LVwG-750382/2/MZ/MR

Linz, 05.10.2016

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Zeinhofer über die Beschwerde von A P, geb. x, vertreten durch RA Dr. H G, W, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 18. Juli 2016, Zl RF-FR/2016/03755, betreffend Ausstellung eines gewöhnlichen Reisepasses

zu Recht    e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs 1 VwGVG iVm § 3 PassG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen.

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. 1. Mit Schreiben vom 7. Mai 2016, beantragte die beschwerdeführende Partei (Bf) bei der Bezirkshauptmannschaft Freistadt, ihr einen gewöhnlichen Reisepass mit dem Geschlechtseintrag „X“ auszustellen.

 

2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt (belangte Behörde) vom 18. Juli 2016 wurde dieser Antrag abgewiesen.

 

Begründend führte die belangte Behörde aus, dass die österreichische Rechtsordnung nur das duale Geschlechtersystem kenne. Ein drittes Geschlecht gebe es in Österreich rechtlich nicht. Da die Bf nach deren Geburtsurkunde männlichen Geschlechts sei – und der Geburtsurkunde als öffentlicher Urkunde die Vermutung der Richtigkeit immanent sei – könne dem Antrag keine Folge gegeben werden.

 

3. Gegen diesen Bescheid richtet sich die Beschwerde vom 18. August 2016. Zudem regt die Bf an, das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich möge das Verfahren unterbrechen und den EuGH gemäß Art 267 AEUV ersuchen, folgende Fragen zu entscheiden:

 

1.    „Ist der Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische daten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässen und Reisedokumenten in der durch die Verordnung (EG) Nr. 444/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 geänderten fassung in Verbindung mit Teil 1 Abschnitt IV Nr. 8.6 des Dokuments Nr. 9303 der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation im Licht der Art. 7,8 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat in Feld 11 der maschinenlesbaren Personaldatenseite des Passes das Geschlecht der passinhabenden Person wahrheitsgemäß anzugeben hat, das Geschlecht einer Person, deren biologisches Geschlecht und deren Geschlechtsidentität nicht männlich ist, somit nicht als ‚M‘ angeben darf und bei einer Person, deren Geschlecht weder männlich noch weiblich ist, ‚X‘ angeben muss?“

2.    Falls die Frage 1. verneint wird „ist der Anhang der Verordnung (EG) Nr. 2252/2004 des Rates vom 13. Dezember 2004 über Normen für Sicherheitsmerkmale und biometrische Daten in von den Mitgliedstaaten ausgestellten Pässen und Reisedokumenten in der durch die Verordnung (EG) Nr. 444/2009 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 geänderten Fassung in Verbindung mit Teil 1 Abschnitt IV Nr. 8.6 des Dokuments 9303 der Internationalen Zivilluftfahrt-Organisation im Licht der Art. 7, 8 und 21 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union dahin auszulegen, dass ein Mitgliedstaat in Feld 11 der maschinenlesbaren Personaldatenseite des Passes das Geschlecht der passinahbenden Person wahrheitsgemäß angeben darf, und bei einer Person, deren Geschlecht weder männlich noch weiblich ist, ‚X‘ eintragen darf?“

 

4. Die belangte Behörde hat dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Beschwerde sowie die Verfahrensakten mit Schreiben vom 26. August 2016 – ohne Erlassung einer Beschwerdevorentscheidung – zur Entscheidung vorgelegt. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich zur Entscheidungsfindung (Art 130 Abs 1 Z 1 iVm 131 Abs 1 B-VG iVm § 3 VwGVG).

 

Gemäß Art 135 Abs 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

 

II. 1. Das Landesverwaltungsgericht hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt und in die Beschwerde.

 

Das Landesverwaltungsgericht hat im Verfahren zur Zl LVwG‑750369‑2016 am 5. September 2016 eine mündliche Verhandlung durchgeführt. Dieses Verfahren hatte eine Beschwerde derselben Bf betreffend die Eintragung einer geschlechtsneutralen Bezeichnung in das ZPR oder den ersatzlosen Entfall der Geschlechtsbezeichnung im ZPR zum Gegenstand. Im Wesentlichen liegt beiden Verfahren derselbe Sachverhalt und die Frage, ob die österreichische Rechtsordnung neben dem männlichen und dem weiblichen Geschlecht ein weiteres Geschlecht anerkennt, zu Grunde, sodass das erkennende Gericht die Durchführung einer weiteren Verhandlung nicht für erforderlich hält, zumal eine weitergehende Klärung der Sach- und Rechtslage dadurch nicht zu erwarten ist. Zudem hat der Rechtsvertreter der Bf in der öffentlichen mündlichen Verhandlung zur Zl LVwG-750369‑2016 erklärt, auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung im gegenständlichen Verfahren zu verzichten. Die Durchführung einer mündlichen Verhandlung konnte im gegenständlichen Verfahren daher gemäß § 24 Abs 1 iVm Abs 5 VwGVG unterbleiben.

 

2. Folgender Sachverhalt steht fest:

 

Die Bf wurde am x in S geboren. Von den Ärzten im Landeskrankenhaus S wurde das Geschlecht bei der „Anzeige der Geburt“ als „männlich“ bestimmt und die Geburtsbeurkundung laut dieser Anzeige beim Standesamt S durchgeführt (Geburtenbuchnummer x). Als Vorname wurde der Name „J“ bestimmt.

 

Im aktuellen Reisepass ist als Geschlecht der Bf „M“ für männlich eingetragen (Reisepass Nr XXX).

 

Die Geschlechtsmerkmale der Bf waren bereits zum Zeitpunkt der Geburt uneindeutig. Die Bf wurde in der Folge aufgrund ärztlicher Empfehlungen – trotz Eintragung der Geschlechtsbezeichnung „männlich“ in die Geburtsanzeige – als Mädchen erzogen. Hormonbehandlungen sowie operative Eingriffe zur Erzielung weiblicher Geschlechtsmerkmale wurden durchgeführt und männliche körperliche Geschlechtsmerkmale operativ entfernt. Der Geschlechtseintrag im Geburtenbuch lautete immer auf „männlich“.

 

Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom x wurde eine behördliche Namensänderung auf den geschlechtsneutralen Vornamen „A“ durchgeführt und diese Änderung als Vermerk im Geburtenbuch des Standesamtes S eingetragen.

 

Im Jahr 2004 ließ sich die Bf die durch Hormongaben entwickelte Brust entfernen und outete sich als zwischengeschlechtliche Person.

 

3. Der Sachverhalt ergibt sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt sowie den übereinstimmenden, unstrittigen Vorbringen der Parteien, sodass eine weitergehende Beweiswürdigung nicht erforderlich ist.

 

III. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

1. Die hier maßgebliche Bestimmung des Passgesetzes 1992, BGBl 1992/839 idF BGBl I 52/2015 (PassG) lautet – auszugsweise – wie folgt:

 

„Ausstellung von Reisepässen und Personalausweisen

§ 3. (1) Reisepässe werden ausgestellt als

1. gewöhnliche Reisepässe,

[…]

(2) Die Gestaltung der Reisepässe und Personalausweise wird entsprechend den international üblichen Anforderungen an Reisedokumente durch Verordnung des Bundesministers für Inneres im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates bestimmt. Für Diplomatenpässe ist dabei das Einvernehmen mit dem Bundesminister für europäische und internationale Angelegenheiten herzustellen.

(2a) Die Verordnung gemäß Abs. 2 hat auf die Handhabbarkeit, Fälschungssicherheit und Maschinenlesbarkeit Bedacht zu nehmen sowie jedenfalls Angaben über das Format, den Einband und die Anzahl der Seiten zu enthalten. An identitätsbezogenen Daten dürfen Namen, Geschlecht, akademischer Grad, Geburtsdatum, Geburtsort, Staatsbürgerschaft, Größe, besondere Kennzeichen, Lichtbild und die Unterschrift des Dokumenteninhabers vorgesehen werden, wobei in der maschinenlesbaren Zone nur die Namen, das Geschlecht, die Staatsbürgerschaft und das Geburtsdatum erkennbar sein dürfen, sowie der ausstellende Staat, die Dokumentenart, Dokumentennummer und Gültigkeitsdauer des Reisepasses oder Personalausweises enthalten sein muss.

[…]

(5) Reisepässe sind mit einem aus kurzer Distanz kontaktlos auslesbaren elektronischen Datenträger zu versehen, auf dem Namen, Geburtsdaten, Geschlecht, Lichtbild, Papillarlinienabdrücke von zwei Fingern, Staatsbürgerschaft, ausstellende Behörde, Art des Dokuments, Ausstellungsdatum, Gültigkeitsdatum, Passnummer und die Seriennummer des Datenträgers gespeichert werden. […]“

 

Die hier maßgeblichen Bestimmungen der Passverordnung, BGBl 1995/861 idF BGBl I 2014/42 lauten – auszugsweise – wie folgt:

 

„§ 1. Gewöhnliche Reisepässe werden nach dem Muster der Anlage A ausgestellt; […]“

 

Unter Z 8 der Anlage A zur PassV ist als einzutragender Datensatz das Geschlecht aufgezählt.

 

2. Inhaltlich wendet die Bf – auf das Wesentlichste zusammengefasst – gegen den angefochtenen Bescheid ein, die selbstbestimmte Wahl der Geschlechtsidentität sei ein fundamentales Menschenrecht und die eigene Geschlechtszuordnung gehöre zum intimsten Bereich der Persönlichkeit eines Menschen, der prinzipiell staatlichem Zugriff entzogen sei. Bei der Bestimmung des rechtlichen Geschlechts komme der Geschlechtsidentität mehr Bedeutung zu als dem biologischen Geschlecht einer Person. Die Geburtsurkunde habe als öffentliche Urkunde zwar die Vermutung der Richtigkeit für sich, der Beweis der Unrichtigkeit sei jedoch zulässig. Die belangte Behörde habe rechtswidrig jegliche Ermittlungen zur Frage des Geschlechts der Bf unterlassen. Die Eintragung von „X“ als Geschlecht sei insbesondere im Hinblick auf die Verwendung entsprechender Urkunden (und dabei insbesondere des Reisepasses) geboten, da durch den unrichtigen Eintrag „männlich“ die Bf Gefahr laufe, in unangenehme und bloßstellende Situationen zu geraten sowie in den Verdacht der Verwendung fremder Urkunden geraten könnte. Für Personen, deren Geschlecht weder männlich noch weiblich sei, ordne das Gesetz nicht den Eintrag „M“ oder „W“ an, sondern den Eintrag „X“ (Art 1 Abs 1, Art 4 Abs 1, Anhang 2. Personaldatenseite Absatz 1 Verordnung [EG] 2252/2004 [idF Verordnung [EG] 444/2009] iVm Teil 1 Abschnitt IV [„Technische Spezifikationen für maschinenlesbare Pässe“] Nr 8.6 Feld 11 Zone II des Dokuments Nr 9303 der ICAO [6th edition 2006], EuGH: Ugg Stadt Karlsruhe 20014, C 101/13). Durch die Verkennung der Anforderungen des Unionsrechts habe die belangte Behörde den Bescheid mit Rechtswidrigkeit belastet. Da die Entscheidung wesentlich von der Auslegung der genannten Verordnung und der Art 7, 8 und 21 der Grundrechte-Charta abhänge, werde die Vorlage an den EuGH angeregt.

 

3.1. Nach § 3 Abs 1 Z 1 iVm Abs 2 und 2a PassG iVm § 1 PassV und Anlage A Z 8 ist das Geschlecht in den Reisepass einzutragen. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass die genannten Bestimmungen tatsächlich nicht anordnen, dass die Geschlechtsbezeichnung zwingend auf „männlich“ oder „weiblich“ zu lauten hat. Es ist der Bf zwar zuzustimmen, dass – soweit ersichtlich – zwar keine Gesetzesbestimmung in der österreichischen Rechtsordnung regelt, dass es nur ein männliches und ein weibliches Geschlecht gibt. Jedoch ist aus der österreichischen Gesamtrechtsordnung das Prinzip ableitbar, dass jeder Mensch entweder weiblichen oder männlichen Geschlechts ist (vgl etwa Art 7 Abs 2 B-VG und Art 12 EMRK sowie VwGH vom 30. September 1997, Zl 95/01/0061 [wenngleich diese Entscheidung zur Transsexualität ergangen ist, so lässt sich daraus doch ableiten, dass es neben „männlich“ und „weiblich“ keine rechtlich zulässige dritte Option gibt]). Die Festlegung des Geschlechts im ZPR – und darauf fußend auch die Ausstellung entsprechender Urkunden wie Reisepässe – ist dabei nicht Selbstzweck, sondern es knüpfen zahlreiche, insbesondere familienrechtliche Konsequenzen wie etwa die Frage der Möglichkeit der Eheschließung (§ 44 ABGB), des Eingehens einer eingetragenen Partnerschaft (§ 2 EPG) oder der Abstammung (§§ 143 f ABGB), daran an. Da spezifische Regelungen für ein Geschlecht „X“, „unspecified“ oder Ähnliches – soweit ersichtlich – nicht existieren, hätte die Eintragung einer anderen Geschlechtsbezeichnung als „männlich“ oder „weiblich“ zur Folge, dass zahlreiche Regelungen der österreichischen Rechtsordnung mangels Anknüpfungspunktes nicht mehr auf die Bf anwendbar wären. Die Bf ist im ZPR (wie auch in der Geburtsurkunde) rechtsrichtig als „männlich“ eingetragen (vgl das Erkenntnis vom gleichen Tag zur Zl LVwG-750369-2016). Im Hinblick auf das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung kann nun aber der Datensatz „Geschlecht“ im Reisepass nicht von jenem im ZPR oder in sonstigen Urkunden abweichen (vgl dazu bereits VwGH vom 5. Dezember 1963, 0307/63).

 

3.2. Wenn die Bf argumentiert, dass einfache Gesetze verfassungs- und grundrechtskonform dahin auszulegen seien, dass Menschen ein Recht auf Dokumente hätten, die ihrem gelebten Geschlecht entsprechen und dass transidente Personen ein Recht auf Übereinstimmung des rechtlichen Geschlechts mit der gelebten Geschlechtsidentität hätten, so ist ihr entgegen zu halten, dass sich sämtliche von ihr zitierte Judikatur (EGMR vom 8. Jänner 2009, Schlumpf gegen Schweiz 2009 Zl 29002/06; EGMR vom 12. Juni 2003, Van Kück gegen Deutschland 2003, Zl 35968/97; dBVerfG, Beschluss vom 6. Dezember 2005, Zl 1 BvL 3/03; dBVerfG, Beschluss vom 18. Juli 2006, Zl 1 BvL 1/04; EGMR vom 24. Jänner 1992, B. gegen Frankreich, Zl 57/1990/248/319; EGMR vom 11. Juli 2002, Goodwin gegen Vereinigtes Königreich 2002, Zl Bsw28957/95, EGMR vom 11. Juli 2002, I. gegen Vereintes Königreich, 25680/94; EGMR vom 16. Juli 2014 Hämäläinen gegen Finnland 2014, Zl Bsw 37359/09, EGMR vom 11. September 2007, L. gegen Litauen, EuGH vom 7. Jänner 2004, K.B. gegen National Health Service Pensions Agency, EuGH vom 15. Dezember 2005, Sarah Margaret Richards gegen Secretary of State for Work and Pensions, EGMR vom 30. November 2010, P.V. gegen Spanien, EuGH vom 30. April 1996, P. gegen S. und Cornwall County Council 1996) auf Fälle der Transsexualität, also um den Wechsel der Zuordnung zwischen den beiden rechtlich anerkannten Geschlechtern, nicht jedoch auf Intersexualität bezieht, bei der sich Betroffene weder dem männlichen noch dem weiblichen Geschlecht zuordnen. Die Frage der Etablierung einer weiteren Geschlechtsbezeichnung betrifft die Rechtsordnung jedoch in einem erheblicheren Umfang (siehe dazu näher unten) als die Zuordnung zu dem anderen, bereits bestehenden Geschlecht und muss daher vom Gesetzgeber beantwortet werden (vgl auch Beschluss des dBGH vom 22. Juni 2016, XII ZB 52/15). Auch aus den weiteren von der Bf angesprochenen Erkenntnissen, insbesondere aus den Erkenntnissen des VfGH vom 4. Juni 2006, Zl V 4/06, und vom 22. Juni 1983, Zl B578/80, kann die Möglichkeit der Eintragung eines weiteren Geschlechts neben „männlich“ oder „weiblich“ nicht abgeleitet werden. Ebensowenig zieht die vorliegende Literatur zum Personenstandsrecht die Möglichkeit einer weiteren Geschlechtsbezeichnung neben männlich und weiblich in Erwägung (vgl dazu zB Kutscher/Wildpert, Personenstandsrecht2 § 2 PStG 2013 Rz 7).

 

3.3. Beim erkennenden Gericht sind auch keine begründeten Bedenken an der Verfassungskonformität der Bestimmungen des PStG (und in Folge des PassG) über die Eintragung des Geschlechts entstanden: Der Verfassungsgerichtshof hat wiederholt ausgesprochen, dass ein Gesetz nicht schon dann gleichheitswidrig ist, wenn seine Anwendung nicht in allen Fällen zu einem befriedigenden Ergebnis führt. Demnach muss es dem Gesetzgeber vielmehr gestattet sein, eine Durchschnittsbetrachtung vorzunehmen und damit eine einfache und leicht handhabbare Regelung zu treffen (vgl VfGH vom 28. Juni 1984, Zl G36/82, vom 26. Juni 1980, Zl G6/79 ua, und vom 11. Juni 1980, Zl B343/77 ua, jeweils mwN).

 

Das Ausmaß der solcherart hinzunehmenden ungleichen Auswirkungen einer generellen Norm hängt dabei auch vom Gewicht der angeordneten Rechtsfolgen ab (vgl VfGH vom 26. Juni 1980, Zl G6/79 ua, mwN). Im vorliegenden Fall hätte die Eintragung einer anderen Geschlechtsbezeichnung als „männlich“ oder „weiblich“ (oder der in eventu beantragte Entfall der Eintragung) die Unanwendbarkeit zahlreicher rechtlicher Vorschriften auf die Bf zur Folge: So könnte beispielsweise nicht mehr beurteilt werden, ob die Bf eine Ehe oder Eingetragene Partnerschaft eingehen kann, ob Wehrpflicht nach dem Wehrgesetz besteht oder welche pensions-, sozialversicherungs- und arbeitsrechtlichen Konsequenzen sich ergeben.

 

Wenngleich das erkennende Gericht in Anerkennung der Schwierigkeiten, die sich für die Bf durch die Nichteintragung der gewünschten Geschlechtseintragung im Alltag ergeben, de lege ferenda eine angemessene Berücksichtigung intergeschlechtlicher Personen für sinnvoll erachtet, kann doch im Hinblick auf die verfassungsgerichtshöfliche Rechtsprechung die verpflichtende Eintragung des Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ im Hinblick auf die Sicherstellung der Anwendbarkeit zahlreicher rechtlicher Vorschriften, die an das Geschlecht anknüpfen, nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts nicht als unsachlich angesehen werden. Der Vollständigkeit halber sei darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf einen Verstoß gegen Art  8 EMRK der EGMR im Fall Hämäläinen gegen Finnland 2014 ausgesprochen hat, dass alleine die Tatsache, dass das in offizielle Register eingetragene nicht dem empfundenen bzw tatsächlichen Geschlecht entspricht, nicht in jedem Fall eine Verletzung der genannten Bestimmung darstellt (vgl EGMR vom 16. Juli 2014 Hämäläinen gegen Finnland 2014, Zl Bsw 37359/09).

 

3.4. Wenn die Bf vorbringt, die fälschliche Eintragung ihres Geschlechts als „männlich“ oder „weiblich“ sei im Hinblick auf § 1 DSG und § 311 StGB sogar strafrechtlich verboten, weil es sich hierbei um eine bewusste Falschbeurkundung handele, ist ihr entgegen zu halten, dass die Richtigkeit oder Unrichtigkeit einer Eintragung immer im Bezug zur geltenden Rechtsordnung zu sehen ist. Und diese sieht, wie oben dargelegt, nur die Möglichkeit der Eintragung als männlich oder weiblich vor. Einzutragen ist insofern jene Bezeichnung, für deren Richtigkeit die überwiegenden Gründe in rechtlicher wie tatsächlicher Hinsicht sprechen.

 

3.5. In der öffentlichen mündlichen Verhandlung zur Zl LVWG‑750369‑2016 hat der Rechtsvertreter der Bf vorgebracht, dass eine Option abseits von „männlich“ und „weiblich“ – nämlich „X“ – ausdrücklich in der EU-Urkundenvorlageverordnung Nr 2016/1191 vom 6. Juli 2016, veröffentlicht im Amtsblatt der EU am 26. Juli 2016, vorgesehen sei.

 

Hierzu ist zunächst anzuführen, dass unter Erwägungsgrund 18 dieser Richtlinie ausdrücklich angeführt wird, dass „[d]iese Verordnung […] keine Änderung des materiellen Rechts der Mitgliedstaaten in Bezug auf Geburt, die Feststellung der Tatsache, dass eine Person am Leben ist, Tod, Name, Eheschließung (einschließlich Ehefähigkeit und Familienstand), Scheidung, Trennung ohne Auflösung des Ehebands oder Ungültigerklärung der Ehe, eingetragene Partnerschaft (einschließlich der Fähigkeit, eine eingetragene Partnerschaft einzugehen, und Status der eingetragenen Partnerschaft), Auflösung einer eingetragenen Partnerschaft, Trennung ohne Auflösung der eingetragenen Partnerschaft oder Ungültigerklärung der eingetragenen Partnerschaft, Abstammung, Adoption, Wohnsitz und/oder Ort des gewöhnlichen Aufenthalts, Staatsangehörigkeit, Vorstrafenfreiheit oder die öffentlichen Urkunden, deren Vorlage ein Mitgliedstaat von einer Person verlangen kann, die ihr aktives oder passives Wahlrecht bei den Wahlen zum Europäischen Parlament oder bei den Kommunalwahlen ausüben möchte und die die Staatsangehörigkeit dieses Mitgliedstaats besitzt“ bezweckt. Hauptgesichtspunkt der genannten Verordnung ist vielmehr die Vereinfachung der bestehenden Verwaltungsanforderungen an die in einem Mitgliedstaat erfolgende Vorlage bestimmter öffentlicher Urkunden, die von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellt worden sind. In Erwägungsgrund 6 wird ausdrücklich angeführt, dass diese Verordnung öffentliche Urkunden erfassen soll, die von den Behörden eines Mitgliedstaats nach Maßgabe dessen nationalen Rechts ausgestellt wurden (Art 2 Abs 1). Nach Erwägungsgrund 7 sollen durch diese Verordnung die Mitgliedstaaten nicht dazu verpflichtet werden, öffentliche Urkunden auszustellen, die in ihrem nationalen Recht nicht vorgesehen sind.

In dieser Verordnung sind in Art 1 Abs 2 auch mehrsprachige Formulare vorgesehen, die die Übersetzung von Urkunden erleichtern sollen. Nach Art 8 Abs 1 EU-Urkundenvorlageverordnung kommen diesen ausdrücklich keine Rechtswirkungen zu. Auch auf den Musterformularen selbst scheint der Hinweis auf, einziger Zweck dieser mehrsprachigen Formulare sei es, das Übersetzen der öffentlichen Urkunden, denen das Formular beigefügt ist, zu erleichtern. Sie dürften jedoch nicht als eigenständige Dokumente verwendet werden. Weiters wird darauf hingewiesen, dass sie den Inhalt der öffentlichen Urkunden, denen sie beigefügt sind, wiedergeben. An die Ausstellungsbehörde wird weiters der Hinweis gerichtet, lediglich Angaben zu machen, die in der öffentlichen Urkunde, der das Übersetzungshilfeformular beigefügt ist, aufgeführt sind.

 

Richtig ist, dass in diesen mehrsprachigen Formularen (zB „Geburt – Mehrsprachiges Formular – Übersetzungshilfe“) die Möglichkeit besteht, unter der Rubrik Geschlecht „Männlich“, „Weiblich“ oder „Unbestimmt“ anzukreuzen. Angesichts der oben dargelegten eindeutigen Intention der EU-Urkundenvorlageverordnung – nämlich die Vereinfachung des Verkehrs öffentlicher Urkunden, die von den Behörden eines anderen Mitgliedstaats ausgestellt worden sind – und der mehrmaligen Betonung in der Verordnung selbst, dass sie keine Änderung des maßgeblichen Rechts der Mitgliedstaaten bewirkt und öffentliche Urkunden nach Maßgabe des jeweiligen innerstaatlichen Rechts zu erstellen sind, kann daraus ein Anspruch der Bf auf Eintragung einer der von ihr begehrten Geschlechtseintragung nicht abgeleitet werden. Vielmehr dienen die Übersetzungshilfeformulare lediglich dazu, den Inhalt einer inländischen öffentlichen Urkunde in einer anderen Sprache wiederzugeben.

 

Wenngleich in der genannten Verordnung zum Ausdruck kommt, dass eine dritte Geschlechtsbezeichnung neben „männlich“ und „weiblich“ in verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchaus anerkannt ist, so kann – unter Zugrundelegung der obigen Ausführungen – nach Ansicht des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich auch nicht die Pflicht abgeleitet werden, nationale Personenstandsvorschriften dahin gehend europarechtskonform zu interpretieren, dass eine Geschlechtsbezeichnung als „unbestimmt“ oder dergleichen zulässig ist, wenn dies im jeweiligen innerstaatlichen Recht nicht (ausdrücklich) vorgesehen ist.

 

Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung noch nicht in Kraft getreten ist (Art 27).

 

3.6. Im Ergebnis ist festzuhalten, dass die Eintragung einer anderen Geschlechtsbezeichnung in das ZPR als „männlich“ oder „weiblich“, und somit die begehrte Berichtigung der Geschlechtsbezeichnung auf „inter“, „anders“, „X“, „unbestimmt“ oder einen mit diesen Begriffen sinngleichen Begriff, vom Gesetzgeber nicht vorgesehen ist. Insofern kommt keine Berichtigung nach § 42 PStG (und auch keine Änderung nach § 41 PStG) in Betracht.

 

Ausgehend vom Grundsatz der Einheit der Rechtsordnung, der auch die Einheit der Rechtssprache – im konkreten Fall den Datensatz „Geschlecht“ – umfasst, ist daraus abzuleiten, dass auch im Passrecht als Geschlechtsbezeichnung nur „männlich“ oder „weiblich“ in Betracht kommt.

 

3.7. Auch aus der von der Bf zitierten Verordnung (EG) 2252/2004 (Art 1 Abs 1, Art 4 Abs 1, Anhang 2. Personaldatenseite Absatz 1 Verordnung [EG] 2252/2004 [idF Verordnung [EG] 444/2009] iVm Teil 1 Abschnitt IV [„Technische Spezifikationen für maschinenlesbare Pässe“] Nr 8.6 Feld 11 Zone II des Dokuments Nr 9303 der ICAO [6th edition 2006]) kann das Recht auf die Eintragung der Geschlechtsbezeichnung „X“ nicht abgeleitet werden. Im verwiesenen Dokument Nr 9303 der ICAO heißt es dort unter der Rubrik „Sex“ wie folgt:

 

„Sex oft he holder, to be specified by use of the single initial commonly used in the language oft he State whre the document is issued and, if translation into English, French or Spanish is necessary, followed by a dash and the capital letter F for female, M for male, or X for unspecified.“

 

Wie auch schon in der Urkundenvorlageverordnung kommt zwar auch in dieser Regelung zum Ausdruck, dass eine dritte Geschlechtsbezeichnung neben „männlich“ und „weiblich“ in verschiedenen Staaten durchaus anerkannt ist, es kann jedoch, auch unter Heranziehung der verweisenden Verordnung 2252/2004, nicht die Pflicht abgeleitet werden, nationale Personenstandsvorschriften dahin gehend europarechtskonform zu interpretieren, dass eine Geschlechtsbezeichnung als „unbestimmt“ oder dergleichen zulässig ist, wenn dies im jeweiligen innerstaatlichen Recht nicht (ausdrücklich) vorgesehen ist. Die Regelung – die im Übrigen unter der Überschrift „Technical specifications for machine readable passports“ steht und damit offenkundig nur Normen für die Sicherstellung der Maschinenlesbarkeit beinhaltet – schreibt lediglich vor, wie eine mögliche Geschlechtsbezeichnung im Pass abzukürzen ist und – im Falle einer Übersetzung – wie die Englische/Französische/Spanische Bezeichnung abzukürzen ist. Eine Verpflichtung zur Ermöglichung einer dritten Geschlechtsbezeichnung nach innerstaatlichem Recht kann daraus jedenfalls nicht abgeleitet werden.

 

Aus den angeführten Gründen hält das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die angeregte Vorlage an den EuGH zur Vorabentscheidung über die Auslegung dieser Bestimmung nicht für erforderlich.

 

4. Aus den angeführten Gründen war die Beschwerde der Bf als unbegründet abzuweisen.

 

IV. Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofs zur Frage, ob eine andere Geschlechtsbezeichnung als „männlich“ oder „weiblich“, konkret „X“, nach § 3 Abs 1 iVm Abs 2a und Abs 5 PassG in einen Reisepass nach § 3 Abs 1 PassG eingetragen werden darf, fehlt und der Beantwortung dieser Frage über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung zukommt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw Revision ist eine Eingabegebühr von je 240,-- Euro zu entrichten.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

Mag. Dr. Markus Zeinhofer