LVwG-400107/2/Gf/Mu

Linz, 28.07.2015

I M  N A M E N  D E R  R E P U B L I K !

 

 

 

Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat durch seinen Einzelrichter Dr. Alfred Grof über die Beschwerde des W F, vertreten durch die RAe Dr. R G u.a., gegen das Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 15. Juni 2015, Zl. 933/10-1369850, wegen einer Übertretung des Oö. Parkgebührengesetzes

 

 

 

z u  R e c h t  e r k a n n t:

 

 

 

I. Der Beschwerde wird gemäß § 50 VwGVG stattgegeben, das ange-fochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verwaltungsstrafver-fahren gemäß § 38 VwGVG i.V.m. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG eingestellt.

 

II. Der Beschwerdeführer hat gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG weder einen Beitrag zu den Kosten des Verwaltungsstrafverfahrens vor der belangten Behörde noch einen Kostenbeitrag für das Beschwerdeverfahren vor dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich zu leisten.

 

III. Gegen dieses Erkenntnis ist eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof gemäß § 25a VwGG nicht zulässig.

 


 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

 

I.

 

Ablauf des Behördenverfahrens

 

 

1. Mit Straferkenntnis des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 15. Juni 2015, Zl. 933/10-1369850, wurde über den Beschwerdeführer eine Geldstrafe von 40 Euro (Ersatzfreiheitsstrafe: 36 Stunden; Verfahrenskostenbeitrag: 10 Euro) verhängt, weil er am 23. Juni 2014 von 13:00 Uhr bis 13:14 Uhr vor dem Haus x Nr. 32 in Linz in einer flächendeckend gebührenpflichtigen Kurzparkzone ein mehrspuriges KFZ ohne gültigen Parkschein abgestellt habe. Dadurch habe er eine Übertretung des § 6 Abs. 1 lit. a des Oö. Parkgebührengesetzes, LGBl 28/1988 in der hier maßgeblichen Fassung LGBl 90/2013 (im Folgenden: OöParkGebG), i.V.m. den §§ 1, 2, 3, 5 und 6 der Parkgebührenverordnung der Stadt Linz (im Folgenden: ParkGebV Linz) begangen, weshalb er nach § 6 Abs. 1 lit. a OöParkGebG zu bestrafen gewesen sei.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass die ihm angelastete Tat aufgrund entsprechender Wahrnehmungen eines zeugenschaftlich einvernommenen Parkgebühren-Aufsichtsorganes und des im Wege der belangten Behörde durchgeführten Ermittlungsverfahrens als erwiesen anzusehen sei.

 

Im Zuge der Strafbemessung sei die bisherige Unbescholtenheit des Rechtsmittelwerbers als mildernd zu werten gewesen. Seine Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse seien mangels entsprechender Mitwirkung von Amts wegen zu schätzen gewesen (monatliches Nettoeinkommen: 2.000 Euro; keine Sorgepflichten; kein Vermögen).

 

2. Gegen dieses ihm am 17. Juni 2015 zugestellte Straferkenntnis richtet sich die vorliegende, noch am selben Tag – und damit rechtzeitig – per e‑mail eingebrachte Beschwerde.

 

Darin wird im Wesentlichen vorgebracht, dass die Annahme der Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (vgl. z.B. EGMR vom 18. März 2010, 1301/05) eine unzulässige Beweislastumkehr darstelle. Dies insbesondere im Hinblick darauf, dass im Ermittlungsverfahren von der belangten Behörde zu keinem Zeitpunkt festgestellt worden sei, ob der Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer zum Tatzeitpunkt auch tatsächlich sein Fahrzeug gelenkt und danach abgestellt habe. Da im Beschwerdeverfahren kein Neuerungsverbot gelte, bringe er nunmehr vor, dass er zum angegebenen Tatzeitpunkt das gegenständliche KFZ nicht am Tatort abgestellt habe, wobei dies von einem seiner Angestellten bezeugt werden könne. Schließlich sei auch im Zuge der Strafbemessung seine Unbescholtenheit nicht berücksichtigt worden.

 

Daher wird die Aufhebung des angefochtenen Straferkenntnisses und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens beantragt. 

 

3. Der Magistrat der Stadt Linz hat dem Verwaltungsgericht des Landes Ober-österreich mit Schreiben vom 19. Juni 2015 den Bezug habenden Akt vorgelegt und beantragt, die gegenständliche Bescheidbeschwerde abzuweisen.

 

Begründend wurde dazu im Wesentlichen ausgeführt, dass der Zulassungsbesitzer auf Grund der ihn treffenden Mitwirkungsverpflichtung dazu verhalten gewesen wäre, bereits im Zuge des behördlichen Ermittlungsverfahrens darauf hinzuweisen, dass er das verfahrensgegenständliche KFZ vor dem Abstellzeitpunkt nicht gelenkt habe.

 

 

 

II.

 

Zuständigkeit des Verwaltungsgerichtes des Landes Oberösterreich

und Zulässigkeit der Beschwerde

 

 

1. Die vorliegende, auf Art. 130 Abs. 1 Z. 1 B-VG gegründete Beschwerde richtet sich gegen ein Straferkenntnis einer Verwaltungsbehörde und wurde innerhalb der Vier-Wochen-Frist des § 7 Abs. 4 VwGVG bei der belangten Behörde eingebracht; da der Inhalt dieser Beschwerde den Anforderungen des § 9 VwGVG entspricht und auch sonstige Prozesshindernisse nicht vorliegen, ist sie insgesamt als zulässig anzusehen.

 

2. Weil diesbezüglich weder im Oö. Parkgebührengesetz noch im VwGVG Abweichendes angeordnet ist, hatte das Verwaltungsgericht des Landes Ober-österreich im vorliegenden Fall gemäß Art. 135 Abs. 1 B‑VG durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter zu entscheiden.

 

 


 

 

III.

 

Sachverhaltsermittlung und Beweiswürdigung

durch das Verwaltungsgericht

 

 

1. Das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt des Magistrates der Stadt Linz zu Zl. 933/10-1369850; aus diesem in Verbindung mit dem Parteienvorbringen ergibt sich folgender entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

 

1.1. Am 23. Juni 2014 wurde in der Zeit von 13:00 Uhr bis 13:14 Uhr in der x vor dem Haus Nr. 32 in Linz das verfahrensgegenständliche, auf den Beschwerdeführer behördlich zugelassene mehrspurige Kraftfahrzeug abgestellt. Diese Straßenfläche befand sich innerhalb einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone. Welche Person diesen PKW dort abgestellt hat, konnte vom Parkgebühren-Aufsichtsorgan nicht unmittelbar wahrgenommen werden, weil sich während des Kontrollzeitraumes niemand im oder beim Fahrzeug befand und sich die Organwalterin nach dem Ende ihrer Amtshandlung vom Vorfallsort entfernt hatte, noch bevor der präsumtive Lenker wieder zum KFZ zurückgekehrt war.

 

1.2. Laut Abfrage aus der Zulassungsevidenz (vgl. die „Organmandat-Auskunft“ des Magistrates der Stadt Linz vom 18. Juni 2015, ONr. 1 des Aktes der belangten Behörde) war dieses Fahrzeug zum damaligen Zeitpunkt auf den Beschwerdeführer zugelassen.

 

1.3. Nachdem die am Abstellort hinter dem Scheibenwischer des KFZ zurückgelassene Organstrafverfügung nicht bezahlt wurde, wurde in der Folge über den Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer mit Strafverfügung des Bürgermeisters der Stadt Linz vom 10. September 2014, Zl. 933/10-1369850, wegen einer Übertretung des § 6 Abs. 1 lit. a OöParkGebG eine Geldstrafe in Höhe von 50 Euro verhängt.

 

1.4. Dagegen hat der Rechtsmittelwerber fristgerecht einen Einspruch erhoben und darin lediglich die Einleitung des ordentlichen Ermittlungsverfahrens beantragt.

 

1.5. Im Zuge des von der belangten Behörde in der Folge durchgeführten Ermittlungsverfahrens wurde der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 15. Jänner 2015, Zl. 933/10-1369850 aufgefordert, sich bis zum 19. Februar 2015 zum vorliegenden Tatvorwurf zu rechtfertigen und darauf bezügliche Tatsachen und Beweismittel bekannt zu geben.

 

1.6. In der Folge wurde am 26. März 2015 das Anzeige legende Parkgebühren-Aufsichtsorgan zeugenschaftlich einvernommen. Dieses gab an, am Vorfallstag von 13:00 Uhr bis mindestens 13:14 Uhr das mit einem abgelaufenen Parkschein abgestellte KFZ wahrgenommen zu haben. Der hinter der Windschutzscheibe deponierte Parkschein mit der Nummer x im Wert von 1,90 Euro sei jedoch nur eine knappe Stunde gültig gewesen. Nachdem sie in ihrem Notizbuch keine zusätzlichen Daten angeführt habe, gehe die Zeugin davon aus, dass darüber hinaus nichts Besonderes vorgefallen sei. Daher habe sie um 13:14 Uhr die Organstrafverfügung ausgestellt.

 

1.7. Diese Zeugenaussage wurde dem Rechtsmittelwerber noch am selben Tag zur Kenntnis gebracht; die ihm unter einem gewährte 14-tägige Frist zur Stellungnahme blieb jedoch ungenutzt.

 

1.8. In dem in der Folge erlassenen Straferkenntnis vom 15. Juni 2015 ging die belangte Behörde davon aus, dass der Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer sein KFZ am Vorfallstag am gegenständlichen Tatort abgestellt hat, der Parkschein jedoch bereits ab 13:00 Uhr – und daher auch zum Kontrollzeitpunkt um 13:14 Uhr – ungültig, nämlich bereits abgelaufen war.

 

2. Diese Sachverhaltsfeststellungen werden auch vom Rechtsmittelwerber nur insoweit bestritten, als er nun erstmals in seiner Beschwerde an das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich – zeugenschaftlich belegt und damit nicht von vornherein unglaubwürdig – vorbringt, dass das zum Vorfallszeitpunkt abgestellt gewesene Fahrzeug zwar auf ihn zugelassen war, jedoch unmittelbar zuvor nicht von ihm gelenkt worden sei.

 

2.1. Da sich zum Kontrollzeitpunkt niemand im oder beim Fahrzeug befand und sich das Aufsichtsorgan nach dem Ende der Amtshandlung vom Vorfallsort entfernt hat, noch bevor der präsumtive Lenker wieder zum KFZ zurückgekehrt ist, konnte sohin von diesem Organ nicht wahrgenommen werden, welche Person den PKW zuvor gelenkt und ihn anschließend dort abgestellt hat.

 

2.2. Dass der Beschwerdeführer im Rahmen des behördlichen Ermittlungsverfahrens weder im Zuge der an ihn ergangenen Aufforderung zur Rechtfertigung (vgl. das Schreiben des Magistrates der Stadt Linz vom 15. Jänner 2015, Zl. 933/10-1369850) noch nach Übermittlung der Einräumung einer Stellungnahmemöglichkeit des Magistrates der Stadt Linz vom 26. März 2015, Zl. 933/10-1369850, eine Äußerung erstattet hat, könnte zwar als ein Indiz für die unmittelbare Täterschaft des Rechtsmittelwerbers angesehen werden.

 

2.2.1. Allerdings erhebt sich im vorliegenden Fall die Frage, ob es berechtigt ist, aus dem bisherigen Schweigen des Beschwerdeführers einen Schluss auf dessen implizites Tat- und Schuldeingeständnis zu ziehen, denn:

 

2.2.2. Der vom Rechtsmittelwerber der Sache nach relevierte Grundsatz, schweigen zu dürfen sowie sich nicht selbst beschuldigen bzw. belasten zu müssen ("nemo tenetur se ipsum accusare"), ist zwar in Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht ausdrücklich angeführt, zählt aber nach der ständigen Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (EGMR) zum Kernbereich des in dieser Bestimmung allgemein normierten Prinzips des "fairen Verfahrens" (vgl. z.B. Ch. Grabenwarter – K. Pabel, Europäische Menschenrechtskonvention, 5. Auflage, München 2012, RN 123 zu § 24).

 

Dieses Recht ist jedoch nicht absolut gewährleistet. Insbesondere hindert es ein Strafgericht grundsätzlich nicht, aus dem Schweigen des Beschuldigten auch solche Schlüsse zu ziehen, die ihm im Ergebnis zum Nachteil gereichen (vgl. z.B. W. Peukert in J.A. Frowein – W. Peukert, EMRK-Kommentar, 3. Auflage, Kehl 2009, RN 130 zu Art. 6), wobei es unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des konkreten Falles insbesondere auf das Gewicht, das dem Schweigen im Rahmen der Abwägung aller Beweise zugemessen wird, und auf den Grad des (indirekten) Zwanges (zur Aussage), der der jeweiligen Situation inhärent ist, ankommt (vgl. die Nachweise bei W. Peukert, a.a.O., RN 131 und 137). Ob daher in einem konkreten Fall der Wesensgehalt dieser Grundrechtsgewährleistung tangiert wurde und somit ein unzulässiger Eingriff vorliegt oder nicht, ist grundsätzlich nach Art eines "beweglichen Systems" anhand folgender Gesichtspunkte zu beurteilen: Art und Schwere des Zuganges zur Beweiserlangung; Gewicht des öffentlichen Interesses an der Tatverfolgung und Täterbestrafung; Existenz angemessener Verfahrensgarantien; Verwertung der erlangten Beweismittel (vgl. Ch. Grabenwarter – K. Pabel, a.a.O., m.w.N.).

 

2.2.3. Im Besonderen hat der EGMR daher einen mit einer (bloß geringen) Verwaltungsstrafe bewehrten Zwang gegenüber einem Fahrzeughalter zur Auskunft darüber, wer sein KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt innehatte, als mit Art. 6 Abs. 1 EMRK vereinbar erachtet. Dies deshalb, weil jeder Zulassungsbesitzer diese allgemein im Straßenverkehrsrecht enthaltene Verpflichtung und Verantwortlichkeit mit dem Erwerb der Lenkerberechtigung auch konkret für seine Person übernommen hat. Außerdem ist ein derartiges Ersuchen inhaltlich – nämlich auf die Identität des Fahrers – begrenzt und für den Fall der Zuwiderhandlung droht lediglich eine geringe (Geld-)Strafe, wobei insoweit auch noch eine verfahrensrechtliche Garantie dahin besteht, dass Straflosigkeit eintritt, wenn der Zulassungsbesitzer den Fahrer nicht kannte und auch nicht hätte kennen müssen.

 

Davon ausgehend hat es der EGMR bisher auch nicht als eine Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK angesehen, wenn zunächst wegen des Grunddeliktes (z.B. Geschwindigkeitsübertretung) ein Strafverfahren gegen einen unbekannten Täter, später aber – als eine allfällige Konsequenz der Aussageverweigerung – dann (nur mehr) wegen Letzterer ein Strafverfahren gegen den Zulassungsbesitzer geführt wird, wenn und solange der Zusammenhang zwischen dem Auskunftserteilungsverfahren und dem Strafverfahren wegen des Grunddeliktes "lose und hypothetisch" bleibt (vgl. EGMR vom 8. April 2004, 38544/97 [Weh gegen Österreich]).

 

Wesentlich ist allerdings, dass in den vom EGMR entschiedenen und speziell Österreich betreffenden Verfahren zum Zeitpunkt der Aufforderung zur Lenkerauskunft gegen den Betroffenen jeweils (noch) kein Strafverfahren wegen eines Grunddeliktes (wie z.B. Geschwindigkeitsüberschreitung oder Verkürzung der Parkgebühr) geführt wurde: Damit ging es also nicht um die Verwendung von einer unter Zwang erlangten Information in einem nachfolgenden Strafverfahren, sodass der Zulassungsbesitzer auch nicht als "wesentlich berührt" (d.h.: als einer Straftat beschuldigt bzw. angeklagt i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK) anzusehen war (vgl. EGMR vom 8. April 2004, 38544/97 [Weh gegen Österreich]; vom 24. März 2005, 63207/00 [Rieg gegen Österreich]; vom 3. Mai 2005, 52167/99 [Fischbach-Mavromatis gegen Österreich] = ÖJZ 2006, S. 39).

 

2.2.4. Aus dieser Rechtsprechung folgt somit als logisch-denknotwendig gebotener Umkehrschluss, dass jedenfalls die Verwendung von unter Zwang erlangten Informationen gegen den Auskunftspflichtigen in einem gegen ihn wegen eines Grunddeliktes bereits anhängigen Strafverfahren unzulässig ist (vgl. EGMR vom 14. Oktober 2010, 1466/07: Verletzung des Art. 6 Abs. 1 EMRK, weil der Betroffene – gegen den bereits ein Strafverfahren eingeleitet war – dazu gezwungen wurde, unter Wahrheitspflicht auszusagen und sich dabei allenfalls auch selbst zu belasten, ohne zuvor darauf hingewiesen worden zu sein, dass er auch das Recht hat, zu schweigen), weil er unter solchen Umständen als i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK angeklagt und damit als "wesentlich berührt" angesehen werden muss (vgl. in diesem Sinne bereits UVS Oberösterreich vom 15. Dezember 2010, Zl. VwSen-130629, und vom 28. März 2011, Zl. VwSen-130751; s.a. R. Thienel, Rechtsprechung des EGMR 2010 [2], ÖJZ 2011, 261). Gegenteiliges ergibt sich auch aus dem EGMR-Urteil vom 29. Juni 2007, 15809/02 (O‘Halloran u. Francis gegen Großbritannien) nicht, weil dort einer der beiden Rechtsmittelwerber letztlich nur wegen Auskunftsverweigerung bestraft wurde und hinsichtlich des wegen des Grunddeliktes (Geschwindigkeitsüberschreitung) bestraften anderen Beschwerdeführers das Selbstbekenntnis zur Lenkereigenschaft nicht den einzigen Beweis bildete. Auch in dem vom EGMR mit Urteil vom 10. Jänner 2008, 58452/00 (Lückhof und Spanner gegen Österreich), entschiedenen Fall erfolgte nur eine Bestrafung wegen der Nichterteilung der Auskunft, nicht aber auch eine solche wegen des Grunddeliktes. Die beiden letztgenannten Urteile zeigen daher die „nicht absolute, sondern bloß relative“ Natur des nemo-tenetur-Prinzips auf, zugleich aber auch, dass eine Auskunftspflicht im Strafverfahren nicht generell, sondern nur unter bestimmten Umständen zulässig ist, was dazu führt, dass Feststellungen des EGMR zur Rechtslage in einem bestimmten Mitgliedstaat nicht immer in vollem Umfang auch auf alle andern Mitgliedstaaten übertragen werden können; konkret stellte der EGMR im Fall Lückhof/Spanner zwar fest, dass die Unterschiede zwischen der englischen und der österreichischen Rechtslage wohl vernachlässigt werden können (vgl. RN 52 bis 58 des zuletzt angeführten Urteils), aber auch, dass die strafsanktionierten Auskünfte in den Grunddeliktsverfahren de facto nicht verwendet wurden, sodass deshalb kein Eingriff in das Recht zu schweigen vorlag (RN 57 u. 58).

 

2.2.5. Weiters hat der EGMR in seiner Entscheidung vom 18. März 2010, 13201/05 (Fall Krumpholz gegen Österreich), bekräftigt, dass das aus Art. 6 Abs. 1 EMRK abzuleitende Recht zu schweigen und sich nicht selbst belasten zu müssen in einem engen Zusammenhang mit der Unschuldsvermutung des Art. 6 Abs. 2 EMRK steht. Daraus folgt wiederum, dass in Sachverhaltskonstellationen, bei denen den Strafbehörden als einziges objektives Beweismittel bloß das Faktum vorliegt, dass die Übertretung unter Verwendung eines bestimmten KFZ begangen wurde, nicht eine solche Situation gegeben ist, die notwendigerweise eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers dieses Fahrzeuges erfordert, wenn gleichzeitig keinerlei objektives Indiz bezüglich der Identität einer bestimmten Person als Fahrer besteht: Unter solchen Umständen erweist sich nämlich – wenn man zudem berücksichtigt, dass das österreichische Recht keine generelle gesetzliche Vermutung für eine grundsätzliche Lenkereigenschaft des Zulassungsbesitzers aufstellt – eine Schlussfolgerung dahin, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen sein muss, keineswegs als ohnehin standardmäßig durch die allgemeine Lebenserfahrung gedeckt.

 

Dem entspricht schließlich auch die Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes dahin, dass auf gesetzwidrige Weise gewonnene Beweisergebnisse zur Ermittlung der materiellen Wahrheit unzulässig sind, wenn deren Verwendung dem Zweck des durch seine Gewinnung verletzten Verbotes diametral widersprechen würde (vgl. z.B. VwGH vom 5. Juni 1993, 91/10/0130 = JBl 1994, 196, sowie VwSlg 11540 A/1994 und dazu jeweils näher UVS Oberösterreich vom 15. Dezember 2010, VwSen-130629, und vom 28. März 2011, VwSen-130751).

 

2.2.6. Aus all dem ergibt sich insgesamt, dass aus dem Schweigen eines Beschuldigten grundsätzlich zwar auch Schlüsse gezogen werden können, die ihm im Ergebnis zum Nachteil gereichen, wobei ein strafbewehrter Zwang zur Auskunft des Zulassungsbesitzers darüber, wer das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt verwendet hat, auch nicht per se gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK verstößt. Wird jedoch gegen den Zulassungsbesitzer nicht bloß ein Strafverfahren wegen der Auskunftsverweigerung, sondern zuvor bzw. parallel dazu bereits auch ein solches wegen eines Grunddeliktes (z.B. wegen Geschwindigkeitsüberschreitung oder Verkürzung der Parkgebühr) geführt, dann besteht insoweit nicht bloß ein "loser und hypothetischer" Zusammenhang, sondern es liegt eine "wesentliche Berührtheit" und damit ein Verstoß gegen Art. 6 Abs. 1 EMRK vor, wenn die im Auskunftsverfahren unter Zwang erlangten Informationen in der Folge auch im Strafverfahren wegen des Grunddeliktes verwendet werden.

 

Darüber hinaus resultiert ein entsprechendes Beweisverwertungsverbot, wobei noch hinzukommt, dass in Konstellationen, in denen kein Indiz bezüglich der Identität des Fahrers vorliegt, ein Schluss darauf, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen ist, nicht ohne Weiteres auf eine entsprechend apriorische "allgemeine Lebenserfahrung" gegründet werden kann, sondern vielmehr darüber hinaus auch nicht schon per se eine solche Situation darstellt, die zwingend eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers gebietet, sodass allein schon aus dessen dementsprechenden Schweigen zulässigerweise auf seine Lenkereigenschaft geschlossen werden könnte.

 

2.2.7. Dagegen ließe sich zwar aus formaler Sicht einwenden, dass Art. II der Finanzausgleichsgesetz-Novelle BGBl 384/1986 (im Folgenden: FAG-Nov 1986) – der (ebenso wie § 103 Abs. 2 des Kraftfahrgesetzes, BGBl 267/1967 i.d.F. der Novelle BGBl 106/1986, im Folgenden: KFG-Nov 1986) im Wege einer Verfassungsbestimmung anordnet, dass im Zuge der Regelung der Erhebung von Abgaben für das Abstellen von Kraftfahrzeugen die Rechte auf Auskunftsverweigerung gegenüber der Befugnis der Behörde, eine Auskunft vom Zulassungsbesitzer darüber zu verlangen, wem er das KFZ zu einem bestimmten Zeitpunkt überlassen hat, zurücktreten – sowohl aufgrund seines materiellen Regelungsgehaltes als lex specialis als auch in zeitlicher Hinsicht als lex posterior anzusehen ist und daher den zuvor dargestellten Garantien des Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK derogiert.

 

2.2.7.1. Beide Argumente erweisen sich jedoch zum einen aus rechtssystematischen Gründen deshalb nicht als stichhaltig, weil sowohl die Gewährleistung, schweigen zu dürfen und sich nicht selbst belasten zu müssen – als ein besonderer Aspekt des Rechtes auf ein faires Verfahren i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK – als auch die sich speziell daran anschließende Gewährleistung der Unschuldsvermutung gemäß Art. 6 Abs. 2 EMRK ihre spezifische Ausprägung sowohl in inhaltlicher als auch in zeitlicher Hinsicht – wie die zuvor angeführten EGMR-Urteile zeigen – erst lange nach dem Inkrafttreten des Art. II FAG-Nov 1986 (bzw. des § 103 Abs. 2 KFG-Nov 1986) erfahren haben. Daher sind vielmehr umgekehrt Art. 6 Abs. 1 und Abs. 2 EMRK jeweils als leges speciales in Bezug auf Art. II FAG-Nov 1986 und § 103 Abs. 2 KFG-Nov 1986 anzusehen.

 

Überdies hat auch der Verfassungsgerichtshof bereits in seinem Erkenntnis VfSlg 11500/1987 betont, dass derartige, durch die Judikatur des EGMR bewirkte inhaltliche Fortentwicklungen der Konventionsgarantien jedenfalls insoweit, als sich diese nicht als eine "offene Rechtsfortbildung" erweisen, stets auch innerstaatlich entsprechend nachvollzogen werden müssen:

 

"Wenn auch bei der Auslegung internationaler Verträge nicht auf das Verständnis abgestellt werden kann, das einzelne Mitglieder beim Abschluss oder gar erst bei ihrem späteren Beitritt zu Grunde gelegt haben, ist das Verständnis Österreichs im Verein mit der Rechtslage in anderen Staaten und der langjährigen Praxis der Kommission doch ein wichtiges Anzeichen dafür, dass nach seinem ursprünglichen Sinn der Begriff "civil rights" einen viel engeren Inhalt hat als ihm die jüngste Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs unterstellt. Diese Rechtsprechung erweist sich mithin als offene Rechtsfortbildung, die wohl erwogene Gründe haben mag, den Staaten aber Verpflichtungen auferlegt, die einzugehen sie niemals gewollt und erklärt haben. ..... Der VfGH sieht sich zwar grundsätzlich gehalten, der MRK als Verfassungsnorm jenen Inhalt zu unterstellen, der ihr auch als internationalem Instrument zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten zukommt. Er hat daher bei ihrer Auslegung insbesondere der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes als dem zur Auslegung der MRK zunächst berufenen Organ besonderes Gewicht einzuräumen. Er kann diese Haltung aber nicht unter allen Umständen einnehmen. Wie er an späteres Verfassungsrecht auch dann gebunden wäre, wenn sich aus ihm Änderungen gegenüber den Grundsätzen der MRK ergeben würden, kann bestimmten Auslegungsergebnissen auch Staatsorganisationsrecht im Verfassungsrang entgegenstehen. Freilich unterstellt der Gerichtshof dem späteren Verfassungsrecht nach Möglichkeit einen Inhalt, der es mit der MRK verträglich macht ..... An die verfassungsrechtlichen Grundsätze der Staatsorganisation ist der Gerichtshof aber auch im Falle eines Widerspruches zur Konvention gebunden. Stehen sie einer möglichen Auslegung der MRK entgegen, kann er diese Auslegung seiner Entscheidung nicht zu Grunde legen. Selbst wenn daher der Europäische Gerichtshof eine Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung in diesem Punkte annehmen sollte, könnte dieser Verstoß nur durch den Verfassungsgesetzgeber selbst geheilt werden. Der VfGH möchte allerdings nicht versäumen darauf hinzuweisen, dass die dann anzunehmende Konventionswidrigkeit der österreichischen Rechtsordnung nach dem derzeitigen Stand seiner Überlegungen nur das Ergebnis einer offenen Rechtsfortbildung durch die Konventionsorgane sein könnte und sich daher die – hier nicht zu beantwortende – Frage stellen würde, ob nicht die Übertragung einer rechtsfortbildenden Aufgabe auf verfassungsrechtlichem Gebiet an ein internationales Organ als Ausschaltung des Verfassungsgesetzgebers eine Gesamtänderung der Bundesverfassung im Sinne des Art44 Abs3 B-VG wäre und einer Abstimmung des gesamten Bundesvolkes bedurft hätte."

 

Außerdem kann das Prinzip des "nemo tenetur" im Hinblick auf dessen explizite Verankerung in Art. 14 Abs. 3 lit. g des Internationalen UN-Paktes über bürgerliche und politische Rechte (und in Art. 48 EGRC) mittlerweile auch als ein allgemeiner Rechtsgrundsatz des Völkerrechts i.S.d. Art. 9 Abs. 1 B-VG bzw. als Bestandteil des Völkergewohnheitsrechts angesehen werden (vgl. näher W. Berka, Die Grundrechte, Wien 1999, RN 848 ff), sodass ihm auch insoweit eine innerstaatlich entgegenstehendem Verfassungsrecht derogierende Wirkung zukommt.

 

Und schließlich ist auch nicht von der Hand zu weisen, dass diese elementare Verfahrensgarantie in gleicher Weise wie auch andere essentielle Prozessgrundsätze einen Bestandteil des rechtsstaatlichen Grundprinzips bildet (Rechtsstaat als Rechtsschutzstaat; vgl. in diesem Sinne beispielsweise VfGH vom 28. Februar 2011, G 201/10; vom 15. Dezember 2010, U 1858/10 u.a.; und vom 27. September 2010, G 226/09).

 

2.2.7.2. Zu diesen rechtssystematischen Erwägungen kommt zum anderen als ein gewichtiges rechtspolitisches Argument auch noch der Umstand, dass der EGMR die Garantien der EMRK grundsätzlich autonom auslegt, sodass aus dessen Sicht entgegenstehendes innerstaatliches Verfassungsrecht von Vornherein unbeachtlich ist, im Gegenteil: Staaten, die sich einer verbindlichen Auslegung der EMRK durch den EGMR systematisch widersetzen, müssen mit ernsten Konsequenzen, die z.B. von einem sog. "Pilotverfahren" gemäß Art. 46 EMRK (vgl. z.B. EGMR vom 2. September 2010, 46344/06 [Fall Rumpf/BRD]; s.a. EGMR vom 12. Oktober 2010, 30767/05 [Rumänien], vom 23. November 2010, 60041/08 [GB], und vom 21. Dezember 2010, 50973/08 [Griechenland]) bis zu einem (befristeten oder endgültigen) Ausschluss aus dem Europarat reichen können, rechnen (vgl. Ch. Grabenwarter – K. Pabel, a.a.O., RN 7 und RN 11 zu § 16).

 

2.2.8. Gegen dieses Ergebnis können (vermeintliche) Schwierigkeiten im Bereich der Vollzugspraxis freilich keinen stichhaltigen Einwand bilden, zumal insoweit künftig ohnehin lediglich darauf zu achten ist, dass das Strafverfahren wegen des Grunddeliktes (z.B. Geschwindigkeitsübertretung, Parkgebührenverkürzung) bloß in einem losen Zusammenhang zu jenem wegen der Auskunftsverweigerung steht, d.h. also, dass Letzteres regelmäßig erst nach dem Abschluss des auf (§ 103 Abs. 2 KFG bzw.) § 2 Abs. 2 OöParkGebG gestützten administrativen Auskunftserteilungsverfahrens eingeleitet wird, um einen ansonsten drohenden Eingriff in die verfassungsmäßige Gewährleistung des in Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK verankerten "nemo tenetur"-Prinzips und/oder der Unschuldsvermutung hintanzuhalten.

 

Auch Effizienzgesichtspunkte oder der Aspekt, dass es sich sowohl bei den Grunddelikten als auch bei den Verletzungen der Auskunftspflicht in der Vielzahl aller Fälle bloß um Bagatelldelikte handelt, vermögen aus rechtlicher Sicht kein von vornherein stichhaltiges Argument dafür zu bilden, eine das Verfahren generell "abkürzende" Praxis, nach der zunächst eine Strafverfügung gegen den Zulassungsbesitzer ergeht und lediglich im Falle eines Einspruches gegen diese ein Verfahren zur Lenkerfeststellung eingeleitet wird, weiterhin unreflektiert aufrecht zu erhalten (vgl. in diesem Sinne schon UVS Oberösterreich vom 25. Februar 2008, Zl. VwSen-130583). Eine solche Vorgangsweise wäre vielmehr allenfalls nur dann zulässig, wenn das Interesse an der Strafverfolgung und Generalprävention hoch ist – wie beispielsweise im Falle einer gravierenden Geschwindigkeitsüberschreitung im Zusammenhang mit einer Auskunftspflicht nach § 103 Abs. 2 KFG (in Relation zu einer bloß geringfügigen Überschreitung des Zeitlimits im Rahmen des gebührenpflichtigen Parkens) –, sodass der Eingriff in die in Rede stehenden Grundrechtsgewährleistungen des Art. 6 Abs. 1 und 2 EMRK durch überwiegende und höherrangige öffentliche Interessen gerechtfertigt und damit insgesamt als verhältnismäßig erscheint.

 

2.2.9. Vor diesem Hintergrund ist sohin zu beurteilen, ob unter den fallbezogen konkret gegebenen Umständen aus dem Schweigen des Beschwerdeführers ein Schluss auf dessen Lenkereigenschaft unmittelbar vor dem Abstellen des KFZ in der gebührenpflichtigen Kurzparkzone gezogen werden darf.

 

2.2.9.1. Einerseits liegt zwar lediglich eine subjektive Wahrnehmung des Aufsichtsorganes dahin vor, dass das KFZ in einer gebührenpflichtigen Kurzparkzone ohne gültigen Parkschein abgestellt war und zudem weist auch kein objektives Faktum in die Richtung, dass der Rechtsmittelwerber dieses unmittelbar zuvor selbst gelenkt und in der Folge dort abgestellt hätte; damit bestand grundsätzlich auch keine solche Situation, die notwendigerweise eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers erfordert hätte.

 

2.2.9.2. Obgleich (das KFG und) das OöParkGebG keine dementsprechende gesetzliche Vermutung kennt, sprachen andererseits allerdings auch keine spezifischen Umstände gegen die Vorgangsweise der belangten Behörde, jene allgemeine Lebenserfahrung, dass ein KFZ in der Regel von seinem Zulassungsbesitzer benutzt wird, zumindest vorerst ihrer Gesamtbeurteilung des gegenständlichen Falles als eine gleichsam "standardmäßige Ausgangsbasis" zu Grunde zu legen.

 

2.2.9.3. Davon ausgehend hatte der Rechtsmittelwerber hier im Verlauf des erstbehördlichen Ermittlungsverfahrens mehrfach dazu Gelegenheit, darzulegen, dass bzw. inwiefern hier eine vom Regelverlauf abweichende Sachverhaltskonstellation vorgelegen haben könnte. Soweit ihm hierzu seitens der Behörden – nämlich mit der Aufforderung zur Rechtfertigung des Magistrates der Stadt Linz vom 15. Jänner 2015, Zl. 933/10-1369850, und mit dem Schreiben des Magistrates der Stadt Linz vom 26. März 2015, Zl. 933/10-1369850 – entsprechende Möglichkeiten eingeräumt wurden, hat der Beschwerdeführer hier jedoch überhaupt nicht reagiert, mehr noch: Selbst im Zuge jener aktiv von ihm initiierten Prozesshandlungen (Einspruch gegen die Strafverfügung bzw. gegenständliche Beschwerde gegen das Straferkenntnis) hat er diesbezüglich nichts eingewendet, obwohl ihm zweifelsfrei klar sein musste, dass die Behörde aufgrund der konkreten Sachverhaltskonstellation in jeder Phase des Verfahrens davon ausging (und mangels gegenteiliger Indizien berechtigterweise auch davon ausgehen konnte), dass ausschließlich er selbst als Zulassungsbesitzer – und keine andere Person – das in Rede stehende KFZ unmittelbar vor dem Abstellen desselben in der Kurzparkzone benutzt hat.

 

2.2.9.4. Unter derartigen faktischen Umständen – nämlich: dass, obwohl schon zu Beginn des Verfahrens, umso mehr aber in jenem Stadium, als dieses seinem Abschluss zustrebte (vgl. in diesem Sinne z.B. das Urteil des EGMR vom 18. März 2010, 13201/05), dieser jedoch Gegenteiliges nicht einmal behauptet hat, geschweige denn, dass auch entsprechende gegenteilige faktische Anhaltspunkte vorgelegen wären – kann aber die von der Behörde aus dem bloßen Schweigen des Rechtsmittelwerbers gezogene Konklusion, dass hier eben ein "Regelfall" im zuvor dargestellten Sinn vorliegt und der Beschwerdeführer daher selbst die Tat zu verantworten hat, (zumindest) nicht als unschlüssig angesehen werden, bzw. allgemein formuliert: Auch bzw. besonders in Bagatell- und Massenverfahren besteht das Recht zu schweigen sowie sich nicht selbst belasten zu müssen zwar grundsätzlich darin, dass der Beschuldigte nicht dazu gezwungen werden darf, an ihn gerichtete Fragen zu beantworten oder selbst Beweise bzw. Indizien zu liefern, die seine Täterschaft bzw. seine Schuld belegen; allerdings trifft ihn in derartigen Verfahren gleichzeitig eine prinzipielle Mitwirkungspflicht dahin, einen ansonsten zulässigen Schluss auf seine Tätereigenschaft dadurch zu verhindern, dass er zumindest jene Beweismittel releviert und auch tatsächlich beibringt, die primär (nicht zur behördlichen, sondern) zu seiner eigenen Disposition stehen.

 

2.2.10. Im Zusammenhang mit diesen generellen Feststellungen ist jedoch im Besonderen weiters zu berücksichtigen, dass eine spezifische Eigenart des österreichischen Verwaltungsstrafverfahrens darin besteht, dass einerseits der staatliche Strafanspruch i.d.R. nach Ablauf eines Jahres nach der Tatbegehung entfällt (Verfolgungsverjährung; vgl. § 31 Abs. 1 VStG) und zum anderen für das Rechtsmittelverfahren vor den Verwaltungsgerichten – weil insoweit mit der Verwaltungsgerichtsbarkeits-Novelle BGBl I 51/2012 eine entsprechende Modifikation nicht vorgenommen wurde – auch weiterhin kein Neuerungsverbot (vgl. dazu schon zur früheren Rechtslage allgemein z.B. VwGH vom 17. März 1992, 92/11/0001) besteht.

 

Diese beiden Aspekte relativieren die Mitwirkungsverpflichtung des Beschuldigten vor dem Hintergrund des Selbstbelastungsverbots des Art. 6 Abs. 1 EMRK erheblich, nämlich dahin, dass das Zurückhalten von Beweismitteln derart, dass Belege für die fehlende Täterschaft einer bestimmten Person erst nach dem Ablauf der Jahresfrist des § 31 Abs. 1 VStG vorgelegt werden, sodass im Ergebnis weder diese Person noch stattdessen – wegen Verfolgungsverjährung – auch der wahre Täter rechtlich belangt werden kann, objektiv besehen nicht als illegal erscheint.

 

Ein derartiges Ergebnis lässt sich seitens der Behörde allerdings stets unschwer dadurch hintanhalten, dass der Zulassungsbesitzer zur Auskunftserteilung darüber, wer das verfahrensgegenständliche KFZ unmittelbar vor dessen Abstellen gelenkt hat, verhalten wird, wie dies in § 2 Abs. 2 OöParkGebG auch explizit vorgesehen ist. Unterlässt die Behörde angesichts dieser ihr zukommenden rechtlichen Befugnis im Wissen um die demgegenüber einem Beschuldigten rechtlich zukommenden Möglichkeit, Entlastungsbeweise nicht umgehend vorlegen zu müssen, dennoch die Durchführung eines derartigen Auskunftserteilungsverfahrens, so trägt sie damit aber gleichsam auch das „Risiko“, wegen Verfolgungsverjährung sowohl das wegen des Grunddeliktes (Verkürzung der Parkgebühr) geführte Verwaltungsstrafverfahren einstellen zu müssen als auch, ein Verwaltungsstrafverfahren wegen Nichterteilung der Auskunft (gar) nicht (mehr) einleiten zu können.

 

2.2.11. Insgesamt betrachtet lässt sich daher eine vorrangig aus dem Grund, weil der Beschuldigte die Nachweise dafür, dass das verfahrensgegenständliche KFZ vor dessen Abstellen nicht von ihm, sondern von einer anderen Person gelenkt wurde, vorerst bewusst – und zwar vornehmlich während des behördlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere im Zuge der an ihn gerichteten Aufforderungen zur Rechtfertigung zum Tatvorwurf bzw. zur Stellungnahme zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens – verschwiegen und diese erst nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG bekannt gegeben hat, gezogene Schlussfolgerung dahin, dass der Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer das verfahrensgegenständliche KFZ selbst gelenkt hat, im Hinblick auf die im VStG i.V.m. dem OöParkGebG spezifisch positivierte einfachgesetzliche Rechtslage vor dem Hintergrund des „nemo-tenetur“-Prinzips des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht rechtfertigen. Solange objektiv besehen – insbesondere, weil kein entsprechendes Auskunftserteilungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 OöParkGebG durchgeführt wurde – kein Indiz bezüglich der Identität des Fahrers vorliegt, kann also aus einem Schweigen bzw. vorläufigen Verschweigen von Beweismitteln ein Schluss darauf, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen ist, nicht auf eine entsprechend apriorische "allgemeine Lebenserfahrung" gegründet werden, zumal bei verfassungskonformer Interpretation der einfachgesetzlichen Rechtslage des § 2 Abs. 1 OöParkGebG i.V.m. § 31 Abs. 1 VStG im Lichte des Art. 6 Abs. 1 EMRK bei eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers weder faktisch noch rechtlich geboten (s.o., III.2.2.5. und III.2.2.5.) ist.

 

2.3. Angesichts dessen qualifiziert daher das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich das – zeugenschaftlich belegte – Vorbringen des Beschwerdeführers, dass das auf ihn zugelassene KFZ vor dem Vorfallszeitpunkt nicht von ihm selbst, sondern von einer anderen Person gelenkt und danach in der gebührenpflichten Kurzparkzone abgestellt wurde, als glaubwürdig und sohin auch zutreffend.

 

 

 


 

 

IV.

 

Rechtliche Beurteilung

 

 

In der Sache selbst hat das Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich erwogen:

 

1. Nach § 6 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 2 Abs. 1 OöParkGebG begeht derjenige eine Verwaltungsübertretung und ist hierfür mit einer Geldstrafe bis zu 220 Euro zu bestrafen, der als Lenker eines mehrspurigen Kraftfahrzeuges die fällige Parkgebühr nicht entrichtet.

 

2. Da das Beweisverfahren ergeben hat, dass das auf den Rechtsmittelwerber zugelassene KFZ vor dem Vorfallszeitpunkt nicht von ihm selbst, sondern von einer anderen Person gelenkt und danach in der gebührenpflichten Kurzparkzone abgestellt wurde, ist im vorliegenden Fall zwar der Tatbestand des § 6 Abs. 1 lit. a i.V.m. § 2 Abs. 1 OöParkGebG in objektiver Hinsicht erfüllt, weil der hinter der Windschutzscheibe deponierte Parkschein zum Zeitpunkt der Kontrolle durch das Parkgebühren-Aufsichtsorgan bereits seit 14 Minuten abgelaufen war.

 

Allerdings wurde diese Tat nicht vom Rechtsmittelwerber (sondern von einem seiner Angestellten) begangen, sodass es an einer entsprechenden verwaltungsstrafrechtlichen Zurechenbarkeit fehlt.

 

3. Daher war der gegenständlichen Beschwerde gemäß § 50 VwGVG stattzugeben, das angefochtene Straferkenntnis aufzuheben und das Verwaltungsstrafverfahren gemäß § 38 VwGVG i.V.m. § 45 Abs. 1 Z. 1 VStG einzustellen.

 

4. Bei diesem Verfahrensergebnis entfällt gemäß § 52 Abs. 8 VwGVG sowohl die Verpflichtung zur Leistung eines Kostenbeitrages zum Strafverfahren vor der belangten Behörde als auch zum Verfahren vor dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich. 

 

 

V.

 

Revision an den Verwaltungsgerichtshof

 

 

Eine ordentliche Revision ist nicht zulässig, weil einerseits mit dem angefochtenen Straferkenntnis lediglich eine Geldstrafe von höchstens 220 Euro und keine Freiheitsstrafe verhängte werden durfte (vgl. § 6 Abs. 1 OöParkGebG i.V.m. § 25a Abs. 4 Z. 1 VwGG) und andererseits im gegenständlichen Verfahren keine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt (vgl. dazu die oben unter III. angeführten höchstgerichtlichen Entscheidungen).

 

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen dieses Erkenntnis kann eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof erhoben werden. Eine solche Beschwerde ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

Gegen dieses Erkenntnis kann innerhalb derselben Frist auch eine außerordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof erhoben werden, die durch einen bevollmächtigen Rechtsanwalt abzufassen und beim Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich einzubringen ist; die Eingabegebühr von 240 Euro ist hingegen unmittelbar an den Ver-waltungsgerichtshof zu entrichten.

 

 

 

 

Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

 

 

LVwG-400107/2/Gf/Mu vom 28. Juli 2015

 

Erkenntnis

 

 

Normen:

 

Art. 6 Abs. 1 EMRK

§ 2 OöParkGebG

§ 6 OöParkGebG

§ 31 VStG

 

 

Rechtssatz:

 

* Eine vorrangig aus dem Grund, weil der Beschuldigte die Nachweise dafür, dass das verfahrensgegenständliche KFZ vor dessen Abstellen nicht von ihm, sondern von einer anderen Person gelenkt wurde, vorerst bewusst – und zwar vornehmlich während des behördlichen Ermittlungsverfahrens, insbesondere im Zuge der an ihn gerichteten Aufforderungen zur Rechtfertigung zum Tatvorwurf bzw. zur Stellungnahme zu den Ergebnissen des Beweisverfahrens – verschwiegen und diese erst nach Ablauf der Verfolgungsverjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG bekannt gegeben hat, gezogene Schlussfolgerung dahin, dass der Beschwerdeführer als Zulassungsbesitzer das verfahrensgegenständliche KFZ selbst gelenkt hat, lässt sich im Hinblick auf die im VStG i.V.m. dem OöParkGebG spezifisch positivierte einfachgesetzliche Rechtslage vor dem Hintergrund des „nemo-tenetur“-Prinzips des Art. 6 Abs. 1 EMRK nicht rechtfertigen.

 

* Solange objektiv besehen – insbesondere, weil kein entsprechendes Auskunftserteilungsverfahren gemäß § 2 Abs. 1 OöParkGebG durchgeführt wurde – kein Indiz bezüglich der Identität des Fahrers vorliegt, kann aus einem Schweigen bzw. vorläufigen Verschweigen von Beweismitteln ein Schluss darauf, dass der Zulassungsbesitzer selbst der Fahrzeuglenker gewesen ist, nicht ohne Weiteres auf eine entsprechend apriorische "allgemeine Lebenserfahrung" gegründet werden, zumal nach der einfachgesetzlichen Rechtslage bei verfassungskonformer Interpretation eine Rechtfertigung des Zulassungsbesitzers weder faktisch noch rechtlich geboten ist.

 

 

Schlagworte:

 

Nemo tenetur se ipsum accusare; Selbstbeschuldigung; Selbstbezichtigung; schlüssige Beweiswürdigung; Auskunftserteilung