LVwG-750087/2/MB/KHU

Linz, 11.08.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde von Frau X, geb. am X, StA von Armenien, vertreten durch RA X, gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 29. Mai 2013, GZ Sich43-316-2013, mit dem im Namen des Landeshauptmannes von Oberösterreich der quotenfreie Erstantrag auf Erteilung einer „Niederlassungsbewilligung“ abgewiesen wurde,

 

zu Recht   e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs 1 und 2 VwGVG iVm § 43 Abs 3 NAG 2005 idF vor BGBl I 87/2012 wird der Beschwerde stattgegeben und der Beschwerdeführerin der Aufenthaltstitel „Niederlassungsbewilligung“ für zwölf Monate erteilt.

 

II.       Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.             1. Die Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) stellte am 30. Jänner 2012 den Erstantrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung gem § 43 Abs 3 NAG 2005 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens iS Art 8 EMRK.

 

2. Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Linz-Land vom 29. Mai 2013,
GZ Sich43-316-2013, wurde der Antrag der Bf aufgrund der Ermächtigung des Landeshauptmannes von Oberösterreich (LGBl 127/2005) gem § 43 Abs 3 NAG 2005 aF als unbegründet abgewiesen. Begründend führte die Behörde im Wesentlichen aus:

 

„Aus Ihrem Versicherungsdatenauszug ist ersichtlich, dass Sie hier im Bundesgebiet der Republik Österreich nie einer legalen Beschäftigung nachgegangen sind. Sie befinden sich nach wie vor in der Grundversorgung des Landes OÖ. Sie sind nicht im Besitz einer gültigen Krankenversicherung und einer eigenen Wohnung. Sie haben kein eigenes Einkommen. Aus diesem Grund sind Sie als völlig mittellos anzusehen.

 

Sie halten sich nunmehr seit 27.02.2006 in Österreich auf und haben in dieser Zeit nie versucht, eine Beschäftigung aufzunehmen. Diesbezüglich merkt die hs. Niederlassungsbehörde an, dass Sie mit nachweislichem Schreiben vom 04.04.2013 zur schriftlichen Stellungnahme betreffend der Abweisung Ihres Antrages aufgefordert worden sind. Ihre schriftliche Stellungnahme ist am 22.04.2013 bei der hs. Niederlassungsbehörde eingelangt. In dieser Stellungnahme haben Sie angeführt, dass Sie bereits 63 Jahre alt gewesen sind und man davon ausgehen könnte, dass eine Integration am Arbeitsmarkt nicht gelingen wird. Dazu merkt die hs. Behörde an, dass Sie bei der Einreise nach Österreich im Alter von 56 Jahren waren und in diesem Alter durchaus noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen hätten können. Es ist unverständlich, dass Sie nicht versucht haben, im Bereich der Gastronomie oder der Forst- und Landwirtschaft zu arbeiten. Dies hätte nämlich gezeigt, dass Sie gewillt sind, sich beruflich in Österreich zu integrieren.

 

Zu Ihrer sprachlichen Integration wird angeführt, dass Sie während Ihres über 7 Jahre andauernden Aufenthaltes in Österreich keinerlei Deutschkurse besucht haben. Erst jetzt haben Sie sich angeblich für einen Deutschkurs angemeldet, wobei der hs. Niederlassungsbehörde kein Nachweis über eine abgelegte Prüfung vorliegt.

Es liegen der hs. Niederlassungsbehörde keine Unterstützungsschreiben vor, die eine gewisse soziale Integration bestätigen könnten, indem sich Menschen für Ihren Verbleib in Österreich einsetzen.

 

Von der hs. Niederlassungsbehörde wird festgestellt, dass Sie nicht in der Lage sind für Ihren Unterhalt aufzukommen, ohne dafür Sozialleistungen einer öffentlichen Gebietskörperschaft in Anspruch zu nehmen. Sie sind nicht im Besitz einer eigenen gültigen Krankenversicherung. Sie besitzen auch keine eigene Wohnung. Sie befinden sich nach wie vor in der Grundversorgung des Landes OÖ.

 

Zu Ihrem Privat- und Familienleben wird nachstehendes festgestellt:

 

Sie sind am 27.02.2006 illegal in das Bundesgebiet der Republik Österreich eingereist und haben in weiterer Folge einen Antrag auf internationalen Schutz gestellt, der mit Bescheid des Bundesasylamtes Außenstelle X, ZI. 06 02.394, vom 23,11.2006, rechtskräftig negativ beschieden worden ist. Gegen diesen Bescheid haben Sie fristgerecht die Berufung bzw. Beschwerde erhoben. Mit Erkenntnis des Asylgerichtshofs vom 20.12.2011 ist Ihrer Beschwerde keine Folge gegeben und Ihre Ausweisung nach Armenien bestätigt worden. Seit dem 09.01.2012 halten Sie sich illegal hier im Bundesgebiet der Republik Österreich auf.

 

Fest steht, dass Sie im Alter von 57 Jahren nach Österreich illegal eingereist sind, Sie sprechen Ihre Heimatsprache und sind mit den Sitten und Gebräuchen Ihres Heimatstaates vertraut. Ihre Schul- und Berufsausbildung haben Sie ebenfalls in Ihrem Heimatstaat absolviert.

Wie bereits erwähnt, sind Sie als mittellos anzusehen, Sie sind nicht selbst erhaltungsfähig. Sie befinden sich nach wie vor in der Grundversorgung des Landes , Sie besitzen weder eine eigene Wohnung, eigenes Einkommen noch eine eigene Krankenversicherung. Aus Ihrem Verwaltungsakt ist auch nicht ersichtlich, dass Sie während Ihres Asylverfahren jemals einen Antrag auf Erteilung einer Beschäftigungsbewilligung gestellt haben. Im Bereich des Gastgewerbes oder im Bereich der Forst- und Landwirtschaft hätten Sie als Asylwerber arbeiten dürfen.

 

Sie geben in Ihrer schriftlichen Stellungnahme an, dass Sie im gemeinsamen Familienverband mit Ihrem volljährigen Sohn, der Schwiegertochter und den beiden Enkelkindern leben und im Heimatstaat keine lebenden Verwandten mehr hätten. Auch im Falle Ihres Sohnes und deren Familie liegt ein illegaler Aufenthalt im Österreich vor und ist beabsichtigt, auch deren Antrag auf Erteilung einer "Niederlassungsbewilligung" abzuweisen. Somit werden Sie bei Heimreise nicht von der Familie Ihres Sohnes getrennt.

Weiters wird von der hs. Niederlassungsbehörde festgestellt, dass es sich bei der Familie Ihres Sohnes nicht um die "Kernfamilie" handelt, da Ihr Sohn bereits volljährig ist.

 

Auch ist über eine Aufenthaltsdauer von mehr als 7 Jahren keine sprachliche Integration gegeben. Sie haben während dieser Zeit keinerlei Deutschkurse besucht und keine Prüfung abgelegt. In Ihrer Stellungnahme führen Sie an, dass es Ihnen aufgrund Ihres fortgeschrittenen Alters nicht leicht fällt, die deutsche Sprache zu erlernen. Hiezu wird von der hs. Niederlassungsbehörde angemerkt, dass Sie über 7 Jahre Zeit hatten, eine Deutschprüfung abzulegen und Sie bei der Einreise nach Österreich erst 57 Jahre alt waren. Dies stellt daher keinen Hindernisgrund dar.

 

Strafrechtlich sind Sie unbescholten.

 

Faktum ist, dass Sie sich Ihres unsicheren Aufenthaltes hier in Österreich nachweislich seit dem 23.11.2006 bewusst gewesen sind.

 

Nach Prüfung Ihres Privat- und Familienlebens kommt die hs. Niederlassungsbehörde zum Ergebnis, dass die Abweisung ihres quotenfreien Erstantrag auf Erteilung eines Aufenthaltstitels "Niederlassungsbewilligung" gemäß § 43 Abs. 3 NAG 2005 keinen unverhältnismäßigen Eingriff in Ihr Privat- und Familienleben darstellt. Ihre Integration hat noch keinen derartigen hohen Stellenwert erreicht, die notwendig für die Erteilung eines Aufenthaltstitels gewesen wäre. Dieser Umstand wird dadurch verdeutlicht, dass Sie es in der Zeit Ihres Asylverfahrens nicht geschafft haben sich sprachlich und auch beruflich entsprechend zu integrieren. In dieser Zeit waren Sie nicht gewillt, entsprechende Integrationsschritte zu setzen. Dies bedeutet, dass Sie bei Ihrer

Antragsstellung im NAG-Verfahren keine entsprechende Dokumente vorlegen haben können, die Ihre Integration hier in Österreich bewiesen hätte.“

 

3. Gegen diesen Bescheid wurde mit Schriftsatz vom 26. Juni 2013 Berufung erhoben. Darin wurde vorgebracht, dass die Bf im Alter von 56 Jahren nach Österreich gekommen und es ohne Vorbildung besonders schwierig sei, einen Arbeitsplatz zu finden. Eine Frau im Alter der Bf sei auch körperlich nicht mehr in der Lage, etwa in der Landwirtschaft zu arbeiten. Hinzu komme, dass die Bf bei der Einreise kein Deutsch gesprochen habe und der Arbeitsmarkt für ältere Personen generell sehr schwierig sei. Es sei somit nicht argumentierbar, wieso sich die ggst. Abweisung vor allem auf die fehlende berufliche Integration stütze. Die Bf sei im Zuge ihrer Familie – nämlich ihres Sohnes, seiner Gattin und den beiden Enkelkindern – nach Österreich gekommen und lebe im Familienverband. Ein eigenständiges neues Leben sei unter diesen Umständen nie geplant gewesen, weil sie auf den familiären Rückhalt durch ihren Sohn zählen durfte.

 

Die fehlenden Deutschkurse wurden von der Bf eingeräumt, jedoch Besserung gelobt.

 

Beanstandet wurde hingegen, dass sich die Behörde nicht damit auseinandergesetzt habe, dass die Bf keine Verwandten in ihrem Heimatstaat mehr habe. Die Bf wäre dort völlig auf sich alleine gestellt und in ihrer Existenz bedroht. Die Versorgung mit dem Nötigsten – Wohnung, Nahrung, Medikamente, Kleidung, etc. – sei nicht gewährleistet.

 

Bemerkt wurde weiters, dass sich die Behörde mit einem Hinweis auf die geplante Abschiebung des Sohnes begnügt, dass aber etwa der AsylGH ihm und seiner Familie gegenüber keine Ausweisungsentscheidungen erlassen habe. Deren Anträge auf Aufenthaltstitel seien noch nicht abgeschlossen und es spreche aus Sicht der Bf einiges für die positive Erledigung.

 

Im ggst. Fall gehe es um die Wahrung der Familieneinheit und es ließe sich nicht mit Art 8 EMRK vereinbaren, bliebe der Rest der Familie in Österreich und nur die Bf würde abgeschoben. Schließlich sei in rechtlicher Hinsicht von der Behörde mit einer Zurückweisung vorzugehen gewesen, wenn sie annimmt, dass sich der Sachverhalt seit der Entscheidung des AsylGH nicht wesentlich geändert habe.

 

Die Bf beantragte, den ggst. Bescheid so abzuändern, dass dem Erstantrag auf Erteilung des Aufenthaltstitels „Niederlassungsbewilligung“ stattgegeben wird, in eventu den angefochtenen Bescheid zu beheben und zur neuerlichen Verhandlung und Entscheidung an die Erstinstanz zurückzuverweisen.

 

4. Mit 1. Jänner 2014 trat die Verwaltungsgerichtsbarkeitsnovelle 2012 in Kraft. Berufungen gelten gem § 3 VwGbK-ÜG als rechtzeitig erhobene Beschwerden an das zuständige Verwaltungsgericht. Mit Schreiben vom 22. Jänner 2014, beim Oö. LVwG eingelangt am 27. Jänner 2014, legte das Bundesministerium für Inneres die ggst. Beschwerden sowie die zugrundeliegenden Verfahrensakten dem Oö. LVwG vor.

 

5. Auf die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte gem § 24 Abs 4 VwGVG verzichtet werden, da sich der entscheidungserhebliche Sachverhalt aus den Feststellungen der belangten Behörde sowie dem Beschwerdevorbringen ergibt und eine weitere Klärung der Rechtssache durch eine mündliche Verhandlung nicht zu erwarten war.

 

 

II.            1. Das Oö. LVwG geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Die Bf reiste im Februar 2006 nach Österreich ein und stellte einen Antrag auf internationalen Schutz, der von der Erstbehörde abgewiesen wurde. Mit Erk des AsylGH vom 20. Dezember 2011 wurde ihre dagegen erhobene Beschwerde abgewiesen und die Ausweisung nach Armenien verfügt. Die Bf stellte am
30. Jänner 2012 den ggst. Erstantrag auf Erteilung einer „Niederlassungs­bewilligung“.

 

Die Bf reiste im Alter von 56 Jahren nach Österreich ein und hält sich seitdem in Österreich auf. Sie lebt im Familienverband mit ihrem Sohn sowie dessen Frau und Kindern. Die Bf ist während ihres Aufenthaltes in Österreich keinen beruflichen Tätigkeiten nachgegangen und spricht wenig Deutsch. Die Bf wurde im Dezember 2013 wegen der Behinderung des Nachschauhaltens in Behältnissen verwaltungsstrafrechtlich bestraft. Sie hat eine Schwester und allenfalls entfernte Verwandte in Armenien, insbes. ist ihr Ehemann vor ihrer Einreise nach Österreich verstorben. Die Bf ist heute 64 Jahre alt. Sie leidet u.a. an Bluthochdruck und Epilepsie.

 

2. Der festgestellte Sachverhalt ergab sich widerspruchsfrei aus dem Verfahrensakt.

 

 

III.           Gemäß § 81 Abs 26 NAG 2005 idgF sind alle mit Ablauf des
31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl I 87/2012 (in der Folge: NAG 2005 aF) zu Ende zu führen.

 

Gemäß § 43 Abs 3 NAG 2005 aF ist im Bundesgebiet aufhältigen Drittstaatsangehörigen von Amts wegen (§ 44a) oder auf begründeten Antrag (§ 44b), der bei der örtlich zuständigen Behörde im Inland einzubringen ist, eine „Niederlassungsbewilligung“ zu erteilen, wenn

  1. kein Erteilungshindernis gemäß § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 vorliegt und
  2. dies gemäß § 11 Abs 3 zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK geboten ist.

 

Ein Aufenthaltstitel kann gem § 11 Abs 3 NAG 2005 aF trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl Nr 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1.   die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2.   das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3.   die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4.   der Grad der Integration;

5.   die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6.   die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7.   Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8.   die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9.   die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

 

IV.          Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

 

Gem § 43 Abs 3 NAG 2005 aF werden das Nichtvorliegen von Erteilungshindernissen gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 und 4 sowie die Erforderlichkeit der Erteilung des Aufenthaltstitels gem Art 8 EMRK als Erteilungskriterien vorausgesetzt.

 

1. Es sprechen keine Erteilungshindernisse gem § 11 Abs 1 Z 1, 2 oder 4 NAG 2005 aF gegen die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels: Zwar wurde die Bf vom AsylGH in ihren Herkunftsstaat ausgewiesen (iSd § 11 Abs 1 Z 3), jedoch stellt eine solche Ausweisung keinen relevanten Verweigerungsgrund für den ggst. Aufenthaltstitel dar.

 

2. In Bezug auf das Privat- und Familienleben nach Art 8 EMRK:

 

Die Bf hält sich seit nunmehr 8 1/2 Jahren in Österreich auf und lebt gemeinsam mit ihrem Sohn sowie dessen Frau und Kindern im Familienverband. Die Notwendigkeit der Erteilung eines Aufenthaltstitels kann sich daher insbes. aus dem Blickwinkel des Familienlebens ergeben:

 

Ob auch außerhalb der Kernfamilie (Ehegatte und minderjährige Kinder) ein Familienleben iS von Art 8 EMRK vorliegt, ist nach der stRsp des VwGH sowie des EGMR anhand der jeweils konkreten Umstände zu ermitteln, wobei für die Prüfung einer hinreichend stark ausgeprägten persönlichen Nahebeziehung auch die Intensität und Dauer des Zusammenlebens in Betracht zu ziehen ist. Familiäre Beziehungen unter Erwachsenen fallen demnach dann unter den Schutz des Familienlebens iS des Art 8 EMRK, wenn zusätzliche Merkmale der Abhängigkeit hinzutreten, die über die üblichen Bindungen hinausgehen (vgl etwa nur VwGH 19.02.2014, Zl. 2013/22/0037 mwN.). Aber auch wenn eine derart enge Bindung nicht bestehen sollte, ist die Beziehung zwischen Eltern und erwachsenen Kindern iS des Art 8 EMRK schutzwürdig, nämlich unter dem Titel des Privatlebens (vgl etwa VwGH 21.04.2011, Zl. 2011/01/0093 mwN.)

 

Im ggst. Verfahren ist zunächst festzuhalten, dass die Bf unmittelbar nach ihrer Ankunft in Österreich bei ihrem Sohn einzog – so weist sie seit 16. März 2006 dieselbe Meldeadresse auf wie ihr Sohn. Die Bf lebt somit seit beinahe
8 1/2 Jahren bei ihrem Sohn sowie dessen Ehefrau und Kindern. Es erscheint damit glaubhaft und nachvollziehbar, dass die Bf in erster Linie wegen des familiären Rückhalts bzw. der Nähe zu engen Bezugspersonen nach Österreich einreiste.

 

Hinzu kommt, dass die Bf mittlerweile ein Alter von 64 Jahren erreicht hat, was bspw. eine deutliche Überschreitung des Regelpensionsalters für Frauen in Österreich bedeutet. Es muss daher davon ausgegangen werden, dass die Bf weder in Österreich noch in ihrem Herkunftsstaat ihren Unterhalt durch eigene Erwerbstätigkeit bestreiten wird können.

 

Zur Situation in ihrem Herkunftsstaat ist festzustellen, dass der Ehemann der Bf seit mittlerweile einigen Jahren verstorben ist und die Bf als nahe Verwandte nur mehr eine ungefähr gleichaltrige Schwester im Herkunftsstaat hat. Es erscheint damit nicht gesichert, dass die Bf dort langfristig eine derartige Hilfeleistung erhalten wird, die es ihr ermöglichen würde, ein Leben in Armenien wieder aufzubauen bzw. erhalten zu können. Dabei ist nämlich insbesondere zu berücksichtigen, dass Personen mit fortschreitendem Alter üblicherweise mehr Unterstützung benötigen – etwa bei der Verrichtung von Arbeiten, bei der Haushaltsführung, bei Erledigungen, etc.bzw. überhaupt einer umfassenden Betreuung und Pflege bedürfen, womit sich im Alter die Abhängigkeit von nahen Angehörigen – insbes. den eigenen Kindern – verdichtet.

 

Damit besteht in der Tat eine sehr enge Bindung der Bf an ihren in Österreich aufhältigen Sohn sowie dessen Familie, die über eine übliche Bindung von zwei erwachsenen Angehörigen hinausgeht. Dem damit bestehenden Familienleben ist in der konkreten Situation der Bf ein hohes Gewicht beizumessen.

 

Demgegenüber ist einzuräumen, dass an der Einhaltung fremdenrechtlicher Vorschriften ein sehr gewichtiges öffentliches Interesse besteht, das es einem Fremden etwa gebietet, Ausreiseverpflichtungen nachzukommen (vgl etwa nur VwGH 22.01.2014, Zl. 2012/22/0245). Auch die von der Behörde festgestellte mangelnde berufliche Integration der Bf ist nicht völlig von der Hand zu weisen. Dennoch relativiert sich der gegen die Bf erhobene Vorwurf, wenn man berücksichtigt, dass die Bf nur wenige Jahre vor dem Erreichen des Regelpensionsantrittsalters nach Österreich einreiste sowie aufgrund ihres damaligen Aufenthaltsstatus als Asylwerberin die Möglichkeiten, Arbeit anzunehmen, begrenzt waren. Hinzu kommt, dass auch nicht angenommen werden kann, dass eine Person im Alter der Bf beliebig schwere körperliche Arbeiten verrichten könnte. Des Weiteren war zu berücksichtigen, dass die Ausweisungsentscheidung auch von Seiten der Behörden nie effektuiert werden konnte und sich soziale Bindungen mit dem Verlauf der Zeit immer weiter verfestigen.

 

Im Ergebnis ist somit zu konstatieren, dass dem Interesse der Bf an einem Verbleib in Österreich dem öffentlichen Interesse an einem geordneten Fremdenwesen im Rahmen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung iS des Art 8 EMRK ein höheres Gewicht beizumessen ist. Die Erteilung eines Aufenthaltstitels an die Bf ist unter diesen Umständen aufgrund von Art 8 EMRK geboten.

 

 

V.           Da sämtliche Voraussetzungen des § 43 Abs 3 NAG 2005 aF erfüllt sind, war der angefochtene Bescheid aufzuheben und der Bf der begehrte Aufenthaltstitel zu erteilen. Die Gültigkeitsdauer des Aufenthaltstitels von zwölf Monaten ergibt sich aus § 20 Abs 1 NAG 2005. Die belangte Behörde hat den hiermit erteilten Aufenthaltstitel in Form einer Karte gemäß § 1 NAG‑DV an die Bf im Inland auszufolgen. Bei Ausfolgung des Aufenthaltstitels ist die Bf gemäß § 19 Abs 7 letzter Satz NAG 2005 über die Vorschriften im Verfahren zur Verlängerung eines Aufenthaltstitels zu belehren. Die Bf wird darauf hingewiesen, dass Aufenthaltstitel gemäß § 19 Abs 7 NAG 2005 nur persönlich ausgefolgt werden dürfen.

 

 

VI.          Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter