LVwG-600525/8/ZO/CG/SA

Linz, 16.12.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Gottfried Zöbl über die Beschwerde des Dr. R G, vertreten durch Dr. R G, Dr. J K, Mag. H L, Mag. R S, Mag. T B, L vom 23.09.2014 gegen das Straferkenntnis des Landespolizeidirektors von Oberösterreich vom 17.09.2014, Zl.: VStV/914300383466/2014, wegen einer Übertretung des KFG nach Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.11.2014

zu Recht erkannt:

 

I.         Die Beschwerde wird abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis vollinhaltlich bestätigt.

 

 

II.       Der Beschwerdeführer hat zusätzlich zu den erstinstanzlichen Verfahrenskosten für das Beschwerdeverfahren einen Kostenbeitrag in  Höhe von 16 Euro  zu bezahlen.

 

 

III.     Gegen dieses Erkenntnis ist die ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

zu I.

1.           Die Landespolizeidirektion OÖ. hat dem Beschwerdeführer im angefochtenen Straferkenntnis vorgeworfen, dass er als Zulassungsbesitzer des KFZ mit dem Kennzeichen X auf Verlangen der Behörde, Bezirkshauptmannschaft Gmunden, Esplanade 10, 4810 Gmunden, binnen zwei Wochen ab Zustellung der schriftlichen  Aufforderung – zugestellt am 8.11.2013 - bis zum 22.11.2013 keine dem Gesetz entsprechende Auskunft darüber erteilt habe, wer dieses KFZ am 25.05.2013 um 17.47 Uhr in A, x bei Km 29,290 in Fahrtrichtung Gmunden gelenkt hat. Es sei keine Auskunft erteilt worden.

Der Beschwerdeführer habe dadurch eine Verwaltungsübertretung nach § 103 Abs.2 KFG begangen, weshalb über ihn gemäß § 134 Abs.1 KFG eine Geldstrafe in Höhe von 80 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe 16 Stunden) verhängt wurde. Weiters wurde er zur Zahlung eines Verfahrenskostenbeitrages in Höhe von 10 Euro verpflichtet.

 

2.           In der dagegen rechtzeitig eingebrachten Beschwerde machte der Beschwerdeführer vorerst geltend, dass die Behörde die Anlastung geändert habe, ohne ihm dazu Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben. Im gesamten Verfahren sei ihm angelastet worden, die Zulassungsbesitzeranfrage vom 5.11.2013 am 25.03.2014 zugestellt erhalten zu haben, erst das nunmehr angefochtene Straferkenntnis laste ihm an, dass ihm die Lenkeranfrage am 8.11.2013 zugestellt worden sei. Die Behörde hätte ihm Gelegenheit geben müssen, zu dieser neuen Anlastung Stellung zu nehmen. Da sie das nicht getan habe, habe sie sein Recht auf Gehör und damit auf ein faires Verfahren nach Art. 6 MRK verletzt.

 

Die Behörde habe die Frage der Zustellung unrichtig gelöst. Die Lenkererhebung sei ihm nicht persönlich zugestellt worden und die Ersatzzustellung sei ebenfalls gesetzwidrig erfolgt. Der Zustellmangel sei auch nicht geheilt. Aus § 16 Abs.2 Zustellgesetz ergibt sich, dass ein Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein kann, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist. Diese Voraussetzungen würden aber im gegenständlichen Fall nicht vorliegen. Die Lenkererhebung sei von Frau R entgegengenommen worden, bei dieser handle es sich um eine Angestellte der G Rechtsanwälte, also einer Personengesellschaft, die in x eine Anwaltskanzlei betreibt. Frau R wohne auch nicht an dieser Adresse. Sie sei eben nicht Arbeitnehmerin des Beschwerdeführers sondern einer Personengesellschaft, weshalb die Ersatzzustellung an sie nicht hätte vorgenommen werden dürfen. Die Lenkererhebung sei ihm auch nie persönlich zugegangen, weshalb dieser Zustellmangel nicht geheilt sei.

 

Die Behörde habe diesbezüglich trotz seines Beweisantrages keine Ermittlungen durchgeführt, weshalb auch das Verfahren mangelhaft gewesen sei. Frau R sei auch nicht zur Entgegennahme seiner Post berechtigt und es liege kein Verfahrensergebnis vor, dass sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor diesem Vorfall Privatpost für ihn entgegengenommen habe. Dabei handle es sich um eine bloße Vermutung der Behörde.

 

Auch das Ermessen bei der Strafbemessung sei gesetzwidrig ausgeübt worden, weil die Behörde lediglich Sorgepflichten für zwei Kinder berücksichtigt habe, er jedoch tatsächlich für seine Gattin und fünf Kinder sorgepflichtig sei.

 

 

3.           Die Landespolizeidirektion .  hat die Beschwerde ohne Beschwerdevorentscheidung dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vorgelegt. Damit ergab sich dessen Zuständigkeit, wobei es durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter zu entscheiden hat (§ 2 VwGVG).

 

 

4.            Das LVwG OÖ. hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Verfahrensakt, Durchführung eines Lokalaugenscheines im Objekt M sowie einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19.11.2014. An dieser hat ein Vertreter des Beschwerdeführers teilgenommen, die Verwaltungsbehörde war entschuldigt. Als Zeugin wurde Frau B R einvernommen.

 

4.1.      Daraus ergibt sich folgender für die Entscheidung wesentliche Sachverhalt:

Der Beschwerdeführer ist Zulassungsbesitzer des PKW mit dem Kennzeichen X. Gegen den Lenker dieses PKW wurde Anzeige erstattet, weil er am 25.05.2013 in A auf der B145 bei Km 29,290 die im Ortsgebiet erlaubte Höchstgeschwindigkeit um 16 km/h überschritten habe. Gegen den Beschwerdeführer wurde vorerst eine Strafverfügung wegen dieser Geschwindigkeitsübertretung erlassen, gegen welche er rechtzeitig Einspruch erhob. In weiterer Folge forderte die Bezirkshauptmannschaft Gmunden den Beschwerdeführer mit Schreiben vom 5.11.2013 gemäß § 103 Abs.2 KFG auf, den Lenker des PKW mit dem Kennzeichen X am 25.05.2013 um 17.47 Uhr bekannt zu geben. Dieses Schreiben war an den Hauptwohnsitz des Beschwerdeführers in x adressiert. Die Zustellung erfolgte im Postweg, wobei das Schreiben entsprechend dem Postschein am 8.11.2013 von Frau R als Bevollmächtigte für RSb-Briefe übernommen wurde.

 

Der Beschwerdeführer erteilte in weiterer Folge die geforderte Lenkerauskunft nicht, weshalb gegen ihn eine Strafverfügung erlassen wurde. In dieser wurde ihm vorgeworfen, als Zulassungsbesitzer des PKW mit dem Kennzeichen X die Lenkeranfrage der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 5.11.2013 nicht binnen zwei Wochen beantwortet zu haben. Als Tatort wurde der Sitz der Bezirkshauptmannschaft Gmunden und als Tatzeit der 23.11.2013 angegeben. Der Beschwerdeführer erhob gegen diese Strafverfügung einen nicht begründeten Einspruch, woraufhin das Verfahren an die Wohnsitzbehörde, die Landespolizeidirektion OÖ., abgetreten wurde. In der in weiterer Folge an den Beschwerdeführer gerichteten Aufforderung zur Rechtfertigung wurde das Zustelldatum fälschlich mit 25.03.2014 angegeben, was der Beschwerdeführer in weiterer Folge auch kritisierte.

 

Die gegenständliche Lenkererhebung wurde an die Adresse x gesendet. Dabei handelt es sich um die Zulassungsadresse des PKW und jene Adresse, an welcher der Beschwerdeführer mit Hauptwohnsitz gemeldet ist. Das Objekt x weist weder außen noch im Eingangsbereich Türschilder oder Briefkästen auf. Aufschriften weisen auf die Rechtsanwaltskanzlei G sowie andere Büros hin. Es gibt keinerlei Hinweis oder gar einen Briefkasten für eine Privatwohnung des Beschwerdeführers. Der Lift hält direkt im Sekretariat der Rechtsanwaltskanzlei, auch in diesem Bereich bzw. im Stiegenhaus gibt es keinen Hinweis auf Privatwohnungen oder einen Briefkasten.

 

Das Zustellorgan hat die Lenkererhebung, welche mittels RSb versendet wurde, im Sekretariatsbereich der Rechtsanwaltskanzlei an eine Angestellte der Kanzlei, Frau R übergeben. Diese ist Angestellte der G Rechtsanwälte, also einer Personengesellschaft, und nicht des Beschwerdeführers persönlich. Der Beschwerdeführer ist einer von 5 unbeschränkt haftenden Gesellschaftern der angeführten offenen Gesellschaft.

 

Den Zustellvorgang schilderte die Zeugin R zusammengefasst dahingehend, dass den gegenständlichen RSb-Brief sie selbst übernommen hat. Anhand des Kuverts kann sie nicht erkennen, ob das darin befindliche Schriftstück an den jeweiligen Adressaten persönlich gerichtet ist oder ob es sich um ein Schreiben handelt, welches einen Mandanten betrifft und an die Kanzlei zugestellt wird. Diesen Unterschied kann sie erst nach dem Öffnen des Kuverts durch das Lesen des Schriftstückes erkennen. Eingehende Schreiben werden einem Akt zugeordnet und in die Postmappe gegeben. Wenn sie keinem konkreten Akt zugeordnet werden können, werden die Schreiben ebenfalls in die Postmappe gegeben und dem jeweiligen Juristen gebracht. Diese manipulativen Tätigkeiten führt irgendeine Sekretärin durch, welche dazu Zeit hat.

 

Zur Behauptung des Beschwerdeführers, dass er die Lenkererhebung nie erhalten habe, konnte die Zeugin keine konkreten Angaben machen, sie räumte aber ein, dass in der Kanzlei „schon gelegentlich Schriftstücke verloren gehen“, weil sie so viel Post bekommen.

 

Die gesamte für Dr. G persönlich bestimmte Post wird ebenfalls in die Kanzlei gebracht, einen separaten Briefkasten für Dr. G gibt es nicht. Der Beschwerdeführer habe nichts darüber gesagt, ob sie ermächtigt sei, auch private Post für ihn entgegen zu nehmen. Beim gegenständlichen Schriftstück sei sie bei der Entgegennahme davon ausgegangen, dass das Schreiben einen Mandanten betreffe, sie könne die Entgegennahme solcher Schreiben nicht verweigern, weil sie ja zum Zeitpunkt der Entgegennahme nicht wisse, ob die Post für Dr. G persönlich oder in seiner Eigenschaft als Vertreter eines Mandanten bestimmt sei. Hätte sie die Briefträgerin darauf hingewiesen, dass das Schreiben für den Beschwerdeführer persönlich bestimmt sei, dann hätte sie geschaut, ob der Beschwerdeführer in der Kanzlei anwesend ist und er hätte dann das Schriftstück selbst entgegennehmen müssen.

 

4.2.      Zu diesen Angaben ist in freier Beweiswürdigung folgendes festzuhalten:

Die Behauptung des Beschwerdeführers, dass ihm die gegenständliche Lenkererhebung nie tatsächlich zugegangen ist (und damit ein allfälliger Zustellmangel nicht geheilt wurde) kann nicht mit der für ein Strafverfahren erforderlichen Sicherheit widerlegt werden. Es erscheint zwar ungewöhnlich und auf Grund des in anderen Rechtsanwaltskanzleien gepflogenen sorgfältigen Umgangs mit Schriftstücken nur schwer nachvollziehbar, dass nachweislich zugestellte behördliche Schriftstücke verloren werden, allerdings muss dies für die konkrete Rechtsanwaltskanzlei aufgrund der ausdrücklichen Behauptung des Beschwerdeführers und der dazu passenden Aussage der Zeugin wohl tatsächlich angenommen werden.

 

5. Darüber hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht folgendes erwogen:

 

5.1. Gemäß § 103 Abs.2 KFG kann die Behörde Auskünfte darüber verlangen, wer zu einem bestimmten Zeitpunkt ein nach dem Kennzeichen bestimmtes Kraftfahrzeug gelenkt oder einen nach dem Kennzeichen bestimmten Anhänger verwendet hat bzw. zuletzt vor einem bestimmten Zeitpunkt an einem bestimmten Ort abgestellt hat. Diese Auskünfte, welche den Namen und die Anschrift der betreffenden Person enthalten müssen, hat der Zulassungsbesitzer – im Falle von Probe- oder von Überstellungsfahrten der Besitzer der Bewilligung – zu erteilen; kann er diese Auskunft nicht erteilen, so hat er die Person zu benennen, die die Auskunft erteilen kann, diese trifft dann die Auskunftspflicht; die Angaben des Auskunftspflichtigen entbinden die Behörde nicht, diese Angaben zu überprüfen, wenn dies nach den Umständen des Falles geboten erscheint. Die Auskunft ist unverzüglich, im Falle einer schriftlichen Aufforderung binnen zwei Wochen nach Zustellung zu erteilen; wenn eine solche Auskunft ohne entsprechende Aufzeichnungen nicht gegeben werden könnte, sind diese Aufzeichnungen zu führen. (Verfassungsbestimmung) Gegenüber der Befugnis der Behörde, derartige Auskünfte zu verlangen, treten Rechte auf Auskunftsverweigerung zurück.

 

§ 13 Abs.4 Zustellgesetz lautet:

Ist der Empfänger eine zur berufsmäßigen Parteienvertretung befugte Person, so ist das Dokument in deren Kanzlei zuzustellen und darf an jeden dort anwesenden Angestellten des Parteienvertreters zugestellt werden; ……………….

 

§ 16 Abs.1 Zustellgesetz lautet:

Kann das Dokument nicht dem Empfänger zugestellt werden und ist an der Abgabestelle ein Ersatzempfänger anwesend, so darf an diesen zugestellt werden (Ersatzzustellung), sofern der Zusteller Grund zur Annahme hat, dass sich der Empfänger oder ein Vertreter im Sinn des § 13 Abs.3 regelmäßig an der Abgabestelle aufhält.

 

Gemäß § 16 Abs.2 Zustellgesetz kann Ersatzempfänger jede erwachsene Person sein, die an derselben Abgabestelle wie der Empfänger wohnt oder Arbeitnehmer oder Arbeitgeber des Empfängers ist und die – außer wenn sie mit dem Empfänger im gemeinsamen Haushalt lebt – zur Annahme bereit ist.

 

5.2. Der Beschwerdeführer ist zwar selbst berufsmäßiger Parteienvertreter, die Bestimmung des § 13 Abs.4 Zustellgesetz, wonach für diese an der Kanzlei zuzustellen ist, ist im konkreten Fall jedoch nicht anzuwenden, weil diese Bestimmung nur dann gilt, wenn an den Parteienvertreter in dieser Funktion (und nicht an ihn persönlich) zugestellt wird (siehe z.B. VwGH vom 21.2.1990, 89/02/0161).

 

5.3. Ob die Lenkererhebung rechtmäßig zugestellt wurde, ist daher gemäß § 16 Abs.1 und 2 Zustellgesetz zu beurteilen. Im konkreten Fall konnte das Zustellorgan den RSb-Brief dem Empfänger nicht persönlich zustellen, weil es diesen während des Zustellvorganges nicht angetroffen und eine Angestellte der Anwaltskanzlei das Schriftstück übernommen hat. Es ist daher zu prüfen, ob diese Angestellte zulässiger Weise als Ersatzempfängerin für den Beschwerdeführer gehandelt hat oder nicht. Dazu ist vorerst festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Angestellten (Frau R) und der G OG besteht und nicht direkt zwischen der Zeugin und dem Beschwerdeführer.

 

 

5.3.1. Der Verwaltungsgerichtshof hat in der Entscheidung vom 17.12.1998, 95/06/0254 ausgesprochen, dass eine Angestellte einer Ges.m.b.H. nicht als Ersatzempfängerin für den Geschäftsführer dieser Ges.m.b.H. in Frage kommt. Dies deshalb, weil die Angestellte nicht Arbeitnehmerin des Geschäftsführers der Ges.m.b.H. war sondern eben Arbeitnehmerin der juristischen Person. Diese Entscheidung könnte auf den ersten Blick auch auf den gegenständlichen Fall angewendet werden, wobei allerdings zu berücksichtigen ist, dass zwischen einer Ges.m.b.H. und einer OG doch erhebliche Unterschiede bestehen. Zwar ist gemäß § 105 UGB auch die offene Gesellschaft rechtsfähig, allerdings sind alle Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden und bei keinem der Gesellschafter ist die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt. Es besteht daher bei einer offenen Gesellschaft ein engerer Bezug der Gesellschafter zu dieser Gesellschaft und deren Arbeitnehmern als bei einer Ges.m.b.H.

 

5.3.2. Der Begriff „Arbeitnehmer“ in § 16 Abs.2 Zustellgesetz ist jedoch nicht in seiner zivilrechtlichen Bedeutung zu verstehen sondern aus der Sicht des Zustellgesetzes auszulegen. Der OGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass eine Ersatzzustellung an einen Arbeitnehmer des Empfängers die Abhängigkeit und Unselbständigkeit des Übernehmers der Postsendung vom Adressaten voraussetzt. Der OGH stellt also nicht darauf ab, ob zwischen dem Adressaten und dem Übernehmer der Briefsendung ein formalrechtliches Arbeitsverhältnis besteht, sondern ob der Übernehmer der Sendung vom Adressaten (wirtschaftlich) abhängig ist. In der Entscheidung vom 15.09.2010, Zl. 2 Ob 118/10g hat der OGH ein derartiges „Arbeitnehmerverhältnis“ auch bei einer „nicht offiziell angestellten Putzfrau“ angenommen und die Ersatzzustellung an diese als rechtmäßig erkannt, obwohl mit dieser kein formales Arbeitsverhältnis bestanden hat.

 

5.3.3. Die Regelungen betreffend die Ersatzzustellung in § 16 Zustellgesetz haben den Zweck, dass die Zustellung eines Schriftstückes auch möglich ist, wenn das Zustellorgan den Empfänger nicht antrifft. Um den Empfänger bestmöglich zu schützen und soweit als möglich sicherzustellen, dass er auch tatsächlich in den Besitz des an einen Ersatzempfänger zugestellten Schriftstückes kommt, lässt das Gesetz nur solche Personen als Ersatzempfänger zu, die in einem besonderen Naheverhältnis zum Empfänger stehen (Haushaltsangehörige) oder bei denen eine enge berufliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit besteht (Arbeitnehmer). Bei diesen Personen geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass der Ersatzempfänger die entgegengenommenen Schriftstücke regelmäßig auch tatsächlich an den Empfänger weiterleitet. Diese Annahme ist auch im gegenständlichen Fall gerechtfertigt, weil sämtliche Angestellten der offenen Gesellschaft regelmäßig Post für den Beschwerdeführer übernehmen und an diesen weiterleiten. Sie selbst und auch das Zustellorgan konnten daher davon ausgehen, dass der Beschwerdeführer mit der Übernahme der Schriftstücke einverstanden ist. Für die Zeugin R als Angestellte der offenen Gesellschaft besteht eine wirtschaftliche Abhängigkeit im Sinne der Rechtsprechung des OGH nicht nur gegenüber der Gesellschaft sondern auch gegenüber jedem einzelnen Gesellschafter, weshalb sie aus zustellrechtlicher Sicht als „Arbeitnehmerin“ (auch) des Beschwerdeführers anzusehen ist.

 

5.3.4. Dieses Ergebnis wird auch durch die aktuelle Rechtsprechung des VwGH vom 13.11.2012, Zl. 2010/05/0027 gestützt. Im dort zu beurteilenden Fall hatten zwei verschiedene GesmbHs welche zu einer einheitlichen Unternehmensgruppe gehören, einen einzigen Empfangsbereich eingerichtet, in welchem Angestellte beider Gesellschaften tätig waren. Diese haben regelmäßig Post für beide GesmbHs entgegengenommen. Der Verwaltungsgerichtshof hat bei dieser Konstellation ausgesprochen, dass es für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung an eine der beiden GesmbHs nicht darauf ankommt, ob jene Person, welche das Schriftstück entgegengenommen hat, bei dieser oder bei der anderen GesmbH beschäftigt ist. Der Verwaltungsgerichtshof hat in dieser Entscheidung also nicht darauf abgestellt, ob das Arbeitsverhältnis formal mit der Empfängerin besteht, sondern hat die tatsächlichen Verhältnisse wesentlich stärker berücksichtigt.

 

Die tatsächlichen Verhältnisse sprechen auch im gegenständlichen Fall dafür, dass die Zeugin R als Ersatzempfängerin des Beschwerdeführers anzusehen ist:

Der Beschwerdeführer und die offene Gesellschaft haben eine „gemeinsame Einlaufstelle“, weil die an den Beschwerdeführer gerichtete Post regelmäßig in der Kanzlei der OG übernommen wird und der Beschwerdeführer selbst keinen Briefkasten oder eine sonstige Zustellmöglichkeit bereithält. Aus dem Umstand, dass die Angestellten der OG auch in der Vergangenheit Schriftstücke, welche für den Beschwerdeführer persönlich bestimmt waren, übernommen haben, ist abzuleiten, dass diese Tätigkeit durchaus zu den Obliegenheiten der Angestellten gehört hat und sie daher als „Arbeitnehmer“ im zustellrechtlichen Sinn zu qualifizieren sind.

 

5.3.5. Dieses Ergebnis wird praktisch noch dadurch bestärkt, dass für die Angestellten der offenen Gesellschaft bei der Übernahme der Schriftstücke – zumindest im konkreten Fall – nicht eindeutig ersichtlich war, ob dieses Schriftstück inhaltlich für die Anwaltskanzlei (also für einen vom Beschwerdeführer vertretenen Mandanten) oder für den Beschwerdeführer persönlich bestimmt ist. Die Angestellten der offenen Gesellschaft haben also keine Wahlmöglichkeit sondern es gehört zu ihren Pflichten, derartige RSb-Briefe zu übernehmen.

 

 

5.3.6. Die Lenkererhebung der Bezirkshauptmannschaft Gmunden vom 5.11.2013 wurde daher am 8.11.2013 gültig zugestellt und der Beschwerdeführer hat als Zulassungsbesitzer die geforderte Auskunft nicht erteilt. Er hat daher die ihm vorgeworfene Übertretung in objektiver Hinsicht zu verantworten.

 

5.4. Richtig ist, dass die Behörde in der Aufforderung zur Rechtfertigung das Zustelldatum der Lenkererhebung falsch angegeben hat. Bereits in der vorher ergangenen Strafverfügung ist der Tatvorwurf jedoch vollständig und richtig angeführt und auch im noch innerhalb der Verjährungsfrist erlassenen Straferkenntnis ist das Zustelldatum richtig gestellt. Es ist daher nicht ersichtlich, wie dieser Fehler der Behörde den Beschwerdeführer hätte belasten können. Er hatte auch in der Beschwerde ausreichend Gelegenheit, sich zur Zustellung der Lenkererhebung (mit dem richtigen Datum) zu äußern. Dieser Fehler während des Verfahrens ändert daher nichts an der Richtigkeit des Tatvorwurfes.

 

5.5. Der Umstand, dass die Lenkererhebung (entweder noch in der Kanzlei oder in seiner im selben Stockwerk befindlichen Privatwohnung) verloren gegangen ist, bevor der Beschwerdeführer diese tatsächlich erhalten hat, kann ihn nicht entschuldigen, weil der Verlust des Schriftstückes jedenfalls in seinem Einflussbereich gelegen ist und er verpflichtet gewesen wäre, dafür zu sorgen, dass behördliche Schriftstücke, welche von einer Ersatzempfängerin entgegengenommen werden, ihm auch tatsächlich vorgelegt werden.

 

6. Gemäß § 19 Abs.1 VStG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.

 

Gemäß § 19 Abs.2 VStG sind im ordentlichen Verfahren überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Laut ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes handelt es sich bei der Strafzumessung innerhalb eines gesetzlichen Strafrahmens um eine Ermessensentscheidung, die nach den Kriterien des § 19 VStG vorzunehmen ist. Die maßgebenden Umstände und Erwägungen für diese Ermessensabwägung sind in der Begründung des Bescheides soweit aufzuzeigen, als dies für die Rechtsverfolgung durch die Parteien des Verwaltungsstrafverfahrens und für die Nachprüfbarkeit des Ermessensaktes erforderlich ist.

 

Gemäß § 134 Abs.1 KFG beträgt die gesetzliche Höchststrafe für die gegenständliche Übertretung 5.000 Euro.

 

Der Beschwerdeführer ist aktenkundig unbescholten, was einen erheblichen Strafmilderungsgrund bildet. Sonstige Strafmilderungs- oder Straferschwerungsgründe liegen nicht vor.

 

Entgegen der behördlichen Einschätzung ist der Beschwerdeführer für fünf Kinder und seine Gattin sorgepflichtig. Andererseits verfügt er über ein überdurchschnittliches Einkommen(laut unwidersprochener Schätzung mtl. 2.500 € netto), weshalb die von der Behörde verhängte Geldstrafe nicht als überhöht anzusehen ist. Die Behörde hat den gesetzlichen Strafrahmen lediglich zu 1,6 % ausgeschöpft und die Strafe in dieser Höhe erscheint sowohl aus general- als auch spezialpräventiven Überlegungen erforderlich. Die Beschwerde war daher auch hinsichtlich der Strafhöhe abzuweisen.

 

zu II.

Die Entscheidung über die Verfahrenskosten ist in § 52 VwGVG begründet.

 

 

zu III.

Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil die Frage, ob eine Angestellte einer OG aus zustellrechtlicher Sicht als Ersatzempfängerin eines Gesellschafters dieser OG anzusehen ist oder nicht, soweit ersichtlich bisher nicht geklärt ist und dieser Frage über den Einzelfall hinaus Bedeutung zukommt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Gottfried Zöbl

 

 

LVwG-600525/8/ZO/CG/SA vom 16. Dezember 2014

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

 

§ 16 Abs. 2 ZustG

 

* Der VwGH hat in seiner Entscheidung vom 17.12.1998, Zl. 95/06/0254 ausgesprochen, dass eine Angestellte einer GmbH nicht als Ersatzempfängerin für den Geschäftsführer dieser GmbH in Frage kommt. Es ist aber zu berücksichtigen, dass zwischen einer GmbH und einer OG erhebliche Unterschiede bestehen. Zwar ist gemäß § 105 UGB auch die OG rechtsfähig, allerdings sind alle Gesellschafter gesamthandschaftlich verbunden und bei keinem der Gesellschafter ist die Haftung gegenüber den Gesellschaftsgläubigern beschränkt. Es besteht daher bei einer OG ein engerer Bezug der Gesellschafter zu dieser Gesellschaft als bei einer GmbH.

 

* Der Begriff „Arbeitnehmer“ in § 16 Abs.2 ZustG ist nicht in seiner zivilrechtlichen Bedeutung zu verstehen, sondern aus der Sicht des Zustellgesetzes auszulegen. Der OGH hat in mehreren Entscheidungen klargestellt, dass eine Ersatzzustellung an einen Arbeitnehmer des Empfängers die Abhängigkeit und Unselbständigkeit des Übernehmers der Postsendung vom Adressaten voraussetzt. Der OGH stellt also nicht darauf ab, ob zwischen dem Adressaten und dem Übernehmer der Briefsendung ein formalrechtliches Arbeitsverhältnis besteht, sondern ob der Übernehmer der Sendung vom Adressaten (wirtschaftlich) abhängig ist (2 Ob 118/10g v. 15.09.2010).

 

* Die Regelungen betreffend die Ersatzzustellung in § 16 Zustellgesetz haben den Zweck, dass die Zustellung eines Schriftstückes auch möglich ist, wenn das Zustellorgan den Empfänger nicht antrifft. Um den Empfänger bestmöglich zu schützen und soweit als möglich sicherzustellen, dass er auch tatsächlich in den Besitz des an einen Ersatzempfänger ausgehändigten Schriftstückes kommt, lässt das Gesetz nur solche Personen als Ersatzempfänger zu, die in einem besonderen Naheverhältnis zum Empfänger stehen (Haushaltsangehörige) oder bei denen eine enge berufliche oder wirtschaftliche Abhängigkeit besteht (Arbeitnehmer). Bei diesen Personen geht der Gesetzgeber offenbar davon aus, dass der Ersatzempfänger die entgegen genommenen Schriftstücke regelmäßig auch tatsächlich an den Empfänger weiterleitet.

 

Diese Annahme ist auch im gegenständlichen Fall gerechtfertigt, weil sämtliche Angestellten der OG regelmäßig Post für den Beschwerdeführer übernehmen und an diesen weiterleiten. Der Beschwerdeführer hat den Angestellten der OG die Entgegennahme der Post auch nicht ausdrücklich verboten, weshalb sie selbst und auch das Zustellorgan davon ausgehen konnten, dass er mit der Übernahme der Schriftstücke einverstanden ist. Für die einzelne Angestellte der OG besteht eine wirtschaftliche Abhängigkeit im Sinne der Rechtsprechung des OGH nicht nur gegenüber der Gesellschaft sondern auch gegenüber jedem einzelnen Gesellschafter, weshalb sie aus zustellrechtlicher Sicht als „Arbeitnehmerin“ (auch) des Beschwerdeführers anzusehen ist.

 

* Dieses Ergebnis wird auch durch die aktuelle Rechtsprechung des VwGH vom 13.11.2012, Zl. 2010/05/0027 gestützt. Im dort zu beurteilenden Fall hatten zwei verschiedene GmbH’s, welche zu einer einheitlichen Unternehmensgruppe gehören, einen einzigen Empfangsbereich eingerichtet, in welchem Angestellte beider Gesellschaften tätig waren. Diese haben regelmäßig Post für beide GmbH‘s entgegengenommen. Der VwGH hat bei dieser Konstellation ausgesprochen, dass es für die Wirksamkeit der Ersatzzustellung an eine der beiden GesmbHs nicht darauf ankommt, ob jene Person, welche das Schriftstück entgegengenommen hat, bei dieser oder bei der anderen GesmbH beschäftigt ist. Er hat also nicht das formale Arbeitsverhältnis, sondern die tatsächlichen Verhältnisse betont.

 

Auch im konkreten Fall haben der Beschwerdeführer und die OG eine „gemeinsame Einlaufstelle“, weil die an den Beschwerdeführer gerichtete Post regelmäßig in der Kanzlei der OG übernommen wird und der Beschwerdeführer selbst keinen Briefkasten oder eine sonstige Zustellmöglichkeit bereithält. Aus dem Umstand, dass die Angestellten der OG auch in der Vergangenheit Schriftstücke, welche für den Beschwerdeführer persönlich bestimmt waren, übernommen haben, ohne dass der Beschwerdeführer dies untersagt hätte, ist abzuleiten, dass diese Tätigkeit durchaus zu den Obliegenheiten der konkreten Angestellten gehört hat und sie daher als „Arbeitnehmer“ im zustellrechtlichen Sinn – und damit als Ersatzempfängerin - zu qualifizieren sind.

 

Beschlagwortung:

 

Ersatzzustellung; GmbH; OG; Angestellter; Arbeitnehmer

Beachte:

Die Revision wurde als unbegründet abgewiesen.

VwGH vom 11. September 2015, Zl. Ro 2015/02/0015-3