LVwG-600952/12/Wim/Bb

Linz, 15.09.2016

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter            Dr. Leopold Wimmer über die Beschwerde der A G R, geb. 1946, vertreten durch Rechtsanwalt Dr. W U, vom 13. Juli 2015, gegen das Straferkenntnis der Bezirkshaupt­mannschaft Steyr-Land vom 10. Juni 2015, GZ VerkR96-2720-2014, wegen Übertretungen der Straßenverkehrsordnung 1960 – StVO, nach Durch­führung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 19. Juli 2016,

 

zu Recht  e r k a n n t :

 

 

I.          Gemäß § 50 VwGVG wird die Beschwerde abgewiesen und das angefochtene Straferkenntnis mit der Maßgabe bestätigt, dass betreffend Tatvorwurf 1. der Spruch wie folgt ergänzt wird: „...nicht mitgewirkt, da Sie nach dem Verkehrsunfall die Unfallstelle zu Fuß verlassen haben.“

 

II.         Gemäß § 52 Abs. 1 und 2 VwGVG hat die Beschwerdeführerin einen Beitrag zu den Kosten des Beschwerdeverfahrens in Höhe von 20 Euro (das sind 20 % der verhängten Geldstrafen) zu leisten.

 

III.        Gegen dieses Erkenntnis ist hinsichtlich Tatvorwurf 1. gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 


 

Betreffend Tatvorwurf 2. ist gemäß § 25a VwGG eine Revision der Beschwerdeführerin an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig; für die belangte Behörde und die revisionslegitimierte Formalpartei ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

Zu I.

 

1. Die Bezirkshauptmannschaft Steyr-Land (im Folgenden: belangte Behörde) warf G A R (Beschwerdeführerin - im Folgenden kurz: Bf) mit Straferkenntnis vom 10. Juni 2015, GZ VerkR96-2720-2014, unter Spruchpunkt 1. eine Verwaltungsübertretung nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO und unter Spruchpunkt 2. eine Übertretung gemäß § 4 Abs. 5 StVO vor und verhängte zu 1. gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO und zu 2. gemäß § 99 Abs. 3 lit. b StVO eine Geldstrafe in Höhe von jeweils 50 Euro, ersatzweise eine Freiheitsstrafe in der Dauer von je 1 Tag und 6 Stunden. Weiters wurde der Bf von der belangten Behörde gemäß § 64 VStG ein Verfahrenskostenbeitrag in Höhe von insgesamt 10 Euro auferlegt.  

 

Im Einzelnen wurde ihr wie folgt vorgeworfen (auszugsweise Wiedergabe):

 

„Sie sind am 16.7.2014 um 13.45 Uhr in S als Lenker(in) des Fahrzeuges mit dem Kennzeichen x mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang gestanden und haben

1.   an der Sachverhaltsfeststellung nicht mitgewirkt und

2.   nicht ohne unnötigen Aufschub die nächste Polizeidienststelle verständigt, obwohl Sie und die Person(en) in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihre Namen und Anschriften nicht nachgewiesen haben.“

 

Die belangte Behörde stützte ihre Entscheidung auf die der polizeilichen Anzeige beigeschlossenen Lichtbilder und auf das Gutachten des Amtssachverständigen.  Aufgrund des augenscheinlichen Fahrzeugkontaktes hätte die Bf bei gehöriger Aufmerksamkeit die Möglichkeit eines Unfalles bzw. eines fremden Sachschadens nicht ausschließen und daher die Unfallstelle nicht verlassen dürfen. Die festgesetzten Geldstrafen wurden unter Hinweis auf § 19 VStG, dem Nicht­vorliegen von Milderungs- noch Erschwerungsgründen sowie den ange­nommenen persön­lichen Verhältnissen der Bf begründet.

 

 

2. Gegen dieses Straferkenntnis, zugestellt am 16. Juni 2015, richtet sich die vorliegende, durch den Rechtsvertreter der Bf mit Schriftsatz vom 13. Juli 2015 rechtzeitig erhobene Beschwerde, mit welcher die ersatzlose Aufhebung des Straferkenntnisses und die Verfahrenseinstellung, in eventu eine Ermahnung bzw. die Anwendung des § 20 VStG, jedenfalls aber die Herabsetzung der Geldstrafen begehrt und die Durchführung einer mündlichen Verhandlung beantragt wurde.

 

Die Bf bestreitet in ihrem Rechtsmittel, die vorgeworfenen Verwaltungs­übertretungen begangen zu haben. Begründend führt sie aus, dass der Anstoß und der daraus folgende Eintritt eines Schadens für sie nicht wahrnehmbar gewesen sei; dies sei auch dem Sachverständigengutachten zu entnehmen. Wenn aus technischer Sicht weder ein Anfahrruck noch ein Anstoßgeräusch nachweisbar sei, so liege auch kein für sie erkennbares und merkliches Unfallereignis vor.

 

Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Übertretungen vorliegen, so sei ihr Verschulden – sofern ein solches überhaupt vorliege – äußerst gering zu bewerten bzw. überhaupt zu vernachlässigen. Sie sei nämlich diesbezüglich in verwaltungsrechtlicher Hinsicht noch nie negativ in Erscheinung getreten. Es lägen somit auch keine Erschwerungsgründe vor, welche die Milderungsgründe überwiegen würden.

 

3. Die belangte Behörde hat die Beschwerde dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich mit Vorlageschreiben vom 15. Juli 2015 unter Anschluss des Verwaltungsstrafaktes mit der GZ VerkR96-2720-2014 zur Entscheidung vorgelegt, ohne eine Beschwerdevorentscheidung zu fällen.

 

Mit der Aktenvorlage wurde die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zur Entscheidungsfindung begründet (Art. 130 Abs. 1 Z 1 iVm Art. 131 Abs. 1 B-VG iVm § 3 VwGVG). Gemäß Art. 135 Abs. 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt und das Beschwerdevorbringen.

 

Zusätzlich wurde am 19. Juli 2016 eine öffentliche mündliche Verhandlung durchgeführt, zu welcher beide Verfahrensparteien nachweislich geladen wurden und an welcher der Rechtsvertreter der Bf teilgenommen hat und zum Sachverhalt gehört und befragt wurde.

 

Die Bf als auch ein Vertreter der belangten Behörde haben an der Verhandlung entschuldigt nicht teilgenommen. Der Rechtsvertreter teilte mit, dass die Bf aufgrund einer Wanderwoche an der Teilnahme verhindert sei. Eine Vertagung der Verhandlung wurde nicht beantragt. Die Behörde hat sich mit Schreiben vom 22. Juni 2016 hinsichtlich der Teilnahme an der Verhandlung entschuldigt.

 

4.1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Die Bf verursachte am 16. Juli 2014 um 13.45 Uhr als Lenkerin des Pkw, Skoda Oktavia, Kennzeichen x, im Ortsgebiet von Steyr auf Höhe Sepp-Stöger-Straße 1 einen Verkehrsunfall mit Sachschaden, indem sie beim Einparken mit der vorderen Stoßstange ihres Pkw gegen die hintere Stoßstange des vor ihr abgestellten Pkw, Hyundai i30, mit dem Kennzeichen x stieß.

 

Durch diesen Anstoß wurden beide beteiligten Fahrzeuge – siehe die im Verfahrensakt enthaltenen Lichtbilder – beschädigt. Am Pkw der Bf wurde ein leichter Abrieb an der vorderen Stoßstange festgestellt, der geparkte Hyundai wies geringfügige Beschädigungen im Bereich der hinteren Stoßstange auf.

 

Obwohl vom Lenkerplatz des Skoda ein ungewöhnlich geringer Abstand zum Vorderfahrzeug wahrnehmbar war und bei einer Nachschau der Fahrzeugkontakt augenscheinlich hätte auffallen müssen, verließ die Bf nach dem Einparkvorgang ohne sich über einen möglichen Schadeneintritt zu vergewissern zu Fuß die Unfallstelle und unterließ die Erstattung einer Anzeige bei der nächsten Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall.

   

Gegen 14.20 Uhr erstattete der Zulassungsbesitzer des beschädigten Pkw, Hyundai, mit dem Kennzeichen x bei der Polizei telefonisch Anzeige über den offensichtlichen Verkehrsunfall. 

 

Beim Eintreffen an der Unfallstelle fanden die einschreitenden Exekutivorgane der Polizeiinspektion Steyr-Tomitzstraße die beteiligten Fahrzeuge in Unfallend-lage vor. Der Pkw der Bf berührte dabei mit der vorderen Stoßstange die hintere Stoßstange des davor geparkten Hyundai. Im Zuge der fortgeschrittenen polizeilichen Unfallaufnahme kehrte die Bf zur Unfallstelle zurück.

 

Die Bf verfügt über monatliche Einkünfte in Höhe von ca. 1.000 Euro, besitzt kein Vermögen und hat keine Sorgepflichten. Sie ist verwaltungsstrafrechtlich bislang unbescholten.

 

4.2. Der festgestellte Sachverhalt ergibt sich aus der polizeilichen Anzeige, der dieser beigeschlossenen Lichtbildbeilage, den fachlichen Darstellungen und gutacht­lichen Erläuterungen des im behördlichen Verfahren beigezogenen Amts­­-      sach­verständigen für Verkehrstechnik sowie der Verantwortung der Bf.  

 

Die Bf hat mit Ausnahme der Wahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles bzw. des Eintritt eines Schadens nicht bestritten, dass es durch ihr Fahrverhalten im Zuge des Einparkens zum gegenständlichen Verkehrsunfall mit Sachschaden ge­kommen ist, dadurch sowohl das von ihr gelenkte Fahrzeug als auch der an der Unfallstelle geparkte Pkw mit dem Kennzeichen x beschädigt wurden, sie sich unmittelbar danach zu Fuß von der Unfallörtlichkeit entfernt und es unterlassen hat, die nächste Polizeidienststelle zu verständigen.

 

Zur Frage des Wahrnehmens des Anstoßes erläuterte der KFZ-technische Sach­verständige, dass die Wahrnehmung eines möglichen Anstoßes als Anfahrruck oder Anstoßgeräusch zwar nicht nachweisbar sei und im Hinblick auf die Fahrzeugkontur vom Lenkerplatz des Skoda die Berührungsstelle – wie bei allen Pkws - nicht eingesehen werden könne, jedoch sei vom Lenkerplatz aus über den Abstand zwischen der vorderen Motorhaubenkante und dem Heck des davor geparkten Fahrzeuges ein ungewöhnlich geringer Abstand für die Bf wahrzu­nehmen gewesen. Da aus der Position des Lenkerplatzes des Skoda nicht zweifelsfrei beurteilt habe werden können, ob die Stoßstange beim vorstehend geparkten Fahrzeug ansteht, hätte die Bf Nachschau halten müssen, um einen Fahrzeugkontakt sicher ausschließen zu können. Im Falle der Nachschau hätte die Bf den Kontakt der beiden Fahrzeuge jedenfalls augenscheinlich wahrnehmen müssen.

 

Die Sachverständigenangaben sind für das erkennende Gericht schlüssig und nachvollziehbar. Es ergibt sich daraus letztlich klar, dass die Bf den Verkehrs­unfall hätte wahrnehmen müssen. Die Bf hat dagegen keinen Einwand auf gleicher fachlicher Ebene erhoben. Es kommt den Aussagen des Sachverständigen daher volle Beweiskraft zu und können diese bedenkenlos der Entscheidung zugrunde gelegt werden.

 

5. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

5.1. Gemäß § 4 Abs. 1 lit. c StVO haben alle Personen, deren Verhalten am Unfallort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zu­sammen­hang steht, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken.

 

Ist bei einem Verkehrsunfall nur Sachschaden entstanden, so haben gemäß § 4 Abs. 5 StVO die im Abs. 1 genannten Personen die nächste Polizeidienststelle vom Verkehrsunfall ohne unnötigen Aufschub zu verständigen. Eine solche Verständigung darf jedoch unterbleiben, wenn die im Abs. 1 genannten Personen oder jene, in deren Vermögen der Schaden eingetreten ist, einander ihren Namen und ihre Anschrift nachgewiesen haben.

 

5.2. Die Bf stieß beim Einparken mit ihrem Pkw gegen ein abgestelltes Fahrzeug, welches dadurch leicht beschädigt wurde. Da ein Identitätsnachweis mit dem Zulassungsbesitzer des beschädigten Pkw nach dem Unfall nicht zu Stande kam, war die Bf zur Verständigung der nächsten Polizeidienststelle im Sinne des § 4 Abs. 5 erster Satz StVO verpflichtet, welche auch die in § 4 Abs. 1 lit. c StVO normierte Pflicht zur Mitwirkung an der Feststellung des Sachverhaltes nach sich zog.

 

Die Bf verließ nach dem Verkehrsunfall jedoch – ohne weitere Maßnahmen zu treffen - zu Fuß die Unfallstelle und unterließ die Verständigung der nächsten Polizeidienststelle ohne unnötigen Aufschub, wodurch sie die Tatbestände des § 4  Abs.lit. c StVO und § 4 Abs. 5 StVO in objektiver Hinsicht verwirklichte.

 

Die Mitwirkungspflicht im Sinne des § 4 Abs. 1 lit. c StVO besteht nach der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes unter anderem immer dann, wenn es zu einer amtlichen Aufnahme des Tatbestandes kommt oder zu kommen hat. Dies ist der Fall, wenn ein Identitätsnachweis nicht erfolgt und eine Verständigungs­pflicht nach § 4 Abs. 5 StVO gegeben ist (VwGH 22. April 1998, 97/03/0353).

 

Ein Verstoß gegen § 4 Abs. 1 lit. c StVO liegt unter anderem beim Verlassen der Unfallstelle vor (VwGH 29. Mai 1991, 91/02/0033). Durch ihr beschriebenes Verhalten nach dem Unfall erschwerte und verzögerte die Bf sofortige polizeiliche Sachverhaltsfeststellungen zum Unfalls- bzw. Schadenshergang als auch die sofortige Feststellung ihrer körperlichen und geistigen Verfassung zum Unfalls­zeitpunkt.

 

Ob die Bf den Verkehrsunfall bzw. den Eintritt eines Sachschadens tatsächlich bemerkt hat oder nicht, kann letztlich dahingestellt bleiben. Die Delikte nach § 4 Abs. 1 lit. c StVO und § 4 Abs. 5 StVO setzen in subjektiver Hinsicht zwar das Wissen um einen Verkehrsunfall voraus, wobei aber nicht das positive Wissen von diesem und vom ursächlichen Zusammenhang erforderlich ist, sondern es genügt vielmehr, wenn die betreffende Person bei gehöriger Aufmerksamkeit den Verkehrsunfall und den ursächlichen Zusammenhang hätte erkennen können. Die Tatbestände sind daher schon dann gegeben, wenn dem Täter objektive Umstände zu Bewusstsein gekommen sind oder bei gehöriger Aufmerksamkeit zu Bewusstsein hätten kommen müssen, aus denen er die Möglichkeit eines Verkehrsunfalles mit einer Sachbeschädigung zu erkennen vermocht hätte (VwGH 20. März 2002, 99/03/0316, 7. März 2016, Ra 2016/02/0020).

 

Der Lenker muss den Geschehnissen um sein Fahrzeug seine volle Aufmerksamkeit zuwenden. Vor allem bei und nach Fahrmanövern, bei denen die Gefahr einer Kollision mit einem anderen Kraftfahrzeug besteht, hat er erhöhte Aufmerksamkeit walten zu lassen und sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, ob sein Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen ist. Unterlässt er dies, so ist sein Nichtwissen von einem von ihm derart verursachten Unfall verschuldet (VwGH 26. Mai 1993, 92/03/0125).

 

Kann der Lenker eines Fahrzeuges den Eintritt eines Unfalles für möglich halten, so besteht für ihn die Pflicht, sich besonders sorgfältig zu vergewissern und sich gewissenhaft davon zu überzeugen, ob und welcher Schaden durch die Kollision entstanden ist (VwGH 21. September 1984, 82/02/0200). Hat der Lenker infolge der Unterlassung von ihm möglichen und zumutbaren Erkundungen den Verkehrs­unfall nicht wahrgenommen, so muss ihm dieser Umstand als Verschulden angerechnet werden (VwGH z. B. 17. Jänner 1985, 84/02/0034).

 

Das Einparken eines Fahrzeuges ist wohl unbestritten als Fahrmanöver einzuordnen, das die Gefahr einer Kollision mit abgestellten Fahrzeugen beinhaltet. Ausgehend davon ist der Fahrzeuglenker bei derartigen Vorgängen zu erhöhter Aufmerksamkeit verpflichtet. Wenn die Bf sich damit verantwortet, weder ein Anstoßgeräusch noch einen Anfahrruck wahrgenommen zu haben, so musste ihr doch vom Lenkerplatz zumindest auffallen, dass sie dem davor geparkten Fahrzeug extrem nahe gekommen ist. Unter diesen Umständen wäre sie daher verpflichtet gewesen, sich durch Nachschau sorgfältig zu vergewissern und davon zu überzeugen, ob ihr Fahrmanöver ohne Kontaktierung des Vorderfahrzeuges erfolgt ist oder ihr Fahrverhalten für einen Verkehrsunfall ursächlich gewesen und es zu einem Schaden gekommen ist. Hätte sie dies getan, so hätte sie den Kontakt der beiden Fahrzeuge feststellen können.

 

Angesichts der KFZ-technischen Feststellungen und der einschlägigen höchst­gerichtlichen Judikatur gehen die Beschwerdevorbringen der Bf im Hinblick auf die Nichtwahrnehmbarkeit des Verkehrsunfalles ins Leere. Es ist der Bf nicht gelungen darzutun, dass sie an der Begehung der Verwaltungsübertretungen kein Verschulden trifft. Mangelndes Verschulden (§ 5 Abs. 2 VStG) konnte sie mit ihrer Verantwortung nicht glaubhaft machen und ließ sich auch aus dem Sachverhalt nicht schließen, zumal sie nach den Ergebnissen des Ermittlungsverfahrens den Verkehrsunfall bei ordnungsgemäßer Aufmerksamkeit und Nachschau hätte wahrnehmen müssen. Gemäß § 5 Abs. 1 VStG iVm § 38 VwGVG ist daher von fahrlässigem Verhalten auszugehen und somit auch die subjektive Tatseite der Übertretungen zu bejahen.

 

5.3. Die vorgenommene Spruchergänzung hinsichtlich § 4 Abs. 1 lit. c StVO ist gemäß § 44a Z 1 VStG zur Konkretisierung der Tat erforderlich und trotz mittlerweile eingetretener Verfolgungsverjährung zulässig, da dem Rechts­vertreter des Bf mit Schreiben der belangten Behörde vom 19. November 2014 innerhalb der Verjährungsfrist des § 31 Abs. 1 VStG eine Kopie der Anzeige vom 20. Juli 2014, welche sämtliche die Tat betreffenden Sachverhaltselemente beinhaltet, übermittelt und ihm zur Abgabe einer Stellungnahme eine Frist von drei Wochen eingeräumt wurde.

 

Das Zurkenntnisbringen des Anzeigeninhaltes mit den entsprechenden Sachverhaltselementen stellt eine taugliche Verfolgungshandlung im Sinne des   § 32 VStG dar (VwGH 29. Mai 1996, 96/03/0003).

 

5.4. Gemäß § 19 Abs. 1 VStG iVm § 38 VwGVG sind Grundlage für die Bemessung der Strafe die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat.

 

Gemäß § 19 Abs. 2 VStG iVm § 38 VwGVG sind im ordentlichen Verfahren (§§ 40 bis 46) überdies die nach dem Zweck der Strafdrohung in Betracht kommenden Erschwerungs- und Milderungsgründe, soweit sie nicht schon die Strafdrohung bestimmen, gegeneinander abzuwägen. Auf das Ausmaß des Verschuldens ist besonders Bedacht zu nehmen. Unter Berücksichtigung der Eigenart des Verwaltungsstrafrechtes sind die Bestimmungen der §§ 32 bis 35 des Strafgesetzbuches sinngemäß anzuwenden. Die Einkommens- und Vermögensverhältnisse und allfällige Sorgepflichten des Beschuldigten sind bei der Bemessung von Geldstrafen zu berücksichtigen.

 

Gemäß § 99 Abs. 2 lit. a StVO begeht eine Verwaltungsübertretung und ist mit einer Geldstrafe von 36 Euro bis 2.180 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe von 24 Stunden bis sechs Wochen, zu bestrafen, der Lenker eines Fahrzeuges, dessen Verhalten am Unfallsort mit einem Verkehrsunfall in ursächlichem Zusammenhang steht, sofern er den Bestimmungen des § 4 Abs. 1 und 2 zuwiderhandelt, insbesondere nicht anhält, nicht Hilfe leistet oder herbeiholt oder nicht die nächste Polizeidienststelle verständigt.

 

§ 99 Abs. 3 lit. b StVO lautet:

„Eine Verwaltungsübertretung begeht und ist mit einer Geldstrafe bis zu 726 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu zwei Wochen, zu bestrafen, wer in anderer als der in Abs. 2 lit. a bezeichneten Weise gegen die Bestimmungen des § 4 verstößt, insbesondere die Herbeiholung einer Hilfe nicht ermöglicht, den bei einem Verkehrsunfall entstandenen Sachschaden nicht meldet oder als Zeuge eines Verkehrsunfalles nicht Hilfe leistet.“

 

Die belangte Behörde hat laut Begründung des Straferkenntnisses bei der Strafbemessung die finanziellen Verhältnisse der Bf mit einem Einkommen in Höhe von ca. 1.000 Euro monatlich bei fehlendem Vermögen und fehlenden Sorgepflichten geschätzt. Die Bf hat diesen Bemessungsgrundlagen nicht widersprochen, weshalb von diesen Grundlagen auch im Beschwerdeverfahren ausgegangen werden konnte.

 

Als strafmildernd hat die Behörde keinen Umstand gewertet, auch Straferschwerungsgründe wurden nicht angenommen. Tatsächlich ist die Bf jedoch laut Verwaltungsstrafevidenz bislang verwaltungsstrafrechtlich noch nicht in Erscheinung getreten, sodass mildernd ihre bisherige verwaltungs­strafrechtliche Unbescholtenheit zu berücksichtigen ist.

 

Die Missachtung der Bestimmungen nach einem Verkehrsunfall gehört zu den schwerwiegendsten verkehrsrechtlichen Übertretungen. Die in § 4 Abs. 1 lit. c StVO ausgesprochene Verpflichtung, an der Feststellung des Sachverhaltes mitzuwirken, dient dem Zweck, den Organen der öffentlichen Sicherheit die Aufnahme des Tatbestandes zu erleichtern und zu gewährleisten, dass die Behörde ein der Wirklichkeit entsprechendes Bild des Unfallherganges, seiner Ursachen und Folgen gewinnt. Der Zweck der Vorschrift des § 4 Abs. 5 StVO besteht vorwiegend darin, die Identität der Beteiligten für allfällige spätere Schadensregelungen festzustellen.

 

Vor diesem Hintergrund kann das . Landesverwaltungsgericht nicht finden, dass die Behörde den ihr bei der Strafzumessung zustehenden Ermessens-spielraum überschritten hätte. Die verhängten Geldstrafen in Höhe von jeweils 50 Euro wurden an der untersten Grenze der gesetzlichen Strafrahmen angesiedelt und betragen lediglich 2,2 bzw. 6,8 % der jeweils möglichen Höchststrafe, sodass auch die bisherige Un­bescholten­heit und die allfällige Zuerkennung des Milderungsgrundes einer überlangen Verfahrensdauer keine Strafherabsetzung rechtfertigen können. Im Hinblick auf die Gesamtumstände des Vorfalles sind die verhängten Geldstrafen nicht als überhöht anzusehen. Die Strafen erscheinen tat- und schuldangemessen festgesetzt und sind aus spezialpräventiver Sicht erforderlich, um die Bf von weiteren einschlägigen Tatbegehungen abzuhalten und darauf hinzuweisen, dass die Beachtung und Einhaltung der Vorschriften des § 4 StVO im Straßenverkehr von wesentlicher Bedeutung ist. Auch aus dem Blickwinkel der Generalprävention steht der Strafzumessung nichts entgegen.

 

Ein Absehen von der Bestrafung und die Erteilung einer Ermahnung im Sinne des § 45 Abs. 1 Z 4 VStG kommt nicht in Betracht, da die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Taten und das Verschulden der Bf an den Übertretungen nicht als gering zu werten sind. Auch ein Anwendungsfall des § 20 VStG liegt nicht vor. Im Hinblick auf die Übertretung gemäß § 4 Abs. 5 StVO ist festzustellen, dass die hiefür in Betracht kommende Strafnorm des § 99 Abs. 3 lit. b StVO keine Mindeststrafe vorsieht.

Das Einkommen in der angenommenen Höhe wird der Bf die Bezahlung der Verwaltungsstrafen problemlos ermöglichen.

 

Die Ersatzfreiheitsstrafen wurden in angemessenem Verhältnis zu den verhängten Geldstrafen festgesetzt.

 

 

Zu II.

 

Gemäß § 52 Abs. 1 VwGVG ist in jedem Erkenntnis des Verwaltungsgerichtes, mit dem ein Straferkenntnis bestätigt wird, auszusprechen, dass der Bestrafte einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens zu leisten hat. Dieser Beitrag ist  Abs. 2 leg. cit. zufolge für das Beschwerdeverfahren mit 20 % der verhängten Strafe, mindestens jedoch mit 10 Euro zu bemessen.

 

In diesem Sinne war der Bf für das Beschwerdeverfahren daher ein Betrag in der Höhe von insgesamt 20 Euro vorzuschreiben.

 

 

Zu III.

 

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Tatvorwurf 1.:

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Tatvorwurf 2.:

Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer solchen. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Für die Bf ist die Möglichkeit zur Revisionserhebung gemäß § 25a Abs.4 VwGG hinsichtlich Tatvorwurf 2. ex lege ausgeschlossen.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Tatvorwurf 1.:

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Tatvorwurf 2.:

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240.- Euro zu entrichten.

 

Da für den vorliegenden Fall gemäß § 25a Abs. 4 VwGG eine Revision nur wegen Verletzung in subjektiven Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) ausgeschlossen ist, steht der belangten Behörde/der revisionslegitimierten Formalpartei die außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof offen, die beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich einzubringen ist.

 

 


 

H i n w e i s

 

zu Tatvorwurf 1.:

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

 

 

 

 

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

 

Dr.  Leopold  W i m m e r