LVwG-550695/3/KH/SB

Linz, 13.11.2015

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin
Maga. Katja Hörzing über den Antrag des Herrn H W, x, G, auf Verfahrenshilfe für das Beschwerdeverfahren vor dem Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich betreffend den Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau vom
9. September 2015, GZ: UR01-28-2014, mit dem ein Behandlungsauftrag gemäß § 73 Abs. 1 Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) erteilt wurde, den

B E S C H L U S S

gefasst:

 

 

I.          Der Antrag auf Verfahrenshilfe wird gemäß § 31 Abs. 1 Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz (VwGVG) iVm Art. 47 Abs. 3 iVm Art. 51 Abs. 1 Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) abgewiesen.

 

 

II.         Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a Verwaltungsgerichts­hofgesetz 1985 (VwGG) eine ordentliche Revision an den Verwal­tungs­gerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 Bundes-Verfassungsgesetz (B-VG) unzulässig.

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

I. 1.        Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes von Braunau vom
9. September 2015, GZ: UR01-28-2014, wurde Herrn H W, x, G (im Folgenden: Antragsteller), aufgetragen, die im Bescheid näher bezeichneten Abfälle bis längstens 30. Oktober 2015 einer ordnungsgemäßen Entsorgung zuzuführen und der Behörde bis zu diesem Zeitpunkt einen entsprechenden Entsorgungsnachweis vorzulegen.

 

I. 2.        Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller in offener Frist Beschwerde erho­ben und zugleich den Antrag auf Verfahrenshilfe gestellt. 

 

 

II.           Über diesen rechtzeitigen Antrag auf Verfahrenshilfe hat das Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

II. 1.       Verfahrenshilfe für das Verfahren beim Verwaltungsgericht ist gemäß § 40 VwGVG nur in Verwaltungsstrafverfahren vorgesehen. Diese Bestimmung wurde vom Verfassungsgerichtshof aufgehoben (VfGH 25.06.2015, G 7/2015-8). Bis zum Wirksamwerden dieser Aufhebung mit Ablauf des 31. Dezember 2016 (siehe BGBl. I  Nr. 82/2015) gilt diese Bestimmung aber noch weiter und schließt die Zuerkennung einer Verfahrenshilfe im Administrativverfahren aus.

 

II. 2.       Bereits vor dieser Aufhebung wurde die Vorsehung einer Verfahrenshilfe nur in Verwaltungsstrafverfahren als „bedenklich“ eingestuft (Fister/Fuchs/Sachs, Das neue Verwaltungsgerichtsverfahren [2013] § 40 C Anm 1; so auch Eder/Martschin/Schmid, Das Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2013] VwGVG § 40 K2). Der Anspruch auf Prozesskostenhilfe (Verfahrenshilfe) erstreckt sich nach der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) nämlich auf sämtliche Verfahren, weshalb in „Verfahren, die keine Verwaltungs­strafverfahren sind, […] Verfahrenshilfe […] gegebenenfalls direkt auf Art. 47 Abs. 3 GRC gestützt werden“ muss (Storr in Fischer/Pabel/Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit [2014] 3/27; so auch N. Raschauer/Sander/ Schlögl in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art. 47 Rz 59).

 

II. 3.       Unter Hinweis auf diese Ausführungen in der Literatur und die ständige Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofes hob der Verwaltungsgerichtshof in seinem Erkenntnis vom 3. September 2015, Ro 2015/21/0032, die Abweisung des Antrages auf Verfahrenshilfe in einem Verfahren über die Verhängung einer Schubhaft wegen Rechtswidrigkeit auf. In diesem Fall wurde vom Verwaltungs­gerichtshof die Beistellung einer Verfahrenshilfe im Administrativverfahren
- aufgrund Fehlen einer geeigneten innerstaatlichen Grundlage - direkt auf Grundlage des Art. 47 Abs. 3 GRC bejaht. Unter Zugrundelegung dieser Recht­sprechung ist im gegenständlichen Fall direkt anhand der GRC zu prüfen, ob Verfahrenshilfe zu gewähren ist oder nicht.

 

II. 4.       Anwendungsbereich der GRC:

 

II.4.1.     Gemäß Art. 51 Abs. 1 GRC gilt die Charta für die Mitgliedstaaten ausschließlich bei der Durchführung des Rechtes der Union. Zur Abgrenzung des Anwendungsbereiches der GRC gemäß Art. 51 Abs. 1 (und somit des Art. 47
Abs. 3) zieht Holoubek/Lehner/Oswald die „Formel“ des Europäischen Gerichts­hofes heran: „Um festzustellen, ob eine nationale Regelung die Durchführung des Rechtes der Union im Sinne von Art. 51 der Charta betrifft, ist u.a. zu prüfen, ob mit ihr eine Durchführung einer Bestimmung des Unionsrechtes bezweckt wird, welchen Charakter diese Regelung hat und ob mit ihr nicht andere als die unter das Unionsrecht fallenden Ziele verfolgt werden, selbst wenn sie das Unionsrecht mittelbar beeinflussen kann, sowie ferner, ob es eine Regelung des Unions­rechtes gibt, die für diesen Bereich spezifisch ist oder ihn beeinflussen kann.“ (Holoubek/Lechner/Oswald in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014]
Art. 51 Rz 28 mwN).

 

II.4.2.     Dem gegenständlichen Verfahren liegt ein Behandlungsauftrag nach dem Abfallwirtschaftsgesetz 2002 (AWG 2002) zugrunde. Gemäß Art. 13 der Richtlinie 2008/98/EG (Richtlinie 2008/98/EG vom 19. November 2008 über Abfälle und zur Aufhebung bestimmter Richtlinien) treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, um sicherzustellen, dass die Abfallbewirtschaftung ohne Gefährdung der menschlichen Gesundheit oder Schädigung der Umwelt erfolgt und insbesondere ohne Gefährdung von Wasser, Luft, Boden, Tieren und Pflanzen, ohne Verursachung von Geräusch- oder Geruchsbelästigungen und ohne Beeinträchtigung der Landschaft oder von Orten von besonderem Interesse. Art. 12 dieser Richtlinie geht dabei konkret auf die Beseitigung ein, wonach die Mitgliedstaaten sicherstellen, dass Abfälle, die nicht gemäß Art. 10 Abs. 1 verwertet werden, Verfahren der unbedenklichen Beseitigung unterzogen werden, die den Bestimmungen des Art. 13 zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt genügen.

 

II.4.3.     Die Bestimmung des gegenständlichen § 73 Abs. 1 AWG 2002 kann als Maßnahme zur Sicherstellung der Ziele dieser Richtlinie (Verwertung, Beseitigung etc.) verstanden werden und eröffnet somit den Anwendungsbereich der GRC.

 

II.5.        Voraussetzungen für die Gewährung der Verfahrenshilfe:

 

II.5.1.     Gemäß Art. 47 Abs. 3 GRC wird Personen, die nicht über ausreichende Mittel verfügen, Prozesskostenhilfe bewilligt, soweit diese Hilfe erforderlich ist, um den Zugang zu den Gerichten wirksam zu gewährleisten.

 

II.5.2.     Daraus ist ersichtlich, dass die wesentliche Anwendungsschranke die Erforderlichkeit ist, wobei diese gleich zu verneinen ist, wenn Aussichtslosigkeit (z.B. Unzulässigkeit aus formalen Gründen), Rechtsmissbrauch oder offensicht­liche Unbegründetheit vorliegt (N. Raschauer/Sander/Schlögl in Holoubek/ Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art. 47 Rz 51). Diese vorrangigen Ausschlussgründe liegen nicht vor, weshalb die Erforderlichkeit der Beigabe einer Verfahrenshilfe für den wirksamen Zugang zum Recht eingehend zu prüfen ist.

 

II.5.3.     Diese weitere Würdigung obliegt dem nationalen Richter, wobei der Europäische Gerichtshof Kriterien formuliert hat, die konkret auf den betref­fenden Einzelfall zu prüfen sind. „Im Rahmen dieser Würdigung kann der nationale Richter den Streitgegenstand, die begründeten Erfolgsaussichten des Klägers, die Bedeutung des Rechtsstreits für diesen, die Komplexität des geltenden Rechtes und des anwendbaren Verfahrens sowie die Fähigkeit des Klägers berücksichtigen, sein Anliegen wirksam zu verteidigen. Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit kann der nationale Richter auch der Höhe der vorzuschießenden Gerichtskosten sowie dem Umstand Rechnung tragen, ob sie für den Zugang zum Recht gegebenenfalls ein unüber­windliches Hindernis darstellen oder nicht.“ (EuGH 22.12.2010, C-279/09 DEB Deutsche Energiehandels- und Beratungsgesellschaft mbH RZ 60f = VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0032, mit Verweis auf dieses Urteil des EuGH; EuGH 13.06.2012, C156/12 GREP Rz 45f; so auch Storr in Fischer/Pabel/Raschauer, Handbuch der Verwaltungsgerichtsbarkeit [2014] 3/29; N. Raschauer/Sander/ Schlögl in Holoubek/Lienbacher, GRC-Kommentar [2014] Art. 47 Rz 53).

 

II.5.4.     Den Streitgegenstand stellen im gegenständlichen Fall die einzelnen Gegenstände dar und ob diese den objektiven und/oder subjektiven Abfallbegriff erfüllen. Diese Einordnung erfolgt anhand der im AWG 2002 festgelegten Kriterien aufgrund der Ausführungen der Sachverständigen sowie des Antrag­stellers.

 

II.5.5.     Die „begründeten Erfolgsaussichten“ werden zum jetzigen Zeitpunkt und im jetzigen Verfahrensstand noch nicht beurteilt, da eine Sachentscheidung nicht vorweggenommen werden darf. Wie bereits oben ausgeführt, liegt eine „Aussichts­losigkeit“ etwa wegen formaler Gründe (z.B. Unzulässigkeit des Rechtsweges) nicht vor und steht der Gewährung der Verfahrenshilfe nicht im Weg. Der Ausgang des Verfahrens wird jedoch nicht vorweggenommen, dies käme einer inhaltlichen Beurteilung gleich (siehe Götzl in Götzl/Gruber/Reisner/ Winkler, Das neue Verfahrensrecht der Verwaltungsgerichte [2015] § 40 Rz 9).

 

II.5.6.     Es wird durchaus anerkannt, dass für den vom gegenständlichen Behandlungsauftrag betroffenen Antragsteller dieser Eingriff und dieser Rechts­streit subjektiv von hoher Bedeutung ist. In objektiver Hinsicht ist dazu aber auszuführen, dass hier ein massiver Grundrechtseingriff zu verneinen ist. Angesichts der Tatsache, dass viele der im Behandlungsauftrag bezeichneten Gegenstände augenscheinlich seit längerem nicht bewegt wurden, ist - ohne Vorwegnahme eines Verfahrensergebnisses - nicht davon auszugehen, dass diese für eine tägliche Bewirtschaftung und den Lebensunterhalt des Antragstellers ständig verwendet werden. Eine Beeinträchtigung des Lebensunterhaltes oder der Existenz ist nicht ersichtlich, weshalb in objektiver Hinsicht eine besondere Bedeutung zu verneinen ist. Im Vergleich dazu ging es z.B. im vom Verwaltungs­gerichtshof behandelten Fall um den massiven Grundrechtseingriff durch die drohende Haft, weshalb dem Rechtsstreit eine hohe Bedeutung für den Betroffenen beigemessen wurde (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0032).

 

II.5.7.     Dem Antragsteller wird durchaus zugemutet, dass er sein Anliegen vor dem Gericht vorbringen und entsprechend erläutern kann. Im Zuge des Verfah­rens - insbesondere der mündlichen Verhandlung - wird der gegenständliche Sachverhalt eingehend anhand der Sachverständigenaussagen und der anzu­wendenden Rechtslage mit dem Antragsteller erläutert. Bei der zu behandelnden Materie handelt es sich um Abfallrecht, wobei dem Antragsteller zumutbar ist, seine beanstandeten Gegenstände jeweils zu benennen und die subjektive Absicht der Verwendung darzutun. Aufgrund bestehender Manuduktionspflicht sind dem Antragsteller die rechtlichen Bestimmungen und die Folgen zu erläutern, darüber hinaus werden auch in materieller Hinsicht im Rahmen der mündlichen Ver­handlung die Kriterien, ob und warum die gegenständlich vorgefundene Lagerung nicht den Bestimmungen entspricht bzw. welche Gegenstände den Abfallbegriff erfüllen, durch die erkennende Richterin erläutert werden. Dazu werden auch die bereits befassten Amtssachverständigen beigezogen, um ihre Ausführungen darzulegen. Darüber hinausgehendes Spezialwissen des Antragstellers, das aufgrund der Komplexität eine Verfahrenshilfe notwendig machen würde, ist im gegenständlichen Fall nicht erforderlich.

 

II.5.8.     Weiters sind die Kosten und die verfügbaren Mittel des Antragstellers zu betrachten und ob bei Fehlen der entsprechenden Mittel der Zugang zum Recht sichergestellt ist oder nicht. Der Antragsteller führt aus, dass er mit 250 Euro Pension und einem „kleinen Zuverdienst“ leben muss. Im gegenständlichen Fall sind aber vom Antragsteller weder Kosten vorzuschießen, noch besteht für das Verfahren vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich Anwaltszwang. Wie oben bereits dargelegt, ist der Zugang zum Recht aufgrund der durchzu­führenden mündlichen Verhandlung und eingehenden Erörterung des Sach­verhaltes uneingeschränkt gegeben und hängt nicht von den finanziellen Mitteln des Antragstellers ab.

 

II.6.        Eine unentgeltliche Beigabe eines Rechtsanwaltes ist daher unter diesen Gesichtspunkten nicht gerechtfertigt, da ausreichend Mechanismen vorhanden sind, die dem Antragsteller den uneingeschränkten Zugang zu seinem Recht auch ohne Verfahrenshilfe hinreichend gewährleisten. Er ist ohne Verfahrenshilfe gegenüber einem anderen Beschwerdeführer, dem ein Rechtsanwalt beisteht, nicht schlechter gestellt (siehe VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0032, und das darin angeführte Urteil des EGMR vom 09.10.1979, Airey).

 

II.7.        Im Ergebnis ist daher festzustellen, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Verfahrenshilfe nach Art. 47 Abs. 3 GRC nicht vorliegen. Es liegt kein existenzbedrohender Sachverhalt zugrunde, dem Antragsteller ist ein Vorbringen seines Anliegens zumutbar und im Rahmen der mündlichen Ver­handlung ist eine eingehende Beurteilung des Sachverhaltes vorzunehmen. Der Zugang des Antragstellers zum Gericht und zu seinem Recht ist nicht von seinen finanziellen Mitteln abhängig und es entstehen für den Zugang keine Kosten, die für ihn ein unüberwindbares Hindernis darstellen würden. Der Antragsteller ist für den gegenständlichen Fall in der Lage, sein Anliegen sachgemäß und zufrieden­stellend vorzubringen, sodass ein effektiver Rechtsschutz auch ohne Beigabe einer Verfahrenshilfe aufgrund der von der erkennenden Richterin einzuhaltenden Abläufe und Vorschriften gegeben ist. Ausschlaggebend ist, ob der Antragsteller sein Recht auch ohne Beigabe einer Verfahrenshilfe effektiv geltend machen kann. Dies wird im gegenständlichen Fall bejaht, weshalb spruchgemäß zu entscheiden war.

 

II.8. Die Entscheidung in der Sache selbst ergeht nach Durchführung eines Ermittlungsverfahrens, in deren Rahmen auch eine mündliche Verhandlung anberaumt wird, gesondert.

 

 

III.          Unzulässigkeit der Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da zu dieser Rechtsfrage bereits eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ergangen ist (VwGH 03.09.2015, Ro 2015/21/0032). Die gegenständliche Entscheidung weicht nicht von dieser Rechtsprechung ab, welche auch aufgrund der - soweit ersichtlich - einzigen dahingehenden Entscheidung nicht als uneinheitlich bezeichnet werden kann.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsge­richtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsge­richtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsan­walt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240 Euro zu entrichten.

 


 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzu­bringen.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Maga. Katja Hörzing