LVwG-750079/5/MB/KHU LVwG-750080/5/MB/KHU LVwG-750081/5/MB/KHU

Linz, 11.08.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerden von Herrn X (Erst-Beschwerdeführer [Bf]) und der mj. Kinder X (Zweit-Bf) und X (Dritt-Bf) – beide vertreten durch X –, alle armenische StA, vertreten durch X, gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 4. Mai 2012, GZ Sich40-28140-2010, Sich40-28142 bis Sich40-28143-2010, mit denen im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich die quotenfreien Erstanträge auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 9 NAG 2005 abgewiesen wurden,

 

zu Recht   e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm §§ 41a Abs 9 und 43 Abs 3 NAG idF vor BGBl I 87/2012 wird den Beschwerden stattgegeben und

1.   Herrn X, geb. am X, der Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung“,

2.   Herrn X, geb. am X der Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ sowie

3.   Herrn X, geb. X, die Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“

für jeweils zwölf Monate erteilt.

 

II.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Der Erst-Bf stellte am 12. Mai 2010 den Erstantrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ gem § 44 Abs 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS Art 8 EMRK. Zweit- und Dritt-Bf brachten – vertreten durch ihre Eltern – ebenfalls am 12. Mai 2010 Erstanträge auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt“ gem § 43 Abs 2 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS Art 8 EMRK ein.

 

Mit Bescheid vom 7. Dezember 2010, GZ Sich 40-28140-2010 wurden die Anträge als unzulässig zurückgewiesen. Den dagegen erhobenen Berufungen wurde mit Bescheiden der Bundesministerin für Inneres vom 19. Oktober 2011, GZ 157.891/2-III/4/11, 157.891/4-III/4/11 und 157.891/5-III/4/11, stattgegeben.

 

Mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 29. November 2011, GZ Sich40-28140-2010, Sich40-28142 bis Sich40-28143-2010, wurden die Anträge auf Erteilung von „‘Niederlassungsbewilligung[en]‘ gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005“ erneut zurückgewiesen. Den dagegen erhobenen Berufungen wurde mit Bescheiden der Bundesministerin für Inneres vom 6. März 2012, GZ 157.891/9-III/4/12, 157.891/10-III/4/12 und 157.891/11-III/4/12, stattgegeben.

 

2. Schließlich wurden mit Bescheiden der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 4. Mai 2012, GZ Sich40-28140-2010, Sich40-28142 bis Sich40-28143-2010, aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) die Erstanträge „auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Rot-Weiß-Rot-Karte plus‘ gemäß § 41a Abs. 9 NAG 2005“ der Bf abgewiesen. In Bezug auf das Privat- und Familienleben führte die Behörde begründend aus:

 

„Sie sind gemeinsam mit Ihrer Gattin, X und dem gemeinsamen Kind, X, am 09.11.2011 illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist und haben in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt. Somit steht fest, dass Sie im Alter von 28 Jahren nach Österreich gekommen sind. Wie bereits umseitig angeführt, sind die Asylanträge gemäß § 30 AsylG eingestellt worden, da Sie gemeinsam mit Ihrer Familie illegal in das Bundesgebiet der Republik Deutschland eingereist sind. Am 13. Februar 2006 sind Sie, Ihre Gattin und die beiden minderjährigen Kinder neuerlich illegal wieder in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist und haben in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Bescheid des UBAS vom 05.04.2006, ZI 300.462-C1/E1-VII/20/06, rechtskräftig negativ beschieden worden ist. Am 13. April 2006 haben alle einen Asylfolgeantrag gestellt, der mit Bescheid d UBAS vom 24.07.2006, ZI 300.462-C2/E1-VII/20/06, rechtskräftig negativ beschieden worden ist. Weiters ist sowohl Ihre Ausweisung als auch die Ausweisung Ihrer gesamten Familie nach Armenien bestätigt worden. Gegen diesen Bescheid haben Sie Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof erhoben, der Ihnen am 14.09.2006 die aufschiebende Wirkung zuerkannt hat. Mit Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 03.04.2010 ist die Behandlung Ihrer Beschwerde abgewiesen worden. Aus den Verwaltungsakten ist ersichtlich, dass sich Ihr Aufenthalt und der Aufenthalt Ihrer gesamten Familie hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgrund zwei Asylanträgen, die allesamt negativ rechtskräftig entschieden worden sind, vorläufig rechtmäßig hier in Österreich aufgehalten haben. Seit dem 03.04.2010 halten Sie sich und Ihre gesamte Familie illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich auf.

 

Fest steht, dass Sie im Alter von 33 Jahren nach Österreich illegal eingereist sind, Sie sprechen Ihre Heimatsprache und sind mit den Sitten und Gebräuchen Ihres Heimatstaates vertraut. Ihre Schul- und Berufsausbildung haben Sie ebenfalls in Ihrem Heimatstaat absolviert.

 

Wie bereits erwähnt, sind Sie als mittellos anzusehen, weder Sie noch Ihre gesamte Familie sind selbst erhaltungsfähig. Sie und Ihre gesamte Familie befinden sich nach wie vor in der Grundversorgung des Landes OÖ. Sie besitzen weder eine eigene Wohnung, eigenes Einkommen noch eine eigene Krankenversicherung. Aus Ihrem Verwaltungsakt ist auch nicht ersichtlich, dass Sie während Ihres Asylverfahren jemals einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gestellt haben, obwohl Sie wie bereit umseitig angeführt in einer sehr bekannten Urlaubsregion Österreich leben. Im Bereich des Gastgewerbes oder im Bereich der Forst- und Landwirtschaft hätten Sie als Asylwerber arbeiten dürfen. Ihre berufliche Integration ist trotz der Kursteilnahme an einem WIFI Kurs als nicht gegeben festzustellen. An dieser Beurteilung können die vorgelegten Einstellungserklärungen nichts ändern.

 

Auch liegt sowohl in Ihrem Fall als auch bei Ihren Kindern kein Organisationsverschulden der Behörden vor. Dies deshalb, weil Ihr Aufenthalt und der Aufenthalt Ihrer minderjährigen Kinder auf zwei Asylantragsstellungen zurückzuführen sind, die letztendlich alle rechtkräftig negativ beschieden worden sind.

 

Aus Ihrem Antrag ist ersichtlich, dass Sie am 01.09.2011 erfolgreich die Deutschprüfung Niveau A 2 angelegt haben. Eine sprachliche Integration ist daher gegeben.

 

Weiters sind den Anträgen zahlreiche Unterstützungsschreiben beigelegt worden, die zeigen, dass sich Menschen für Ihren Verbleib und für den Verbleib Ihrer minderjährigen Kindern in Österreich einsetzen. Somit ist eine gewisse soziale Integration vorhanden.

 

Strafrechtlich sind Sie unbescholten, Sie sind jedoch von der PI Schörfling/A wegen Verd d Verbr n § 129 StGB an die zuständige Staatsanwaltschaft angezeigt worden. In verwaltungsrechtlicher Hinsicht sind Sie bereits mehrmals wegen Übertretungen der StVO 1960 sowie einmal wegen Übertretung nach § 121 FPG 2005 rechtskräftig bestraft worden.

 

Faktum ist, dass Sie sich Ihres unsicheren Aufenthaltes hier in Österreich nachweislich seit dem 05.04.2006 bewusst gewesen sind. Ihre weitere Asylantragsstellung am 13.04.2006 verdeutlicht diesen Umstand vehement. Ihre sprachliche Integration haben Sie erst Monate später nach Beendigung Ihres Asylverfahrens erlangt. Zu diesem Zeitpunkt ist Ihre Berufung im NAG-Verfahren anhängig gewesen. Somit haben Sie Ihre sprachliche Integration in einer Zeit erlangt, wo Sie bereits rechtskräftig aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich ausgewiesen worden sind. In die gleiche Kerbe schlägt auch Ihre Teilnahme an einem Schweißerkurs beim WIFI. Faktum ist weiters, dass der NAG-Antrag Ihrer Gattin rechtskräftig negativ beschieden worden ist.

 

Nach Prüfung Ihres Privat- und Familienlebens kommt die hs. Niederlassungsbehörde zum Ergebnis, dass die Abweisung Ihres quotenfreien Erstantrages auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 41a Abs. 9 NAG 2005 wie auch die Anträge Ihrer minderjährigen Kinder keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Ihr Privat- und Familienleben darstellt. Ihre Integration hat noch keinen derartigen hohen Stellenwert erreicht, die notwendig für die Erteilung eines Aufenthaltstitels notwendig gewesen wäre. Dieser Umstand wird dadurch verdeutlicht, dass Sie es in der Zeit Ihrer beiden Asylverfahren nicht geschafft haben sich sprachlich und auch beruflich entsprechend zu integrieren. In dieser Zeit waren Sie nicht gewillt, entsprechende Integrationsschritte zu setzen. Erst im Berufungsverfahren im NAG-Verfahren haben Sie diesbezüglich Schritte gesetzt. Dies bedeutet, dass Sie bei Ihrer Antragsstellung im NAG-Verfahren keine entsprechende Dokumente vorlegen haben können, die Ihre Integration hier in Österreich bewiesen hätte.

 

Aus den angeführten Gründen ist spruchgemäß entschieden worden.“

 

3. Gegen diese Bescheide wurde mit Schriftsatz vom 22. Mai 2012 Berufung erhoben. Darin wurde zunächst vorgebracht, dass die Behörde dem Erst-Bf nicht vorwerfen hätte dürfen, auf die Grundversorgung angewiesen zu sein. Schließlich sei es aufgrund des Aufenthaltsstatus nie möglich gewesen, einer legalen Beschäftigung nachzugehen. Außerdem seien die von ihm vorgelegten Einstellungszusagen – entgegen der Annahme der Behörde – verbindlich. Der Erst-Bf habe einen Führerschein, einen Schweißkurs absolviert und Sprachkenntnisse. Er engagiere sich in der Nachbarschaft und habe einen großen Kreis an Unterstützern und Befürwortern.

 

Den Eltern sei die Schulausbildung und Integration der Kinder ein großes Anliegen, was sich durch deren Besuch der Volksschule T. äußere. Lehrer und Schüler würden sich für den Aufenthalt des Zweit- und Dritt-Bf in Österreich einsetzen; der Dritt-Bf besuche darüber hinaus den X T. wo er gut integriert sei.

 

Die Bf beantragten daher, die ggst. Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck so abzuändern, dass die Niederlassungsbewilligungen nicht abgewiesen werden, in eventu die erstinstanzlichen Bescheide zur Gänze zu beheben und an die Erstinstanz zurückzuverweisen.

 

4. Mit 1. Jänner 2014 trat die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 in Kraft. Berufungen gelten gem § 3 VwGbK-ÜG als rechtzeitig erhobene Beschwerden an das zuständige Verwaltungsgericht. Mit Schreiben vom 22. Jänner 2014, beim Oö. LVwG eingelangt am 27. Jänner 2014, legte das Bundesministerium für Inneres die ggst. Beschwerden sowie die zugrundeliegenden Verfahrensakten dem Oö. LVwG vor.

 

5. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde, dem Beschwerdevorbringen sowie den ergänzenden Eingaben der Bf ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.

 

 

 

II.            1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Die Bf reisten im November 2001 erstmalig nach Österreich ein, stellten einen Antrag auf internationalen Schutz, reisten dann aber nach Deutschland aus und hielten sich dort bis zu ihrer neuerlichen Einreise nach Österreich am
13. Februar 2006 auf. Die Bf halten sich seit diesem Zeitpunkt durchgehend in Österreich auf. Während dieser Zeit stellten sie Asylanträge bzw. die ggst. Anträge auf Erteilung von Aufenthaltstiteln.

 

Die beiden mj. Bf sind am X bzw. am X geboren. Sie besuchten die Volksschule T und sind dzt. Schüler der Neuen Mittelschule in T, wobei beide das letzte Schuljahr positiv abgeschlossen haben. Hierfür liegen zahlreiche Bestätigungen und Zeugnisse vor, die den Schulerfolg nachweisen. Der Dritt-Bf ist zudem Mitglied des Vereins X T.

 

Der Erst-Bf hat im Jahr 2011 den Kurs „WIG-Schweißen I“ am WIFI absolviert sowie am 1. September 2011 das Sprachzertifikat Deutsch A2 mit 55 von 64 Punkten bestanden. Er kann zwei Einstellungserklärungen von X und X für Tätigkeiten in landwirtschaftlichen Betrieben im Ausmaß von jeweils 10-15 Stunden vorlegen.

 

Die Bf sind allesamt strafrechtlich unbescholten. Zudem liegen zahlreiche Empfehlungsschreiben für die Familie vor.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.

 

 

III.           Gemäß § 81 Abs 26 NAG 2005 idgF sind alle mit Ablauf des
31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht
(§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 87/2012 (in der Folge: NAG 2005 aF) zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

  1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und
  2. dies gemäß § 11 Abs 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

 

Gemäß § 41a Abs 9 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“ zu erteilen, wenn

1.   kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,

2.   dies gemäß § 11 Abs 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

3.   der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung
(§ 14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

 

Ein Aufenthaltstitel kann gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

 

IV.          Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

1. Zur Art der beantragten Aufenthaltstitel:

 

Der Erst-Bf stellte im Jahr 2010 den Antrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – beschränkt“ gem § 44 Abs 3 NAG 2005 (in der damals geltenden Fassung); Zweit- und Dritt-Bf einen Antrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt“ gem § 43 Abs 2 NAG 2005 (in der damals geltenden Fassung).

 

Da derartige Aufenthaltstitel nicht mehr existiert, wird der Antrag des Erst-Bf als Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ gem § 43 Abs 3 NAG 2005 aF sowie der des Zweit- und Dritt-Bf als solcher auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 9 NAG 2005 aF gewertet (vgl bspw. § 81 Abs 16 Z 2 und Z 3 NAG 2005 und VwGH 22.01.2014, Zl. 2013/22/0278).

 

Gem § 41a Abs 9 bzw. § 43 Abs 3 NAG 2005 aF werden das Nichtvorliegen von Erteilungshindernissen gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 und 4 sowie die Erforderlichkeit der Erteilung des Aufenthaltstitels gem Art 8 EMRK als Erteilungskriterien vorausgesetzt.

 

2. Zum Nichtvorliegen der Erteilungshindernisse gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG 2005 aF:

 

Zwar wurden die Bf vom UBAS in ihren Herkunftsstaat ausgewiesen, jedoch stellt eine solche Ausweisung (iSd § 11 Abs 1 Z 3) keinen relevanten Verweigerungsgrund für die ggst. Aufenthaltstitel dar. Hinweise auf Erteilungshindernisse bestehen ansonsten keine.

 

3. In Bezug auf das Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK:

 

Im konkreten Fall zeichnet sich ein Gesamtbild von gut in Österreich integrierten Antragstellern, das neben den bereits erfolgten Integrationsschritten eine weitere Integrationswilligkeit erwarten lässt.

 

Die Bf halten sich seit November 2001 zunächst in Österreich, anschließend in Deutschland und schließlich seit 13. Februar 2006 wieder in Österreich auf. Die Dauer des durchgehenden Aufenthaltes in Österreich beträgt damit mittlerweile rd. 8 1/2 Jahre. Hinzu kommt der vorangehende Aufenthalt in Deutschland, sodass die Bf seit rund 12 1/2 Jahren in deutschsprachen Ländern leben (der Dritt-Bf seit seiner Geburt). Die damit einhergehende sprachliche Integration der Bf wurde im Übrigen vom Erst-Bf mit dem Sprachzertifikat Deutsch auf Niveaustufe A2 nachgewiesen; beim Zweit- bzw. Dritt-Bf wurde sie nicht zuletzt durch den fortwährenden Besuch von öffentlichen Schulen in Österreich sichergestellt (Pflichtfach Deutsch).

 

Dieser dem Aufenthalt in Österreich vorgelagerte Aufenthalt in einem anderen Land der Europäischen Union spricht im konkreten Fall auch hinsichtlich anderer integrativer Aspekte für eine Beschleunigung der Integration in Österreich, weil die Bf schon zuvor gelernt haben, sich in einem vergleichbaren sozio-kulturellen, rechtlichen und wirtschaftlichen Umfeld zu bewegen.

 

So konnten die Bf etwa zahlreiche Unterstützungserklärungen beilegen, was einerseits ihre sozialen Bindungen in Österreich, aber auch den Erfolg ihrer bisherigen Integrationsbemühungen unter Beweis stellt.

 

Der Erst-Bf hat außerdem einen Schweißkurs am WIFI besucht, um sich – neben den bereits o.g. Sprachkenntnissen – die Basis für ein berufliches Auskommen in Österreich zu schaffen. Des Weiteren kann er Einstellungszusagen vorweisen. Damit kann davon ausgegangen werden, dass der Erst-Bf – sobald er einen Aufenthaltstitel erhält – eine Beschäftigung in Österreich anstrebt.

 

Die beiden mj. Bf wurden kurz vor der Einreise in die Europäische Union oder sogar innerhalb der Europäischen Union geboren und leben seit Jahren in Österreich. Sie haben damit keinen oder nur einen sehr eingeschränkten Bezug zu den Gegebenheiten in ihrem Herkunftsstaat. Sie besuchten die Volksschule in T, die beide erfolgreich abschlossen, sind nunmehr Schüler der Neuen Mittelschule in T und haben sich mitunter auch in Vereinen engagiert. Sie haben sich demgemäß einen Freundes- und Bekanntenkreis in Österreich aufgebaut und sind im Land integriert. Eine Eingliederung in eine andere Gesellschaft wäre unter diesen Aspekten für die beiden mj. Bf, die heute ein Alter von 13 und beinahe 12 Jahren haben, mit erheblichen Schwierigkeiten verbunden. Damit einhergehend ist zu berücksichtigen, dass eine Trennung der mj. Bf von ihren Eltern aus dem Blickwinkel von Art 8 EMRK jedenfalls nicht in Betracht kommt.

 

Alle Bf sind des Weiteren strafrechtlich unbescholten und wurden auch nie wegen Verstößen gegen das Fremdenrecht (verwaltungs-)strafrechtlich belangt.

 

Festgestellt werden kann zwar, dass die Bf über keine Aufenthaltstitel in Österreich verfügen und ihnen gegenüber Ausweisungsentscheidungen erlassen wurden, die von ihnen gefordert hätten, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Aufgrund der oben dargestellten Überlegungen ist jedoch davon auszugehen, dass im konkreten Fall die persönlichen Interessen der Bf an einem Verbleib in Österreich das – sehr gewichtige – öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften überwiegen. Die Verweigerung der beantragten Aufenthaltstitel erschiene daher im Lichte von Art 8 EMRK unverhältnismäßig. In diesem Zusammenhang erscheint insbesondere auch erwähnenswert, dass ggü. den Beschwerdeführern zwar im Jahr 2006 Ausweisungsentscheidungen des UBAS erlassen wurden, dass diese jedoch auch von Seiten der Behörden nie effektuiert wurden. Hinzu kommt, dass die ggst. Anträge der Bf vom Mai 2010 stammen, die hierzu ergangenen Bescheide mehrmals von der Berufungsbehörde behoben wurden und zwischen der zuletzt erhobenen Berufung vom Mai 2012 und der Vorlage an das Oö. LVwG rund 1 Jahr und 8 Monate vergingen. Die durch die fortschreitende Aufenthaltsdauer immer weiter verfestigte Integration kann damit wohl nicht vollumfänglich den Bf alleine angelastet werden.

 

Aus diesen Gründen erachtet das Oö. LVwG die Erteilung der Aufenthaltstitel an die Bf gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gem Art 8 EMRK geboten.

 

4. „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“: Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gem § 14a NAG 2005 aF:

 

Für den Zweit- und Dritt-Bf, die eine „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ beantragt haben, ist darüber hinaus das Erfüllen des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung Voraussetzung.

 

In concreto haben die beiden mj. Bf im Zeitpunkt der Antragstellung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht die Volksschule besucht und haben zuletzt (Schuljahr 2013/14) an der Neuen Mittelschule das Pflichtfach „Deutsch“ positiv, jeweils mit der Note „Befriedigend“, absolviert. Damit haben sie sogar Modul 2 der Integrationsvereinbarung erfüllt (§ 14b Abs 2 NAG 2005 aF), was gem § 14a Abs 4 NAG 2005 aF auch die Erfüllung des Moduls 1 beinhaltet.

 

Zweit- und Dritt-Bf erfüllen damit auch dieses Tatbestandsmerkmal.

 

 

V.           Da alle Voraussetzungen des § 41a Abs 9 NAG 2005 aF bzw. § 43 Abs 3 NAG 2005 aF erfüllt sind, waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und den Bf die jeweils begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltstitel von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs 1 NAG 2005. Die belangte Behörde hat die hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG‑DV an die Bf im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung der Aufenthaltstitel sind die Bf gemäß § 19 Abs 7 letzter Satz NAG 2005 über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren. Die Bf werden darauf hingewiesen, dass Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs 7 NAG 2005 nur persönlich ausgefolgt werden dürfen.

 

 

VI.          Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter