LVwG-750246/2/MZ

Linz, 02.02.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag.
Dr. Markus Zeinhofer über die Beschwerde des M. N. gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 2.12.2014, GZ Sich30-2-2014, wegen Einziehung des Reisepasses nach dem Passgesetz

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

 

 

 

I.         Der Beschwerde wird stattgegeben und der angefochtene Bescheid ersatzlos behoben.

 

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.1. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 2.12.2014, GZ Sich30-2-2014, wurde dem Beschwerdeführer (in Folge: Bf) gem §§ 15 Abs 1 iVm 14 Abs 1 Z 3 lit f und 16 des Passgesetzes 1992 idF BGBl I 2009/135 der von der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems am 16.7.2007 ausgestellte Reisepass mit der Nummer 2133996 entzogen.

 

Ihre Entscheidung begründend führt die belangte Behörde wie folgt aus:

 

Am 31.07.2014 wurde von der Landespolizeidirektion Oberösterreich, Landeskriminalamt, gegen Sie Anzeige an die Staatsanwaltschaft Steyr erstattet, da Sie verdächtigt waren, in der Zeit von etwa Ende Juni 2013 bis Anfang Mai 2014, große Mengen Cannabiskraut zum Grammpreis von € 8,-- und € 9,- erworben und an etliche Personen aus dem Raum K. und W., in etlichen Einzelverkäufen jeweils geringe Mengen Marihuana zum Grammpreis von € 10,-- und € 12,- verkauft zu haben.

 

Mit Schreiben der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems vom 14.11.2014 wurden Ihnen mitgeteilt, dass beabsichtigt sei, Ihren Reisepass zu entziehen. Ihnen wurde die Möglichkeit eingeräumt, sich im Entziehungsverfahren zu äußern, um Ihre Rechte und rechtlichen Interessen zu wahren.

 

Sie sind am 25.11.2014 bei der Behörde erschienen und haben folgendes angegeben: „Ich erscheine heute bei der Behörde und möchte folgendes mitteilen:

Aus dem Gerichtsurteil ist ersichtlich, dass ich zwar mit Drogen gehandelt habe, aber diese nie aus dem Ausland bezog. Ich habe somit meinen Reisepass nie für den Drogenhandel missbräuchlich verwendet. Außerdem möchte ich noch anmerken, dass ich mich ohne meinen Reisepass nicht ausweisen kann und auch keine RSa Briefe von der Post holen kann. Ich ersuche daher, dass mir der Reisepass nicht entzogen wird."

 

b) Sachverhalt

 

Fest steht, dass Sie mit Urteil des Landesgerichts Steyr vom 16.09.2014, GZ. 10 Hv 31/14b -12, rechtskräftig seit 16.09.2014, wurden Sie wegen des Vergehens des Suchtgifthandels nach § 28a Abs. 1 fünfter Fall SMG zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, nachdem Sie schuldig gesprochen wurden, zu nachgenannten Zeiten in K. und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) zumindest einfach übersteigende Menge, nämlich insgesamt zumindest 600 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlich Delta-9-THC-Gehalt von zumindest 4 %, nachgenannten abgesondert verfolgten Personen jeweils zu einem Grammpreis zwischen € 10,- und € 12,- entgeltlich überlassen haben, und zwar

 

1.    Ende Mai 2014 fünf Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an M.H.-F.;

2.    im Zeitraum November 2013 bis 10.05.2014 monatlich zumindest drei Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- bzw. 12,- an M. G., insgesamt zumindest 18 Gramm;

3.    im Zeitraum Anfang November 2013 bis Mitte April 2014 monatlich zumindest drei Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- bzw. € 12,- an M. H., insgesamt zumindest 18 Gramm;

4.    im Zeitraum Anfang November 2013 bis Anfang Mia 2014 alle zwei Monate je zwei Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an A. K. Z., insgesamt zumindest 6 Gramm;

5.    im Zeitraum November 2013 bis Ende Mai 2014 monatlich zumindest zwei Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an D. K., insgesamt zumindest 20 Gramm;

6.    im Zeitraum Anfang November 2013 bis Anfang Mai 2014 neun Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an S. K.;

7.    im Zeitraum Anfang November 2013 bis Anfang Mai 2014 neun Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an N. G.;

8.    im Zeitraum Anfang November 2013 bis Anfang Mai 2014 monatlich ca. fünf Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an S. N., insgesamt zumindest 30 Gramm;

9.    im Zeitraum Jänner 2014 bis Mai 2014 zwei Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an M.M. bzw. D. K.;

10.  im Zeitraum Anfang November 2013 bis Ende März 2014 zumindest 30 Gramm zu einem Grammpreis von € 12,- an D. B. B.;

11.  im Zeitraum November 2013 bis Anfang Mai 2014 zumindest 18 Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an M. B.;

12.  im Zeitraum Ende 2013 bis Anfang Mai 2014 alle zwei Monate zumindest 20 Gramm zu einem Grammpreis von € 10,- an B. K. und einen weiteren bislang unbekannten Abnehmer in W., insgesamt zumindest 40 Gramm;

13.  im Zeitraum November 2013 bis Anfang Mai 2014 die Restmenge der von M. insgesamt erworbenen 600 Gramm Cannabiskraut an unzählige weiter unbekannte Abnehmer.

 

Die Freiheitsstrafe wurde unter Bestimmung einer Probezeit von 3 Jahren bedingt nachgesehen.

 

c) Rechtslage

 

Es folgt die Zitierung der einschlägigen rechtlichen Vorschriften. Danach setzt die belangte Behörde ihre Bescheidbegründung wie folgt fort:

 

d) Die Behörde hat erwogen

 

Der Sachverhalt ergibt sich aus der Aktenlage und ist unstrittig. Bei der Beurteilung des Vorliegens eines Entziehungsgrundes kommt gemäß § 46 AVG nach dem Grundsatz der Unbeschränktheit der Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes geeinigt und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist (vgl. VwGH vom 15.12.2005, GZ: 2002/18/0224 zur Frage der Bindungswirkung eines gerichtlichen Urteils).

 

Für die Behörde steht insbesondere aufgrund der zitierten strafgerichtlichen Verurteilung fest:

Sie haben im Zeitraum von Ende Juni 2013 bis Anfang Mai 2014, insgesamt zumindest 600 Gramm Cannabiskraut (und somit in einer großen Menge) an verschiedene Personen entgeltlich überlassen haben. Außerdem haben Sie im selben Zeitraum Cannabiskraut erworben, besessen und konsumiert.

Das Erfahrungswissen, dass gerade bei Suchtgiftdelikten die Wiederholungsgefahr besonders groß ist, rechtfertigt die Befürchtung, Sie könnten Suchtgifte erneut in einer größeren Menge erwerben oder in Verkehr setzen, wobei die Verwendung eines Reisepasses dieses erleichtern würde. (z.B. VwGH 2001/18/0169). Die Weitergabe von Suchtmitteln aller Art stellt in Anbetracht des um sich greifenden Drogenmissbrauchs eine Gefährdung der Allgemeinheit (Volksgesundheit) und damit auch eine Bedrohung der inneren Sicherheit der Republik Österreich dar (VwGH 30.11.2004, 2002/18/0071).

 

Die Entscheidung eines Mitgliedstaates, seinem eigenen Staatsbürger die Ausreise zu verbieten, stellt eine Angelegenheit dar, die in den Anwendungsbereich des Unionsrechts, konkret der Richtlinie 2004/38/EG sowie Art. 20 und Art. 21 AEUV, fällt. Hinsichtlich der Ausstellung eines Reisepasses und eines Personalausweises für eigene Staatsbürger ergibt sich dies bereits aus Art. 4 Abs. 3 RL 2004/38/EG (vgl. EuGH Urteil 17. November 2011, Rechtssache C-430/10, G.). Aufgrund der Richtlinie 2004/38/EG verleiht die Unionsbürgerschaft jedem Bürger der Union das elementare und persönliche Recht, sich im Hoheitsgebiet der Mitgliedstaaten vorbehaltlich der im Vertrag und in den Durchführungsvorschriften vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen frei zu bewegen und aufzuhalten. Die Beschränkung des Rechts auf Freizügigkeit und Aufenthalt aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit ist zulässig.

 

Dazu ist festzuhalten, dass der (allfällig grenzüberschreitende) Suchtmittelhandel jedenfalls das Grundinteresse einer Gesellschaft berührt. Aufgrund der damit verbundenen erheblichen Gefährdung insbesondere der Gesundheit ist eine wie von Ihnen gezeigte Suchtgiftdelinquenz auch nach unionsrechtlichen Maßstäben als besonders verpönt zu betrachten und jedenfalls zu unterbinden.

 

Bei der Beurteilung, ob es zulässig ist, das unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit einzuschränken, hat sich die Behörde damit auseinanderzusetzen, ob vom Passinhaber im Zeitpunkt ihrer Entscheidung (allenfalls: immer noch) eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der RL 2004/38/EG ausgeht und diese Annahme auch für die Zukunft gerechtfertigt ist. Dabei hat die Behörde darauf zu achten, ob die Straftaten des Passinhabers dergestalt waren, dass auf Grund der Art der Tatbegehungen begründet angenommen werde kann, der Passinhaber werde hinkünftig Straftaten iSd § 14 Abs. 1 Zif. 3 lit. f PassG 1992 begehen (VwGH vom 10.10.2012, GZ: 2009/18/0458).

 

In Anbetracht der geschilderten Tatsachen ist die Annahme, dass Sie entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge (auch weiterhin) einführen, ausführen oder in Verkehr setzen, jedenfalls gerechtfertigt. Aufgrund Ihres persönlichen bisherigen Verhaltens, insbesondere der Verkauf einer nicht unbeachtlichen Menge an gefährlichen Suchmittel über einen längeren Zeitraum ist eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit auch nach wie vor gegeben.

Der EuGH stellt im Urteil vom 17. November 2011, C-430/10-G., klar, dass die beschränkende Maßnahme geeignet sein muss, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten, und sie nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss gewahrt werden (VwGH vom 06.09.2012, GZ: 2009/18/0041).

 

Zu Ihren wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnissen wird festgehalten, dass Sie zum Zeitpunkt der Verurteilung keiner Erwerbstätigkeit nachgingen.

Um eine unionsrechtswidrige Inanspruchnahme des Freizügigkeitsrechts hinkünftig zu verhindern, ist die Entziehung des Reisepasses jedenfalls erforderlich und notwendig. Diese beschränkende Maßnahme ist im Hinblick auf Ihr persönliches Verhalten, insbesondere aufgrund der Schwere, der Dauer bzw. der Regelmäßigkeit Ihrer Vergehen nach dem Suchtmittelgesetz, jedenfalls als verhältnismäßig anzusehen.

 

Beim Entzug eines Reisepasses ist auf die persönlichen und wirtschaftlichen Interessen des Betroffenen nicht Rücksicht zu nehmen (VwGH 12.6.1992, 92/18/0173; 11.10.2001, 2001/18/0193; 30.11.2004, 2002/18/0036).

 

Es ist daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

2. Gegen diesen Bescheid hat der Bf innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde erhoben. In seinem Beschwerdeschriftsatz bringt er – für das weitere Verfahren wesentlich – vor, bei der Verwirklichung der Drogendelikte habe es keinen Auslandsbezug und damit keinen Missbrauch des entzogenen Reisepasses gegeben.

 

II.a) Die Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems hat die Beschwerde unter Anschluss des Bezug habenden Verwaltungsaktes, ohne eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vorgelegt. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zur Entscheidungsfindung (Art 130 Abs 1 Z 1 iVm 131 Abs 1 B-VG iVm § 3 VwGVG). Gemäß Art 135 Abs 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

 

b) Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte abgesehen werden, da keine der Parteien eine solche beantragt hat und darüber hinaus auch nicht ersichtlich ist, dass die Durchführung einer solchen eine weitere Klärung des Sachverhaltes erwarten ließe.

 

c) Der Entscheidung liegt folgender Sachverhalt zugrunde:

 

Der Bf wurde mit Urteil des LG Steyr vom 16.9.2014, 10 Hv 31/14b – 12, schuldig gesprochen, zu näher genannten Zeiten in K. und andernorts vorschriftswidrig Suchtgift in einer die Grenzmenge (§ 28b) zumindest einfach übersteigende Menge, nämlich insgesamt zumindest
600 Gramm Cannabiskraut mit einem durchschnittlichen Delta-9-THC-Gehalt von zumindest 4 %, näher genannten abgesondert verfolgten Personen jeweils zu einem Grammpreis zwischen 10 und 12 Euro entgeltlich überlassen zu haben. Er habe daher das Verbrechen des Suchtgifthandels nach § 28a Abs 1 fünfter Fall SMG begangen, und wurde daher zu einer Freiheitsstrafe in der Dauer von sieben Monaten verurteilt, wobei der Vollzug derselben für die Dauer einer Probezeit von drei Jahren bedingt nachgesehen wurde.

 

Dem diesem Urteil zugrundeliegenden Abschlussbericht der LPD Österreich vom 31.7.2014, GZ: B6/68964/2014-baumg, ist zu entnehmen, dass der Bf das in Folge von ihm weiterverkaufte Suchtgift von dem ebenfalls in
X. wohnhaften M. T. bezogen hat. Dafür, dass der Bf das Suchtgift aus dem Ausland bezogen oder Suchtgift in das Ausland verbracht hat, können dem Akt keine Anhaltspunkte entnommen werden. Dies wird auch von der belangten Behörde in ihrer Bescheidbegründung nicht ins Treffen geführt.

 

III. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

Gesetzliche Grundlagen:

 

1. Passgesetz 1992 idF BGBl I 2013/161

 

§ 14

(1) Die Ausstellung, die Erweiterung des Geltungsbereiches und die Änderung eines Reisepasses sind zu versagen, wenn

[.....]

3. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass der Passwerber den Reisepass benützen will, um

[.....]

f) entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, oder

4. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, dass durch den Aufenthalt des Passwerbers im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährdet würde.

5. Tatsachen die Annahme rechtfertigen, der Passwerber könnte als Mitglied einer kriminellen Organisation oder kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Sinne der §§ 278 bis 278b StGB durch den Aufenthalt im Ausland die innere oder äußere Sicherheit der Republik Österreich gefährden.

[.....]

 

(3) Liegen den in Abs. 1 Z 3 lit. b bis f und Z 4 und 5 angeführten Tatsachen gerichtlich strafbare Handlungen zugrunde, ist bis zum Ablauf von drei Jahren nach der Tat jedenfalls von einem Versagungsgrund auszugehen, wobei Haftzeiten und Zeiten einer Unterbringung nach den §§ 21 bis 23 StGB außer Betracht zu bleiben haben.

 

Passentziehung

§ 15

(1) Ein Reisepass dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, ist zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

(5) Vollstreckbar entzogene Reisepässe sind der Passbehörde unverzüglich vorzulegen. Sie stellen keine gültigen Reisedokumente dar und sind von der Behörde zu entwerten.

 

§ 22

(2) Über Beschwerden gegen Bescheide nach diesem Bundesgesetz entscheidet das Landesverwaltungsgericht.

 

2. Nach Art 4 Abs 3 der Richtlinie 2004/38/EG stellen die Mitgliedstaaten ihren Staatsangehörigen gemäß ihren Rechtsvorschriften einen Personalausweis oder einen Reisepass aus, der ihre Staatsangehörigkeit angibt und verlängern diese Dokumente.

 

Artikel 4 Abs 4 dieser Richtlinie sieht vor, dass der Reisepass zumindest für alle Mitgliedstaaten und die unmittelbar zwischen den Mitgliedstaaten liegenden Durchreiseländer gelten muss. Sehen die Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates keinen Personalausweis vor, so ist der Reisepass mit einer Gültigkeit von mindestens fünf Jahren auszustellen oder zu verlängern.

 

3.1. Gemäß § 15 Abs 1 PassG ist ein Reisepass dessen Gültigkeitsdauer nicht länger als fünf Jahre abgelaufen ist, zu entziehen, wenn nachträglich Tatsachen bekannt werden oder eintreten, die die Versagung der Ausstellung des Reisepasses rechtfertigen.

 

Zunächst ist festzuhalten, dass dem Bf im Jahr 2007 ein Reisepass mit Gültigkeit bis ins Jahr 2017 ausgestellt wurde, also die Gültigkeitsdauer nicht schon länger als fünf Jahre abgelaufen ist. Weiters ist anzuführen, dass
§ 15 PassG keine Dauer der Entziehung vorsieht, sondern den Entzug der Dokumente an das Vorliegen bestimmter Tatsachen knüpft. Im vorliegenden Fall können als solche Tatsachen die teils gravierenden strafrechtlichen Verfehlungen des Bf erkannt werden. Versagungsgründe bzw hier anwendbare Entziehungsgründe sind in § 14 PassG normiert.

 

3.2. Nach nunmehr ständiger Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes (bspw VwGH 12.12.2012, 2011/18/0244) hat § 14 Abs 3 PassG 1992 infolge der dem Unionsrecht beizumessenden Vorrangwirkung unangewendet zu bleiben. Dabei hat sich der Verwaltungsgerichtshof sowohl auf die Rechtsprechung des EuGH (vgl EuGH 17.11.2011, C-340/10, Rs G.) als auch auf sein Erkenntnis vom 6.9.2012, 2009/18/0168, bezogen. Demnach stellt sich die Vorschrift des § 14 Abs 3 PassG 1992, mit der eine gesetzliche Vermutung des Bestehens einer maßgeblichen Gefahr für eine im Vorhinein festgelegte Zeit angeordnet wird, ohne, dass eine Bedachtnahme auf die Umstände des Einzelfalles möglich ist, mit den unionsrechtlichen Vorgaben der RL 2004/38/EG, denen zufolge nicht schon für sich genommen der Umstand der strafrechtlichen Verurteilung die Einschränkung des aus dem Unionsrecht herrührenden Rechts auf Freizügigkeit zur Folge haben darf (Art 27 Abs 2), als nicht vereinbar dar.

 

Bei der Prüfung des in Rede stehenden Falles hat daher § 14 Abs 3 PassG außer Betracht zu bleiben.

 

3.3. Der Verwaltungsgerichtshof hat weiters in zahlreichen jüngeren Erkenntnissen (vgl etwa VwGH 19.6.2012, 2009/18/0094, VwGH 6.9.2012, 2009/18/0168 und 2009/18/0159) ausgeführt, dass gemäß der Richtlinie 2004/38/EG und dem dazu ergangenen Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 17.11.2011, C-430/10, Rs G., die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit eines Unionsbürgers oder seiner Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit einschränken dürfen.

 

Der EuGH legt in Randnummer 40 des genannten Urteils dar, aus Art 27 Abs 2 der Richtlinie 2004/38/EG und der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes lasse sich entnehmen, dass eine das Recht auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nur gerechtfertigt sein könne, wenn sie den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit wahre.

 

3.4. Unzweifelhaft bezweckt die angefochtene Entscheidung, es dem Bf unmöglich zu machen, sich ins Ausland, also auch in andere Mitgliedstaaten der Europäischen Union, zu begeben und sich dort aufzuhalten. Somit hat diese Entscheidung aber auch zum Inhalt, dem Bf, einem österreichischen Staatsbürger, der sohin auch als Unionsbürger anzusehen ist, das unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit, sich in einen anderen Mitgliedstaat als seinen Herkunftsmitgliedstaat zu begeben, als auch das Recht, den Herkunftsmitgliedstaat zu verlassen, einzuschränken. Dies hat aber zur Folge, dass die diesbezüglich maßgeblichen Vorschriften der RL 2004/38/EG zu beachten sind (vgl RN 25 bis 27 des bereits genannten Urteils des EuGH
C-430/10).

 

In diesem Zusammenhang hat der EuGH freilich auch darauf hingewiesen, dass das Recht der Unionsbürger auf Freizügigkeit nicht uneingeschränkt besteht, sondern den im Vertrag und in den Bestimmungen zu seiner Durchführung vorgesehenen Beschränkungen und Bedingungen unterworfen werden darf. Nach Art 27 Abs 1 RL 2004/38/EG ergibt sich, dass die Mitgliedstaaten die Freizügigkeit der Unionsbürger oder ihrer Familienangehörigen nur aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit oder Gesundheit beschränken dürfen (vgl RN 29 und 30 Urteil C-430/10). Der EuGH stellt aber auch klar, dass der Begriff der öffentlichen Ordnung jedenfalls voraussetzt, dass außer der sozialen Störung, die jeder Gesetzesverstoß darstellt, eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr vorliegen muss, die ein Grundinteresse der Gesellschaft berührt (RN 33 Urteil C-430/10). Die Ausnahmen vom freien Personenverkehr, auf die sich ein Mitgliedstaat berufen kann, implizieren in diesem Rahmen, wie Art 27 Abs 2 RL 2004/38/EG zu entnehmen ist, insbesondere, dass Maßnahmen aus Gründen der öffentlichen Ordnung oder Sicherheit nur gerechtfertigt sind, wenn für sie ausschließlich das persönliche Verhalten des Betroffenen ausschlaggebend ist, während vom Einzelfall losgelöste oder auf Generalprävention verweisende Begründungen nicht zulässig sind. Strafrechtliche Verurteilungen allein können eine die Ausübung des Rechts auf Freizügigkeit beschränkende Maßnahme nicht ohne weiteres begründen (RN 34 Urteil
C-430/10; vgl zum Ganzen auch VwGH 19.6.2012, 2009/18/0094).

 

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 17.11.2011 aber auch klargestellt, dass die beschränkende Maßnahme geeignet sein muss, die Erreichung des mit ihr verfolgten Ziels zu gewährleisten und sie nicht über das hinausgehen darf, was zur Erreichung dieses Ziels erforderlich ist. In den Ausführungen in RN 40 dieses Urteils präzisiert der EuGH dies dahingehend, dass der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt werden muss.

 

3.5. Bei der Beurteilung, ob es zulässig ist, dem Bf das ihm unionsrechtlich zustehende Recht auf Freizügigkeit einzuschränken, ist daher zu prüfen, ob vom Bf im Zeitpunkt der Entscheidung eine tatsächliche, gegenwärtige und erhebliche Gefahr im Sinn der Vorgaben der RL 2004/38/EG ausgeht, diese Annahme auch für die Zukunft gerechtfertigt und die Entziehung des Reisepasses verhältnismäßig ist.

 

4.1. Sowohl im Verfahren als auch in der Beschwerde hat der Bf darauf hingewiesen, zu keiner Zeit seinen Reisepass missbräuchlich für den Drogenhandel verwendet zu haben.

 

Die belangte Behörde hat sich im Rahmen der zu erstellenden Zukunftsprognose auf allgemeine Aussagen hinsichtlich des Erfahrungswissens im Zusammenhang mit der bei Suchtgiftdelikten bestehenden großen Wiederholungsgefahr beschränkt. Feststellungen, die die Annahme rechtfertigten, der Bf wolle den Reisepass dazu benützen, um entgegen den bestehenden Vorschriften Suchtgift in einer großen Menge zu erzeugen, einzuführen, auszuführen oder in Verkehr zu setzen, wurden im Verfahren der belangten Behörde nicht angesprochen und sind auch im Beschwerdeverfahren nicht hervorgekommen. Zutreffend hat die belangte Behörde zwar auf die Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes Bezug genommen, wonach die Begehung eines nach § 28 SMG zu ahndenden Suchtmitteldeliktes die Versagung eines Reisepasses rechtfertigen kann. So ist es bei der Prognoseerstellung im Sinn des § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG nach der höchstgerichtlichen Rechtsprechung bei Sachverhalten mit massivem Auslandsbezug nicht unbedingt erforderlich, dass bei der Begehung bisheriger Straftaten der der Entziehung unterliegende Reisepass oder Personalausweis bereits verwendet worden ist (vgl etwa VwGH 3.11.2010, 2007/18/0764). Wenn allerdings – wie im konkreten Fall – kein Auslandsbezug gegeben ist und auch sonst kein Anhaltspunkt dafür vorhanden ist, dass die von einer Person gesetzten Suchtgiftdelikte in irgendeinem Zusammenhang mit der Verwendung ihres Reisepasses stehen, oder sie die Absicht gehabt hätte, den Reisepass zur Begehung von Suchtgiftdelikten zu gebrauchen, ist eine Passentziehung unzulässig (vgl etwa VwGH 17.2.2006, 2005/18/0486; 6.9.2012, 2009/18/0168).

 

4.2. Im vorliegenden Fall hat sich die belangte Behörde damit begnügt, beim Bf die Gefahr der Wiederholung von solchen Taten, wie er sie bisher begangen hat, zu konstatieren. Ausgehend von den dazu getroffenen – aber sich fallbezogen im Hinblick auf die dargestellte Rechtslage insoweit als unzureichend erweisenden – Feststellungen reicht das nach dem Gesagten aber nicht hin, um eine Gefahr im Sinn des § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG zu begründen. Da auch im Beschwerdeverfahren kein Sachverhalt zu Tage getreten ist, der eine derartige Gefahr darstellen würde, und auch kein sonstiger Versagungsgrund hervorgekommen ist, kann dem Bf sein Reisepass auch nicht entzogen werden.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Ob konkret der Bf, der ohne Auslandsbezug in seinem Heimatort Cannabis eingekauft und dieses im Nahbereich weiter verkauft hat, ein Verhalten iSd § 14 Abs 1 Z 3 lit f PassG gesetzt hat, ist nicht verallgemeinerungsfähig und stellt daher keine Rechtsfrage grundsätzlicher Bedeutung dar. Zudem weicht die gegenständliche Entscheidung weder von der zitierten bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Die ordentliche Revision ist daher unzulässig.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

Markus Zeinhofer