LVwG-750155/2/SR/KHU LVwG-750157/2/SR/KHU

Linz, 19.05.2014

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Christian Stierschneider über die Beschwerden von Herrn X sowie Herrn X, jeweils vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck vom 4. Februar 2014, GZ Sich40-42834 und GZ Sich40-42835-2013, mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich die quotenfreien Erstanträge auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gem § 43 Abs 3 NAG 2005 (aF) abgewiesen werden, den

B E S C H L U S S

gefasst:

 

I. Den Beschwerden wird insoweit stattgegeben, als der im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich ergangene Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck, vom 4. Februar 2014, GZ Sich40-42834 bis GZ Sich40-42835-2013 aufgehoben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zurückverwiesen wird.

 

II. Gegen diesen Beschluss ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG zulässig.

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             Mit Eingabe vom 4. Juli 2013 haben die beiden Bf bei der Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gem § 43 Abs 3 NAG zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iSd Art 8 EMRK gestellt.

 

Mit Bescheid vom 4. Februar 2014, GZen Sich40-42834 und Sich40-42835-2013, wies die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck die quotenfreien Erstanträge der Bf auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gem § 43 Abs 3 NAG 2005 (aF) im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich als unbegründet ab.

Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus, dass die beiden Bf im Besitz einer rechtskräftigen Ausweisungsentscheidung nach § 10 Abs 2 AsylG und am 4. März 2013 nach Tschechien abgeschoben worden seien. Dies stelle nach § 10 Abs 1 Z 3 NAG 2005 einen absoluten Versagungsgrund dar. Nach Darlegung der – wenngleich durch Angabe des § 11 NAG 2005 idgF nicht vollends einschlägigen – rechtlichen Grundlagen führte die Behörde in rechtlicher Hinsicht aus:

 

„Faktum ist, dass ihre beiden mj. Kinder, X, geb. X und X, geb. X, von der hs. Fremdenpolizeibehörde gemeinsam mit ihrer Mutter, X, geb. X, am 04.03.2013 erfolgreich am Landweg nach Tschechien abgeschoben worden sind, weil mit rechtskräftigem Erkenntnis des AsylGH vom 27.11.2011, ZI S2 417.215-1/2011/2E, aus dem Bundesgebiet der Republik Österreich nach Tschechien ausgewiesen worden sind und sowohl X als auch Ihre beiden mj Kinder nicht freiwillig das Bundesgebiet der Republik Österreich verlassen haben.

 

Gemäß § 75 Abs. 23 AsylG 2005 bleiben Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I. Nr. 87/2012, erlassen wurden, binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. oder 3. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012.

 

Somit steht fest, dass Ihre beiden mj. Kinder im Besitz einer rechtskräftigen Rückkehrentscheidung sind und dieser Umstand einen absoluten Versagungsgrund gemäß § 11 Abs. 1 Z 1 NAG 2005 dar. Eine freiwillige Ausreise ist nicht erfolgt.

 

Dies bedeutet, dass Ihren beiden mj. Kindern nach der Rechtslage vor dem 01.01.2014 gemäß § 43 Abs. 3 NAG 2005 kein Aufenthaltstitel erteilt werden kann, da die Rückkehrentscheidung dort ex lege als absoluter Erteilungshindernis gut. Auch wenn Ihre mj. Kinder einen quotenfreien Erstantrag gemäß § 41a Abs. 9 NAG 2005 gestellt hätten, hätte dieser ebenfalls aufgrund des absoluten Erteilungshindernis ex lege nicht erteilt werden können.

 

Auch die Prüfung nach § 11 Abs. 3 NAG 2005 ist aufgrund der rechtskräftigen Rückkehrentscheidung der Boden entzogen worden. Auch in diesem Fall ist es ex lege nicht möglich aufgrund des Art. 8 EMRK den Aufenthaltstitel zu erteilen.

 

Aus den angeführten Gründen steht fest, dass die Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Niederlassungsbewilligung‘ gemäß § 43 Abs, 3 NAG 2005 für lhre beiden mj. Kinder ex lege nicht möglich ist. Aus diesem Grund sind die quotenfreien Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Niederlassungsbewilligung‘ gemäß § 43 Abs. 3 NAG 2005 abzuweisen.

 

Daher hat eine weitere Prüfung der quotenfreien Erstanträge auf Erteilung eines Aufenthaltstitels ‚Niederlassungsbewilligung‘ gemäß § 43 Abs. 3 NAG 2005 zu unterbleiben, da dadurch der Sachverhalt nicht verändert werden kann.

 

In die gleiche Kerbe schlägt der VwGH mit seinem Erkenntnis vom 03.07.2007, ZI 2007/18/0336, das auszugsweise wie folgt lautet: Für eine Bedachtnahme darauf, ob bei der Anwendung dieses Versagungsgrundes allenfalls ein Eingriff in ein durch Art. 8 Abs. 1 MRK geschütztes Recht des Fremden aus den im Art. 8 Abs. 2 MRK genannten Gründen gerechtfertigt ist, besteht kein Raum, zumal § 11 Abs. 3 NAG eine Bedachtnahme auf Art. 8 MRK bei Vorliegen des genannten zwingenden Versagungsgrundes nicht vorsieht.

 

Faktum ist auch, dass Sie bereits Ihren sichtvermerkfreien Zeitraum bei weitem überschritten haben. Weder Sie noch Ihre gesamte Familie sind bereit, freiwillig das Bundesgebiet der Republik Österreich wieder zu verlassen. Im Gegenteil, Sie und Ihre Familie verharren hier in Österreich in einem illegalen Zustand und gefährden daher die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Fremdenwesens, enorm.“

 

Dagegen wurde von den Bf, vertreten durch ihren gesetzlichen Vertreter, mit Schreiben vom 3. März 2014 „Berufung“ – gemeint wohl: Beschwerde – an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich erhoben. Die Bezirkshauptmannschaft legte die Beschwerden samt Verfahrensakt mit Schreiben vom 20. März 2014 zur Entscheidung vor.

 

In der Beschwerdeschrift brachten die Bf nach Darlegung des bisherigen Verfahrensgangs im ggst. sowie auch in anderen behördlichen Verfahren insbesondere vor, dass eine Ausweisung und der damit verbundene Wohnungs- und Aufenthaltsortswechsel sowie der Verlust der Möglichkeit einer Schulausbildung in Österreich eine große Gefahr für das Kindeswohl darstellten. Der Mittelpunkt des Lebensinteresses liege nach über 4 Jahren Aufenthalt in Österreich, es bestehe eine hohe Intensität der familiären und anderen Bindung. Releviert wurde von den Bf insbesondere auch Art 8 Abs 1 EMRK.

 

 

II.         Rechtslage:

 

Gemäß § 81 Abs 23 NAG 2005 (idgF) sind Verfahren gemäß §§ 41a Abs 9 und 10, 43 Abs 3 und 4 sowie 69a Abs 1 Z 1 bis 3 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 87/2012, welche vor dem 1. Oktober 2013 bei der Behörde gemäß § 3 Abs 1 anhängig wurden und am 31. Dezember 2013 noch anhängig sind, auch nach Ablauf des 31. Dezember 2013 von der Behörde gemäß § 3 Abs 1 nach den Bestimmungen des Bundesgesetzes in der Fassung vor dem BGBl I Nr 87/2012 zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

1.   kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und

2.   dies gemäß § 11 Abs 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

 

§ 11 Abs 1 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 lautet:

„Aufenthaltstitel dürfen einem Fremden nicht erteilt werden, wenn

1.   gegen ihn eine durchsetzbare Rückkehrentscheidung gemäß § 52 FPG erlassen wurde oder ein aufrechtes Rückkehrverbot gemäß § 54 FPG oder ein aufrechtes Aufenthaltsverbot gemäß § 63 oder 67 FPG besteht;

2.   gegen ihn eine Rückführungsentscheidung eines anderen EWR-Staates oder der Schweiz besteht;

3.   gegen ihn eine durchsetzbare Ausweisung erlassen wurde und seit seiner Ausreise nicht bereits achtzehn Monate vergangen sind, sofern er nicht einen Antrag gemäß § 21 Abs. 1 eingebracht hat, nachdem er seiner Ausreiseverpflichtung freiwillig nachgekommen ist;

4.   eine Aufenthaltsehe, Aufenthaltspartnerschaft oder Aufenthaltsadoption (§ 30 Abs. 1 oder 2) vorliegt;

5.   eine Überschreitung der Dauer des erlaubten visumfreien oder visumpflichtigen Aufenthalts im Zusammenhang mit § 21 Abs. 6 vorliegt oder

6.   er in den letzten zwölf Monaten wegen Umgehung der Grenzkontrolle oder nicht rechtmäßiger Einreise in das Bundesgebiet rechtskräftig bestraft wurde.“

 

Gemäß § 75 Abs 23 AsylG 2005 (idgF) bleiben Ausweisungen, die gemäß § 10 in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I Nr 87/2012 erlassen wurden, binnen 18 Monaten ab einer Ausreise des Fremden aufrecht. Diese Ausweisungen gelten als aufenthaltsbeendende Maßnahmen gemäß dem 1. oder 3. Abschnitt des 8. Hauptstückes des FPG in der Fassung nach dem Bundesgesetz BGBl I Nr 87/2012.

 

Gemäß § 28 Abs 3 Satz 2 VwGVG kann das Verwaltungsgericht den angefochtenen Bescheid mit Beschluss aufheben und die Angelegenheit zur Erlassung eines neuen Bescheides an die Behörde zurückverweisen, wenn die Behörde die notwendigen Ermittlungen des Sachverhalts unterlassen hat. Die Behörde ist hiebei an die rechtliche Beurteilung gebunden, von welcher das Verwaltungsgericht bei seinem Beschluss ausgegangen ist.

 

 

III.           Die Behörde scheint aufgrund der Übergangsbestimmung des § 75 Abs 23 AsylG 2005 anzunehmen, dass die erfolgte Ausweisung nach dem AsylG einen absoluten Versagungsgrund iSd § 11 Abs 1 Z 1 NAG 2005 darstellt. Damit ist die Behörde jedoch nicht im Recht:

 

Nach den Übergangsbestimmungen des NAG 2005, in concreto der Bestimmung des § 81 Abs 23 NAG 2005, sind Verfahren, die vor dem 1. Oktober 2013 anhängig gemacht und noch nicht entschieden worden sind, nach den Bestimmungen des NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 zu entscheiden. Im ggst. Verfahren wurden die einleitenden Anträge am 4. Juli 2013 gestellt, sodass die Bf unter die Übergangsbestimmung des § 81 Abs 23 NAG 2005 fallen.

 

Als Rechtsgrundlage für die Entscheidung über den Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung ist daher § 11 Abs 1 NAG 2005 nicht in der geltenden Fassung, sondern in der Fassung vor BGBl I 87/2012 heranzuziehen. In dieser enthält § 11 Abs 1 NAG 2005 neben Z 1 (der sich auf durchsetzbare Rückkehrentscheidungen, ein aufrechtes Rückkehrverbot und ein aufrechtes Aufenthaltsverbot iSd FPG bezieht) u.a. eine Z 3, die auf durchsetzbare Ausweisungen Bezug nimmt.

 

Da der Gesetzgeber einerseits in § 81 Abs 23 NAG 2005 für „Altfälle“ die Anwendung der alten Rechtslage anordnet und andererseits § 75 Abs 23 AsylG 2005 mit BGBl I 144/2013 (bloß) deshalb eingefügt wurde, um „eine noch fehlende Übergangsbestimmung in Bezug auf die Neustrukturierung der Fremdenbehörden mit 1. Jänner 2014“ zu normieren (so AB 2548 BlgNr 24. GP 1), kann nicht davon ausgegangen werden, dass letztere de facto eine Veränderung der rechtlichen Situation für Altfälle im NAG herbeiführen sollte.

 

Dagegen spricht auch der Wortlaut des § 11 Abs 1 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012: Z 1 stellt darauf ab, ob Maßnahmen iSd FPG ggü. dem Antragsteller erlassen wurden bzw. bestehen. Da – wie die Behörde selbst ausführt – der AsylGH in seiner Entscheidung eine Ausweisung iSd AsylG erlassen hat, ist der Tatbestand der Z 1 nach dem Wortlaut des NAG 2005 aF nicht einschlägig. Vielmehr ist in so einem Fall Z 3 leg cit erfüllt, der auf eine ggü. dem Antragsteller erlassene Ausweisung abstellt. Da damit der ggst. Sachverhalt einer erfolgreichen Subsumtion unter einen der Tatbestände des § 11 Abs 1 NAG aF unterzogen werden konnte, ist ein Rückgriff auf die in § 75 Abs 23 AsylG 2005 normierte Übergangsbestimmung, die Ausweisungen als Maßnahmen iS näher spezifizierter Bestimmungen des FPG gelten lässt, von vornherein nicht mehr indiziert.

 

Nach der ständigen Rsp des VwGH stellt § 11 Abs 1 Z 3 keinen absoluten Versagungsgrund dar, sondern steht vielmehr einer Interessenabwägung nach § 11 Abs 3 oder der Erteilung humanitärer Aufenthaltstitel aus Art 8 EMRK nicht entgegen (vgl etwa nur VwGH 14.03.2013, Zl. 2012/22/0185; sowie VwGH 20.08.2013, Zl. 2012/22/0098).

 

Die Behörde hat sich in ihrem Bescheid jedoch fast ausschließlich mit dem von ihr angenommenen absoluten Versagungsgrund des § 11 Abs 1 Z 1 NAG 2005 auseinandergesetzt, nicht jedoch mit der für die Lösung des Sachverhaltes wesentlichen Frage des Art 8 EMRK (vgl. § 43 Abs 3 Z 2 NAG 2005 aF). Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich verweist die Sache daher gem § 28 Abs 3 S 2 VwGVG an die Bezirkshauptmannschaft Vöcklabruck zur Ermittlung des Sachverhaltes und Erlassung eines neuen Bescheides zurück. Die Behörde wird hierbei eine eingehende Prüfung des Privat- und Familienlebens der Bf vorzunehmen haben.

 

 

IV.          Es war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

V.            Zulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist zulässig, da im gegenständlichen Verfahren eine Rechtsfrage zu lösen war, der im Sinne des Art. 133 Abs 4 B-VG grundsätzliche Bedeutung zukommt, insbesondere weil eine Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zum Verhältnis der Bestimmungen des § 11 Abs 1 (aF) iVm § 81 Abs 23 NAG 2005 zu jener des § 75 Abs 23 AsylG 2005 fehlt.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen diesen Beschluss besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer ordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Mag. Christian Stierschneider