LVwG-750048/2/MB/JW

Linz, 04.08.2014

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des Herrn X,
geb. X, vertreten durch X, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz Land vom 26. Juni 2013, GZ: Sich40-35373, den

 

 

B E S C H L U S S

 

 

gefasst:

 

 

I.          Der Beschwerde wird insofern stattgegeben, als der Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz Land vom 26. Juni 2013, GZ: Sich40-35373, gemäß § 28 Abs. 3 2. Satz VwGVG behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen wird.

 

II.         Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Linz Land (im Folgenden: belangte Behörde) vom 26. Juni 2013, GZ Sich40-35373, wurde der Antrag des Beschwerdeführers (im Folgenden: Bf) vom 5. November 2010 auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ als unbegründet abgewiesen.

 

Begründend führt die belangte Behörde aus:

„Sie sind bosnischer Staatsbürger und haben am 05.11.2010 persönlich einen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gestellt. Ihnen wurde erstmals am 25.11.2009 ein Aufenthaltstitel "Familienangehöriger" erteilt, und zwar auf Grund der am 13.06.2009 mit einer österreichischen Staatsbürgerin geschlossenen Ehe. Diese Ehe wurde jedoch mit Beschluss des BG Traun vom 12.12.2011 rechtskräftig geschieden. Somit liegen die Voraussetzungen für den Aufenthaltstitel mangels der Eigenschaft als Familienangehöriger einer zusammenführenden Person nicht mehr vor.

 

Mit nachweislichem Schreiben vom 16.05.2013 ist Ihnen mitgeteilt worden, dass die hs. Niederlassungsbehörde beabsichtigt, Ihren Verlängerungsantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Familienangehöriger" gemäß § 47 Abs. 2 NAG 2005 abzuweisen. Mit zitiertem Scheiben sind Sie aufgefordert worden, binnen zwei Wochen nach Erhalt des angeführten Schreibens schriftlich Stellung zu nehmen.

 

Sie haben von diesem Recht nicht Gebrauch gemacht.

 

Die Behörde hat hiezu erwogen:

Gemäß § 1 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes regelt dieses Bundesgesetz die Erteilung, Versagung und Entziehung von Aufenthaltstiteln von Fremden, die sich länger als sechs Monate im Bundesgebiet aufhalten oder aufhalten wollen, sowie die Dokumentation von bestehenden Aufenthalts- und Niederlassungsrechten

 

Gemäß § 2 Abs. 1 Ziff. 9 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes ist im Sinne dieses Bundesgesetztes Familienangehöriger: wer Ehegatte oder minderjähriges lediges Kind, einschließlich Adoptiv- und Stiefkind, ist (Kernfamilie); dies gilt weiter auch für eingetragene Partner; Ehegatten und eingetragene Partner müssen das 21. Lebensjahr zum Zeitpunkt der Antragstellung bereits vollendet haben; lebt im Fall einer Mehrfachehe bereits ein Ehegatte gemeinsam mit den Zusammenführenden im Bundesgebiet, so sind die weiteren Ehegatten keine anspruchsberechtigten Familienangehörigen zur Erlangung eines Aufenthaltstitel;

 

Gemäß § 3 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes ist Behörde nach diesem Bundesgesetz der örtlich zuständige Landeshauptmann. Der Landeshauptmann kann, wenn dies im Interesse der Einfachheit, Zweckmäßigkeit oder Sparsamkeit der Verwaltung gelegen ist, die Bezirksverwaltungsbehörden mit Verordnung ermächtigen, alle oder bestimmte Fälle in seinem Namen zu entscheiden.

Gemäß § 11 Abs. 2 Z. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes dürfen einem Fremden nur Aufenthaltstitel erteilt werden, wenn der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet.

Gemäß § 47 Abs. 1 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes sind Zusammenführende im

Sinne der Abs. 2 bis 4 Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger, die in Österreich

dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des

Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

Gemäß § 47 Abs. 2 des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes ist Drittstaatsangehörigen, die Familienangehörige von Zusammenführenden sind, ein Aufenthaltstitel „Familienangehöriger" zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des
1. Teiles erfüllen.“

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob der Bf mit Schreiben vom 22. Juli 2013 rechtzeitig das Rechtsmittel der Berufung, welche nunmehr gem. § 3 VwGbk-ÜG als Beschwerde gem. Art. 130 B-VG gilt.

 

Der Bf stellt darin im Wesentlichen die Anträge, es möge eine öffentliche mündliche Verhandlung abgehalten werden und es möge der Bescheid der belangten Behörde dahingehend abgeändert werden, dass seinem Antrag stattgegeben werde und ihm ein Aufenthaltstitel gem. § 47 Abs. 2 NAG oder ein gleichwertiger anderslautender Aufenthaltstitel erteilt werde; in eventu den Bescheid der belangten Behörde aufzuheben und zur neuerlichen Entscheidung an diese zurückzuverweisen.

 

Begründend führt der Bf dazu aus:

„Als bosnischer Staatsangehöriger wurde mir am 25.11.2009 erstmals in Folge Verehelichung mit der österreichischen Staatsangehörigen X, ein Aufenthaltstitel gemäß § 47 (2) NAG für das Bundesgebiet der Republik Österreich erteilt.

 

Noch vor Ablauf dieses Aufenthaltstitels habe ich an der BH Linz-Land am 05.11.2010 persönlich einen Antrag auf Verlängerung dieses Aufenthaltstitels gestellt

 

Die Ehe zu Frau X wurde rechtskräftig geschieden mit 12.12.2011.

 

Nicht nur, dass die Erstbehörde 2 1/2 Jahre gebraucht hat, um meinen Antrag auf Verlängerung des Aufenthaltstitels vom 05.11.2010 zu bearbeiten und einen Bescheid zu erlassen, hat die Erstbehörde nunmehr meinen Antrag auch völlig rechtswidrig und unbegründet abgewiesen.

 

Festzuhalten ist, dass am 05.11.2010 (ich wurde erst am 12.12.2011 rechtskräftig geschieden) ein Aufenthaltstitel für den Zeitraum von einem weiteren Jahr auszustellen war.

 

Im Übrigen verweise ich darauf, dass ich nunmehr seit nahezu 4 Jahren durchgehend in Österreich aufhältig bin, sozial vollständig in Österreich integriert bin und seit 18.01.2010 bis laufend einer Beschäftigung nachgehe dies bei meinem Dienstgeber „X", in etwa 14 mal jährlich einen Betrag von ca. EUR 1.300,00 bis 1.500,00 in Verdienen bringe (abhängig von den von mir geleisteten Überstunden), über eine ortsübliche Unterkunft verfüge, gemeinsam mit der Großfamilie X (der meine näheren Verwanden angehören) an der ausgewiesenen Adresse X lebe. Ich bin sozial vollständig in Österreich integriert, verdiene ein weit über den Sozialhilferichtsatz liegendes Einkommen und gehen von mir keinerlei Gefahren für die öffentliche Ordnung, Ruhe und Sicherheit der Republik Österreich aus. Selbst meine Scheidung im Jahre 2011 (genau am 12.12.2011) hätte dazu geführt, dass mir nicht nur der im Oktober 2010 beantrage Aufenthaltstitel erteilt hätte werden müssen, sondern auch noch im November 2011 ein weiterer Aufenthaltstitel für ein weiteres Jahr, sodass ich grundsätzlich berechtigt bin - unabhängig von meiner ursprünglichen „Bezugsperson" (nämlich meiner geschiedenen Ehegattin) - einen eigenständigen Aufenthalt in Österreich auf Grund meiner vollständigen Integration und meiner Aufenthaltsdauer in Österreich zu begründen.

 

Vor diesen Hintergründen erweist sich der gegenständliche Bescheid als inhaltlich rechtswidrig und rechtswidrig in Folge Verletzung wesentlicher Verfahrensvorschriften.

 

Sofern die Erstbehörde ausführt, ich hätte am 15.06.2013 eine Verständigung über das Ergebnis der Beweisaufnahme unter Einräumung einer Stellungnahmefrist zugestellt erhalten, ist dies unrichtig. Ein derartiges Schreiben ist mir niemals zustellt worden, weshalb ich auch keine Stellungnahme einbringen konnte. Meine zwischenzeitig im Laufe des Verfahrens getätigten Anfragen bei der Erstbehörde haben lediglich dazu geführt, dass ich - ohne, dass mir nähere Informationen erteilt worden wären - über 2 1/2 Jahre lediglich vertröstet wurde, dies mit dem Beisatz, ich möge mich noch etwas „gedulden".“

 

2.1. Nachfolgend brachte der Bf folgende Unterlagen bei: aktueller Versicherungsdatenauszug, Haushaltsbestätigung der Gemeinde Traun, Gehaltsabrechnungen.

 

2.2. Mit Schreiben vom 29. August 2013 übermittelte der Bf darüber hinaus einen aktuellen KSV-Auszug und eine Prüfungsanmeldung für einen Deutschkurs beim bfi-ooe.

 

3. Mit Schreiben vom 20. Jänner 2014 übermittelte das Bundesministerium für Inneres den verfahrensgegenständlichen Akt zur Entscheidung durch das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich.

 

 

II.

 

1. Der entscheidungswesentliche Sachverhalt ergibt sich unstrittig aus den unter Pkt. I.1 und Pkt. I.2. dargestellten Ausführungen.

 

2. Das Oö. Landesverwaltungsgericht hat dahingehend Beweis erhoben durch Einsichtnahme in die Akten und Schriftsätze des Bf. Die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung konnte gemäß § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

 

 

III.

 

1. Gemäß Art 130 Abs. 1 Z 1 B-VG erkennen ab 1. Jänner 2014 die Verwaltungsgerichte über Beschwerden gegen den Bescheid einer Verwaltungsbehörde wegen Rechtswidrigkeit.

 

Gemäß § 2 VwGVG entscheidet das Verwaltungsgericht durch Einzelrichter, soweit die Bundes- oder Landesgesetze nicht die Entscheidung durch einen Senat vorsehen.

 

Gemäß § 81 Abs. 26 NAG sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 bei der Bundesministerin für Inneres anhängigen Berufungsverfahren nach dem NAG ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 zu Ende zu führen.

 

Es ist sohin im vorliegenden Fall das Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz in der Fassung des Bundesgesetzblattes BGBl. I Nr. 50/2012 anzuwenden.

 

2. Gemäß § 27 Abs. 1 NAG haben Familienangehörige mit einem Aufenthaltstitel gemäß § 8 Abs. 1 Z 2, 4, 5 und 8 (= Familienangehöriger) ein eigenständiges Niederlassungsrecht. Liegen die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vor (Abs. 2 Z 2 = bei Scheidung), ist dem Familienangehörigen ein Aufenthaltstitel auszustellen, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht, wenn kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 vorliegt und er die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs. 2 erfüllt.

 

3.1. Der Bf hat gemäß § 27 Abs. 1 NAG durch die vormalige Erteilung des Aufenthaltstitels „Familienangehöriger“ ein eigenständiges Niederlassungsrecht. Durch die Scheidung von seiner Ehefrau liegen jedoch die Voraussetzungen für den Familiennachzug nicht mehr vor, da die formalrechtliche Grundlage für den Begriff des Familienangehörigen entfällt. Dies führt aber per se nicht zu dem von der belangten Behörde angenommenen Ergebnis.

 

Es ist vielmehr gemäß § 27 Abs. 1 NAG zu prüfen, ob kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs. 1 NAG vorliegt und er die Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs 2 NAG erfüllt und ihm somit ein Aufenthaltstitel auszustellen ist, dessen Aufenthaltszweck jedenfalls dem bisherigen Aufenthaltszweck entspricht.

 

§ 27 NAG spricht insofern den verfahrensgegenständlichen Fall an und verwehrt eine alleinige Abweisung aufgrund Nichterfüllung der besonderen Voraussetzungen des Aufenthaltstitels im besonderen Teil.

 

3.2. Da die belangte Behörde in ihrer Prüfung bei dem Tatbestandselement des Familienangehörigen ausgeschieden ist, fehlen zu den in § 27 NAG angeführten Tatbestandsvoraussetzungen jegliche Feststellungen (sekundärer Feststellungsmangel).

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verweist daher die Sache gem § 28 Abs. 3 S 2 VwGVG an die Bezirkshauptmannschaft Linz Land zur Ermittlung des Sachverhalts und Erlassung eines neuen Bescheids zurück.

 

Aufgrund der räumlichen Nähe ist es der belangten Behörde fraglos im Lichte des § 28 VwGVG ökonomisch besser möglich, entsprechende Unterlagen vom Bf einzuholen bzw. die entsprechenden Erhebungen zu tätigen.

 

5. Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

IV.

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter