LVwG-750139/2/MB/KHU

Linz, 12.08.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des Herrn X, geb. am X, StA von Armenien, vertreten durch X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 7. Jänner 2014, GZ: Sich40-28352-2010, mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-weiß-rot – Karte plus“ abgewiesen wurde,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm § 41a Abs 9 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 wird der Beschwerde stattgegeben und dem Beschwerdeführer der Aufenthaltstitel „Rot-weiß-rot – Karte plus“ für zwölf Monate erteilt.

 

II.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Der Beschwerdeführer (Bf) brachte am 19. Juli 2010 bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck den Antrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt“ gemäß § 43 Abs 2 NAG 2005 (in der damals geltenden Fassung) zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens ein. Dieser Antrag wurde zunächst von der Behörde zurückgewiesen, war letztlich aber aufgrund des zum Bescheid der Berufungsbehörde ergangenen VwGH-Erkenntnisses und der darauffolgenden Behebung der Zurückweisung in der Sache zu erledigen:

 

2. Mit Bescheid vom 7. Jänner 2014, GZ Sich40-28352-2010 wurde der ggst. Antrag des Bf auf Erteilung einer „Rot-weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 9 NAG 2005 aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck abgewiesen. Begründend führte die Behörde zum Privat- und Familienleben im Wesentlichen aus:

 

„Sie sind armensicher Staatsbürger und sind im Alter von 31 Jahren illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Sie sind bis zu Ihrer illegalen Einreise nach Österreich in Ihrem Heimatstaat aufgewachsen, sprechen die Sprache Ihres Herkunftsstaates und haben dort auch Ihre Schul- und Berufsausbildung absolviert. Sie sind weiters mit den Sitten und Gebräuchen ihrem Heimatstaates vertraut.

 

Sie sind seit Ihrer illegalen Einreise in das Bundesgebiet der Republik Österreich am 02.09.2006 bis dato durchgehend hier aufhältig gewesen. Seit dem 06.07.2010 sind Sie bis dato illegal hier in Österreich aufhältig. Somit steht fest, dass Sie sich bereits
3 eineinhalb Jahre hier in Österreich illegal aufhalten. Ihr vorläufiger rechtmäßiger Aufenthalt aufgrund Ihres negativen Asylverfahrens endet mit der Zustellung des UBAS-Bescheides vom 21.04.2008, ZI 305.417-C1/19E-XVIII/58/06, indem Ihr Asylverfahren gemäß §§ 7 u 8 AsylG negativ beschieden und gleichzeitig gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 die Ausweisung aus Österreich nach Armenien bestätigt worden ist. Dies bedeutet, dass Sie mehr als die Hälfte Ihres Aufenthaltes hier in Österreich unrechtmäßig aufhältig gewesen sind.

 

Aus Ihrem Versicherungsdatenauszug ist ersichtlich, dass Sie sich in der Zeit zwischen dem 03.09.2006 bis zum 01.11.2008 in der Grundversorgung des Landes befunden haben. Seit dem 01.11.2008 sind Sie selbständig und führen [...] eine Pizzeria in X. Aufgrund dieser Tätigkeit besitzen Sie ein eigenes Einkommen und eine eigene Krankenversicherung. Dazu wird noch von der hs. Niederlassungsbehörde festgestellt, dass Sie aufgrund Ihres illegalen Aufenthaltes hier in Österreich keine Beschäftigung - weder selbständig noch unselbständig - ausüben dürfen.

 

Aus der vorgelegten Einkommenssteuererklärung für das Jahr 2012 ist ersichtlich, dass Sie ein monatliches Nettoeinkommen in der Höhe von € 538,46,- bekommen haben. Für die eigene Wohnung beträgt die Miete inklusive Betriebskosten monatlich € 410,-. Sie sind für Ihre Lebensgefährtin, X, geb. X, armen. StA., und für das gemeinsame Kind, X, geb. X in Vöcklabruck, armen. StA, whft detto unterhaltspflichtig. Die Einkommensberechnung gemäß § 293 ASVG unter Berücksichtung des Wertes der freien Station ergibt, dass Sie ein monatliches Mindesteinkommen in der Höhe von € 1.385.13,- besitzen müssen. Dies ist nicht der Fall und der monatliche Differenzbetrag beträgt € 1.168,52,-. Somit steht eindeutig fest, dass Sie nicht in der Lage sind für Ihren Unterhalt und für den Unterhalt Ihrer Familie selbst aufzukommen.

 

Sie haben am 27.08.2010 beim WIFI in Linz die positive Deutschprüfung Niveau A 2 abgelegt. Sprachkenntnisse sind daher vorhanden.

 

[...]

 

Sie sind sowohl strafrechtlich als auch verwaltungsrechtlich unbescholten.

 

Zu Ihrem Privat- und Familienleben wird festgestellt, dass Sie mit Ihrer Lebensgefährtin, X, geb. X, armen. StA., und dem gemeinsamen Kind, X, geb. X in Vöcklabruck, gemeinsam in Ihrer eigenen Wohnung in X., X, wohnen. Ihre Lebensgefährtin ist am 13.11.2009 illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Zu diesem Zeitpunkt ist Ihr Asylverfahren bereits negativ beschieden worden, jedoch beim Verwaltungsgerichtshof noch anhängig gewesen. Ihre Lebensgefährtin hat in weiterer Folge am 14.11.2009 beim Bundesasylamt Außenstelle Linz, ZI 09 14.179, einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt.

 

Mit Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle Linz vom 09.03.2010, ZI 09 14.179, ist ihr Asylantrag gemäß §§ 7 u 8 AsylG 2005 abgewiesen und gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist sie aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich nach Armenien ausgewiesen worden. Gegen diesen Bescheid hat sie fristgerecht die Beschwerde erhoben. Das Beschwerdeverfahren Ihrer Lebensgefährtin ist nach wie vor beim Asylgerichtshof anhängig.

 

Nach der Geburt des gemeinsamen Kindes ist ebenfalls für das Kind am 23.12.2011 beim Bundesasylamt Außenstelle Linz, Z111 15.516, ein Antrag auf internationalen Schutz gestellt worden. Mit Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle Linz vom 05.03.2012, ZI 11 15.516, ist der Asylantrag Ihres Kindes gemäß §§ 7 u 8 AsylG 2005 abgewiesen und gemäß § 10 Abs. 1 AsylG 2005 ist die Ausweisung aus Österreich nach Armenien erlassen worden. Auch gegen diesen Bescheid ist Beschwerde beim Asylgerichtshof erhoben worden. Die Entscheidung ist noch anhängig.

 

Faktum ist, dass Sie Ihre wesentlichen Integrationsschritte erst nach Beendigung Ihres Asylverfahrens gesetzt haben. Sie haben Ihr Familienleben ebenfalls zu einem Zeitpunkt gegründet, als Ihr Asylverfahren bereits negativ beschieden worden ist. Ihnen ist ihr unsicherer Aufenthalt hier in Österreich nachweislich bekannt und bewusst gewesen. Betreffend Ihrer beruflichen Integration wird angeführt, dass Sie zwar selbständig sind, jedoch ist es Ihnen bis dato nicht gelungen, für den Unterhalt Ihrer Familie selbst zu sorgen. Aus diesem Grund befindet sich Ihre Lebensgefährtin nach wie vor in der Grundversorgung des Landes OÖ. Ihnen ist es bis dato nicht gelungen, ein Einkommen zu erreichen, das Ihnen ermöglicht, für Ihre Familie alleine zu sorgen.

 

Während Ihres Asylverfahrens haben Sie keine Tendenzen gezeigt, sich am beruflichen Leben zu orientieren oder sich um eine sprachliche Integration zu bemühen. Sie sind während Ihres ganzen Asylverfahrens immer in der Grundversorgung des Landes OÖ. gewesen. Ein Organisationsverschulden von Seiten der Behörden liegt ebenfalls nicht vor.

 

Aus Ihrem Asylverfahren ist weiters ersichtlich, dass Sie noch familiäre Bindungen zu Ihrem Heimatstaat besitzen. In Armenien wohnen noch Ihre Eltern, X, geb. X, und X, geb. X, sowie Ihre drei Schwestern und Ihr Bruder, die in X wohnen.

 

Die hs. Niederlassungsbehörde stellt abschließend fest, dass sich Ihr Sachverhalt auch unter Berücksichtigung Ihres Privat- und Familienlebens nicht maßgeblich zu Ihrem Gunsten geändert hat. Deutlich wird angeführt, dass Ihr Familienleben zu einem Zeitpunkt entstanden ist, wo Sie sich Ihres unsicheren Aufenthaltes nachweislich aufgrund des negativen Asylbescheides bewusst gewesen sind. Trotzdem haben Sie beschlossen, eine Familie hier in Österreich zu gründen, ohne im Besitz eines legalen Aufenthaltes zu sein. Ihr weiterer Verbleib hier in Österreich ist völlig unsicher gewesen. Dieser Umstand hat Sie bei der Gründung Ihres Familienlebens nicht gehindert. Sie sind bis dato nicht in der Lage sowohl für Ihren Unterhalt als auch für den Unterhalt Ihrer Familie selbst aufzukommen. Ihre Lebensgefährtin sowie das gemeinsame Kind befinden sich nach wie vor in der Grundversorgung des Landes und besitzen auch keine eigene Krankenversicherung. Angeführt wird auch, dass auch Ihre Lebensgefährtin als auch das gemeinsame Kind kein Aufenthaltsrecht nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz 2005 besitzen.

 

Im Erkenntnis des EGMR vom 08.04.2008, X, differenziert der EGMR im Hinblick auf die Interessenabwägung erstmals ausdrücklich zwischen im Aufenthaltsstaat rechtsmäßig niedergelassen und bloß aufgrund ihres Status als Asylwerber vorübergehend zum Aufenthalt berechtigten Fremden und stellt klar, dass aus menschenrechtlicher Sicht eine unterschiedliche Behandlung dieser Personengruppe gerechtfertigt ist, da der Aufenthalt eines Asylwerbers auch während eines über Jahre andauernden Verfahrens nie sicher ist.

 

Laut ständiger Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes stellt die Übertretung fremdenpolizeilicher Vorschriften einen gravierenden Verstoß gegen die österreichische Rechtsordnung dar. Diesbezüglich hat der Verwaltungsgerichtshof auch in seinem Erkenntnis vom 13.01.1994, ZI 93/18/0584, ausgeführt, dass ein geordnetes Fremdenwesen für den österreichischen Staat von eminentem Interesse ist. Dies umso mehr in einer Zeit, in der, wie in jüngster Vergangenheit unübersehbar geworden, der Zuwanderungsdruck kontinuierlich zunimmt. Um den mit diesen Phänomenen verbundenen, zum Teil gänzlich neuen Problemstellungen in ausgewogener Weise Rechnung tragen zu können, gewinnen die für Fremde vorgesehenen Rechtsvorschriften zunehmend an Bedeutung. Den für die Einreise und den Aufenthalt von Fremden getroffenen Regelungen und deren Beachtung durch Normadressaten kommt aus Sicht des Schutzes und der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ordnung (Art. 8 Abs. EMRK) ein sehr hoher Stellenwert zu.

 

Aus den angeführten Gründen ist spruchgemäß entschieden worden.“

 

3. Dagegen erhob der Bf mit Schreiben vom 7. Februar 2014 Beschwerde, in der er beantragte, das Landesverwaltungsgericht möge den Bescheid der BH Vöcklabruck dahingehend abändern, dass seinem Antrag auf Erteilung einer „Rot-weiß-rot – Karte plus“ stattgegeben wird; in eventu möge der Bescheid zur Gänze behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die Erstbehörde zurückverwiesen werden. Auch eine öffentliche mündliche Verhandlung wurde beantragt.

 

Begründend führte der Bf an, dass sich die Behörde auf eine Stellungnahme der LPD gem § 44b NAG 2005 berufe, diese jedoch bloß auf ihre Stellungnahme vom August 2010 verwiesen habe. Damit mangle es an jeglicher Aktualität und es werde auf die tatsächliche Situation des Bf keinesfalls Bezug genommen.

 

Hinsichtlich der selbständigen Tätigkeit des Bf wird eingeräumt, dass das monatliche Nettoeinkommen an das Existenzminimum bzw. die ASVG-Richtsätze gem § 293 ASVG nicht herankomme, dass aber eine Versorgung der Familie mit Essen gewährleistet sei. Der Bf habe sich die letzten beinahe 5 1/2 Jahre aus eigener Kraft versorgt und sei nicht auf staatliche Leistungen angewiesen gewesen. Der Bf strebe ein unselbständiges Arbeitsverhältnis an, habe aber durch seine selbständige Arbeit beweisen, arbeitsfähig und -willig zu sein.

 

Der Bf sei bestens in Österreich integriert; er spreche gut Deutsch und habe einen großen Freundes- und Bekanntenkreis, der sich für den Verbleib der Familie in Österreich einsetze. Der Bf halte sich (zum Zeitpunkt der Beschwerde) 7 1/2 Jahre in Österreich auf, habe die gesetzlichen Regeln eingehalten und niemals gegen strafrechtliche Vorschriften verstoßen.

 

3. Die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt wurde von der BH Vöcklabruck mit Schreiben vom 20. Februar 2014, eingelangt am
27. Februar 2014, dem Oö. LVwG zur Entscheidung vorgelegt.

 

4. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte ungeachtet des Parteienantrages gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde sowie dem Beschwerdevorbringen des Bf ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.

 

 

II.            1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungserheblichen Sachverhalt aus:

 

Der Bf reiste am 2. September 2006 nach Österreich ein und stellte einen Asylantrag, der mit Bescheid des UBAS vom 21. April 2008 negativ erledigt wurde; die Behandlung der dagegen erhobenen Beschwerde wurde vom VwGH am 6. Juli 2010 abgelehnt. Im Anschluss daran wurde der ggst. Antrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels gestellt.

 

Der Bf ist heute 39 Jahre alt und wohnt mit seiner Lebensgefährtin und dem gemeinsamen Kind (geboren am 16. November 2011) in einer gemeinsamen Wohnung im X. Die Lebensgefährtin ist im November 2009 nach Österreich eingereist und hat einen Asylantrag gestellt. Die Asylanträge der Lebensgefährtin sowie des Kindes wurden im März 2010 bzw. März 2012 abgewiesen; die dagegen erhobenen Beschwerden sind noch anhängig.

 

Der Bf hat am 27. August 2010 das Österreichische Sprachdiplom auf dem Niveau A2 erfolgreich abgelegt. Er ist seit November 2008 selbständig tätig, befindet sich seit diesem Zeitpunkt nicht mehr in der Grundversorgung des Landes Oö. und ist selbst krankenversichert.

 

Der Bf konnte Unterstützungserklärungen von seiner Gemeinde sowie von Privatpersonen beilegen. Er ist strafrechtlich und verwaltungsrechtlich unbescholten.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.

 

 

III.           Gemäß § 81 Abs 23 NAG 2005 idgF sind Verfahren gemäß §§ 41a Abs 9 und 10, 43 Abs 3 und 4 sowie 69a Abs 1 Z 1 bis 3 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 87/2012, welche vor dem 1. Oktober 2013 bei der Behörde gemäß § 3 Abs 1 anhängig wurden und am 31. Dezember 2013 noch anhängig sind, sind auch nach Ablauf des 31. Dezember 2013 von der Behörde gemäß § 3 Abs 1 nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes in der Fassung vor dem BGBl I Nr 87/2012 (in der Folge: NAG 2005 aF) zu Ende zu führen

 

Gemäß § 41a Abs 9 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte Plus“ zu erteilen, wenn

1.   kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt,

2.   dies gemäß § 11 Abs 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist und

3.   der Drittstaatsangehörige das Modul 1 der Integrationsvereinbarung (§ 14a) erfüllt hat oder zum Entscheidungszeitpunkt eine Erwerbstätigkeit ausübt.

 

Ein Aufenthaltstitel kann gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

 

IV.          Das Oö. LVwG hat erwogen:

 

1. Zu seiner Zuständigkeit und der einschlägigen Rechtslage:

 

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Verwaltungsgerichte anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorzugehen haben (vgl etwa Fister/Fuchs/Sachs, § 28 VwGVG Anm 7 mwN; Wiederin, Der Umfang der Bescheidprüfung durch das Verwaltungsgericht im Parteibeschwerdeverfahren, ÖJZ 2014/25, 154; sowie etwa Hengstschläger/Leeb, AVG II § 39 Rz 42; AVG III, § 59 Rz 77; AVG IV § 66 Rz 80, letztere jeweils zu Bescheiden). Im Bereich des Aufenthaltsrechts aus humanitären Gründen erfolgten in den letzten Jahren zahlreiche umfangreiche Novellierungen; insbes. wurden derartige Aufenthaltstitel mit 1. Jänner 2014 aus dem NAG 2005 herausgelöst und in das AsylG 2005 integriert.

 

Das NAG 2005 enthält bzgl. der laufenden Verfahren, die vor dem 31. Oktober 2013 bei der „Behörde gemäß § 3 Abs 1 anhängig wurden“ – das ist der örtlich zuständige Landeshauptmann – die Anordnung, dass diese Verfahren „von der Behörde gemäß § 3 Abs 1 [...] zu Ende zu führen [sind]“, wobei dies anhand der Rechtslage vor BGBl I 87/2012 zu geschehen hat (§ 81 Abs 23 NAG 2005).

 

Damit ist freilich nur eine Aussage dahingehend getroffen, dass die belangte Behörde – also der Landeshauptmann respektive die für diesen handelnde Bezirkshauptmannschaft – weiterhin zuständig war, das Verfahren anhand der früheren Rechtslage zu erledigen. Aus dem Wortlaut ergibt sich jedoch nicht zwingend, welche Rechtslage für das im Beschwerdeweg angerufene Verwaltungsgericht zur Anwendung gelangt.

 

Während sich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts (jedenfalls auch) unmittelbar aus der Verfassung ableiten lässt (vgl Art 131 B-VG), weil keine einschlägige einfachgesetzliche Bestimmung existiert, die das Bundesverwaltungsgericht für Beschwerden gegen Bescheide des Landeshauptmannes für zuständig erklären würde, ist die im verwaltungsgerichtlichen Verfahren anwendbare Rechtslage nicht klar definiert.

 

Aus den Bestimmungen des § 81 Abs 25 (der die Erhebung von Beschwerden gegen Bescheide, die vor dem 31. Dezember 2013 erlassen wurden, zum Gegenstand hat), jener des Abs 26 (betreffend die beim Bundesminister anhängigen Verfahren) sowie insbesondere des Abs 27 (der den Fall einer Aufhebung eines Bescheides durch den VwGH bzw. VfGH zum Gegenstand hat) und der darin jeweils angeordneten Anwendung des NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 lässt sich aber wohl hinreichend klar ableiten, dass der Gesetzgeber eine Fortführung der „Altfälle“ anhand der früheren Rechtslage herbeiführen wollte.

 

Dass keine explizite Übergangsbestimmung existiert, die den hier relevanten Fall einer Beschwerde gegen einen nach dem 1. Jänner 2014 anhand der Rechtslage vor BGBl I 87/2012 ergangenen Bescheid (vgl § 81 Abs 23 NAG 2005) zum Gegenstand hat, stellt damit eine planwidrige Lücke dar. Diese wird vom
Oö. LVwG im Wege der Analogie geschlossen, sodass davon ausgegangen wird, dass auch im ggst. Beschwerdeverfahren die Prüfung des Bescheides anhand der Rechtslage vor BGBl I 87/2012 zu erfolgen hat.

 

Die gegenteilige Ansicht würde zum Ergebnis führen, dass in allen Übergangsfällen die betreffende Verwaltungsbehörde und das zuständige Verwaltungsgericht unterschiedliche Rechtslagen anzuwenden hätten – was Rechtswidrigkeiten der bekämpften Bescheide geradezu indiziert und im Übrigen jedem Bf die Möglichkeit eröffnen würde, durch Beschwerdeerhebung von der früheren in die aktuelle Rechtslage zu wechseln. Dass diese Folgen vom Gesetzgeber gewünscht waren, lässt sich mangels dahingehender Hinweise in den Materialien kaum annehmen.

 

Damit hat das Oö. LVwG über die ggst. Beschwerde zu entscheiden und dabei die Rechtslage vor BGBl I 87/2012 anzuwenden.

 

2. Zur Deutung des Antrages auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt“ als Antrag auf Erteilung einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“:

 

Der Bf stellte im Jahr 2010 einen Antrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung – unbeschränkt“ gem § 43 Abs 2 NAG 2005 (in der damals geltenden Fassung). Da ein derartiger Aufenthaltstitel nicht mehr existiert, ist der Antrag des Bf nunmehr als Antrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 9 NAG 2005 (idF vor BGBl I 87/2012) zu werten (vgl bspw. § 81 Abs 16 Z 2 NAG 2005 und VwGH 22.01.2014, Zl. 2013/22/0278).

 

3. Zu den Erteilungsvoraussetzungen für eine „Rot-weiß-Rot – Karte plus“:

 

a. Nichtvorliegen von Erteilungshindernissen gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG 2005 aF:

 

Zwar wurde der Bf vom UBAS in seinen Herkunftsstaat ausgewiesen, jedoch stellt eine solche Ausweisung (iSd § 11 Abs 1 Z 3) keinen relevanten Verweigerungsgrund für den ggst. Aufenthaltstitel dar. Hinweise auf Erteilungshindernisse bestehen ansonsten keine.

 

b. In Bezug auf das Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK:

 

Im konkreten Fall zeichnet sich ein Gesamtbild eines gut in Österreich integrierten Antragstellers, das auch erkennen lässt, dass dieser seine Integrationsbemühungen weiter fortführen wird. So hält sich der Bf seit nunmehr acht Jahren in Österreich auf, spricht gut Deutsch – bspw. hat der Bf bereits vor vier Jahren die erforderliche Deutsch-Prüfung bestanden – und geht einer selbständigen Tätigkeit nach. Der Bf kann sich seit nunmehr rund sechs Jahren seinen Unterhalt selbst finanzieren, ist selbst krankenversichert und insbes. nicht auf staatliche Leistung aus der Grundversorgung angewiesen. Damit hat der Bf jedenfalls seine Bereitschaft und seine Fähigkeit demonstriert, sich in das Berufsleben zu integrieren. Wenn der Bf nach eigenen Angaben in Zukunft eine unselbständige Tätigkeit anstrebt, erscheint das unter den vorliegenden Prämissen glaubhaft und erfolgsversprechend.

 

Hinzu kommt, dass sich sowohl die Lebensgefährtin als auch das gemeinsame Kind derzeit in Österreich aufhalten und der Bf mit ihnen in einem gemeinsamen Haushalt lebt. In Verbindung mit den von ihm gepflegten freundschaftlichen Kontakten in Österreich, die sich auch in zahlreichen Unterstützungserklärungen manifestieren, kann der Bf jedenfalls ein berücksichtigungswürdiges Privat- und Familienleben geltend machen.

 

Der Bf ist des Weiteren strafrechtlich unbescholten und wurde auch nie wegen Verstößen gegen das Fremdenrecht (verwaltungs-)strafrechtlich belangt.

 

Festgestellt werden kann zwar, dass der Bf über keinen Aufenthaltstitel in Österreich verfügt und ihm gegenüber eine Ausweisungsentscheidung erlassen wurde, die von ihm gefordert hätte, den rechtmäßigen Zustand durch Ausreise aus dem Bundesgebiet herzustellen. Aufgrund der oben dargestellten Aspekte ist jedoch davon auszugehen, dass im konkreten Fall die persönlichen Interessen des Bf an einem Verbleib in Österreich das – ebenfalls sehr gewichtige – öffentliche Interesse an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften überwiegen. Die Verweigerung des beantragten Aufenthaltstitels erschiene daher im Lichte von Art 8 EMRK unverhältnismäßig. In diesem Zusammenhang scheint auch berücksichtigungswert, dass das ggst. Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels seit nunmehr vier Jahren anhängig ist und auch die vom UBAS bereits im Jahr 2008 ausgesprochene Ausweisung bis dato von den Behörden nie effektuiert wurde. Die durch die fortschreitende Aufenthaltsdauer immer weiter verfestigte Integration des Bf kann damit wohl nicht vollumfänglich diesem alleine angelastet werden.

 

Aus diesen Gründen erachtet das Oö. LVwG die Erteilung des Aufenthaltstitels an den Bf gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens gem Art 8 EMRK geboten.

 

c. Erfüllung des Moduls 1 der Integrationsvereinbarung gem § 14a NAG 2005 aF:

 

Diese ist u.a. dann gegeben, wenn ein allgemein anerkannter Nachweis über ausreichende Deutschkenntnisse vorgelegt werden kann (§ 14a Abs 4 Z 2 NAG 2005 aF). Gem § 9 der Integrationsvereinbarungs-Verordnung liegen derartige Deutschkenntnisse dann vor, wenn der Fremde zumindest über Sprachkenntnisse auf A2-Niveau des Gemeinsamen Europäischen Referenzrahmens für Sprachen verfügt (§ 9 Abs 2 Z 1 IV-V), wobei diese u.a. durch das „Österreichische Sprachdiplom Deutsch“ nachgewiesen werden können (§ 9 Abs 1 Z 1 IV-V).

 

Aufgrund der Erbringung eines entsprechenden Nachweises hat der Bf das Modul 1 der Integrationsvereinbarung erfüllt.

 

 

V.           Da damit sämtliche Voraussetzungen des § 41a Abs 9 NAG 2005 aF für die Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-weiß-Rot – Karte plus“ erfüllt sind, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und dem Bf der begehrte Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs 1 NAG 2005. Die belangte Behörde hat den hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG‑DV an den Bf im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung des Aufenthaltstitels ist der Bf gemäß § 19 Abs 7 letzter Satz NAG 2005 über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren. Der Bf wird darauf hingewiesen, dass Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs 7 NAG 2005 nur persönlich ausgefolgt werden dürfen.

 

 

VI.          Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil eine Rechtsprechung des VwGH zu der Frage, welche Rechtslage für das Verwaltungsgericht einschlägig ist, wenn ein nach dem 1. Jänner 2014 anhand der Rechtslage vor BGBl I 87/2012 erlassener Bescheid (iSd § 81 Abs 23 NAG 2005) angefochten wird, fehlt.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter

Beachte:

Die Revision wurde als unbegründet abgewiesen.

VwGH vom 27. Jänner 2015, Zl.: Ro 2014/22/0045-3