LVwG-650593/2/WP

Linz, 22.03.2016

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Wolfgang Peterseil über die Beschwerde der K S, vertreten durch H N Rechtsanwälte, x, B, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 16. Februar 2016, GZ: VerkR21-74-2016pl, wegen Aufforderung zur amtsärztlichen Untersuchung, den

 

B E S C H L U S S

gefasst:

 

 

I. Der Beschwerde wird stattgegeben. Der Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 16. Februar 2016, GZ: VerkR21-74-2016pl, wird aufgehoben und die Angelegenheit wird zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zurückver­wiesen.

 

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             Bisheriges Verwaltungsgeschehen:

 

1. Mit Schreiben vom 2. Dezember 2015 übermittelte die Landespolizeidirektion Oberösterreich, PI U, der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck (in der Folge kurz: belangte Behörde) den Abschlussbericht zu Erhebungen gegen die Beschwerdeführerin (in der Folge kurz: Bf) wegen Vergehen gegen das Suchtmittelgesetz (SMG).

 

2. Mit Bescheid vom 16. Februar 2016 wurde die Bf aufgefordert, sich „bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck innerhalb von zwei Wochen nach Rechtskraft dieses Bescheides amtsärztlich untersuchen zu lassen“. Begründend führt die belangte Behörde aus:

 

Die Behörde geht aufgrund des Aktinhalts von folgendem Sachverhalt aus:

 

Von der Polizeiinspektion U wurde am 2.12.2015 zur Anzeige gebracht, dass Sie im Zeitraum von 1.12.2014 bis 6.10.2015 regelmäßig und gehäuften Suchtgiftmißbrauch begangen haben. Sie haben selber gegenüber der Polizei zugegeben, dass Sie ca. 50 g Cannabis angekauft und dieses bei Ihnen zu Hause in Form von Joints und Bong konsumiert haben.

 

Die Behörde hat rechtlich darüber erwogen:

 

Die in diesem Fall maßgeblichen Bestimmungen des FSG sind:

 

[Wiedergabe der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen]

 

Aufgrund der Anzeige der PI U vom 2.12.2015 und aufgrund Ihrer eigenen Angaben besteht der dringende Verdacht, dass Sie regelmäßigen und gehäuften Suchtgiftmißbrauch betreiben. Es bestehen daher begründete Bedenken an der gesundheitlichen Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen.

 

Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach Abs 4 sind begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber der Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht mehr besitzt. Hiebei geht es noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssen aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen – VwGH 30.9.2002, 2002/11/0120, ZVR 2011/15.

 

Grundsätzlich ist anzuführen, dass Cannabis die Fahrfähigkeit nach einem aktuellen Konsum über einige Stunden herabsetzen kann. Die Cannabiswirkung ist jedoch nicht vorhersehbar. Je nach Situation, momentanen persönlichem Zustand, Art der Konsumation und Cannabiserfahrung können unterschiedliche Wirkungen auftreten, zB Geh- und Stehunsicherheit, Zittern, Schwindel, Schläfrigkeit, Veränderung der Stimmungslage und der akustischen und visuellen Wahrnehmung, Verzerrungen, illusionäre Verkennungen, ängstliche Verstimmungen, gesteigertes Selbstbewusstsein, Verminderung des Antriebs, Apathie, Desinteresse, Störungen der Konzentrationsfähigkeit, Verminderung der Aufmerksamkeit und der Reaktionszeit, Herabsetzung der Kritikfähigkeit sowie Erhöhung der Risikobereitschaft. Außerdem können nach dem Cannabiskonsum psychotische Zustandsbilder auftreten.

 

Aufgrund Ihres Suchtgiftkonsums erscheint eine amtsärztliche Untersuchung unbedingt erforderlich um abzuklären, ob Sie nach wie vor geeignet sind, Kraftfahrzeuge zu lenken.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

Dieser Bescheid wurde der Bf am 22. Februar 2016 (Beginn der Abholfrist) zugestellt.

 

3. Gegen diesen Bescheid erhob die Bf durch ihre rechtsfreundlichen Vertreter mit Schriftsatz vom 4. März 2016 Beschwerde. Begründend führt sie aus, der Konsum von 5 Gramm Cannabis im Monat stelle keinen gehäuften Konsum iSd Rsp des Verwaltungsgerichtshofes dar. Hinzu komme, dass die Bf den Konsum vor über fünf Monaten einstellte. Der Aufforderungsbescheid sei daher zu Unrecht erlassen worden.

 

4. Mit Schreiben vom 9. März 2016, beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich am 15. März 2016 eingelangt, legte die belangte Behörde die Beschwerde samt bezughabenden Verwaltungsakt – unter Hinweis auf das Absehen von einer Beschwerdevorentscheidung – zur Entscheidung vor.

 

 

II.         Rechtslage:

 

Die im Beschwerdefall maßgebliche Bestimmung des Führerscheingesetzes (FSG) lautet auszugsweise wie folgt:

 

§ 24

(1) […]

(4) Bestehen Bedenken, ob die Voraussetzungen der gesundheitlichen Eignung noch gegeben sind, ist ein von einem Amtsarzt erstelltes Gutachten gemäß § 8 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung einzuschränken oder zu entziehen. Bei Bedenken hinsichtlich der fachlichen Befähigung ist ein Gutachten gemäß § 10 einzuholen und gegebenenfalls die Lenkberechtigung zu entziehen. Leistet der Besitzer der Lenkberechtigung innerhalb der festgesetzten Frist einem rechtskräftigen Bescheid, mit der Aufforderung, sich amtsärztlich untersuchen zu lassen, die zur Erstattung des amtsärztlichen Gutachtens erforderlichen Befunde zu erbringen oder die Fahrprüfung neuerlich abzulegen, keine Folge, ist ihm die Lenkberechtigung bis zur Befolgung der Anordnung zu entziehen.

 

Gem § 37 AVG ist Zweck des Ermittlungsverfahrens, den für die Erledigung einer Verwaltungssache maßgebenden Sachverhalt festzustellen und den Parteien Gelegenheit zur Geltendmachung ihrer Rechte und rechtlichen Interessen zu geben.

 

Gem § 56 AVG hat der Erlassung eines Bescheides, wenn es sich nicht um eine Ladung (§ 19) oder einen Bescheid nach § 57 handelt, die Feststellung des maßgebenden Sachverhalts, soweit er nicht von vornherein klar gegeben ist, nach den §§ 37 und 39 voranzugehen.

 

Gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

 

III.           Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich (Art 130 Abs 1 Z 1 iVm 131 Abs 1 B-VG iVm § 3 VwGVG) hat gem Art 135 Abs 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG durch seinen nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter im Rahmen des § 27 VwGVG über die zulässige und rechtzeitige Beschwerde erwogen:

 

1. In ständiger Judikatur vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, Voraussetzung für die Erlassung eines Aufforderungsbescheides nach § 24 Abs 4 FSG seien begründete Bedenken in der Richtung, dass der Inhaber einer Lenkberechtigung die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen derjenigen Klassen, die von seiner Lenkberechtigung erfasst werden, nicht mehr besitzt. Hiebei gehe es zwar noch nicht darum, konkrete Umstände zu ermitteln, aus denen bereits mit Sicherheit auf das Fehlen einer Erteilungsvoraussetzung geschlossen werden kann, es müssten aber genügend begründete Bedenken in dieser Richtung bestehen, die die Prüfung des Vorliegens solcher Umstände geboten erscheinen lassen. Im Zusammenhang mit einem Suchtmittelkonsum des Inhabers einer Lenkberechtigung wäre ein Aufforderungsbescheid rechtens, wenn ausreichende Anhaltspunkte für den Verdacht bestünden, dem Betreffenden fehle infolge Suchtmittelabhängigkeit (oder wegen Fehlens der Bereitschaft zur Verkehrsanpassung) die gesundheitliche Eignung zum Lenken von Kraftfahrzeugen (VwGH 30.9.2011, 2010/11/0248 uHa 25.5.2004, 2003/11/0310, mwN, 13.12.2005, 2005/11/0191, 27.9.2007, 2006/11/0143, 24.5.2011, 2011/11/0026, mwN).

 

2. Ebenfalls in ständiger Judikatur vertritt der Verwaltungsgerichtshof die Auffassung, wie sich aus § 14 FSG-GV ergebe, berühre ein geringfügiger Suchtmittelgenuss die gesundheitliche Eignung (noch) nicht. Erst dann, wenn der Konsum zu einer Abhängigkeit zu führen geeignet sei oder wenn die Gefahr bestehe, dass die betreffende Person nicht in der Lage sein könnte, den Konsum so weit einzuschränken, dass ihre Fähigkeit zum Lenken von Kraftfahrzeugen nicht (mehr) beeinträchtigt sei, läge ein Grund vor, unter dem Aspekt eines festgestellten – wenn auch verbotenen – Suchtmittelkonsums die gesundheitliche Eignung begründeterweise in Zweifel zu ziehen (VwGH 30.9.2011, 2010/11/0248 mwN).

 

3. Weiteres hat der Verwaltungsgerichtshof ausdrücklich die Auffassung vertreten, dass ein Aufforderungsbescheid nur dann zulässig sei, wenn im Zeitpunkt seiner Erlassung von Seiten der Behörde (nach wie vor) begründete Bedenken bestehen (nochmals VwGH 30.9.2011, 2010/11/0248, sowie 21.9.2010, 2010/11/0105).

 

4. Im Hinblick auf § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG ist zunächst festzuhalten, dass die belangte Behörde kein (eigenständiges) Ermittlungsverfahren iSd §§ 37 und 39 AVG durchgeführt hat. Das behördliche Ermittlungsverfahren erschöpft sich in der Übernahme des polizeilichen Abschlussberichts. Weder wurde von der belangten Behörde festgestellt, in welcher Häufigkeit die Bf Cannabis konsumierte, inwieweit also tatsächlich der Verdacht einer Suchtmittel­abhängigkeit iSd Rsp des Verwaltungsgerichtshofes und nicht bloß ein geringfügiger Suchtmittelgenuss vorliegt, noch hat sie Ermittlungen dahingehend unternommen, ob zum Zeitpunkt der Erlassung des Aufforderungsbescheides – also beinahe fünf Monate nach dem letzten von der Bf zugestandenen Suchtmittelkonsum – nach wie vor Bedenken an der gesundheitlichen Eignung der Bf bestanden (zu einer vergleichbaren Konstellation vgl jüngst VwGH 26.2.2015, Ra 2014/11/0098). Zudem hat die belangte Behörde der Bf keinerlei Möglichkeit eingeräumt, zu den „Ermittlungsergebnissen“ Stellung zu nehmen und eigene Ausführungen zum von der Behörde angenommenen Sachverhalt zu machen und ihren Rechtsstandpunkt darzulegen.

 

5. Nach gefestigter Rsp des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.3.2015, Ra 2014/07/0077) kommt eine Zurückverweisung der Sache an die Verwaltungsbehörde zur Durchführung notwendiger Ermittlungen insbesondere dann in Betracht, wenn die Verwaltungsbehörde jegliche erforderliche Ermittlungstätigkeit unterlassen hat, wenn sie zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts (vgl § 37 AVG) lediglich völlig ungeeignete Ermittlungsschritte gesetzt oder bloß ansatzweise ermittelt hat. Gleiches gilt, wenn konkrete Anhaltspunkte annehmen lassen, dass die Verwaltungsbehörde (etwa schwierige) Ermittlungen unterließ, damit diese dann durch das Verwaltungsgericht vorgenommen werden (etwa im Sinn einer „Delegierung" der Entscheidung an das Verwaltungsgericht).

 

6. Im Ergebnis hat die belangte Behörde iSd dargelegten Rsp des Verwaltungsgerichtshofes zur Ermittlung des maßgebenden Sachverhalts keinerlei Ermittlungsschritte gesetzt.

 

Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

7. Die – von der Bf beantragte – öffentliche mündliche Verhandlung konnte gem § 24 Abs 2 Z 1 VwGVG entfallen, da der in Beschwerde gezogene Bescheid mit Beschluss aufzuheben war.

 

 

IV.         Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Das gänzliche Unterlassen eines Ermittlungsverfahren iSd §§ 37 und 39 AVG berechtigt nach der Rsp des Verwaltungsgerichtshofes (VwGH vom 26.6.2014, Ro 2014/03/0063; 10.09.2014, Ra 2014/08/0005; 26.3.2015, Ra 2014/07/0077) das Verwaltungsgericht zur Aufhebung des angefochtenen Bescheides und Zurückverweisung an die belangte Behörde. Die ordentliche Revision ist daher unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Wolfgang Peterseil