LVwG-850127/2/Bm/IH

Linz, 23.07.2014

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin
Maga. Michaela Bismaier über die Beschwerde der X Ges.m.b.H., vertreten durch X Rechtsanwälte GmbH, X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 10. April 2014, Ge20-1417-18-2013-Sir/Mt, den

B E S C H L U S S

gefasst:

 

 

 

I.            Der Beschwerde wird Folge gegeben und der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 10. April 2014,
Ge20-1417-18-2013-Sir/Mt, behoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG an die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land zurückver­wiesen.

 

 

II.         Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25 a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133
Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

Zu I.

1.   Mit Eingabe vom 02. April 2010 hat die X Ges.m.b.H., X, um gewerbebehördliche Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines LKW-, PKW- und Zugmaschinenabstellplatzes im Standort X, X, Gst.Nr. X, KG X, angesucht.

 

Nach Änderung des Projektes unter anderem durch Einschränkungen der Betriebszeit und Durchführung eines Ermittlungsverfahrens wurde mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 10. April 2014,
Ge20-1417-18-2013-Sir/Mt, das Ansuchen der X Ges.m.b.H. (in der Folge: X) um gewerbebehördliche Genehmigung für das oben beschriebene Vorhaben abgewiesen.

Begründend wurde im angefochtenen Bescheid im Wesentlichen ausgeführt, dass im vorliegenden Fall keine Durchschnittsbetrachtung heranzuziehen sei, sondern der für die Nachbarn ungünstigste Fall. Der ungünstigste Fall bedeute in der Tageszeit das Fehlen von Fluglärm, gleichzeitig aber Fahrbewegungen durch LKW am gegenständlichen Betriebsareal. Nach den schlüssigen und logischen Gutachten der medizinischen Amtssachverständigen komme es zu keiner Gesundheitsgefährdung der Nachbarn, dies gelte auch für die Abendzeit. Wie die Amtssachverständigen richtig ausführten, sei die Beurteilung der Zumutbarkeit der Anhebung der  Ist-Lärm-Situation eine solche, die die Behörde treffen müsse. Während des Tages sei die im ungünstigsten Fall auftretende Erhöhung der Lärmsituation um 2 dB nicht unbedingt das Problem. Diese Höhe der Anhebung könne als zumutbar angesehen werden, zumal es sich beim gegenständlichen Grundstück um ein solches handle, dass in der Flächenwidmung „Betriebsbaugebiet“ liege. Zu betrachten sei allerdings die Abendzeit. Bei dieser komme es selbst bei Fluglärm zu Veränderungen von bis zu plus 2 dB, ohne Fluglärm mindestens um 2 dB, im ungünstigsten Fall aber um bis zu plus 5 dB. Die Abendzeit diene auch Erholungszwecken; Anhebungen um bis zu 5 dB seien nach Ansicht der Behörde nicht mehr dazu geeignet, um von einer zumutbaren Beeinträchtigung zu reden. Gerade in der Abendzeit, die auch schon der Erholungsphase diene bzw. dienen solle, seien derartige Veränderungen nicht mehr in einem Bereich, den man als zumutbar werten könne. Weiters sei zu bedenken, dass die Belastung in der Abendzeit an jedem Abend der Woche, also auch an Freitagen, Samstagen und Sonntagen auftreten könne. Zusätzlich zur Anhebung der Ist-Lärm-Situation bezogen auf den Dauerschallpegel seien auch die Lärmspitzen zu berücksichtigen. Die prognostizierten Pegelspitzen durch die Betriebsanlage seien während der Tages- und Abendzeit identisch und mit LA, SP=74 bis 75 dB ermittelt worden. Die mittleren Spitzenpegel würden 49 bis 80 dB betragen. Auszugehen sei nach dem Projekt, dass in der ungünstigsten Stunde 12 Fahrbewegungen zur Tageszeit zu erwarten seien. Das bedeute 12 zusätzliche Pegelspitzen pro Stunde zur Tageszeit und in den Abendstunden von 10 Fahrbewegungen für 3 Stunden. Diese zusätzlichen Lärmspitzen seien jedenfalls in der Zeit von 19 Uhr bis 22 Uhr nicht zumutbar für die Nachbarn.

 

Da somit nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 nicht auf ein zumutbares Maß beschränkt werden könnten, sei der Antrag auf gewerbebehördliche Genehmigung eines LKW- und PKW- Abstellplatzes abzuweisen.

 

2.   Gegen diesen Bescheid hat die X durch ihre anwaltliche Vertretung innerhalb

offener Frist Beschwerde eingebracht und darin im Wesentlichen ausgeführt, durch den angefochtenen Bescheid erachte sich die Beschwerdeführerin in ihrem subjektiv-öffentlichen Recht auf Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung nach §§ 74, 77 GewO 1994 verletzt.

Die belangte Behörde verkenne die maßgebliche Sach- und Rechtslage, wenn sie vermeine, dass sie die Frage der Zumutbarkeit iSd. § 74 Abs. 2 Z 2
GewO 1994 ohne Beiziehung eines ASV für Medizin selbstständig beantworten könne. Es sei zwar richtig, dass es sich bei der Beurteilung eines Sachverhaltes dahingehend, ob eine Gefährdung der Gesundheit der Nachbarn vorliege bzw. ob Einwirkungen auf die Nachbarn noch zumutbar seien, um die Lösung einer Rechtsfrage handle. Ungeachtet dessen, sei die Feststellung, ob die sachverhaltsbezogenen Voraussetzungen für die Genehmigung einer Betriebsanlage iSd. § 77 GewO 1994 vorliegen, sohin auch die Frage der Zumutbarkeit, Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und des Gesundheitswesens. Im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeit von Belästigungen der Nachbarn habe die Behörde die Grenze der zumutbaren Belastung in Form des Beurteilungsmaßes festzulegen. Die Beurteilung dieses Beurteilungsmaßes habe allerdings unter Heranziehung geeigneter SV-Gutachten, insbesondere eines ärztlichen Sachverständigen, zu erfolgen. Dabei habe der medizinische Sachverständige basierend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen die Aufgabe darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus auszuüben vermögen. Aufgrund der Sachverständigengutachten habe sich sodann die Behörde im Rechtsbereich ihr Urteil zu bilden. Nachdem die Frage, ob Belästigungen der Nachbarn auf ein zumutbares Maß beschränkt werden können bzw. ob unzumutbare Belästigungen vorliegen, ohne besondere Fachkenntnisse und Erfahrungen nicht beantwortet werden könnten, sei die selbstständige Beurteilung solcher Fachfragen der Behörde verwehrt. Das Vorgehen der belangten Behörde sei umso weniger nachvollziehbar, als von der X zum Zwecke der Ermittlung des maßgeblichen Sachverhaltes ausdrücklich eine ergänzende Stellungnahme des ASV für Medizin zur Frage der Zumutbarkeit iSd. § 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 erfolglos beantragt worden sei. Damit habe die belangte Behörde den bekämpften Bescheid nicht nur mit inhaltlicher Rechtswidrigkeit belastet, sondern auch mit einem wesentlichen Verfahrensfehler, da die Behörde bei der gebotenen Beiziehung eines ASV für Medizin zu einem anderslautenden für die X günstigeren Bescheid hätte gelangen können.

Die belangte Behörde habe im bekämpften Bescheid nicht nur Fachfragen in unzulässiger Weise selbst beurteilt, sondern seien von dieser auch daran anknüpfende Rechtsfragen, ob zu erwarten sei, dass Belästigungen der Nachbarn auf ein zumutbares Maß beschränkt würden, widersprüchlich beantwortet worden. Demnach könne zwar nach der zutreffenden Ansicht der Behörde die Erhöhung der Ist-Lärm-Situation um 2 dB zur Tageszeit als zumutbar angesehen werden, im Widerspruch dazu gelange die Behörde an anderer Stelle aber zu dem Schluss, dass im Rahmen der Beurteilung der Zumutbarkeitsschwelle die Anhebung der Ist- Lärm Situation um bis zu 2 dB zur Tageszeit sich erschwerend auswirken würde. Die Begründung der Behörde sei daher in sich widersprüchlich und unschlüssig. Auch eine unschlüssige Beweiswürdigung führe zu einer Aufhebung des Bescheides wegen eines wesentlichen Verfahrensfehlers. Obwohl § 45 Abs. 1 AVG den Grundsatz der freien Beweiswürdigung normiere, sei dennoch bei  Würdigung der Beweise darauf zu achten, ob die vorgenommenen Erwägungen schlüssig seien.  Schlüssig seien solche Erwägungen nur dann, wenn sie unter anderem den Gesetzen, somit auch dem allgemeinen menschlichen Erfahrungsgut, entsprechen würden. Im vorliegenden Fall sei die Beweiswürdigung deshalb unschlüssig, da eine geringfügige und somit von der Behörde selbst als zumutbar beurteilte Erhöhung der Ist-Lärm-Situation in einem Betriebsbaugebiet nicht zugleich als unzumutbare nachteilige Einwirkung iSd.
§ 74 Abs. 2 Z 2 GewO 1994 qualifiziert werden könne. Dabei handle es sich um einen wesentlichen Verfahrensfehler, da die Behörde zu einem anders lautenden und für die X günstigeren Bescheid hätte gelangen können.

Unbeschadet obiger Ausführungen verkenne die belangte Behörde die maßgebliche Sach- und Rechtslage auch insoweit, als sie bei ihren Feststellungen bzw. bei der rechtlichen Beurteilung die vom unmittelbar angrenzenden Flughafen X maßgeblich geprägte Ist-Lärm-Situation außer Acht lasse. Aufgrund der amtsbekannten Tatsache von mehr als 50.000 Flugbewegungen pro Jahr könne entgegen der Ansicht der belangten Behörde nicht mehr von einer stark schwankenden akustischen Umgebungssituation gesprochen werden, sondern hätte die belangte Behörde den Fluglärm bei der schalltechnischen Betrachtung des Basispegels einbeziehen müssen. Indem die belangte Behörde dies unterlassen habe bzw. sich über den diesbezüglichen relevanten Einwand der Bf ohne nähere Begründung stillschweigend hinweggesetzt habe, belaste sie den bekämpften Bescheid auch aus diesem Grund mit Rechtswidrigkeit. Da nach den Ausführungen des ASV für Gewerbetechnik hinsichtlich des Basispegels bei der gebotenen Berücksichtigung des Fluglärms tagsüber keine Erhöhung und zur Abendzeit nur eine geringfügige Anhebung von max. 2 dB zu erwarten sei, hätte die belangte Behörde im Ergebnis den Antrag genehmigen müssen, weshalb die Wesentlichkeit dieses Fehlers evident sei. Die belangte Behörde habe daher den angefochtenen Bescheid somit nicht nur mangelhaft begründet, sondern zugleich das Recht der X Parteiengehör verletzt.

Des Weiteren habe sich die Behörde unzureichend mit den von ihr selbst als schlüssig und nachvollziehbar beurteilten Gutachten der ASV für Gewerbetechnik und Medizin auseinandergesetzt. Zwar sei die Behörde zunächst zutreffend zum Schluss gelangt, dass - mit Ausnahme der Betriebswohnung am Nachbargrundstück - eine Anhebung der Ist-Lärm-Situation in der Umgebung der antragsgegenständlichen Betriebsliegenschaft sowohl zur Tages- als zur Nachtzeit ausgeschlossen werden könne und daher sämtliche Einwendungen dieser Nachbarn als unbegründet abzuweisen seien. Auch in Bezug auf die Betriebswohnung am Nachbargrundstück hätte die belangte Behörde aufgrund der vorliegenden Gutachten der ASV im Ergebnis von der Genehmigungsfähigkeit des gegenständlichen Projektes ausgehen müssen. Tatsächlich habe die belangte Behörde aber die relevanten Ausführungen der ASV im Rahmen der Beurteilung der Auswirkungen auf die unmittelbar an die Betriebsliegenschaft angrenzende Betriebswohnung außer Acht gelassen. Zunächst habe die Erstbehörde im bekämpften Bescheid weder die Feststellungen des ASV für Gewerbetechnik hinreichend berücksichtigt, wonach bei allen schalltechnischen Bestandserhebungen der Fluglärm in Folge seines wesentlichen Einflusses auf den Dauerschall- und Spitzenpegel entsprechend beachtet werden müsse und die prognostizierten Spitzenpegel des Projektes sich selbst ohne Fluglärm deutlich unter den vorherrschenden Pegelspitzen bewegen würden. In gleicher Weise habe die Behörde auch die Aussagen des ASV für Medizin ignoriert, wonach der Grundgeräuschpegel mit dem Beurteilungspegel in Relation zu setzen sei und nur eine Überschreitung um 10 dB als unzulässig gewertet werden könne. Trotz bzw. entgegen dieser eindeutigen Aussagen habe die Behörde die mit der Verwirklichung des Projektes verbundene, bloß geringfügige Anhebung der Ist-Lärm-Situation im Ergebnis als unzumutbar beurteilt. Diese rechtliche Beurteilung durch die belangte Behörde sei von den vorliegenden Gutachten nicht gedeckt bzw. fehle eine diesbezügliche Begründung durch die Behörde. Bei richtiger Beurteilung hätte die belangte Behörde bei Berücksichtigung der gutachtlichen Stellungnahmen der ASV zu einem anderslautenden und für die Bf günstigeren Bescheid gelangen müssen.

Im Rahmen der gebotenen Gesamtbetrachtung sei von der belangten Behörde mit dem offenkundigen Ziel, das beantragte Vorhaben zu verhindern, das Ermittlungsverfahren einseitig geführt worden. Dies zeige sich einerseits darin, dass die Anträge/Stellungnahmen und Projektänderungen der Antragstellerin letztendlich nicht bzw. in nur unzureichender Weise berücksichtigt worden seien, andererseits in der überlangen Verfahrensdauer von mehr als vier Jahren in erster Instanz, die nur zum Teil auf die Projektänderungen der Antragstellerin zurückzuführen seien.

Hätte die Behörde entsprechend dem Grundsatz der Erforschung der materiellen Wahrheit entsprechend gehandelt, so wäre sie zum Ergebnis gekommen, dass die mit der Realisierung des antragsgegenständlichen Projektes verbundene nur geringfügige Änderung der Ist-Lärm-Situation zu keiner unzumutbaren Belästigung der Bewohner der Betriebswohnung am Nachbargrundstück führen könne und dementsprechend die beantragte Genehmigung erteilen müssen.

 

Aus den genannten Gründen stellt daher die Bf den Antrag,

das Landesverwaltungsgericht Oö. möge

-      gemäß § 24 VwGVG eine mündliche Verhandlung durchführen

-      gemäß Art. Nr. 130 Abs. 4 B-VG und § 28 Abs. 2 VwGVG in der Sache selbst entscheiden und dem Antrag auf Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines LKW-, PKW- und Zugmaschinenabstellplatzes im Standort X, Gst. Nr. X, KG X, Folge gegeben; in eventu

-      den angefochtenen Bescheid gemäß § 28 Abs. 3 VwGVG mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen.

 

3.   Die Bezirkshauptmannschaft Linz-Land hat die Beschwerde gemeinsam mit

dem bezughabenden Verfahrensakt dem Landesverwaltungsgericht Oö. (LVwG) mit Schreiben vom 03. Juni 2014 vorgelegt.

 

4.   Das LVwG hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt der

belangten Behörde zu Ge20-1417-18-2013.

Da bereits aus der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist, konnte eine mündliche Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen.

 

5.   Das Landesverwaltungsgericht Oö. hat erwogen:

 

5.1. Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

 

1.    das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes unterliegenden mittätigen Familienangehörigen, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden,

 

2.    die Nachbarn durch Geruch, Lärm, Rauch, Staub, Erschütterung oder in anderer Weise zu belästigen,

 

3.    die Religionsausübung in Kirchen, den Unterricht in Schulen, den Betrieb von Kranken- und Kuranstalten oder die Verwendung oder den Betrieb anderer öffentlichen Interessen dienender benachbarter Anlagen oder Einrichtungen zu beeinträchtigen,

 

4.    die Sicherheit, Leichtigkeit und Flüssigkeit des Verkehrs an oder auf Straßen mit öffentlichem Verkehr wesentlich zu beeinträchtigen oder

 

5.    eine nachteilige Einwirkung auf die Beschaffenheit der Gewässer herbeizuführen, sofern nicht ohnedies eine Bewilligung auf Grund wasserrechtlicher Vorschriften vorgeschrieben ist.

 

Gemäß § 77 Abs. 1 GewO 1994 ist eine Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

 

Gemäß § 77 Abs. 2 leg.cit. ist die Zumutbarkeit der Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 danach zu beurteilen, wie sich die durch die Betriebsanlage verursachten Änderungen der tatsächlichen, örtlichen Verhältnisse auf ein gesundes, normal empfindendes Kind und auf einen gesunden normal empfindenden Erwachsenen auswirken.

 

Nach § 28 Abs. 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhaltes unterlassen hat. Die Behörde ist hierbei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

5.2. Die Einsichtnahme in den vorliegenden Verfahrensakt ergibt, dass die X Ges.m.b.H., X, mit Eingabe vom 02. April 2010 um Erteilung der gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigung für die Errichtung und den Betrieb eines LKW-, PKW- und Zugmaschinenabstellplatzes im Standort X, Gst. Nr. X, KG X, angesucht hat. Für das beantragte Vorhaben wurde nach mehrmaliger Änderung eine Betriebszeit täglich von 06.00 Uhr bis 22.00 Uhr beantragt.

 

Als Projektsunterlagen wurden eine allgemeine Betriebsbeschreibung, Planunterlagen sowie ein schalltechnisches Projekt samt Ergänzung vom
20. Dezember 2011 eingereicht.

 

Mit Kundmachung vom 21. Mai 2010 hat die belangte Behörde eine mündliche Augenscheinsverhandlung für den 15. Juni 2010 mit der Zusammenkunft an Ort und Stelle anberaumt und an diesem Tage unter Beiziehung der Amtssachverständigen aus den Bereichen Gewerbe- und Luftreinhaltetechnik durchgeführt. Zu dieser Verhandlung wurden auch die Nachbarn geladen und haben diese auch an der mündlichen Verhandlung teilgenommen und Einwendungen in Bezug auf unzumutbare Belästigung durch Lärm und Lichteinfall erhoben.

Nach Durchführung der mündlichen Verhandlung wurden von der belangten Behörde noch ergänzende Ermittlungen durchgeführt und Gutachten aus den Bereichen Elektrotechnik, Verkehrssicherheit, Lärmtechnik und Medizin eingeholt.

Nach dem im Verfahren geänderten Projekt der X sollen die Betriebszeiten Montag bis Sonntag von 06.00 bis 22.00 Uhr gelten; als Fahrfrequenzen wurden in der Zeit von 06.00 bis 19.00 Uhr 46 LKW-Fahrbewegungen, in der Zeit von 19.00 bis 22.00 Uhr 10 LKW Fahrbewegungen beantragt. Nach dem zuletzt eingeholten lärmtechnischen Gutachten bedeutet dies, dass in der ungünstigsten Stunde mit 12 Fahrbewegungen und in den Abendstunden mit 10 Fahrbewegungen in 3 Stunden zu rechnen ist.

In der Beurteilung kam der Amtssachverständige zum Ergebnis, dass zur Tageszeit bei Beurteilung mit Fluglärm eine Anhebung der Ist-Situation nicht zu erwarten ist, bei Betrachtung ohne Fluglärm komme es zu einer Anhebung von ca. 2 dB gegenüber der Ist-Situation.

Hinsichtlich der Abendzeit wurde festgestellt, dass es mit Fluglärm zu einer Anhebung von 1 bis 2 dB und ohne Fluglärm um 2 bis 5 dB gegenüber der Ist- Situation komme.

 

Die Spitzen wurden sowohl zur Tages- als auch zur Abendzeit mit
LA, Sp=44-75 dB bewertet, der mittlere Spitzenpegel betrug 49 bis 80 dB. Hinsichtlich der Anzahl der Spitzenpegel ist von 12 zusätzlichen Pegelspitzen pro Stunde zur Tageszeit und zusätzlichen 10 Pegelspitzen in den Abendstunden innerhalb von 3 Stunden auszugehen.

 

Die medizinische Amtssachverständige führte im Gutachten aus, dass ausgehend von der festgestellten Lärmsituation und der Veränderung dieser eine Gesundheitsgefährdung nicht zu erwarten ist. Auf die Häufigkeit der Pegelspitzen wurde dabei nicht eingegangen. Ebenso nicht eingegangen wurde auf die möglicherweise zu erwartenden Auswirkungen für die Nachbarn durch die festgestellte Veränderung der Lärm-Ist-Situation.

 

5.3. Festzuhalten ist, dass zum Umfang des Ermittlungsverfahrens in einem gewerbebehördlichen Betriebsanlagengenehmigungsverfahren zahlreiche Judikate des Verwaltungsgerichtshofes bestehen. Demnach ist die Feststellung des relevanten Sachverhaltes, nämlich ob Gefährdungen vermieden und Belästigungen usw. auf ein zumutbares Maß beschränkt werden, Gegenstand des Beweises durch Sachverständige auf dem Gebiet der gewerblichen Technik und erforderlichenfalls auf dem Gebiet des Gesundheitswesens.

Den Sachverständigen obliegt es, aufgrund ihres Fachwissens ein Urteil (Gutachten) über diese Fragen abzugeben.

 

Der gewerbetechnische Sachverständige hat sich darüber zu äußern, welcher Art die von einer Betriebsanlage nach dem Projekt des Genehmigungswerbers zu erwartenden Einflüsse auf die Nachbarschaft sind, welche Einrichtungen der Betriebsanlage als Quellen solcher Immissionen in Betracht kommen, ob und durch welche Vorkehrungen zu erwartende Immissionen verhütet oder verringert werden und welcher Art und Intensität die verringerten Immissionen noch sein werden.

Es gehört zu den Aufgaben des gewerbetechnischen Sachverständigen, sich in einer die Schlüssigkeitsprüfung ermöglichenden Weise nicht nur über das Ausmaß, sondern auch über die Art der zu erwartenden Immissionen zu äußern und darzulegen, ob und gegebenenfalls welche Eigenart einem Geräusch unabhängig von seiner Lautstärke anhaftet.

 

Dem medizinischen Sachverständigen fällt - fußend auf dem Gutachten des gewerbetechnischen Sachverständigen - die Aufgabe zu, darzulegen, welche Einwirkungen die zu erwartenden unvermeidlichen Immissionen nach Art und Dauer auf den menschlichen Organismus entsprechend der in diesem Zusammenhang im § 77 Abs. 2 enthaltenen Tatbestandsmerkmalen auszuüben vermögen (siehe VwGH 25.9.1990, 90/04/0035; 24.11.1992, 92/04/0119 ua.)

Das Gutachten eines Sachverständigen hat aus einem Befund und dem Urteil, dem Gutachten im engeren Sinn zu bestehen. Hierbei hat der Befund all jene Grundlagen und die Art ihrer Beschaffung zu nennen, die für das Gutachten, das sich auf dem Befund stützende Urteil, erforderlich sind.

 

Aufgrund der Sachverständigengutachten hat sich sodann die Behörde im Rechtsbereich ihr Urteil zu bilden.

Richtig ist, wie von der belangten Behörde vorgebracht, dass es sich bei der Beurteilung der Zumutbarkeit von Belästigungen der Nachbarn im Sinne des § 77 GewO 1994 iVm § 74 Abs. 2 Z 2 leg. cit. um die Lösung einer Rechtsfrage handelt.

Das Ergebnis der Beweisaufnahme durch Sachverständige bildet das Element des für die Erlassung des Bescheides maßgebenden Sachverhaltes (VwGH
25.2.1993, 92/04/0208).

Die Behörde hat sodann auf der Grundlage der eingeholten Gutachten die Frage der Zumutbarkeit der Belästigungen zu lösen. Demnach kann sich die Behörde erst nach Vorliegen eines medizinischen Gutachtens, das Feststellungen über mögliche gesundheitliche Auswirkungen für die Nachbarn durch die Änderungen der tatsächlichen, örtlichen Verhältnisse enthält, mit der Frage der Zumutbarkeit von Belästigungen auseinandersetzen.

Vorliegend fehlen dem eingeholten medizinischen Gutachten Feststellungen dahingehend, mit welchen Auswirkungen die nach dem lärmtechnischen Gutachten gegebenen Veränderungen der Lärm-Ist-Situation sowohl bei Fluglärm als auch ohne Fluglärm für die Nachbarn verbunden sind.

 

Für die Beurteilung der Rechtsfrage, ob eine Zumutbarkeit der Belästigung vorliegt oder nicht, wird es demnach erforderlich sein, ein medizinisches Gutachten darüber einzuholen, mit welchen Auswirkungen ein gesunder normal empfindender Erwachsener und ein gesundes normal empfindendes Kind sowohl nach Art als auch Ausmaß der Lärmimmissionen zu rechnen haben.

Festzuhalten ist auch, dass das vorliegende schalltechnische Projekt und damit auch die darin beschriebene Lärm-Ist-Situation, das Grundlage für die Beurteilung des Amtssachverständigen für Gewerbetechnik war, aus dem Jahr 2009 stammt.

Für die Verwaltungsbehörde ist die Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt der Erlassung des Bescheides maßgeblich. Es ist nicht auszuschließen, dass sich die maßgebliche Lärm-Ist-Situation, an der die Veränderungen zu messen sind, seit dem Jahr 2009 maßgeblich geändert haben.

Darüber hinaus ist festzuhalten, dass die Behörde von Amts wegen zu prüfen hat, ob ein allfälliges Genehmigungshindernis durch Vorschreibung zulässiger Auflagen beseitigt werden kann. Ob eine solche Prüfung gegenständlich vorgenommen wurde, ist dem Verfahrensakt nicht zu entnehmen.

 

Im Sinne des § 28 Abs. 2 Z 1 VwGVG ist somit davon auszugehen, dass der für eine inhaltliche Entscheidung maßgebliche Sachverhalt aus den dargelegten Gründen nicht feststeht. Damit liegen die Voraussetzungen des
§ 28 Abs. 3 VwGVG vor.

Für eine Anwendung des § 28. Abs. 3 Satz 2 VwGVG bleibt weiters zu prüfen, ob die Feststellung des maßgeblichen Sachverhaltes durch das Verwaltungsgericht selbst im Interesse der Raschheit gelegen oder mit einer erheblichen Kostenersparnis verbunden ist.

 

In diesem Zusammenhang ist davon auszugehen, dass die Behebung des angefochtenen Bescheides und eine Zurückverweisung an die Behörde zur neuerlichen Entscheidung zulässig ist, wenn die Behörde danach ihr neuerliches Ermittlungsverfahren voraussichtlich mindestens zum gleichen Datum abschließen kann, wie es das Verwaltungsgericht könnte.

Bezüglich des Kriteriums der Kosten ist eine Zurückverweisung auch zulässig, wenn dadurch höchstens etwas höhere Kosten entstünden, als wenn das Verwaltungsgericht sein Ermittlungsverfahren durchführt (vgl. zur wortgleichen Bestimmung in Art. 130 Abs. 4 Z 2 B-VG Leeb, Das Verfahrensrecht der [allgemeinen] Verwaltungs­gerichte unter besonderer Berücksichtigung ihrer Kognitionsbefugnis, in Janko/Leeb (Hrsg), Verwaltungsgerichtsbarkeit erster Instanz [2013] 85 [99f]; ebenso Fischer, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte I. Instanz [VwGVG], in Österreichische Juristenkommission [Hrsg], Justizstaat Chance oder Risiko? [2014] 311ff [316ff]) .

 

Im gegenständlichen Fall ist für das LVwG nicht ersichtlich, dass die eigene Sachverhaltsermittlung eine Kostenersparnis in welche Richtung auch immer bewirken könnte. Es ist auch nicht davon auszugehen, dass die Behörde ihr Ermittlungsverfahren erst zu einem späteren Zeitpunkt abschließen wird können als das LVwG ein von ihm geführtes.

 

5.4. Zusammenfassend wird die belangte Behörde bei der neuerlichen Entscheidung zu berücksichtigen haben, dass das lärmtechnische Projekt, welches Grundlage für die bisherige Beurteilung war, aus dem Jahr 2009 ist und sich möglicherweise die Lärm-Ist-Situation verändert hat. Des Weiteren wird ein medizinisches Gutachten erforderlich sein, welches sich mit der Frage auseinandersetzt, wie sich die gegebenenfalls festgestellten Veränderungen der Lärm-Ist- Situation (wobei auf Art und Ausmaß der Lärmimmissionen einzugehen ist) auf die Nachbarn auswirken. Dabei wird auch auf die Situation mit und ohne Fluglärm einzugehen sein. Im Falle des Vorliegens eines Genehmigungshindernisses wird auch auf die Möglichkeit der Vorschreibung von Auflagen einzugehen sein.

 

Aus den angeführten Sach- und Rechtsgründen war sohin spruchgemäß zu entscheiden

 

 

II.           Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche  Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Maga.  Michaela Bismaier