LVwG-700074/10 /SR

Linz, 10.02.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter
Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerde des A T, vertreten durch Mag. P H, Rechtsanwalt in X , gegen das Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 27. Oktober 2014, GZ: Sich96-44-2014, wegen einer Übertretung des Sicherheitspolizeigesetzes, nach Durchführung einer öffentlichen Verhandlung am 28. Jänner 2015

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 50 VwGVG iVm. § 82 Abs. 1 des Sicherheitspolizeigesetzes 1979, wird der Beschwerde stattgegeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos aufgehoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.       Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG hat der Beschwerdeführer keinen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens zu leisten.

 

III.     Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig; für die belangte Behörde und die revisionslegitimierte Formalpartei ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I.               

 

1. Mit Straferkenntnis der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 27. Oktober 2014, GZ: Sich96-44-2014, wurde über den Beschwerdeführer (in der Folge: Bf) gemäß § 82 Abs. 1 SPG idgF. eine Geldstrafe in der Höhe von 100 Euro sowie im Falle der Uneinbringlichkeit eine Ersatzfreiheitsstrafe von 34 Stunden verhängt.

 

Die belangte Behörde führt dabei folgenden Tatvorwurf aus:

 

Sie haben sich am 15.12.2013 um ca. 05:47 Uhr, trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht, während dieses seine gesetzliche Aufgabe wahrgenommen hat, aggressiv verhalten und dadurch eine Amtshandlung behindert, indem Sie mit RI H , währenddessen dieser Sie befragen wollte, lautstark mit ihm geschrien und dabei wild mit den Händen herumgestikuliert haben. Während dieses Verhaltens sind Sie bis ca. 30 cm an RI H herangetreten, haben Hände seitlich ausgestreckt und Ihren Kopf provokant nach vorne gestreckt. Durch Ihr Schreien haben Sie die Aggressivität Ihres Verhaltens untermauert. Diese Verhalten haben Sie auch nach erfolgter Abmahnung nicht beendet. Die Durchführung einer Amtshandlung bzw. Befragung durch RI H von Ihnen war dadurch nicht möglich.

 

In ihrer Begründung hat die belangte Behörde auf das Ermittlungsergebnis abgestellt und das vorgeworfene Verhalten als erwiesen angesehen. 

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, durch die rechtsfreundliche Vertretung des Bf rechtzeitig eingebrachte Beschwerde vom 5. Dezember 2014, in welcher der Bf das angelastete Verhalten umfassend bestritten hat.

 

Abschließend wird die Durchführung einer öffentlichen Verhandlung, die Einvernahme der einschreitenden Polizeibeamten und die ersatzlose Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses beantragt.

 

3. Mit Schreiben vom 23. Dezember 2014 legte die Bezirkshauptmannschaft Freistadt den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung vor.

 

4.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat für den 28. Jänner 2015 eine öffentliche Verhandlung anberaumt und hiezu die Verfahrensparteien und die Zeugen RvInsp P H und BezInsp K H geladen.

 

4.2. Auf Grund des Beweisverfahrens in der öffentlichen Verhandlung steht folgender relevanter Sachverhalt fest:

 

Am 15. Dezember 2013 wurde den Polizeibeamten RvInsp P H und BezInsp K H im Zuge des Streifendienstes (Sektorstreife Freistadt) mitgeteilt, dass eine männliche Person ein Mädchen aus oder in ein Auto gezerrt habe.

 

Um ca. 05:40 Uhr trafen die beiden Polizeibeamten am Parkplatz vor dem Lokal „C" in Hirschbach, G ein. Bedingt durch die Sperrstunde befanden sich vor dem Lokal und dem angrenzenden Parkplatz zahlreiche Personen. Herumstehende Personen informierten die Polizeibeamten von den zuvor stattgefundenen Vorkommnissen (alkoholisierte Person habe eine Frau in ein Auto gezerrt, gegen den eigenen Pkw uriniert und eine Glasflasche zerschlagen) und zeigten in der Folge auf den Bf. Als der die Amtshandlung führende Polizeibeamte (RvInsp H) den Bf mit den Anschuldigungen konfrontierte, begann dieser zu schreien und wild zu gestikulieren. Nachdem der Bf die Vorhaltungen lautstark und untergriffig zurückgewiesen hatte, baute er sich in provokanter Weise knapp vor RvInsp H auf. Da sich der Bf trotz der Beruhigungsversuche nicht mäßigen wollte, gab ihm RvInsp H unmissverständlich zu verstehen, dass er, sollte er sein Verhalten nicht einstellen, festgenommen werde. In Kenntnis dieser Abmahnung ließ die Aggressivität des Bf erkennbar nach. Um die Amtshandlung nicht zu gefährden und die Situation nachhaltig zu beruhigen, begab sich BezInsp K H mit dem Bf zum Streifenwagen. Dort konnte der Bf zu den Vorwürfen befragt werden.

 

II.             

 

Die Aktenlage (Anzeige, niederschriftliche Einvernahmen, Vorbringen des Bf) zeigt in sich und bezogen auf das Beweisverfahren der öffentlichen Verhandlungen teilweise ein widersprüchliches Bild auf.

 

Den anschaulichen Schilderungen der einschreitenden Polizeibeamten in der öffentlichen Verhandlung ist zu entnehmen, dass der Bf nach der „ersten scharfen Abmahnung“ sein aggressives Verhalten eingestellt hat.

 

Die weiteren Geschehnisse sind nicht Inhalt dieses Verwaltungsstrafverfahrens, weshalb auch darauf nicht näher einzugehen ist.  

 

III.            

 

1. Gemäß § 82 Abs.1 des Sicherheitspolizeigesetzes – SPG begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit Geldstrafe bis zu 350 Euro zu bestrafen, wer sich trotz vorausgegangener Abmahnung gegenüber einem Organ der öffentlichen Aufsicht oder gegenüber einem militärischen Organ im Wachdienst, während diese ihre gesetzlichen Aufgaben wahrnehmen, aggressiv verhält und dadurch eine Amtshandlung behindert. Anstelle einer Geldstrafe kann bei Vorliegen erschwerender Umstände eine Freiheitsstrafe bis zu einer Woche, im Wiederholungsfall bis zu zwei Wochen verhängt werden.

 

2. Tatbildlich im Sinn des § 82 Abs. 1 SPG ist sohin ein aggressives Verhalten einer Person gegenüber Organen (wie hier) der öffentlichen Aufsicht, während diese eine Amtshandlung durchführen. Dieses Verhalten muss zudem trotz vorangegangener Abmahnung fortgesetzt werden und darüber hinaus die Durchführung der Amtshandlung behindern.

 

Unbestritten ist nun zunächst, dass es sich bei den einschreitenden Beamten um Organe der öffentlichen Aufsicht handelte. Weiters steht außer Zweifel, dass diese auf Grund telefonischer Anzeigen am Tatort Ermittlungen begonnen haben.

Zu den gesetzlichen Aufgaben eines solchen Organs zählt insbesondere das Einschreiten nach einer Anzeige wegen einer Verwaltungsübertretung, um den diesbezüglichen Sachverhalt festzustellen.

 

Weiters erfordert § 82 Abs. 1 SPG das Vorliegen eines aggressiven Verhaltens.

 

"Aggressiv" bedeutet so viel wie "angreifend" oder "angriffslustig". "Aggression" meint einen Überfall, einen Angriff oder feindseliges Verhalten. Unter aggressivem Verhalten ist ein sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten anzusehen. Das Vertreten eines Rechtsstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt eine angemessene Reaktion, nicht aber ein ungestümes Benehmen dar (vgl. Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz3, A.5.1. f zu § 82).

 

Weiters ist unter einem aggressiven Verhalten ein solches zu verstehen, durch das die jedem Staatsbürger gegen das Einschreiten eines obrigkeitlichen Organs zuzubilligende Abwehr vermeintlichen Unrechts derart überschritten wird, dass diese Abwehr zufolge des Tones des Vorbringens, der zur Schau gestellten Gestik oder durch beides zusammen als "aggressives Verhalten" gewertet werden muss. Solches liegt etwa bei "Gebrauch lautstarker Worte verbunden mit heftiger Gestik gegenüber einem Polizeibeamten" vor. 

 

So kann unter aggressivem Verhalten auch ein "sowohl in der Sprache als auch in der Bewegung der gebotenen Ruhe entbehrendes, mit ungewöhnlicher Heftigkeit verbundenes Verhalten" angesehen werden. In diesem Sinne reicht nach ständiger Rechtsprechung bereits allein das "Schreien mit einem Aufsichtsorgan" auch noch nach erfolgter Abmahnung zur Erfüllung des Tatbestandes aus (VwGH vom 20.12.1990, 90/10/0056; siehe auch Hauer/Keplinger, Kommentar zum Sicherheitspolizeigesetz3, Fn. 14 zu § 82  mit weiteren Verweisen). Da das Gesetz lediglich "aggressives Verhalten" verlangt, bedarf es keiner "besonderen" Aggressivität um den Tatbestand zu erfüllen.

 

Dabei ist der Inhalt der schreiend vorgebrachten Äußerungen prinzipiell gleichgültig. Tatbildlich ist sohin Schreien und / oder heftiges Gestikulieren beides als Ausdruck der Aggressivität. Das Vertreten eines Rechtstandpunktes, mag dies auch in entschiedener Weise geschehen, stellt durchaus eine angemessene Reaktion dar und würde den zur Last gelegten Tatbestand nicht verwirklichen. Es sei denn, dies geschieht in aggressiver Weise, denn auch das Vorbringen eines Rechtsstandpunktes berechtigt nicht, durch schreiendes und gestikulierendes Verhalten gegenüber einem Amtsorgan, das gesetzliche Aufgaben wahrnimmt, die in § 82 SPG gesetzten Grenzen zu überschreiten. Die Strafbarkeit ist auch dann nicht ausgeschlossen, wenn sich ein Verhalten als Reaktion auf die Art des Einschreitens eines behördlichen Organs darstellt, selbst wenn ein Organ ungesetzliche Anordnungen, zu deren Erlassung das Organ nur abstrakt berechtigt ist, trifft.

 

Im vorliegenden Fall kann durchaus davon ausgegangen werden, dass das Verhalten des Bf die Merkmale von Aggressivität aufgewiesen hat. Wie die Aussagen der Polizeibeamten in der mündlichen Verhandlung aufgezeigt haben, wurde dadurch auch die Amtshandlung behindert, da die Sachverhaltsaufnahme nahezu verhindert worden ist.

 

Hinsichtlich der ebenfalls in § 82 Abs. 1 SPG geforderten vorausgegangenen Abmahnung ist zunächst anzumerken, dass für eine solche keine exakte wörtliche Determinierung besteht. Dem Adressaten muss jedenfalls klar gemacht werden, dass er sein strafbares Verhalten einzustellen und damit die Behinderung der Amtshandlung aufzugeben hat. Diese Abmahnung muss grundsätzlich so vorgetragen werden, dass der Adressat sie auch wahrnehmen kann. Der Erfüllung dieser Verpflichtung steht jedoch nicht entgegen, wenn der Adressat zwar akustisch und sprachlich in der Lage ist die "Botschaft" zu erhalten, jedoch dem aussprechenden Organ keinerlei diesbezügliche Aufmerksamkeit schenken will und somit nicht aufnahmebereit ist.

 

Abmahnung bedeutet soviel wie Ermahnung oder Zurechtweisung und besteht in der Aufforderung, ein Verhalten im Hinblick auf seine Gesetzes- oder Ordnungswidrigkeit einzustellen, wobei die Aufforderung, ein bestimmtes Verhalten einzustellen, den Hinweis auf dessen Unzulänglichkeit impliziert.

 

In der mündlichen Verhandlung ist hervorgekommen, dass der Bf sein aggressives Verhalten nach der „ersten scharfen Abmahnung“ soweit geändert hat, dass die Vornahme der Amtshandlung (Sachverhaltsaufnahme) ohne Behinderung oder merklicher Störung möglich war.

 

Entgegen der Ansicht der belangten Behörde konnten die vor der „ersten scharfen Abmahnung“ vorgenommenen Beruhigungsversuche nicht als Abmahnung im Sinne des § 82 Abs. 1 SPG gewertet werden, da diesen nicht die Aufforderung an den Bf entnommen werden konnten, sein aggressives Verhalten im Hinblick auf seine Gesetzes- oder Ordnungswidrigkeit einzustellen.

 

3. Nachdem aber als Konsequenz der obigen Feststellungen nicht vom Vorliegen der objektiven Tatseite ausgegangen werden kann, war der Beschwerde stattzugeben, der angefochtene Bescheid ersatzlos aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren einzustellen. 

 

4.1. Gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sind die Kosten des Beschwerdeverfahrens dem Beschwerdeführer nicht aufzuerlegen, wenn der Beschwerde auch nur teilweise Folge gegeben wird.

 

4.2. In diesem Sinn war dem Bf kein Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor dem LVwG aufzuerlegen.

 

IV. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei:

Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240.- Euro zu entrichten.

Da für den vorliegenden Fall gemäß § 25a Abs. 4 VwGG eine Revision nur wegen Verletzung in subjektiven Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) ausgeschlossen ist, steht der belangten Behörde / der revisionslegitimierten Formalpartei die außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof offen, die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich einzubringen ist.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Stierschneider