LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg

Linz, 28.05.2014

I M  N A M E N  D E R  R E P U B L I K !

 

 

 

 

                                                                                                                                                                                                                                                                                                    

LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg                                                                       Linz, 28. Mai 2014

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Einzelrichter Dr. Alfred Grof über den Devolutionsantrag (nunmehr: Säumnisbeschwerde) des Mag. M N, X, vertreten durch RA Mag. M P, X, wegen einer Standorterweiterung nach dem Apothekengesetz (belangte Behörde: Bezirkshauptmann von Linz-Land)

 

z u  R e c h t  e r k a n n t:

 

 

I. Dem auf § 46 Abs. 5 ApG gegründeten Antrag des Beschwerdeführers auf Erweiterung des Standortes seiner Apotheke „auf das Gemeindegebiet Leonding, südlich der X (einschließlich beider Straßenseiten)“ wird gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe stattgegeben, dass durch den neuen Standort die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte seiner Apotheke und der Betriebsstätte einer der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheken gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG nicht weniger als 500 Meter betragen darf.

 

II. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a Abs. 1 VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof zulässig.

 

 

 


 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e:

 

 

 

I.

 

 

1. Entscheidungswesentlicher Sachverhalt:

 

 

1.1. Mit Bescheid des Bundesministers für Gesundheit vom 19. März 2010, Zl. BMG-262416/0001-I/B/8/2010, wurde dem Rechtsmittelwerber eine Konzession zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke mit einem bestimmten, „von Amts wegen eingeschränkten Standortgebiet“ erteilt.

 

1.2. In der Folge beantragte der Beschwerdeführer am 2. Februar 2011 eine Erweiterung dieses Standortes auf das Gemeindegebiet Leonding (südlich der X, einschließlich beider Straßenseiten). Begründend brachte er dazu vor, dass er das bisherige Betriebslokal seiner Apotheke wegen eines Bauprojekts räumen müsse und innerhalb seines eingeschränkten Standortgebietes keine Möglichkeit für eine Verlegung bestehe.

 

1.3. Mit Bescheid vom 18. Juli 2011 wurde dieser Antrag von der Behörde im Wesentlichen deshalb abgewiesen, weil der Rechtsmittelwerber nur eine Standorterweiterung, nicht jedoch eine Standortverlegung beantragt habe.

 

1.4. Mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 10. August 2011 wurde der dagegen erhobenen Berufung stattgegeben, der angefochtene Bescheid aufgehoben und die Rechtssache der Erstbehörde zur neuerlichen Entscheidung zurückverwiesen. Begründend wurde dazu ausgeführt, dass aus § 9 des Apothekengesetzes hervorgehe, dass der Standort einer Apotheke nicht bloß aus einem einzelnen Gebäude bestehe, sondern vielmehr jenes flächenmäßige Gebiet umfasse, das die in § 10 Abs. 2 Z. 2 und 3 Apothekengesetz genannten Kriterien erfülle und deshalb zugleich mit der Genehmigungserteilung oder zumindest nachträglich festzusetzen sei. Davon ausgehend hätte die Behörde den Standort ermitteln und prüfen müssen, ob hinsichtlich der Apotheke des Beschwerdeführers überhaupt schon ein Standort festgesetzt sei und – wenn ja – ob der beantragte neue Standort zur Gänze innerhalb des bestehenden Standortes oder außerhalb desselben liege, wobei in diesem Fall nach § 54 Apothekengesetz die Österreichische Apothekerkammer und die örtlich zuständige Ärztekammer zu hören gewesen wären. Weil die Erstbehörde diesbezüglich weder Ermittlungen vorgenommen noch eine entsprechende Anhörung durchgeführt habe, sei deren Bescheid aufzuheben und die Angelegenheit an die Erstbehörde zur Erlassung einer neuen Entscheidung zurückzuverweisen.

 

1.5. In weiterer Folge wies die Behörde nach der Einholung von entsprechenden Stellungnahmen der Ärztekammer und der Apothekerkammer den Antrag auf Standorterweiterung mit Bescheid vom 12. Mai 2012 wiederum ab und führte dazu begründend aus, dass eine Änderung des Standortes – und damit des Versorgungsgebietes – nach erfolgter Konzessionserteilung nur möglich sei, wenn zugleich auch die Betriebsstätte verlegt werde.

 

1.6. Aus Anlass einer dagegen vom Rechtsmittelwerber erhobenen Berufung wurde dieser Bescheid neuerlich aufgehoben, weil das als Antrag gemäß § 46 Abs. 5 Apothekengesetz zu qualifizierende Ansuchen nach der Rechtsansicht des  Oö. Verwaltungssenates nicht zwingend die Angabe einer neuen Betriebsstätte voraussetze; vielmehr hätte die Behörde ein Bedarfsprüfungsverfahren nach den §§ 46 ff Apothekengesetz durchführen müssen.

 

1.7. Daraufhin führte die Behörde das Verfahren fort, indem sie u.a. am 28. September 2012 eine Verlautbarung nach § 48 Apothekengesetz veranlasste. Sodann wurde der Österreichischen Apothekerkammer mit Schreiben vom 19. Februar 2013 unter Hinweis auf § 10 Abs. 7 Apothekenkammer die Erstellung eines Gutachtens zur Frage des Bedarfes nach einer öffentlichen Apotheke an dem vom Beschwerdeführer beantragten Standort aufgetragen.

 

1.8. Aufgrund eines vom Rechtsmittelwerber am 3. Juli 2013 eingebrachten Devolutionsantrages wurde sein Antrag auf Standorterweiterung mit Erkenntnis vom 17. Juli 2013, Zl. VwSen-600134/5/Gf/Rt, im Wesentlichen mit der Begründung abgewiesen, dass der Standort seiner Apotheke vollständig von Versorgungsgebieten anderer Konzessionsinhaber umschlossen sei; infolge dieser faktischen Gegebenheiten komme eine Ausdehnung des Versorgungsgebietes mangels vorhandenen Areales nicht in Betracht.

 

Gegen dieses Erkenntnis wurde vom Antragsteller eine Beschwerde an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben.

 

1.9. Mit  Erkenntnis vom 30. Jänner 2014, Zl. 2013/10/0197, hat der VwGH dieser Beschwerde stattgegeben und die Entscheidung des Oö. Verwaltungssenates wegen Rechtswidrigkeit ihres Inhaltes aufgehoben.

 

Begründend wurde dazu ausgeführt, dass es nicht darauf ankomme, ob der Standort vollständig von Versorgungsgebieten anderer Apotheken umschlossen sei. Vielmehr sei maßgeblich, ob in Ansehung des Gebietes der beabsichtigten Standorterweiterung die Voraussetzungen für die Konzessionserteilung vorliegen. Im Übrigen habe der Oö. Verwaltungssenat in seinem Erkenntnis vom 27. Juli 2012 der Behörde ohnehin eine solche Prüfung – nämlich ein Bedarfsprüfungsverfahren gemäß den §§ 46 i.V.m. § 10 Apothekengesetz – aufgetragen.

 

1.10. Davon ausgehend (vgl. § 63 Abs. 1 VwGG) beauftragte das nunmehr zur Fortführung des Verfahrens zuständige Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich (vgl. Art. 151 Abs. 1 Z. 8 i.V.m. Art. 131 Abs. 1 B‑VG) die Österreichische Apothekerkammer mit der Erstellung eines Gutachtens zur Frage, ob an der vom Rechtsmittelwerber intendierten Standorterweiterung ein entsprechender  Bedarf i.S.d. § 10 Apothekengesetz besteht.

 

1.11. Im darauf hin erstatteten Gutachten der Österreichischen Apothekerkammer vom 23. April 2014, Zl. III-5/2/2-146/2/14, wird nunmehr einerseits festgestellt, dass der in südwestlicher Richtung nächstgelegenen bereits bestehenden öffentlichen Apotheke (nämlich der „X“) im Falle der Verlegung der Apotheke des Beschwerdeführers vom derzeitigen Standort ihrer Betriebsstätte bis hin zu einem (weil von ihm bislang ein konkreter neuer Standort nicht genannt wurde:) hypothetisch angenommenen „Messpunkt 1“ zwar weiterhin ein Potential von mehr als 5.500 zu versorgende Personen verbleiben würde; allerdings würde dann der Entfernungsabstand zwischen diesen beiden Apotheken weniger als 500 Meter betragen. Andererseits würde das Versorgungspotential der in nordöstlicher Richtung nächstgelegenen bereits bestehenden öffentlichen Apotheke (nämlich der „X“) bei einer Verlegung der Betriebsstätte bis hin zu einem hypothetisch angenommenen „Messpunkt 2“ weniger als 5.500, nämlich bloß 3.133 Personen betragen. Daher sei in jedem Fall kein Bedarf an der beantragten Standorterweiterung gegeben.

 

 

2. Maßgebliche Rechtslage

 

 

a) Gesetzliche Regelung

 

 

1. In systematischer Hinsicht unterscheidet das Apothekengesetz, RGBl.Nr. 5/1907 i.d.g.F. BGBl.Nr. I 32/2014 (im Folgenden: ApG), zunächst im Wesentlichen vier verschiedene Typen öffentlicher, d.h. für den allgemeinen Verkehr bestimmter (vgl. § 1 ApG) Apotheken, nämlich:

 

‒ Konzessionierte Apotheken, d.s. solche, deren Betrieb nur auf Grund einer vorangehenden behördlichen Bewilligung zulässig ist (vgl. §§ 9 ff ApG);

 

‒ Realapotheken, die verkäuflich sind (in dieser Form aber nicht mehr neu begründet werden können) und zu deren Betrieb lediglich eine behördliche Genehmigung hinsichtlich der persönlichen Eignung ihres Besitzers erforderlich ist (vgl. §§ 21 ff ApG);

 

‒ von Ärzten und Tierärzten geführte Apotheken (sog. "Hausapotheken"; vgl. §§ 28 ff ApG); sowie

 

‒ von Krankenanstalten geführte Apotheken (sog. "Anstaltsapotheken"; vgl. §§ 35 ff ApG).

 

2. Für den (hier maßgeblichen) Fall der begehrten Erweiterung eines Apothekenstandortes sieht § 46 Abs. 5 ApG vor:

 

Über einen Antrag auf Erweiterung des bei Erteilung der Konzession zum Betrieb einer öffentlichen Apotheke gemäß § 9 Abs. 2 festgesetzten Standortes oder um nachträgliche Festsetzung des Standortes, wenn dieser bei Erteilung der Konzession nicht gemäß § 9 Abs. 2 bestimmt wurde, ist das für die Konzessionserteilung vorgesehene Verfahren durchzuführen.“

 

3.1. Die Voraussetzungen für eine Konzessionserteilung ergeben sich aus den §§ 9 und 10 ApG:

„§ 9. Der Betrieb einer öffentlichen Apotheke, welche nicht auf einem Realrechte beruht (radizierte, verkäufliche Apotheken), ist nur auf Grund einer besonderen behördlichen Bewilligung (Konzession) zulässig.

Im Konzessionsbescheid ist als Standort der Apotheke eine Gemeinde, eine Ortschaft, ein Stadtbezirk oder ein Teil eines solchen Gebietes zu bestimmen. Bei Apotheken, welche schon früher betrieben worden sind, ist der bisherige Standort aufrecht zu erhalten. Die Konzession hat nur für den Standort Geltung.“

„§ 10. (1) Die Konzession für eine neu zu errichtende öffentliche Apotheke ist zu erteilen, wenn

 

1. in der Gemeinde des Standortes der öffentlichen Apotheke ein Arzt seinen ständigen Berufssitz hat und

 

2. ein Bedarf an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke besteht.

 

(2) Ein Bedarf besteht nicht, wenn

 

1. sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte eine ärztliche Hausapotheke befindet und weniger als zwei Vertragsstellen nach § 342 Abs. 1 ASVG (volle Planstellen) von Ärzten für Allgemeinmedizin besetzt sind, oder

 

2. die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke weniger als 500 m beträgt oder

 

3. die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen sich in Folge der Neuerrichtung verringert und weniger als 5.500 betragen wird.

 

(3) Ein Bedarf gemäß Abs. 2 Z 1 besteht auch dann nicht, wenn sich zum Zeitpunkt der Antragstellung in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der öffentlichen Apotheke

 

1. eine ärztliche Hausapotheke und

 

2. eine Vertragsgruppenpraxis befindet, die versorgungswirksam höchstens eineinhalb besetzten Vertragsstellen nach Abs. 2 Z 1 entspricht und in der Gemeinde keine weitere Vertragsstelle nach § 342 Abs. 1 ASVG von einem Arzt für Allgemeinmedizin besetzt ist.

 

(3a) In einem Zeitraum, während dessen ein Gesamtvertrag gemäß § 341 ASVG nicht besteht, besteht ein Bedarf gemäß Abs. 2 Z 1 dann nicht, wenn in der Gemeinde der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke weniger als zwei Ärzte für Allgemeinmedizin zum Zeitpunkt der Antragstellung ihren ständigen Berufssitz haben und sich dort eine ärztliche Hausapotheke befindet.

 

(3b) Bei der Prüfung gemäß Abs. 2 Z 1 sind bloß vorübergehende Vertragsstellen, die einmalig und auf höchstens 3 Jahre befristet sind, nicht zu berücksichtigen.

 

(4) Zu versorgende Personen gemäß Abs. 2 Z 3 sind die ständigen Einwohner aus einem Umkreis von vier Straßenkilometern von der Betriebsstätte der bestehenden öffentlichen Apotheke, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse aus dieser bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgen sein werden.

 

(5) Beträgt die Zahl der ständigen Einwohner im Sinne des Abs. 4 weniger als 5.500, so sind die auf Grund der Beschäftigung, der Inanspruchnahme von Einrichtungen und des Verkehrs in diesem Gebiet zu versorgenden Personen bei der Bedarfsfeststellung zu berücksichtigen.

 

(6) Die Entfernung gemäß Abs. 2 Z 2 darf ausnahmsweise unterschritten werden, wenn es besondere örtliche Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung dringend gebieten.

 

(7) Zur Frage des Bedarfes an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke ist ein Gutachten der österreichischen Apothekerkammer einzuholen. Soweit gemäß § 29 Abs. 3 und 4 Ärzte betroffen sind, ist auch ein Gutachten der Österreichischen Ärztekammer einzuholen.

 

(8) Als bestehende Apotheken im Sinne des Abs. 2 Z 2 und 3 gelten auch alle nach der Kundmachung BGBl. I Nr. 53/1998 rechtskräftig erteilten Konzessionen zur Er-richtung einer öffentlichen Apotheke."

 

3.2. In der Praxis erlangt unter den in § 10 Abs. 1 und 2 ApG normierten und jeweils einen eigenständigen Ausschließungsgrund bildenden Genehmigungsvoraussetzungen das Kriterium des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, wonach dann kein Bedarf an der Neuerrichtung einer konzessionierten Apotheke besteht, wenn dadurch das Versorgungspotential einer bereits bestehenden Apotheke auf unter 5.500 Personen absinken würde, regelmäßig essentielle Bedeutung.

 

3.3. Zur näheren Determinierung des in dieser Bestimmung verwendeten, eine Prognoseentscheidung indizierenden unbestimmten Gesetzesbegriffes der "weiterhin zu versorgenden Personen" legt zunächst § 10 Abs. 4 ApG ergänzend fest, dass darunter in erster Linie die in einem Umkreis von vier Straßenkilometern um die bestehende Apotheke lebenden ständigen Einwohner zu verstehen sind, die auf Grund der örtlichen Verhältnisse weiterhin von dieser zu versorgen sein werden.

 

3.4. Wenn auf diese Weise das Versorgungspotential von 5.500 Personen (noch) nicht erreicht wird, sind darüber hinaus in einem weiteren Verfahrensschritt auch jene Personen zu ermitteln, die in diesem Gebiet – ohne ständige Einwohner zu sein – ihren Heilmittelbedarf auf Grund einer Beschäftigung, einer Inanspruchnahme von Einrichtungen und/oder einer Inanspruchnahme des Verkehrs decken (sog. "Einfluter").

 

3.5. Sollte schließlich selbst im Wege einer derartigen Ergänzung das Kriterium der 5.500 weiterhin zu versorgenden Personen nicht erfüllt werden können, dann steht damit aus der Sicht des Gesetzgebers allerdings gleichzeitig fest, dass kein Bedarf an einer neuen Apotheke gegeben und der dementsprechende Konzessionsantrag abzuweisen ist. Denn anders als in § 10 Abs. 6 ApG (bezüglich des Mindestabstandes von 500 Metern) ist eine analog flexible Regelung bezüglich der kritischen Grenze des der bestehenden Apotheke verbleibenden Versorgungspotentials gesetzlich nicht vorgesehen, sodass die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG eine strikte Grenze der Bedarfsprüfung bildet.

 

 

b) Höchstgerichtliche Judikatur

 

 

In den vergangenen zwei Jahrzehnten ihrer bisherigen Geltung wurden diese unbestimmten Gesetzesbegriffe im Wege der Judikatur der Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts – v.a. des VwGH (die ihrerseits [auch] auf den richtungsweisenden Entscheidungen des VfGH vom 2. März 1998, G 37/97 u.a. [= VfSlg 15103/1998]; vom 14. Oktober 2005, G 13/05 u.a. [= VfSlg 17682/2005]; vom 26. Juni 2008, G 12/08 [= VfSlg 18513/2008]; und vom 10. Dezember 2009, G 224/09 [= VfSlg 18948/2009] fußt) – laufend erweitert, beispielsweise (mit besonderem Blick auf den Ausgangsfall, d.h. unter Außerachtlassung von Fragestellungen im Zusammenhang mit ["externen"] Konkurrenzsituationen von konzessionierten Apotheken einerseits zu Hausapotheken, Realapotheken und/oder Anstaltsapotheken andererseits) etwa dahin, dass

 

‒ mehrere Konkurrenten, die jeweils die Voraussetzungen für eine Konzessionserteilung erfüllen, eine (weitere Interessenten gleichzeitig bis zum endgültigen Abschluss dieses Verfahrens präkludierende) Verfahrensgemeinschaft bilden (vgl. z.B. VwGH vom 21. Mai 2012, Zl. 2009/10/0078), wobei zwischen diesen – bei sonstiger Eignung und Gleichwertigkeit – letztlich ausschließlich das Kriterium der zeitlichen Priorität der jeweiligen Antragstellung entscheidet (vgl. z.B. VwGH vom 14. Juli 2011, Zl. 2006/10/0016); 

 

‒ bezüglich der ständigen Einwohner deren räumliche Nahebeziehung zu einer Apotheke primär anhand der Straßenentfernungen und der Erreichbarkeit (nicht mit öffentlichen Verkehrsmitteln, sondern) mit privaten Kraftfahrzeugen festzustellen ist (vgl. z.B. VwGH vom 20. November 2000, Zl. 2000/10/0108, und vom 26. März 2007, Zl. 2005/10/0123), wobei in diesem Zusammenhang nur ganzjährig für den mehrspurigen Kraftfahrzeugverkehr befahrbare Straßen heranzuziehen sind (vgl. z.B. VwGH vom 3. Juli 2000, Zl. 98/10/0161) und jeweils die kürzeste Wegstrecke (allenfalls in Bezug zur Straßenmitte) zu Grunde zu legen ist (vgl. z.B. VwGH vom 9. August 2006, Zl. 2003/10/0222); bei Entfernungen von wenigen hundert Metern kann allerdings demgegenüber dem Aspekt der leichteren fußwegigen Erreichbarkeit größeres Gewicht als jener mittels eines privaten Kraftfahrzeuges zukommen (vgl. z.B. VwGH vom 26. März 2007, Zl. 2005/10/0123), während andererseits bestimme Umstände – wie die Gefährlichkeit eines Weges, erhebliche Höhenunterschiede, eine Einbahnregelung, etc. – auch zu einer gegenteiligen Beurteilung führen können (vgl. z.B. VwGH vom 21. Mai 2008, Zl. 2006/10/0254); im Einzelfall ist sogar eine Aufteilung der in einem bestimmten Straßenzug oder der in einem einzelnen Haus lebenden Bevölkerung nach mehreren Apotheken geboten (vgl. z.B. VwGH vom 15. Februar 1999, Zl. 98/10/0090); eine rein mathematisch-aliquote Zuordnung (sog. "Divisionsmethode") ist als ultima-ratio-Lösung erst dann zulässig, wenn eine Aufteilung nach den Kriterien der örtlichen Nähe und Erreichbarkeit nicht möglich, zugleich aber offensichtlich ist, dass ein bestimmtes Kundenpotential zweifelsfrei von mehreren Apotheken aus versorgt wird (vgl. z.B. VwGH vom 13. November 2000, Zl. 99/10/0246);

 

‒ eine dementsprechende Separation der Wohnbevölkerung stets dann zu erfolgen hat, wenn und soweit diese im Überschneidungsbereich der 4-km-Umkreise von zwei oder mehreren bestehenden bzw. neu zu errichtenden Apotheken lebt (vgl. z.B. VwGH vom 26. April 1999, Zl. 98/10/0426); 

 

‒ im Zusammenhang mit der Bedachtnahme auf Einfluter, d.h. bloß z.B. auf Grund einer Beschäftigung, einer Inanspruchnahme von Einrichtungen (wie etwa von Krankenanstalten, Ämtern, Heimen, Schulen, Bahnhöfen oder größeren Betrieben) oder einer Inanspruchnahme des Verkehrs (wie z.B. des öffentlichen Eisenbahn- oder Busverkehrs) zweitweise im Versorgungsgebiet aufhältige Personen, die gemäß § 10 Abs. 5 ApG jeweils nach der Lage des Einzelfalles zu berücksichtigen sind, Erfahrungswerte oder allgemeine empirische Untersuchungsergebnisse her-angezogen werden können (vgl. z.B. VwGH vom 21. Oktober 2009, Zl. 2008/10/0173); hierbei sind zukünftige Entwicklungen insoweit zu berücksichtigen, als ihre Auswirkungen mit Sicherheit vorherzusehen bzw. in naher Zukunft konkret absehbar und zu erwarten sind (vgl. z.B. VwGH vom 18. April 1994, Zl. 92/10/0477);

 

‒ die Verringerung des künftigen Versorgungspotentials der bestehenden Apotheke auch nur um 1 Kunden zur Versagung der Konzession führt, wenn dieses bereits vor der Einbringung des Neuantrages unter 5.500 Personen lag (vgl. z.B. VwGH vom 29. November 2011, Zl. 2005/10/0218);

 

‒  während der sog. "Sperrfrist" von zwei Jahren gemäß § 47 Abs. 2 ApG grund-sätzlich kein weiterer Antrag auf Neuerteilung einer Konzession mehr eingebracht werden kann, es sei denn, dass eine wesentliche Veränderung in den für die frühere Entscheidung maßgebenden lokalen Verhältnissen eingetreten ist; ob dieses letztere Kriterium im konkreten Fall – insbesondere im Hinblick auf das der bestehenden Apotheke verbleibende Kundenpotential – erfüllt ist, ist von jener Behörde, die über den Konzessionsantrag zu entscheiden hat, jeweils anhand der im Zeit-punkt ihrer Entscheidung vorherrschenden Faktenlage zu beurteilen (vgl. z.B. VwGH vom 24. Februar 2011, Zl. 2010/10/0167).

 

 

c) Zwischenergebnis

 

 

Konkret führt diese aus einer Verbindung zwischen auf Grund weitgehend unbestimmter Begriffe offener Determinierung des Gesetzes und mangelnder Systematik der (notwendig einzelfallbezogenen) Judikatur gekennzeichnete Rechtslage – wie dies insbesondere auch mit Blick auf den Ausgangsfall deutlich wird – in aller Regel dazu, dass

 

* ein Konzessionserteilungsverfahren schon auf Grund der Notwendigkeit der akribischen zahlenmäßigen Separation der Wohnbevölkerung nach mehreren konkurrierenden Apothekenbetreibern in Verbindung mit sich permanent ändernden faktischen Verhältnissen, der Neigung der Verfahrensparteien zur Erhebung von prozessverzögernden Einwendungen, dem Fehlen eines verfahrensrechtlichen Neuerungsverbotes und dem Abstellen auf den Zeitpunkt der Entscheidung regelmäßig eine unangemessen lange Dauer in Anspruch nimmt – was im Hinblick auf Art. 47 EGRC i.V.m. Art. 6 Abs. 1 EMRK als bedenklich erscheint;

 

* weitere Interessenten ihrerseits jedenfalls bis zur rechtskräftigen Erledigung eines schon anhängigen Verfahrens an einer eigenständigen Antragstellung in Bezug auf das betreffende Versorgungsgebiet gehindert sind, sodass das Kriterium der zeitlichen Priorität, insbesondere auch in Verbindung mit der Sperrfristregelung des § 47 Abs. 2 ApG, einen potentiellen Interessenten gleichsam zur Stellung von Anträgen "bloß auf Verdacht hin" zwingt, um sich auf diese Weise die zeitliche Erstrangigkeit zu sichern; dadurch können allerdings Interessenten, denen weder die bestehende lokale Verteilung der konzessionierten Apotheken noch der Umstand bekannt ist, bei welchen Behörden entsprechende Konzessionserteilungsverfahren bereits anhängig sind, sohin vornehmlich Angehörige anderer Mitgliedstaaten, möglicherweise unsachlich, d.h. durch nicht dem Unionsrecht – insbesondere dem Art. 49 AEUV – entsprechende Zielsetzungen benachteiligt werden;

 

* die Ermittlung der Zuordnung vor dem Hintergrund des Kriteriums der (selbst unter Heranziehung von § 10 Abs. 4 und 5 ApG – im Vergleich zur 500-Meter-Grenze [vgl. § 10 Abs. 6 ApG] – im Ergebnis absolut) starren 5.500-Personen-Grenze des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG – die im Ausgangsfall schon deshalb nicht erfüllt wird, weil das Potential der bestehenden Apotheke, das schon seit ihrer Inbetriebnahme weit unter diesem Wert liegt, nicht einmal um 1 Person verringert werden darf (was sich allerdings grundlegend ändern würde, sobald die gegenwärtig noch bestehende Verkehrsverbindung zwischen den beiden Nachbargemeinden de facto tatsächlich aufgelassen wird) – in der Praxis vor allem deshalb nicht nur für die Behörden extrem aufwändig, sondern auch für die beteiligten (Alt- und Neu-)Apotheker völlig undurchschaubar ist, weil diesbezüglich einerseits auf den Zeitpunkt der Entscheidung abzustellen ist, andererseits aber keine zweckentsprechenden verfahrensrechtlichen Möglichkeiten (wie Neuerungsverbot, verbindliche Erklärung eines "Schlusses der Verhandlung"; prozessualer Vergleich etc.) bestehen (sodass sich die Erhebung von kontradiktorischen Einwendungen durch die Verfahrensparteien sowie dadurch jeweils bedingte Gutachtensergänzungen [überspitzt formuliert] nahezu ad infinitum fortsetzen);

 

* die maßgebliche Rechtslage für den Durchschnittsbürger, insbesondere aber auch für einen durchschnittlichen – allenfalls zudem einem anderen Mitgliedstaat angehörigen – Interessenten an einer Konzessionserteilung nur mit einem überproportionalen Aufwand rekonstruierbar ist, der einem rechtsstaatlichen Standard an die Vorhersehbarkeit und Berechenbarkeit generell-abstrakter Normen – wie dieser von Art. 16 EGRC offenbar vorausgesetzt wird – nicht entsprechen dürfte.

 

 

d) Unionsrecht und Rechtsprechung des Gerichtshofes der Europäischen Union (EuGH)

 

 

1. Nach Art. 49 AEUV sind Beschränkungen der freien Niederlassung – worunter auch die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen fällt – von Staatsangehörigen im Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaates grundsätzlich verboten bzw. anders gewendet: im hier maßgeblichen Zusammenhang nur insoweit zulässig, als solche Beschränkungen durch zwingende Gründe des Allgemeininteresses gerechtfertigt sowie geeignet sind, die Erreichung des mit ihnen verfolgten Zieles zu gewährleisten und dabei gleichzeitig nicht über das hinausgehen, was zur Erreichung dieses Zieles erforderlich ist (vgl. z.B. EuGH vom 10. März 2009, C-169/07 [Hartlauer], RN 44).

 

2. Mit Blick auf die im gegenständlichen Fall anhängigen Ausgangsfälle hat der EuGH davon ausgehend bereits in seinem Urteil vom 1. Juni 2010, C-570/07 und C 571/07, betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen zur Rechtslage nach dem spanischen Apothekenrecht festgestellt, dass

 

‒ unter den vom AEUV geschützten Gütern und Interessen das Leben und die Gesundheit von Menschen den höchsten Rang einnimmt, es allerdings Sache der einzelnen Mitgliedstaaten ist, das Niveau, auf dem dieser Schutz eingeräumt werden soll, jeweils selbst zu bestimmen, wobei ihnen in diesem Zusammenhang ein Wertungsspielraum zukommt (RN 44);

 

‒ das Unionsrecht, insbesondere Art. 168 Abs. 7 AEUV i.V.m. der Richtlinie 2005/36, zwar die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Ausgestaltung der Organisation sozialer Dienste grundsätzlich unberührt lässt, diese jedoch hierbei die Grundfreiheiten insoweit beachten müssen, als ungerechtfertigte Beschränkungen derselben unzulässig sind (RN 43);

 

‒ sich die Übergangsvorschrift des Art. 45 Abs. 5 der Richtlinie 2005/36 ihrem Inhalt nach nicht auf die Frage der territorialen Verteilung von Apotheken bezieht, sodass dieser Aspekt in vollem Umfang den allgemein aus dem AEUV resultierenden Geboten und Beschränkungen unterliegt (RN 46 bis 51);

 

‒ Beschränkungen der Niederlassungsfreiheit, wie diese im spanischen Recht vorgesehen sind (Konzessionssystem, Begrenzung auf 1 Dienstleister pro 2.800 Einwohner und Mindestentfernung von 250 Metern), durch das Ziel einer sicheren und qualitativ hochwertigen Heilmittelversorgung grundsätzlich gerechtfertigt sind (RN 63 bis 66);

 

‒ dass angesichts des konstatierten Wertungsspielraumes (RN 44) das spanische Konzessionssystem auch nicht a priori ungeeignet ist, dieses Ziel zu erreichen (RN 68 f);

 

‒ dass es der Judikatur des EuGH entspricht, dass Gesundheitseinrichtungen Gegenstand von Planungen derart sein können, dass neue Leistungserbringer an die Erteilung einer vorangehenden Erlaubnis gebunden werden, sofern sich ein derartiges System zur Lückenschließung bzw. Regulierung dahin, eine Konzentration in Ballungsgebieten ebenso wie eine Unterversorgung ländlicher Regionen zu vermeiden, als unerlässlich erweist (RN 70 bis 76), und dass sich davon ausgehend das spanische System als zur Zielerreichung grundsätzlich geeignet darstellt (RN 78 und 84), insbesondere, wenn man berücksichtigt, dass mindestens einmal jährlich ein Verfahren zur Erteilung von Neukonzessionen durchgeführt wird (RN 91) und hierbei bisher konzessionslose Apotheker den Vorrang genießen (RN 92 f);

 

‒ dass hinsichtlich der Frage, ob durch dieses System die Zielerreichung nicht bloß punktuell, sondern auch kohärent und systematisch gewährleistet ist, darauf hinzuweisen ist, dass die spanische Regelung auch entsprechende Anpassungsmaßnahmen vorsieht, um die Auswirkungen der 2.800-Einwohner- und der 250-Meter-Grundregel jeweils entsprechend abzumildern (RN 98 bis 101);

 

‒ dass ein bloßes "Mindestzahlensystem" zwar weniger einschneidend wäre, es allerdings noch innerhalb des Wertungsspielraumes des jeweiligen Mitgliedsstaates liege, sich für oder gegen ein solches System zu entscheiden (RN 105 ff); 

 

‒ dass allerdings Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung entgegensteht, die sich faktisch dahin auswirkt, dass die Errichtung einer hinreichenden Anzahl von Apotheken zur Garantie eines angemessenen pharmazeutischen Dienstes nicht gewährleistet ist (RN 114); sowie

 

‒ dass darin, dass durch die Normierung persönlicher Zugangsvoraussetzungen solche Apotheker, die ihre Tätigkeit bisher im Gebiet des Mitgliedsstaates ausgeübt haben, de facto begünstigt werden, eine Diskriminierung von Angehörigen anderer Mitgliedstaaten liegt, die auch nicht dadurch gerechtfertigt werden kann, dass Apotheker stets sofort einsetzbar sein müssen (RN 119 bis 125).

 

Darüber hinaus hat der EuGH in diesem Urteil in verfahrensrechtlicher Hinsicht insbesondere betont, dass

 

ein Antrag auf Vorabentscheidung auch dann zulässig ist, wenn zwar ausschließlich Angehörige des Mitgliedsstaates als Prozessparteien des Ausgangsverfahrens fungieren, sodass damit de facto kein grenzüberschreitender Sachverhalt vorliegt, davon abgesehen aber die erbetene Auslegung des Unionsrechts in einem Zusammenhang mit der Realität bzw. dem Gegenstand des Ausgangsrechts-streits steht (also nicht rein hypothetischer Natur ist) – wie dies z.B. zutrifft, wenn die Rechtmäßigkeit der nationalen Regelung von der Auslegung des Art. 49 AEUV durch den EuGH abhängt –, und die Antwort des EuGH dem nationalen Gericht entweder deshalb von Nutzen ist, weil einem Inländer kraft nationalem Recht dieselbe Position wie dem Angehörigen eines anderen Mitgliedsstaates kraft Unionsrechts zukommt oder weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass auch die Mitglieder anderer Mitgliedsstaaten ein Interesse an der Erlangung der entsprechenden nationalen Bewilligung (konkret: zum Betrieb einer Apotheke) haben (RN 34 bis 41).

 

 

II.

 

 

1. Davon ausgehend hat der Oö. Verwaltungssenat (nunmehr: Landesverwaltungsgericht Oberösterreich) am 24. Juli 2012, Zlen. VwSen-590223/145/Gf/Rt u.a., gemäß Art. 267 AEUV einen Antrag auf Vorabentscheidung an den EuGH gestellt und diesen u.a. wie folgt begründet:

 

„1. Vor dem Hintergrund dieser Rechtsprechung des EuGH sowie angesichts des Umstandes, dass es keineswegs ausgeschlossen erscheint, dass auch Angehörige anderer Mitgliedstaaten ein Interesse an der Erteilung einer Neukonzession haben könnten – vorausgesetzt, die nationale Rechtslage und faktische Bedarfssituation wäre für diese jeweils durchschaubar –, erhebt sich damit in den beim Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich anhängigen Ausgangsfällen die Frage, ob die dem österreichischen Apothekengesetz zu Grunde liegende Systematik generell bzw. hinsichtlich ihrer konkreten Ausgestaltung mit den Grundsätzen des Unionsrechts vereinbar ist.

 

1.1. Bedenken ergeben sich in diesem Zusammenhang, wie bereits zuvor angesprochen (s.o., III.), zunächst dahin, ob der Umstand, dass eine Konkretisierung des im Zuge der Entscheidung über einen Antrag auf Neuerteilung einer Konzession in erster Linie essentiellen Kriteriums des Bedarfes nicht im Gesetz (nämlich dem § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG – allenfalls i.V.m. § 10 Abs. 4 und 5 ApG) selbst erfolgt, sondern einer höchst kasuistischen und zudem ex ante nur schwer vorhersehbaren höchstgerichtlichen Rechtsprechung überlassen wird, sowohl mit den demokratisch-rechtsstaatlichen Anforderungen, wie sie dem Art. 16 EGRC offensichtlich zu Grunde liegen, als auch mit dem unionsrechtlichen Transparenzgebot des Art. 49 AEUV (vgl. dazu z.B. EuGH vom 9. September 2010, C-64/08 [Engelmann], RN 49) vereinbar ist.

 

1.2. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, erhebt sich davon ausgehend dennoch die Frage, ob die für diese Bedarfsprüfung in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG konkret festgelegte starre Grenze von 5.500 Personen, hinsichtlich der (im Gegensatz zum Kriterium der 500-Meter-Grenze des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG) keine Möglichkeit des Abweichens von der Grundregel gesetzlich vorgesehen ist, in der Praxis auch tatsächlich eine kohärente Zielerreichung i.S.d. RN 98 bis 101 des EuGH-Urteils vom 1. Juni 2010, C-570/07, gewährleistet.

 

1.3. Schließlich bleibt nach Ansicht des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich zu klären, ob dann, wenn die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG zwar dem Grunde nach mit Art. 49 AEUV vereinbar wäre, angesichts der aus dieser Regelung infolge der Judikatur der nationalen Höchstgerichte resultierenden weiteren Detailkriterien – wie zeitliche Priorität der Antrag-stellung; Präklusion späterer Interessenten durch das laufende Verfahren; zweijährige Sperrfrist bei Antragsabweisung; Kriterien zur Ermittlung der "ständigen Einwohner" einerseits und der "Einfluter" andererseits sowie zur Separation des Kundenpotentials bei Überschneidung des 4-km-Umkreises von zwei oder mehr Apotheken; etc. – in der Praxis regelmäßig noch eine vorhersehbare und berechenbare Vollziehung dieser Bestimmung innerhalb angemessener Frist (Art. 6 Abs. 1 EMRK bzw. Art. 47 EGRC) möglich und damit auch deren konkrete Eignung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kohärenz der Zielerreichung gegeben oder de facto nicht vielmehr ein angemessener pharmazeutischer Dienst nicht gewährleistet ist oder eine Diskriminierung zwischen Inländern und Angehöriger anderer Mitgliedstaaten vorliegt (vgl. EuGH vom 1. Juni 2010, C-570/07, RN 98 bis 101 sowie 114 bis 125).

 

2. Weil diese Problemfelder bislang – soweit ersichtlich – inhaltlich noch nicht geklärt wurden und prozessuale Hindernisse (insbesondere im Hinblick auf die RN 34 bis 41 des EuGH-Urteils vom 1. Juni 2010, C 570/07) aus h. Sicht nicht entgegen stehen dürften (zur grundsätzlichen innerstaatlichen Anerkennung des Verbotes der Diskriminierung im Zuge der Umsetzung von Gemeinschaftsrecht vgl. jüngst auch VfGH vom 6. Oktober 2011, G 41/10, m.w.N.), erlaubt sich daher der Unabhängige Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich, im Wege seines nach der Geschäftsverteilung hierfür zuständigen Mitgliedes dem Gerichtshof der Europäischen Union gemäß Art. 267 AEUV folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

 

2.1. Steht das Legalitätsgebot des Art. 16 EGRC und/oder das Transparenzgebot des Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung wie der in den Ausgangsverfahren fraglichen Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 Apothekengesetz, die das Kriterium des Bedarfes an der Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke nicht zumindest in den essentiellen Grundzügen schon im Gesetz selbst regelt, sondern die Konkretisierung maßgeblicher Teile ihres Inhalts der innerstaatlichen Judikatur überlässt, entgegen, weil dadurch nicht ausgeschlossen werden kann, dass bestimmten inländischen Interessenten sowie diesen insgesamt gegenüber den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten ein maßgeblicher Wettbewerbsvorteil entsteht?

 

2.2. Für den Fall, dass diese erste Frage zu verneinen ist: Steht Art. 49 AEUV einer nationalen Regelung wie § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, die für das essentielle Kriterium der Bedarfsprüfung eine starre Grenze von 5.500 Personen festlegt, hinsichtlich der im Gesetz keine Möglichkeit eines Abweichens von dieser Grundregel vorgesehen ist, entgegen, weil dadurch de facto eine kohärente Zielerreichung i.S.d. RN 98 bis 101 des EuGH-Urteils vom 1. Juni 2010, C-570/07, nicht (ohne Weiteres) gewährleistet erscheint?

 

2.3. Für den Fall, dass auch die zweite Frage zu verneinen ist: Steht Art. 49 AEUV und/oder Art. 47 EGRC einer Regelung wie § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, aus der infolge der Judikatur der nationalen Höchstgerichte zur Frage der Bedarfsprüfung weitere Detailkriterien – wie zeitliche Priorität der Antragstellung; Sperrwirkung des laufenden Verfahrens für spätere Interessenten; zweijährige Sperrfrist bei Antragsabweisung; Kriterien zur Ermittlung der "ständigen Einwohner" einerseits und der "Einfluter" andererseits sowie zur Separation des Kundenpotentials bei Überschneidung des 4-km-Umkreises von zwei oder mehr Apotheken; etc. – resultieren, entgegen, weil dadurch eine vorhersehbare und berechenbare Vollziehung dieser Bestimmung innerhalb angemessener Frist nicht als Regelfall ermöglicht wird und deshalb (vgl. EuGH vom 1. Juni 2010, C 570/07, RN 98 bis 101 sowie 114 bis 125) deren konkrete Eignung im Hinblick auf die Notwendigkeit der Kohärenz der Zielerreichung als nicht gegeben und/oder ein angemessener pharmazeutischer Dienst als de facto nicht gewährleistet und/oder eine tendenzielle Diskriminierung von inländischen Interessenten untereinander oder zwischen diesen und anderen Mitgliedstaaten angehörenden Interessenten konstatiert werden kann?“

 

 

2. Mit Urteil vom 13. Februar 2013, C 367/12, hat der EuGH über diesen Vorlageantrag des Oö. Verwaltungssenates (nunmehr: Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich) entschieden, dass

 

Art. 49 AEUV, insbesondere das Gebot der Kohärenz bei der Verfolgung des angestrebten Ziels, ..... dahin auszulegen [ist], dass er einer mitgliedstaatlichen Regelung wie der im Ausgangsverfahren fraglichen, die als essentielles Kriterium bei der Prüfung des Bedarfs an einer neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke eine starre Grenze von ‚weiterhin zu versorgenden Personen‘ festlegt, entgegensteht, weil die zuständigen nationalen Behörden keine Möglichkeit haben, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten zu berücksichtigen.

 

Begründend hat der Gerichtshof dazu u.a. ausgeführt, dass

 

– ein System der vorangehenden behördlichen Genehmigung der Zulassung neuer Leistungserbringer im Gesundheitswesen dann mit Art. 49 AEUV vereinbar ist, wenn a) dadurch Lücken im Zugang zu solchen Leistungen geschlossen und Doppelversorgungsstrukturen vermieden werden, b) dadurch die Gesundheitsversorgung den Bedürfnissen der Bevölkerung angepasst ist, c) diese Versorgung das gesamte Hoheitsgebiet abdeckt und d) auch geographisch isolierte oder sonst benachteiligte Regionen mit einbezogen sind (RN 24);

 

– die in § 10 ApG normierten Kriterien zur Ermittlung, ob es an einem Bedarf für einen zusätzlichen Leistungserbringer fehlt – nämlich: die Zahl der bereits bestehenden Apotheken, die Entfernungen zwischen diesen und der neu zu errichtenden Apotheke sowie die von den bestehenden Apotheken weiterhin zu versorgenden ständigen Einwohner oder Personen, die einen bestimmten Bezug zu diesem Gebiet aufweisen –, hinreichend objektiv sind (RN 29 bis 32); denn sie können von Interessierten im Vorhinein ermittelt werden (RN 34) und sind auch nicht als diskriminierend anzusehen (RN 35 ff), da das Vorliegen eines Bedarfes grundsätzlich vermutet wird und daher nicht vom Bewerber nachgewiesen werden muss (RN 36);

 

– es grundsätzlich Sache des nationalen Gerichts ist, zu beurteilen, ob die nationale Regelung geeignet ist, das mit dem System der Zugangsbeschränkung verfolgte Ziel auch tatsächlich in kohärenter und systematischer Weise zu erreichen (RN 40), wobei darauf Bedacht zu nehmen ist, dass bei Voraussetzungen wie „Bevölkerungsdichte“ und „Mindestentfernung“ in dünn besiedelten Regionen unter Umständen bestimmten Personen ein angemessener Zugang zu pharmazeutischen Diensten vorenthalten werden könnte (RN 41 u. 42);

 

– § 10 ApG jedoch einerseits Personen nicht angemessen berücksichtigt, die nicht im Versorgungsgebiet einer bereits bestehenden Apotheke wohnen, sondern bloß durch ihre Beschäftigung oder Benützung eines Verkehrsmittels in dieses Gebiet „einfluten“ (RN 45), denn unter diesen Personen können sich auch solche mit einer eingeschränkten Mobilität befinden, die aber gerade dringend und häufig Arzneimittel benötigen (RN 46); gleichzeitig würde aber durch die im Interesse solcher Personen gelegene Neuerrichtung einer Apotheke die Zahl der von der bereits bestehenden Apotheke aus zu versorgenden Personen zwangsläufig – allenfalls sogar unter 5.500 – sinken; damit kommt es bei der Bedarfsprüfung im Ergebnis aber nicht auf die Möglichkeit des Zugangs zu Apothekendienstleistungen, sondern in Wirklichkeit darauf an, ob die Zahl der verbleibenden Einfluter dazu ausreicht, um für die bestehende Apotheke den durch die Neuerrichtung resultierenden Abgang auszugleichen (RN 47 bis 49);

 

– die Anwendung des in § 10 ApG normierten Kriteriums der „weiterhin zu versorgenden Personen“ sohin nicht zu gewährleisten vermag, dass auch für jene Menschen, die in abgelegenen oder ländlichen Regionen wohnen, ein gleicher und angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist (RN 50);

 

Art. 49 AEUV daher einer Regelung wie § 10 ApG, die als essentielles Kriterium für die Bedarfsprüfung eine starre Grenze von weiterhin zu versorgenden Personen festlegt, entgegensteht, weil die Behörden unter Bindung an eine derartige Rechtsgrundlage örtliche Besonderheiten nicht adäquat berücksichtigen können (RN 51).

 

 

III.

 

 

Wie von einem Gericht im fortgesetzten bzw. in bereits anhängigen, von der Problemlage her gleich gelagerten Verfahren vorzugehen ist, wenn der EuGH auf dessen Vorlageantrag hin eine nationale Rechtsvorschrift als unionsrechtswidrig erklärt hat, ist (zumindest bislang) gesetzlich nicht normiert.

 

1. Auf Basis dieser Regelungslücke hat der Verfassungsgerichtshof (VfGH) in einer ähnlich gelagerten Konstellation wie der hier vorliegenden in seiner Entscheidung vom 6. Oktober 2011, G 41,42/10 u.a. (die von ihm in der Folge durch das Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, G 61/10 u.a., bestätigt wurde), die Meinung vertreten, dass sich

 

„die Annahme des Verfassungsgerichtshofes, dass hinsichtlich der Bedarfsprüfung für Ambulatorien aufgrund der in Prüfung gezogenen Bestimmung des KAKuG bis zum In-Kraft-Treten der Neuregelung am 19. August 2010 eine Rechtslage vorlag, die dazu führte, dass inländische Bewilligungssachverhalte in unsachlicher Weise schlechter behandelt werden als in den Anwendungsbereich des Unionsrechts fallende Sachverhalte, ..... angesichts der begrenzten zeitlichen Geltungsdauer dieser Rechtslage im Ergebnis als nicht zutreffend“

 

erwiesen hat. Zwar hätten

 

„Urteile des EuGH, die aussprechen, dass unmittelbar anwendbares Unionsrecht einer innerstaatlichen Norm entgegensteht, ..... die Wirkung, dass die betreffenden Teile der nationalen Rechtsordnung wegen Verstoßes gegen unionsrechtliche Bestimmungen künftig unangewendet zu bleiben haben, sodass eine nach innerstaatlichen Maßstäben an sich verfassungskonforme Rechtslage im Gefolge des Urteils des EuGH nur mehr auf Sachverhalte, die nicht vom Vorrang des Unionsrechtes betroffen sind, weiterhin anzuwenden ist. Ein solches Urteil des EuGH kann daher mit seiner Erlassung in diesem Restanwendungsbereich im Ergebnis eine sogenannte 'Inländerdiskriminierung' bewirken. ..... Ein Urteil des EuGH kann also auf jedwedem Rechtsgebiet eine ..... beachtliche Anzahl von rein inlandsbezogenen Folgefällen provozieren, die im Falle der erfolgreichen Geltendmachung einer nunmehr eingetretenen Verfassungswidrigkeit der Norm dazu führen können, dass aufgrund der Anlassfallwirkung eines das Gesetz aufhebenden Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofes gemäß Art. 140 Abs. 7 zweiter Satz B-VG Bewilligungen ohne die Berücksichtigung von im öffentlichen Interesse bestehenden Schranken des Gesetzes erlangt werden können, die bei Fortbestehen der früheren Rechtslage nicht hätten erteilt werden dürfen.“

 

Allerdings könne

 

„dieser Effekt ..... den öffentlichen Interessen zuwiderlaufen, wenn – wie hier – der in der Norm vorgesehene Erlaubnisvorbehalt zur Errichtung von Krankenanstalten an sich unionsrechtlich zulässig ist, aber nur in seiner konkreten Ausgestaltung als unionsrechtswidrig festgestellt wurde. In einem solchen Fall stehen dem Gesetzgeber nämlich im Allgemeinen mehrere Reaktionsmöglichkeiten unionsrechtskonformer Neuregelungen offen, einschließlich der Möglichkeit, den strittigen Erlaubnisvorbehalt – vorbehaltlich der unionsrechtlich erforderlichen Begleitmaßnahmen – beizubehalten. Eine geordnete Krankenanstaltenplanung dient der Aufrechterhaltung einer qualitativ hochwertigen, ausgewogenen und allgemein zugänglichen medizinischen Versorgung und der Vermeidung einer erheblichen Gefährdung des finanziellen Gleichgewichts des Systems der sozialen Sicherheit, wie der EuGH in der Entscheidung 'X' (10.3.2009, Rs. C-169/07, .....) erneut ausdrücklich anerkannt hat (.....), und damit dem wichtigen öffentlichen Interesse an einem funktionierenden Gesundheitswesen. In dieser Konstellation widerspricht ein zwischen der Verkündung des Urteils des EuGH und dem Zeitpunkt der Neuregelung durch den Gesetzgeber als Folge der Anlassfallwirkung einer Gesetzesaufhebung durch den Verfassungsgerichtshof entstehendes gesetzliches Vakuum dem jeweils der Norm zugrundeliegenden öffentlichen Interesse an einer geordneten Krankenanstaltenplanung, weil dadurch der Zugang zu Bewilligungen eröffnet werden kann, die weder nach alter Rechtslage noch nach einer (möglichen) unionsrechtskonformen neuen Rechtslage erteilt werden dürfen. Es besteht in einer Konstellation wie der hier vorliegenden daher ein erhebliches öffentliches Interesse an der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des nationalen Regelungsregimes zumindest im überwiegend innerstaatlichen Restanwendungsbereich für jenen Zeitraum, der vom Gesetzgeber für eine (unionsrechtlich zulässige) Neuregelung benötigt wird. Dieses öffentliche Interesse vermag daher die aus (allein) unionsrechtlicher Ursache entstandene 'inländerdiskriminierende' Wirkung einer Norm vorübergehend, nämlich für die Dauer einer für die Neuregelung erforderlichen Übergangszeit, sachlich zu rechtfertigen. Was die Dauer eines solchen Zeitraums betrifft, so ist der in Art. 140 Abs. 5 B-VG zum Ausdruck kommende Rechtsgedanke auch hier sinngemäß zu berücksichtigen. Im Interesse eines geordneten Gesetzgebungsprozesses ist daher – in einem Fall wie dem vorliegenden – die diskriminierende Wirkung einer Norm aus den genannten Gründen bis zu einer Neuregelung durch den Gesetzgeber vorübergehend für einen angemessenen Zeitraum hinzunehmen.“

 

Eine solcherart entstandene Inländerdiskriminierung würde sich daher während des angemessenen Übergangszeitraumes aus innerstaatlicher Sicht nicht als verfassungswidrig erweisen (vgl. auch VfGH vom 15. Dezember 2011, G 290/09).

 

2. Der VwGH hat sich dieser Rechtsansicht zunächst für Fallkonstellationen, in denen ein Gesetzesprüfungsverfahren beim VfGH anhängig war, angeschlossen (vgl. z.B. VwGH vom 20. März 2013, Zl. 2012/11/0046) und sie in der Folge (allerdings ohne nähere eigenständige Begründung, sondern unter bloßem Hinweis auf das vorzitierte VfGH-Erkenntnis vom 15. Dezember 2011, G 61/10) dahin verallgemeinert, dass die unionsrechtswidrigen Bestimmungen bei rein inlandsbezogenen Sachverhalten weiterhin anzuwenden sind (vgl. z.B. VwGH vom 23. Mai 2013, Zl. 2011/11/0029, und vom 24. Juli 2013, Zl. 2010/11/0195), nachdem dieser Gerichtshof schon zuvor unter Hinweis auf eine deutsche Literaturstelle gemeint hatte (vgl. VwGH vom 17. April 2008, Zl. 2008/15/0064), dass

 

 „die Verdrängung von nationalem Recht durch Gemeinschaftsrecht ..... bloß jenes Ausmaß umfassen [darf], das gerade noch hinreicht, um einen gemeinschaftsrechtskonformen Zustand herbeizuführen. Dabei sind die gemeinschaftsrechtlichen Erfordernisse in das nationale Gesetz ‚hineinzulesen‘ (vgl. Gosch, ....., DStR 2007, 1553 [1555], der in diesem Zusammenhang auch von der ‚geltungserhaltenden Reduktion nationaler Normen spricht).“

 

3. Ungeachtet der Frage, ob diese eher restriktive Sichtweise der nationalen Gerichtshöfe des öffentlichen Rechts bezüglich des Grundsatzes des Vorranges des Unionsrechts ihrerseits unionsrechtskonform erscheint, ist für das gegenständliche Verfahren zunächst darauf hinzuweisen, dass dieses – bei grundsätzlich identischer Problemlage – von jenen Fallkonstellationen, die den vorerwähnten Entscheidungen des VfGH und des VwGH zu Grunde lagen, hinsichtlich maßgeblicher Parameter divergiert:

 

·         Denn zum einen hat der EuGH – im Unterschied zu seinem (vom VfGH und vom VwGH jeweils zentral zur Begründung ihrer Ansicht herangezogenen) Urteil vom 10. März 2009, C-169/07 (Hartlauer) – hier unmissverständlich  klargestellt, dass das in § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG normierte Bedarfsprüfungskriterium der „weiterhin zu versorgenden Personen“ als solches (arg.: „Art. 49 AEUV ..... ist dahin auszulegen, dass er ..... entgegensteht“) und nicht bloß hinsichtlich spezifischer Aspekte – und sohin nicht nur unter bestimmen Vorbehalten – dem Art. 49 AEUV widerspricht, wobei sich die hierfür vom EuGH gegebene Begründung nicht primär auf das Anlassverfahren bezieht, sondern vielmehr und vorrangig für den Gesetzgeber im Zuge der Neuregelung, nämlich der unionsrechtskonformen national-einfachgesetzlichen Ausgestaltung dieser Materie von Interesse ist;

 

·         In der Sache betrifft die vom EuGH konstatierte Unionsrechtswidrigkeit im gegenständlichen Fall zudem nicht bloß einen peripheren (vgl. dagegen VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10, Pkt. I.2.5.: „nur in seiner konkreten Ausgestaltung als unionsrechtswidrig festgestellt“), sondern vielmehr geradezu den zentralen Aspekt des in § 10 ApG normierten Bedarfsprüfungsverfahrens, nämlich den Bestandsschutz für bereits bestehende Apotheken;

 

·         Schließlich ist im vorliegenden Fall in prozessualer Hinsicht auch kein Gesetzesprüfungsverfahren gemäß Art. 140 B‑VG anhängig (und wäre ein solcher, auf das Argument der Inländerdiskriminierung gegründeter Antrag im Hinblick auf die ständige Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes – vgl. wiederum VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10 – überdies auch wenig erfolgversprechend), sodass auch – jedenfalls formal – keine bloß vorübergehende Unionsrechtswidrigkeit i.S.d. Art. 140 Abs. 5 und 7 B-VG vorliegt.

 

4. Ist aber vor dem Hintergrund, dass der EuGH die Unionsrechtswidrigkeit des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, der eine zentrale Voraussetzung der Marktzulassung in Form einer Bedarfsprüfung normiert, vorbehaltslos – und damit auch mit unmittelbarer sowie sofortiger Wirkung – festgestellt hat, zu konstatieren, dass eine entsprechende gesetzliche Regelung im österreichischen Recht für Fallkonstellationen wie die hier vorliegende nicht besteht, so verbleibt im öffentlichen Interesse an einem geordneten Gesundheitswesen daher nur die Möglichkeit, die der Sache nach am ehesten adäquate verfahrensrechtliche Norm, nämlich Art. 140 B-VG, analog heranzuziehen.

 

Dabei ist jedoch darauf zu achten, dass öffentliche Interessen weder einseitig noch exklusiv bevorzugt werden, sondern – im Sinne einer möglichst effizienten Unionsrechtskonformität und eines möglichst effektiven Grundrechtsschutzes – auch auf die konträren Interessen der Konzessionswerber ausreichend Bedacht genommen wird; beispielsweise kann daher – anders als in den vom VfGH zu führenden Gesetzesprüfungsverfahren – die in Art. 140 Abs. 5 letzter Satz B‑VG mit 18 Monaten objektiv besehen bereits extensiv festgelegte Frist schon im Hinblick auf eine angemessene Verfahrensdauer i.S.d. Art. 6 Abs. 1 EMRK und Art. 47 EGRC nicht verabsolutierend als ein jedenfalls „vorübergehend angemessener Zeitraum“ (vgl. VfGH vom 15. Dezember 2011, G 61/10, Pkt. I.2.7.3.) erscheinen. Denn im Hinblick auf die für Vollzugsorgane grundsätzlich maßgebliche Entscheidungsfrist von 6 Monaten (vgl. z.B. § 73 AVG; § 34 VwGVG; § 284 BAO) ist vielmehr vorläufig kein zwingender Grund ersichtlich, weshalb diese für den Gesetzgeber wesentlich länger sein sollte, zumal in gewissen Konstellationen eine Unionsrechtswidrigkeitserklärung durch den EuGH nicht ganz unabsehbar ist.

 

5. Festzuhalten ist, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aktivitäten des Gesetzgebers im Hinblick auf eine Novellierung des § 10 ApG erkennbar sind und dass solche – sollten sie erst einmal eingeleitet werden – erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen.

 

Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass zeitgerecht, d.h. noch während der dem Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich zur Erledigung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde zur Verfügung stehenden Zeitspanne (wobei schon die in § 34 Abs. 1 VwGVG festgelegten sechs Monate eine Maximalfrist verkörpern und angesichts der Gesamtdauer des anhängigen Verfahrens die in dieser Bestimmung festgelegten Nichteinrechnungszeiträume im Lichte des Effizienzgebotes des Art. 6 Abs. 1 EMRK [„innerhalb angemessener Frist“] wohl keinen Bestand haben dürften), eine unionsrechtskonforme Neuregelung erfolgen wird.

 

6. Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind aufgrund des Vorranges des Unionsrechts dem Primärrecht entgegenstehende Regelungen unanwendbar. Dieser Vorrang des Unionsrechts gilt absolut. Im Besonderen geht er daher sowohl einer unmittelbaren Bindung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG (bzw. § 87 Abs. 2 VfGG) als auch einer „indirekten“ Bindung (vgl. jüngst das Erkenntnis des VwGH vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209[1]) vor.

 

Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, wonach keinesfalls ein Bedarf besteht, sobald sich die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen in Folge der Neuerrichtung einer weiteren Apotheke verringert und weniger als 5.500 betragen wird, widerspricht auf Grund ihrer mangelnden Flexibilität dem Unionsrecht und ist sohin – in gleicher Weise wie die darauf aufbauenden Anordnungen der Abs. 4, 5, 7 und 8 des § 10 ApG – auch im vorliegenden Fall nicht anzuwenden.

 

Davon ausgehend liegt daher ein Ausschließungsgrund i.S.d. § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG ebenso wenig vor wie der Hinderungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 1 (i.V.m. Abs. 3 bis Abs. 3b) ApG, weil im Gutachten der Apothekerkammer vom 23. April 2014, Zl. III-5/2/2-146/2/14, festgestellt wurde (vgl. S. 4), dass sich in der in Aussicht genommenen Betriebsstätte keine ärztliche Hausapotheke befindet.

 

7. Soweit es die Frage der Bedarfsprüfung betrifft, ist daher im gegenständlichen Fall lediglich die Anordnung des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG, wonach die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke nicht weniger als 500 Meter betragen darf, zu beachten (weil diese im Wege des § 10 Abs. 6 ApG mit der unionsrechtlich erforderlichen Flexibilität ausgestattet ist).

 

8. All dies berücksichtigend war daher dem auf § 46 Abs. 5 ApG gegründeten Antrag des Beschwerdeführers auf Erweiterung des Standortes seiner Apotheke „auf das Gemeindegebiet Leonding, südlich der X (einschließlich beider Straßenseiten)“ gemäß § 28 Abs. 2 VwGVG mit der Maßgabe stattzugeben, dass durch den neuen Standort die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte seiner Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheken gemäß § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG nicht weniger als 500 Meter beträgt (was wiederum einer gesonderten Prüfung nach § 14 ApG unterliegt).

 

IV.

 

 

Eine ordentliche Revision ist zulässig, weil im gegenständlichen Verfahren Rechtsfragen zu lösen waren, denen im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG insofern grundsätzliche Bedeutung zukommt, weil bislang eine entsprechende Judikatur des Verfassungsgerichtshofes und des Verwaltungsgerichtshofes fehlt.

 

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen dieses Erkenntnis kann innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag von dessen Zustellung eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof (VfGH) und/oder eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof (VwGH) erhoben werden, wobei sowohl die Beschwerde als auch die Revision jeweils von einem bevollmächtigten Rechtsanwalt abgefasst werden muss. Eine Beschwerde ist unmittelbar beim VfGH, eine Revision hingegen beim Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich einzubringen und. Für die Beschwerde bzw. Revision ist jeweils eine Eingabegebühr von 240 Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Verwaltungsgericht des Landes Oberösterreich

 

 

Dr.  G r o f

 

 

 

 

 

LVwG-050013/5/Gf/UD/Eg vom 28. Mai 2014

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

 

EMRK Art6 Abs1

ApG §10

VfGG §87 Abs2

VwGG §63 Abs1

VwGVG §34 Abs1

 

 

* Festzuhalten ist, dass zum gegenwärtigen Zeitpunkt keine Aktivitäten des Gesetzgebers im Hinblick auf eine Novellierung des § 10 ApG erkennbar sind und dass solche – sollten sie erst einmal eingeleitet werden – erfahrungsgemäß einen längeren Zeitraum in Anspruch nehmen. Es kann daher nicht davon ausgegangen werden, dass zeitgerecht, d.h. noch während der dem LVwG zur Erledigung der gegenständlichen Säumnisbeschwerde zur Verfügung stehenden Zeitspanne (wobei schon die in § 34 Abs. 1 VwGVG festgelegten sechs Monate eine Maximalfrist verkörpern und angesichts der Gesamtdauer des anhängigen Verfahrens die in dieser Bestimmung festgelegten Nichteinrechnungszeiträume im Lichte des Effizienzgebotes des Art. 6 Abs. 1 EMRK [„innerhalb angemessener Frist“] wohl keinen Bestand haben dürften), eine unionsrechtskonforme Neuregelung erfolgen wird.

 

* Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH sind aufgrund des Vorranges des Unionsrechts dem Primärrecht entgegenstehende Regelungen unanwendbar. Dieser Vorrang des Unionsrechts gilt absolut. Im Besonderen geht er daher sowohl einer unmittelbaren Bindung gemäß § 63 Abs. 1 VwGG (bzw. § 87 Abs. 2 VfGG) als auch einer „indirekten“ Bindung (vgl. jüngst das Erkenntnis des VwGH vom 27. März 2014, Zl. 2013/10/0209 ) vor.

 

* Die Bestimmung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG, wonach keinesfalls ein Bedarf besteht, sobald sich die Zahl der von der Betriebsstätte einer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen in Folge der Neuerrichtung einer weiteren Apotheke verringert und weniger als 5.500 betragen wird, widerspricht auf Grund ihrer mangelnden Flexibilität dem Unionsrecht und ist sohin – in gleicher Weise wie die darauf aufbauenden Anordnungen der Abs. 4, 5, 7 und 8 des § 10 ApG – auch im vorliegenden Fall nicht anzuwenden. Davon ausgehend liegt im gegenständlichen Fall der Ausschließungsgrund des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG nicht vor. Soweit es die Frage der Bedarfsprüfung betrifft, ist daher lediglich die Anordnung des § 10 Abs. 2 Z. 2 ApG, wonach die Entfernung zwischen der in Aussicht genommenen Betriebsstätte der neu zu errichtenden öffentlichen Apotheke und der Betriebsstätte der nächstgelegenen bestehenden öffentlichen Apotheke nicht weniger als 500 Meter betragen darf, zu beachten (weil diese im Wege des § 10 Abs. 6 ApG mit der unionsrechtlich erforderlichen Flexibilität ausgestattet ist).

 

 

Schlagworte:

 

Apotheke – Standorterweiterung, Standortverlegung; Bedarfsprüfung; Ersatzerkenntnis – keine Bindungswirkung, soweit Unionsrechtswidrigkeit vorliegt

 

 

Anmerkung:

 

Zur Unionsrechtswidrigkeit des § 10 ApG vgl. im Übrigen auch LVwG-050006 vom 21.2.2014 und 050014 vom 24.2.2013

 

 

 


[1] In dieser Entscheidung wird die Meinung vertreten, dass die österreichische Regelung des § 10 Abs. 2 Z. 3 ApG die für einen Eingriff in die Niederlassungsfreiheit erforderlichen Voraussetzungen erfülle (was allerdings vom EuGH in dieser Form gerade nicht festgestellt wurde – vgl. näher oben, III.3.), sodass davon ausgehend die in dieser Bestimmung normierte Bedarfsprüfung lediglich in solchen Fällen nicht zum Tragen komme, in denen die neu beantragte Konzession deshalb erforderlich ist, um für die in bestimmten ländlichen und abgelegenen Gebieten wohnhafte Bevölkerung die zumutbare Erreichbarkeit einer Arzneimittelabgabestelle zu gewährleisten.

Beachte:

Das Erkenntnis wurde wegen Rechtswidrigkeit des Inhaltes aufgehoben.

VwGH vom 08.10.2014, Zl.: Ro 2014/10/0096, 0098-5