LVwG-750191/6/MB/KHu LVwG-750193/2/MB/KHu

Linz, 09.09.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerden von Frau L. B.,
geb. am x (Erst-Beschwerdeführerin [Bf]) und Frau A. B.,
geb. am x (Zweit-Bf) – diese vertreten durch ihre Mutter, Frau L. B. –, beide mazed. StA, vertreten durch RA Dr. R. S., M. x, L., gegen die Bescheide der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 9. Juli 2014, GZ Pol18-44184 bis Pol18-44185-2014, mit denen die Erstanträge auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 46 Abs 1 Z 2 NAG im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich abgewiesen werden,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG iVm § 46 Abs 1 Z 1 NAG wird den Beschwerden stattgegeben, und den Beschwerdeführerinnen werden die Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ für die Dauer von zwölf Monaten erteilt.

 

 

II.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Mit Eingaben vom 21. Mai 2014 brachten die Bf Anträge auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ ein.

 

2. Mit Bescheiden vom 9. Juli 2014, GZ Pol18-44184 bis Pol18-44185-2014, wurden die ggst. Anträge aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) von der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck abgewiesen. Begründend führte die Behörde aus:

 

„Das monatliche Nettoeinkommen beträgt laut Auskunft des Arbeitgebers monatlich netto € 1.655,51. Unter Berücksichtigung der vorgelegten Lohnzetteln, des Arbeitslosengeldes und des aliquoten Anteils des Weihnachts- und Urlaubgeldes wird das monatliche Durchschnittseinkommen ihres Ehemannes € 1.664,12,- betragen. Die monatliche Miete abzüglich des Wertes der freien Station ist € 225,94 hoch. Der Richtsatz nach § 293 ASVG beträgt monatlich netto für ein Ehepaar und zwei mj. Kinder insgesamt € 1.550,71. Unter Berücksichtigung des monatlichen Durchschnittseinkommens ihres Gatten ergibt dies einen monatlichen Differenzbetrag in der Höhe von € 112,53,-. Daraus folgt, dass ihr Gatte selbst nicht in der Lage ist für ihren Unterhalt und für den Unterhalt der beiden gemeinsamen und minderjährigen Kinder aufzukommen. Aus diesem Grund besteht die begründete Gefahr, dass der gemeinsame Aufenthalt hier im Bundesgebiet der Republik Österreich zu einer finanziellen Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft führen wird.

 

Vermag ein Fremder den Besitz der Mittel zu seinem Unterhalt nicht nachzuweisen, so ist sowohl der Versagungsgrund des § 11 Abs. 2 Z 1 iVm. Abs. 4 als auch der Versagungsgrund des Abs. 2 Z 4 iVm. Abs. 5 leg. cit. erfüllt. Dass der Mangel an Unterhaltsmitteln die öffentlichen Ordnung und Sicherheit gefährdet, ergibt sich auch aus § 53 Abs. 2 Z 6 iVm. Abs. 1 FPG.

[...]

 

Faktum ist, dass Sie und ihre mj. Tochter [...] nachweislich am 2. März 2014 in den Schengenraum und in weiterer Folge in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist sind. [...] Aufgrund der Staatsbürgerschaft genießen sowohl sie als auch ihre mj. Tochter Sichtvermerksfreiheit. Dies bedeutet, dass sie und ihre mj. Tochter sich innerhalb von 180 Tagen insgesamt 90 Tage im Schengenraum aufhalten dürfen. In Ihrem Fall und im Fall ihrer mj. Tochter bedeutet dies, dass sie und ihre mj. Tochter spätestens am 01.06.2014 den Schengenraum und somit auch das Bundesgebiet der Republik Österreich hätten verlassen müssen. Ab dem 02.06.2014 ist sowohl ihr Aufenthalt hier in Österreich als auch der ihrer mj. Tochter unrechtmäßig. Dieser Sachverhalt stellt einen Versagungsgrund nach § 11 Abs. 1 Z 5 NAG dar. Über diesen Sachverhalt sind sie auch mit Schreiben der hs. Niederlassungsbehörde vom 27. Mai 2014 in Kenntnis gesetzt worden.

[...]

 

Zu ihrem Privat- und Familienleben wird nachstehendes von der hs. Niederlassungsbehörde festgestellt:

 

Sie sind mazedonische Staatsbürgerin und sind im Alter von 24 Jahren nach Österreich gekommen. Sie haben in ihrem Herkunftsstaat ihre Schul- und Berufsausbildung absolviert. Sie sind mit den Sitten und Gebräuchen ihres Heimatstaates vertraut. Sie selbst besitzen noch entsprechende familiäre Bindungen nach Mazedonien. Sie haben bis zu ihrer Einreise in den Schengenraum immer in ihrem Heimatstaat gelebt. Eine nicht unerhebliche soziale Bindung zu ihrem Herkunftsstaat besteht somit.

 

Am 23.04.2010 haben sie ihren Gatten [...] geheiratet. Am 2. März 2014 sind sie gemeinsam mit ihrer mj. Tochter in den Schengenraum und in weiterer Folge in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist. Am 21. Mai 2014 haben Sie und ihre mj. Tochter einen quotenpflichtigen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 2 2 NAG gestellt. Ihr Gatte selbst ist seit dem 19.09.2012 rechtmäßig hier im Bundesgebiet der Republik Österreich niedergelassen. Sein derzeitiger Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" hat eine Gültigkeitsdauer vom 19.09.2013 bis zum 18.09.2014.

 

Sie selbst besitzen Deutschgrundkenntnisse Niveau A1 und sind strafrechtlich unbescholten. Sowohl eine berufliche als auch eine soziale Integration ist aufgrund der kurzen Aufenthaltsdauer nicht gegeben.

 

Faktum ist, dass sie sich seit dem 02. Juni 2014 unrechtmäßig hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten. Dies gilt selbstverständlich auch für ihre mj. Tochter [...]. Faktum ist auch, dass sie nachweislich von diesem Sachverhalt schriftlich in Kenntnis gesetzt worden sind. Am 26.06.2014 haben sie das gemeinsame Kind [...] zur Welt gebracht.

 

Tatsache ist auch, dass Sie bei ihrer Einreise in den Schengenraum und in weiterer Folge  in das Bundesgebiet der Republik Österreich bereits im 6. Monat Schwanger gewesen sind. Zu diesem Zeitpunkt haben Sie auch gewusst, dass ihr Aufenthalt hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufgrund ihrer Sichtvermerksfreiheit auf 90 Tage begrenzt ist. Angeführt wird auch, dass ihr Gatte zum Zeitpunkt ihrer Einreise arbeitslos gewesen ist. Schließlich haben sie im achten Monat ihrer Schwangerschaft am 21. Mai 2014 gemeinsam mit ihrer mj. Tochter den quotenpflichtigen Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaitstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG (Zuwanderungsantrag) gestellt. Es ist somit ihrem eigenen und persönlichen Verhalten zuzuschreiben, dass sie zu einem Zeitpunkt den Zuwanderungsantrag gestellt haben, wo sie nur mehr 11 Tage hier im Schengenraum rechtmäßig aufhältig gewesen sind. Mit nachweislichem Schreiben vom 21.05.2014, das sie persönlich vor Ort übernommen haben, sind sie aufgefordert worden, die fehlenden Unterlagen binnen zwei Wochen der hs. Niederlassungsbehörde vorzulegen. Mit nachweislichem Schreiben vom 27.05.2014 sind sie von der hs. Niederlassungsbehörde in Kenntnis gesetzt worden, dass die Erteilungsvoraussetzungen nicht vorliegen. Sie sind nachweislich mit diesem Schreiben aufmerksam gemacht worden, dass sowohl ihr rechtmäßiger Aufenthalt als auch der rechtmäßige Aufenthalt ihres mj. Kindes am 01.06.2014 endet. Diesen Umstand haben sie völlig ignoriert. Sie setzen durch ihr persönliches Verhalten die hs. Niederlassungsbehörde vor vollendeten Tatsachen. Dabei ist es ihnen auch egal, ob sie Rechtsnormen missachten. Ihrem persönlichen Verhalten ist auch der Umstand zuzuschreiben, dass sie zum Zeitpunkt der Antragsstellung bereits im achten Monate schwanger gewesen sind. Sie haben bei der Antragsstellung bereits gewusst bzw. wissen müssen, dass sie sich nicht länger als 90 Tage im Schengenraum aufhalten dürfen. Ihr eigenes und persönliches Verhalten hat dazu geführt, dass sowohl sie sich als auch ihre beiden mj. Kinder unrechtmäßig hier im Bundesgebiet der Republik Österreich aufhalten. Sie haben sich und die Kinder bewusst der Gefahr ausgesetzt, dass gegen sie alle fremdenpolizeiliche Maßnahmen eingeleitet und ergriffen werden. Doch diese Tatsache ist ihnen völlig egal gewesen. Sie haben dieses Faktum einfach ignoriert. Sie selbst haben dadurch ihr eigenes Privat- und Familienleben gefährdet, nämlich durch ihre Rücksichtlosigkeit.

 

Die hs. Niederlassungsbehörde kommt daher zum Ergebnis, dass weder ihr Privat- und Familienleben noch das Privat- und Familienleben ihrer beiden mj. Kinder jenen Stellenwert erreicht, um daraus einen Aufenthaltstitel ableiten zu können. Gerade die Missachtung von fremdenpolizeilichen Vorschriften stellt eine schwerwiegende Beeinträchtigung der öffentlichen Ordnung dar. Hinzu kommt noch, dass ihre Integration hier in Österreich als gering einzustufen ist. Daran ändert auch der Umstand nichts, dass sie hier in Österreich das gemeinsame zweite Kind zur Welt gebracht haben. Dies schon deshalb, weil sie zum Zeitpunkt der Geburt bereits illegal aufhältig gewesen sind.

 

Ein weiterer Umstand ist die Tatsache, dass sie nicht in der Lage sind, die erforderlichen finanziellen Mittel für sich und für die beiden mj. Kinder aufzuweisen. Durch den Aufenthalt hier im Bundesgebiet der Republik Österreich wird das wirtschaftliche Wohl des Staates gefährdet. Gerade in wirtschaftlich schwierigen Zeiten nimmt das wirtschaftliche Wohl des Staates einen beachtlichen Stellenwert ein. Dies deshalb, weil davon Sozialleistungen abhängen, die für ein friedliches Miteinander sorgen und die Grundversorgung der Bevölkerung sichert. Aus diesem Grund darf das wirtschaftliche Wohl des Staates nicht gefährdet werden. Es kann nicht sein, dass der Staat für den Unterhalt von Fremden aufzukommen hat, wenn der Fremde selbst dafür nicht in der Lage ist. Diese Verpflichtung trifft ausschließlich den Fremden selbst oder seine Bezugs-person.

 

Angeführt wird, dass sie aufgrund ihrer Staatsbürgerschaft Sichtvermerksfreiheit genießen. Dasselbe gilt selbstverständlich auch für die beiden mj. Kinder. Somit besteht die Möglichkeit, sich innerhalb von 180 Tagen 90 Tage im Schengenraum rechtmäßig aufzuhalten. Die Möglichkeit eines Privat- und Familienlebens besteht somit. Auch ihr Gatte kann sie und die beiden mj. Kinder jederzeit in Mazedonien besuchen, da er selbst mazedonischer Staatsbürger ist und keinerlei Einreisebeschränkungen unterliegt. Es liegt nun an ihnen und an ihren Ehemann, wie intensiv das Privat- und Familienleben gestaltet wird. Angeführt wird auch, dass aufgrund der modernen Kommunikationsmitteln wie z.B.: Facebook, E-Mail, Skypen, etc. jederzeit ein entsprechender Kontakt gehalten werden kann.

 

Die Abweisung der beiden quotenpflichtigen Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels „Rot-Weiß-Rot-Karte plus" gemäß § 46 Abs. 1 Z 2 NAG stellt keinen ungerechtfertigten Eingriff in ihr Privat- und Familienleben und in das Privat- und Familienleben ihrer beiden mj. Kinder dar.“

 

3. Gegen diesen Bescheid erhoben die Bf durch ihren bevollmächtigten Vertreter mit Schriftsatz vom 16. Juli 2014 Beschwerde. Darin beantragten die Bf, 1. der Beschwerde Folge zu geben und den angefochtenen Bescheid dahingehend abzuändern, dass dem quotenpflichtigen Erstantrag der Einschreiterin und deren Tochter stattgegeben wird, 2. in eventu den angefochtenen Bescheid aufzuheben und die Rechtssache zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Behörde zurückzuverweisen sowie 3. eine mündliche Verhandlung anzuberaumen. Begründend führten die Bf aus, dass sich der Ehegatte bzw. Vater der Bf um eine Lohnerhöhung und Mietzinssenkung bemüht habe, um die Vorgaben der Behörde zu erfüllen. Nunmehr gehe die Behörde jedoch von einem Richtsatz für ein Ehepaar und zwei minderjährige Kinder aus, ohne diesen Zustand den Bf vorgehalten zu haben. Offensichtlich berücksichtige die Behörde die zwischenzeitlich erfolgte Geburt des zweiten gemeinsamen Kindes, ohne den Bf die Möglichkeit einzuräumen, auf diesen Umstand entsprechend zu reagieren.

 

Der Arbeitgeber des Ehemannes bzw. Vaters habe eine Gehaltserhöhung auf insgesamt monatlich netto € 1.790,74 zugesichert und diese Gehaltserhöhung mit seinem Mitarbeiter vereinbart. Berücksichtigt man einen 60-tägigen Arbeitslosengeldbezug sowie eine anteilige Urlaubs- und Weihnachts­renumeration, ergebe sich ein monatliches Nettogehalt in Höhe von € 1.878,--. In diesem durchschnittlichen Nettogehalt finde daher einerseits der Wert der freien Station von € 225,94 sowie der Richtsatz in Höhe von € 1,550,71 Deckung, sodass keine Gefahr bestehe, dass der gemeinsame Aufenthalt im Bundesgebiet der Republik Österreich zu einer finanziellen Belastung einer öffentlichen Gebietskörperschaft führen wird.

 

Ferner habe die Behörde nicht berücksichtigt, dass bei der Erst-Bf vorzeitige Wehen eingetreten seien, sodass von einer längeren Reise ins Ausland medizinisch dringend abgeraten worden sei. Der Eintritt dieser Komplikation sei für die Einschreiterin zum Zeitpunkt der Einreise nach Österreich nicht absehbar gewesen und könne ihr daher auch nicht zum Vorwurf gemacht werden.

 

Die Behörde habe ferner richtig festgestellt, dass die Erst-Bf rechtmäßig nach Österreich eingereist, verheiratet und schwanger gewesen sei. Der VwGH habe diesbezüglich judiziert, dass die Schwangerschaft der Beschwerdeführerin deren familiäres Interesse an einem Verbleib in Österreich verstärkt und zwar zunächst jedenfalls bis zur Geburt des Kindes, was den der Erst-Bf vorwerfbaren Aufenthalt in Österreich über die Gültigkeitsdauer ihres Visums hinaus relativiere.

 

Im gegenständlichen Fall sei darüber hinaus davon auszugehen, dass die Einschreiterin zur Antragstellung im Inland berechtigt war. Es sei daher analog zur Bestimmung des § 21 Abs 3 Z 2 NAG auch davon auszugehen, dass sie aufgrund ihrer Schwangerschaft berechtigt gewesen sei, zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK die Entscheidung im Inland abzuwarten. Dass die Ausreise für die Antragstellerin nicht möglich oder nicht zumutbar war, ergebe sich aus dem Umstand, dass die Einschreiterin mit dem Vater ihrer Kinder einerseits verheiratet sei und beide zwei gemeinsame Kinder hätten, wobei das zweite erst Tage zuvor geboren worden sei. Abgesehen davon lägen nun sämtliche Voraussetzungen für den Aufenthalt der Einschreiterin vor, sodass kein sachlicher Grund für die Ausreise der Familie bestehe.

 

4. Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt legte die Beschwerde samt dem bezughabenden Verwaltungsakt mit Schreiben vom 22. Juli 2014 dem Oö. LVwG zur Entscheidungsfindung vor, das gemäß § 2 VwGVG durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter zu entscheiden hat.

 

5. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde, dem Beschwerdevorbringen sowie den ergänzenden Eingaben der Bf ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.

 

 

II.            1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungserheblichen Sachverhalt aus:

 

Erst- und Zweit-Bf sind mazed. StA und am 2. März 2014 nach Österreich eingereist.

 

Die Erst-Bf ist seit rund 4 1/2 Jahren mit ihrem in Österreich aufhältigen Ehegatten verheiratet. Die beiden haben zwei gemeinsame Kinder, das ältere der beiden ist die Zweit-Bf. Der Ehegatte bzw. Vater, Herr I. B., geb. am x, mazed. StA, wohnhaft in S., verfügt über eine bis zum 18. September 2014 gültige „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 1 NAG, um deren Verlängerung er bereits angesucht hat.

 

Der Ehegatte bzw. Vater ist als Bauarbeiter unselbständig tätig und verfügt nach der vorliegenden Lohn- und Gehaltsbestätigung ab Mitte Juli 2014 als laufenden Bezug über ein monatliches Erwerbs-Netto-Einkommen iHv. € 1.780,63, wobei ihm zusätzlich eine Urlaubs- und Weihnachtsrenumeration zusteht. An Arbeitslosengeld bezog er von 01.01.2014 bis 09.03.2014 € 28,59 pro Tag.

 

Die Erst-Bf war im Zeitpunkt der Einreise nach Österreich schwanger; der von ihr aufgesuchte Arzt attestierte am 21. Mai 2014 „rezidivierende vorzeitige Wehen“ und riet von einer „längeren Reise ins Ausland medizinisch dringend ab“. Die Zweit-Bf brachte am 26. Juni 2014 das Kind in Österreich auf die Welt.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.

 

 

III.           Gemäß § 46 Abs 1 NAG, der Bestimmungen über die Familienzusammenführung enthält, ist Familienangehörigen von Drittstaatsangehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus” zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen, und

1.   der Zusammenführende einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte” gemäß § 41 oder einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus” gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder

2.   ein Quotenplatz vorhanden ist und der Zusammenführende

a)   einen Aufenthaltstitel „Daueraufenthalt – EU” innehat,

b)   einen Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus”, ausgenommen einen solchen gemäß § 41a Abs. 1 oder 4 innehat, oder

c)   Asylberechtigter ist und § 34 Abs. 2 AsylG 2005 nicht gilt.

 

Gemäß § 11 Abs 1 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.   gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen wurde oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 67 FPG besteht;

2.   gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.   (entfallen)

4.   eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption
(§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.   eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.   er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.

 

Gemäß § 11 Abs 2 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn

1.   der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2.   der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3.   der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4.   der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5.   durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6.   der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

 

Ein Aufenthaltstitel kann gemäß § 11 Abs 3 NAG trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Gemäß § 11 Abs 5 NAG führt der Aufenthalt eines Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft (Abs. 2 Z 4), wenn der Fremde feste und regelmäßige eigene Einkünfte hat, die ihm eine Lebensführung ohne Inanspruchnahme von Sozialhilfeleistungen der Gebietskörperschaften ermöglichen und der Höhe nach den Richtsätzen des § 293 des Allgemeinen Sozialversicherungsgesetzes (ASVG), BGBl. Nr. 189/1955, entsprechen. Feste und regelmäßige eigene Einkünfte werden durch regelmäßige Aufwendungen geschmälert, insbesondere durch Mietbelastungen, Kreditbelastungen, Pfändungen und Unterhaltszahlungen an Dritte nicht im gemeinsamen Haushalt lebende Personen. Dabei bleibt einmalig ein Betrag bis zu der in § 292 Abs. 3 zweiter Satz ASVG festgelegten Höhe unberücksichtigt und führt zu keiner Erhöhung der notwendigen Einkünfte im Sinne des ersten Satzes. Bei Nachweis der Unterhaltsmittel durch Unterhaltsansprüche (§ 2 Abs. 4 Z 3) oder durch eine Haftungserklärung oder Patenschaftserklärung (Abs. 2 Z 15 oder 18), ist zur Berechnung der Leistungsfähigkeit des Verpflichteten nur der das pfändungsfreie Existenzminimum gemäß § 291a der Exekutionsordnung (EO), RGBl. Nr. 79/1896, übersteigende Einkommensteil zu berücksichtigen. In Verfahren bei Erstanträgen sind soziale Leistungen nicht zu berücksichtigen, auf die ein Anspruch erst durch Erteilung des Aufenthaltstitels entstehen würde, insbesondere Sozialhilfeleistungen oder die Ausgleichszulage.

 

 

IV.          Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

1. Gem § 27 VwGVG hat das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid auf Grund der Beschwerde (§ 9 Abs 1 Z 3 und 4 VwGVG) zu überprüfen.

 

2. Die Erst-Bf ist die Ehefrau, die Zweit-Bf die Tochter des in Österreich aufhältigen Drittstaatsangehörigen Herrn I. B. (im Folgenden: Zusammenführender). Der Zusammenführende ist Inhaber einer „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ gem § 41a Abs 1 NAG, sodass die ggst. Familienzusammenführung nach der Bestimmung des § 46 Abs 1 Z 1 NAG zu beurteilen ist. Demnach ist den Familienangehörigen ein Aufenthaltstitel „Rot-Weiß-Rot – Karte plus“ dann zu erteilen, wenn sie die Voraussetzungen des ersten Teils des NAG erfüllen, wofür insbes. die Bestimmung des § 11 NAG einschlägig ist. Einer Quotenpflicht unterliegt die ggst. Familienzusammenführung hingegen nicht.

 

3. Zunächst wird von den Bf das von der belangten Behörde festgestellte Einkommen des Zusammenführenden beanstandet. Damit eröffnen die Bf die Frage, ob ihr Aufenthalt gem § 11 Abs 2 Z 4 NAG zu einer finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte.

 

Da die Verwaltungsgerichte anhand der Sach- und Rechtslage zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung vorzugehen haben, erweist sich die zwischenzeitig nachgewiesene Lohnerhöhung des Zusammenführenden als rechtlich relevant.

 

Dieser verfügt (nunmehr) über ein monatliches Erwerbs-Netto-Einkommen iHv. € 1.780,63, wobei ihm zusätzlich eine Urlaubs- und Weihnachtsrenumeration zusteht. Damit stehen im Schnitt rund € 2.077.-- pM zur Verfügung.

 

Selbst wenn man mit der Erstbehörde berücksichtigt, dass der Zusammenführende in den Wintermonaten arbeitslos gemeldet war bzw. sein wird – im Jahr 2014 betrug die Dauer der Arbeitslosigkeit rund 2,5 Monate –, ergibt dies unter Berücksichtigung des anteilsmäßigen Urlaubs- und Weihnachtsgeldes für die Dauer der Erwerbstätigkeit ein monatliches Netto-Durchschnittseinkommen von rund € 1.823,--. Zu beachten ist dabei, dass in der hier angestellten überschlagsmäßigen Berechnung die steuerliche Begünstigung des 13. und 14. Monatsgehalts nicht berücksichtigt wurde; das reale Durchschnittseinkommen wird damit über den hier ermittelten Werten liegen.

 

Von diesem Einkommen zu begleichen ist insbes. die Miete für die gemeinsame Wohnung iHv. € 500,-- pM, wobei hierauf der Wert der vollen freien Station iHv € 274,06 anzurechnen ist (§ 292 Abs 3 ASVG). Der Richtsatz gem § 293 Abs 1 lit a sublit aa ASVG für das Jahr 2014 beträgt € 1.286,03 für Ehegatten im gemeinsamen Haushalt, wobei sich dieser Satz um € 132,34 pro Kind erhöht. Der zu erfüllende Richtsatz für die ggst. Familie beträgt damit € 1.550,71 pM. Unter Berücksichtung der Mietkosten beträgt das erforderliche monatliche Mindesteinkommen damit € 1.776,65.

 

Da der Zusammenführende dieses Mindesteinkommen erfüllt, kann gem § 11 Abs 2 Z 4 iVm Abs 5 NAG davon ausgegangen werden, dass der Aufenthalt der Bf in Österreich zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft wird führen. Die Bf erfüllen damit diese Erteilungsvoraussetzung.

 

4. Des Weiteren brachten die Bf vor, dass sie zwar die visumsfreie Zeit überschritten hätten, dass dies jedoch im konkreten Fall aufgrund von Art 8 EMRK zulässig gewesen sei.

 

Diesbezüglich ist zunächst festzuhalten, dass im Überschreiten der visumsfreien Aufenthaltszeit – wie auch schon von der belangten Behörde festgestellt – der Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 5 NAG zu erblicken ist.

 

Gem § 11 Abs 3 NAG kann jedoch der begehrte Aufenthaltstitel trotz Vorliegen dieses Erteilungshindernisses erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS des Art 8 EMRK geboten ist.

 

Der belangten Behörde kann aufgrund der nunmehr vorliegenden Ermittlungsergebnisse nicht darin beigepflichtet werden, dass die Verweigerung des Aufenthaltstitels im konkreten Fall keinen „ungerechtfertigten Eingriff“ in das Privat- und Familienleben darstelle.

 

Zu berücksichtigen war nämlich insbesondere, dass die Erst-Bf eine seit mehreren Jahren aufrechte Ehe mit dem in Österreich aufhältigen und aufenthaltsberechtigten Ehegatten hat und zum Zeitpunkt der Einreise bzw. des fortdauernden Aufenthaltes in Österreich schwanger war. Hinzu kommt, dass im Rahmen dieser Schwangerschaft unerwartete Komplikationen auftraten, die eine Rückreise als medizinisch nicht empfehlenswert erscheinen ließen.

 

Die Schwangerschaft der Erst-Bf verstärkt deren familiäres Interesse an einem Verbleib in Österreich, und zwar zunächst jedenfalls bis zur Geburt des Kindes, was den den Bf vorwerfbaren Aufenthalt in Österreich relativiert (idS etwa auch VwGH 24.02.2011, Zl. 2010/21/0460). Dies gilt im konkreten Fall umso mehr, als es sich um eine komplikationsbehaftete Schwangerschaft handelte. Auch in der nunmehr vorliegenden Phase kurz nach der Geburt des Kindes kann man ein besonderes familiäres Interesse der Bf an einem gemeinsamen Aufenthalt aller Familienmitglieder in Österreich nicht in Abrede stellen.

 

Festzuhalten ist außerdem, dass der ursprünglich herangezogene Versagungsgrund – die Erstbehörde subsumierte das Fehlen ausreichender Unterhaltsmittel sowohl unter die Z 1 als auch unter die Z 4 des § 11 Abs 2 NAG – aufgrund der nunmehr erfolgten Lohnerhöhung nicht (mehr) vorliegt, weshalb der im weiteren Verbleib der Bf im Inland nach Ablauf der visumsfreien Zeit liegende Verstoß gegen die öffentliche Ordnung im Bereich des Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts in seinem Gewicht wesentlich gemindert wird.

 

Insgesamt fällt die Abwägung nach § 11 Abs 3 NAG damit zu Gunsten der Bf aus.

 

5. Da alle übrigen Erteilungsvoraussetzungen des § 11 Abs 2 NAG augenscheinlich vorliegen und kein (anderes) Erteilungshindernis des § 11 Abs 1 NAG ersichtlich ist, liegen damit alle Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels vor.

 

V.           Da alle Voraussetzungen des § 46 Abs 1 Z 1 NAG erfüllt sind, waren die angefochtenen Bescheide aufzuheben und den Bf die begehrten Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer der Aufenthaltstitel von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs 1 NAG. Die belangte Behörde hat die hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG-DV an die Bf im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung der Aufenthaltstitel sind die Bf gemäß § 19 Abs 7 letzter Satz NAG über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren. Die Bf werden darauf hingewiesen, dass Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs 7 NAG an Fremde, die das 14. Lebensjahr vollendet haben, nur persönlich ausgefolgt werden dürfen.

 

 

VI.          Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter