhandlung statt. Hieran teilgenommen haben der Beschwerdeführer samt Rechtsvertreter, der Meldungsleger und ein weiterer Zeuge, sowie ein verkehrstechnischer Amtssachverständiger. Die belangte Behörde hat sich im Vorfeld für die Nichtteilnahme an der Verhandlung entschuldigt.

Bei dieser Verhandlung hat der Meldungsleger zeugenschaftlich befragt den Vorgang aus seiner Sicht geschildert. Dabei beschrieb er auch jene Stelle, an der sich das Polizeifahrzeug gerade befand, als der Beschwerdeführer auf der Rampe von der B134 kommend unter Missachtung des vor der Kreuzung mit der L519 angebrachten Vorschriftszeichens „Halt“ nach links in die L519 einbog. Der Lenker des Polizeifahrzeuges – der Meldungsleger war Beifahrer gewesen – war dadurch gezwungen, eine, wie es der Zeuge ausdrückte, starke Bremsung durchzuführen. Dabei sei das Fahrzeug allerdings nicht zum Stillstand gekommen. Vor dem erwähnten Bremsmanöver hielten die Polizeibeamten eine Fahrgeschwindigkeit von etwa 60 km/h ein.

Ausgehend von der Stelle, an der sich das Polizeifahrzeug bei dem Einbiegemanöver des Beschwerdeführers befand, hat der verkehrstechnische Amtssachverständige eine Vermessung der Distanz zur Kreuzung vorgenommen. Hiebei kam er auf eine Entfernung von 60 bis 65 m.

Im Hinblick auf den Umstand, dass in der „Tatortübersicht“ anhand eines DORIS-Fotos handschriftlich eine Entfernung von 34 m (höchstens 40 m) eingetragen ist, welche im Akt einliegt, hat der Zeuge angegeben, dass diese Skizze von seinem Kollegen verfasst worden sei. Die Entfernung zum einbiegenden Fahrzeug sei jedenfalls nicht größer gewesen, als er sie bei der Verhandlung – im Ergebnis eben 60 bis 65 m – geschildert hatte. Die vom Beschwerdeführer im Verfahren eingewendete wesentlich größere Entfernung, nach den Verhältnissen vor Ort etwa 120 m, hat der Zeuge ausgeschlossen.

 

4. Vom verkehrstechnischen Amtssachverständigen wurde dazu aus fachlicher Sicht folgendes ausgeführt:

Geht man von der vom Zeugen heute geschilderten Fahrgeschwindigkeit von etwa 60 km/h aus, dann braucht der Fahrzeuglenker bis zu der Stelle, wo Herr X  eingebogen ist, etwa 3,5 bis 4 Sekunden. Geht man von einer Fahrgeschwindigkeit des Herrn X  von etwa bis 25 km/h aus, braucht er etwa 2 bis 3 Sekunden Räumzeit. Wenn der Beschwerdeführer etwas schneller unterwegs war, könnte auch eine Räumzeit von bloß 2 Sekunden ausreichend gewesen sein.

Vom Lenker des Polizeiautos ist auch noch eine Reaktionszeit von 1 Sekunde zu berücksichtigen, dann würde der einbiegende Lenker mit dem Heck seines Fahrzeuges noch geringfügig in den Fahrstreifen der Polizeibeamten hineingeragt haben.

Wenn man den Polizeibeamten eine Reaktionszeit von 1 Sekunde zubilligt, käme eine Bremsung mit einem Verzögerungswert von rund 3 m/sek2 zustande. Dies ist eine verkehrsübliche Betriebsbremsung, die im Lauf einer Fahrt unzählige Male auftritt. Diese beinhaltet auch kein Gefährdungspotential. Hier ist ein Abstand des Polizeifahrzeuges zur Einbiegestelle von 60 m, wie vom Zeugen heute geschildert, zu Grunde gelegt.

Geht man von der Variante aus, dass der Lenker des Polizeifahrzeuges bloß vom Gas gegangen wäre, bei einer Entfernung von 60 bis 65 Meter vor der Kreuzung, dann ergibt sich folgendes:

Es ist zu berücksichtigen, dass ihm die Reaktionszeit zuzubilligen ist, es verbleibt dann eine Entfernung von etwa 48 m. In diesem Fall braucht das Polizeifahrzeug bis zur Kreuzung ungefähr 4 Sekunden, die Räumzeit beträgt dann
2 Sekunden. 

Wie schon gesagt, muss das Bremsmanöver der Beamten, das notwendig war, als verkehrsübliche Betriebsbremsung bezeichnet werden. Dies hat nichts mit einer starken Abbremsung oder gar mit einer Notbremsung zu tun.

Würde sich die Entfernung auf die ursprüngliche im Akt enthaltenen bloß 40 m reduzieren, dann wäre aber eine noch wesentlich stärkere Bremsung notwendig gewesen. Der Polizeibeamte hat bei der heutigen Verhandlung auch bloß angegeben, es sei eine starke Bremsung durchgeführt worden, eine Notbremsung war es jedenfalls nicht. Bei einem Bremsverzögerungswert von etwa 2 bis 3 m/sek2 spricht man von einer verkehrsüblichen Betriebsbremsung, bei einem Wert von 4 m/sek2 aufwärts bis etwa 7,5 m/sek2 spricht man von einer starken Bremsung, bei einer noch größeren Verzögerung dann von einer Notbremsung.

Es kann also von einem unvermittelten Abbremsen des Polizeifahrzeuges nach dem Ergebnis der heutigen Verhandlung nicht gesprochen werden.“

 

5. Auf Grund der schon erwähnten Aussage des Meldungslegers bei der Verhandlung im Hinblick auf die Entfernung zum einbiegenden Fahrzeug war diese der fachlich-technischen und rechtlichen Beurteilung des Vorgangs zu Grunde zu legen, zumal die noch im erstbehördlichen Verwaltungsstrafakt aufscheinende kürzere Entfernung durch kein Beweismittel bei der Verhandlung gestützt werden konnte (vgl. dazu auch § 48 VwGVG).

An der Schlüssigkeit der aufbauenden Aussage des Amtssachverständigen ist nicht im Geringsten zu zweifeln. Sie war daher bei der Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich maßgeblich zu berücksichtigen.

 

6. § 19 Abs.7 StVO 1960 definiert die sogenannte „Vorrangverletzung“ in der Weise, dass der, der keinen Vorrang hat (der Wartepflichtige), durch Kreuzen, Einbiegen oder Einordnen die Lenker von Fahrzeugen mit Vorrang (die Vorrangberechtigten) weder zum unvermittelten Bremsen noch zum Ablenken ihrer Fahrzeuge nötigen darf.

Entscheidend ist daher, ob – anhand des Beweisverfahrens objektivierbar – eine Nötigung zum unvermittelten Bremsen – die Frage eines allfälligen Ablenkens stellte sich hier von Vornherein nicht – vorlag. Wesentlich ist, dass das Bremsmanöver nach der Beweislage auf Grund der geringen Entfernung der Fahrzeuge voneinander nötig war, um einen Unfall zu verhindern
(VwGH 22.10.1982, 80/02/2243). Diese Notwendigkeit des „starken“ Bremsmanövers ist im Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nicht mit hinreichender Gewissheit hervorgekommen. Fraglich blieb also, ob die erforderlich gewesene Bremsung tatsächlich als nicht mehr geringfügig einzustufen war, was nach der höchstgerichtlichen Judikatur dezidiert für einen Bremsverzögerungswert von etwa 2 m/sek² jedenfalls feststeht.

7. Anlässlich der Berufungsverhandlung hat der Beschwerdeführer angegeben, zum Zeitpunkt des Einbiegens ein Fahrzeug von links kommend wahrgenommen zu haben, das sich allerdings noch in einer größeren Entfernung befand und er einen Biegevorgang nach seiner Einschätzung her gefahrlos hatte durchführen können. Das Nichtanhalten beim Verkehrszeichen „Halt“ wird im Übrigen von ihm nicht in Abrede gestellt.

Seine Entfernungsangabe wurde vom damaligen Beifahrer, der bei der Verhandlung auch zeugenschaftlich befragt worden war, im Wesentlichen bestätigt.

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verkennt keinesfalls, dass, wie zahlreiche entsprechende Verfahren immer wieder belegen, im Regelfall den Angaben eines Polizeibeamten über verkehrsrelevante Vorgänge der Vorzug zu geben ist gegenüber dem bestreitenden Vorbringen eines Beschuldigten bzw. den Angaben eines Zeugen, dem etwa auf Grund eines Naheverhältnisses zum Beschuldigten nicht jene Objektivität zukommen muss, wie eben einem Beamten.

Auf der anderen Seite haben weder der Beschwerdeführer noch der Zeuge bei der Verhandlung völlig unglaubwürdig gewirkt. Es kann also durchaus auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Einschätzung des Beschwerdeführers, der Einbiegevorgang würde sich auf Grund der Entfernung des Fahrzeuges noch ohne weiteres ausgehen, nicht völlig aus der Luft gegriffen ist. Wenngleich seine Entfernungsschätzung von immerhin 120 m wohl sehr großzügig ausgefallen ist, ist mit seiner durchgängig, auch schon im erstbehördlichen Verwaltungsstrafverfahren getätigten diesbezüglichen Aussage zumindest die nicht auszuschließende Möglichkeit eröffnet, dass die Erforderlichkeit eines starken Bremsmanövers des Polizeifahrzeuges doch nicht unumstößlich angenommen werden darf.

In der Zusammenschau dieser Erhebungsergebnisse und Erwägungen ist das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu der Ansicht gelangt, dass gegenständlich der Nachweis der dem Beschwerdeführer zur Last gelegten Übertretung nicht mit jener Gewissheit zu Tage getreten ist, die ein verurteilendes Erkenntnis zulässt. Sohin war der Beschwerde unter der Anwendung des Grundsatzes „in dubio pro reo“ Folge zu geben und das Verwaltungsstrafverfahren zur Einstellung zu bringen.

 

Inwieweit die Ahndung des vom Beschwerdeführer eingestanden Verstoßes gegen § 9 Abs.4 StVO 1960 möglich ist, muss von der belangten Behörde beurteilt werden. Dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich ist eine solche Vorgangsweise verwehrt, da dies einer Auswechslung der Tat gleich käme.

 


 

Zu II.:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des
Art. 133 Abs.4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes am, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von jeweils 240 Euro zu entrichten.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich


 

S c h ö n