LVwG-650035/31/Sch/Bb/HK

Linz, 23.09.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Schön über die Beschwerde (vormals Berufung) des M H, geb. x, vertreten durch Rechtsanwälte H – N, G in B, vom 28. November 2013 gegen den Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 26. November 2013, GZ VerkR21-356-2013, betreffend Entziehung der tschechischen Lenkberechtigung für die Klassen AM, A1, A2, A und B gemäß § 30 Abs. 2 vierter und fünfter Satz FSG, nach Durchführung von öffentlichen mündlichen Verhandlungen am 14. Jänner 2014 und am 21. August 2014,

 

zu Recht  e r k a n n t :

 

 

I.          Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird die Beschwerde als unbegründet abgewiesen und der in Beschwerde gezogene behördliche Bescheid mit der Maßgabe bestätigt, dass dem Beschwerdeführer die erteilte tschechische Lenkberechtigung für die Klassen AM, A1, A2, A und B nach der Norm des § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG entzogen wird.

 

II.         Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

 

 

 

 

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

I.1.) Mit Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 26. November 2013, GZ VerkR21-356-2013, wurde M H (dem nunmehrigen Beschwerdeführer) gemäß §§ 7, 24 Abs. 1 Z 1, 25 Abs. 1, 29 und 30 Abs. 2 vierter und fünfter Satz FSG die ihm in T von der „M Z“ unter GZ ER 799495 erteilte Lenkberechtigung der Führerscheinklassen AM (Motorfahrräder, vierrädrige Leichtkraftfahrzeuge), A1, A2, A und B, gerechnet ab Zustellung des vorangegangenen Mandatsbescheides bis zur Absolvierung der im Bescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 18. Jänner 2010,        GZ VerkR21-7-2010-Kla, angeordneten Nachschulung für alkoholauffällige Kraftfahrzeuglenker, der Beibringung eines von einem Amtsarzt erstellten Gutachtens gemäß § 8 FSG sowie einer verkehrspsychologischen Stellungnahme, entzogen.

Einer Berufung gegen diesen Bescheid wurde gemäß § 64 Abs. 2 AVG die aufschiebende Wirkung aberkannt.

 

Die Entziehung der tschechischen Lenkberechtigung wurde im Wesentlichen mit der Entscheidung des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 5. November 2013, GZ VwSen-420811/5/Zo/AK, und der Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes, wonach die Entziehung der Lenkberechtigung solange nicht ende, bis der Betroffene die rechtskräftig mit Bescheid angeordneten begleitenden Maßnahmen absolviert habe, begründet.

 

I.2.) Gegen diesen Bescheid – zugestellt am 27. November 2013 - erhob der Beschwerdeführer durch seinen ausgewiesenen Rechtsvertreter innerhalb offener Frist die Berufung vom 28. November 2013, mit der die Aufhebung des Ausspruches der Aberkennung der aufschiebenden Wirkung, die Anberaumung einer mündlichen Verhandlung und die Einholung einer Vorabentscheidung beim Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaft (EuGH) zur Auslegung des Art. 2 Abs. 1 und Art. 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006 beantragt wurde.

 

Diese Berufung ist mit Wirksamkeit 1. Jänner 2014 gemäß § 3 Abs. 1 letzter Satz VwGbK-ÜG als Beschwerde im Sinne des Art. 130 Abs. 1 Z 1 B-VG und der Berufungswerber als Beschwerdeführer anzusehen.

 

Der Beschwerdeführer wendet sich in seinem Rechtsmittel gegen die Entziehung der ihm in T erteilten Lenkberechtigung durch die belangte Behörde. Er vertritt im Wesentlichen die Rechtsansicht, dass diese Entziehung geltendem EU-Recht, insbesondere den Bestimmungen der Führerscheinrichtlinie, welche unter anderem die gegenseitige Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine ohne jede Formalität vorsehe, und der Rechtsprechung des EuGH, widerspreche.

 

I.3.) Die Bezirkshauptmannschaft Freistadt hat die Beschwerde (Berufung) unter Anschluss des bezughabenden Verwaltungsaktes mit Vorlageschreiben vom 2. Dezember 2013, GZ VerkR21-356-2013, ohne Berufungsvorentscheidung dem Unabhängigen Verwaltungssenat des Landes Oberösterreich vorgelegt. Damit ergab sich die Zuständigkeit des Unabhängigen Verwaltungssenates (seit 1. Jänner 2014 nunmehr des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich) zur Entscheidungsfindung (vgl. § 3 Abs. 7 VwGbk-ÜG). Gemäß § 3 Abs. 7 Z 2 VwGbk-ÜG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

 

I.4.) Der Antrag des Beschwerdeführers auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde zunächst mit Erkenntnis des Unabhängigen Verwaltungssenates des Landes Oberösterreich vom 10. Dezember 2013, GZ VwSen-523611/5/Sch/Bb/SA, abgewiesen.

 

I.4.1) Mit Erkenntnis vom 21. Jänner 2014, GZ LVwG-650035/5/Sch/Bb/SA, war seitens des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich nach Akteneinsichtnahme und Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung am 14. Jänner 2014 auch die Beschwerde gegen den Entziehungsbescheid vom 26. November 2013 als unbegründet abgewiesen worden.

Begründend hatte das Landesverwaltungsgericht unter Hinweis auf das Judikat des Verwaltungsgerichtshofes vom 20. Februar 2013, 2013/11/0013, im Wesentlichen ausgeführt, dass die Entziehung der Lenkberechtigung nicht ende, solange die behördlich angeordneten Maßnahmen nicht absolviert wurden. Im Zeitpunkt der Ausstellung des tschechischen Führerscheins sei die mit Bescheid vom 18. Jänner 2010 ausgesprochene Entziehung der Lenkberechtigung mangels Absolvierung der vorgeschriebenen führerscheinrechtlichen Maßnahmen noch aufrecht gewesen und der Beschwerdeführer nach wie vor als verkehrsunzuverlässig anzusehen gewesen. Da die tschechische Lenkberechtigung während der noch andauernden Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung ausgestellt worden sei, sei die belangte Behörde verpflichtet gewesen, die Anerkennung der in T ausgestellten Lenkberechtigung abzulehnen.

 

I.5.) Gegen diese Beschwerdeentscheidung hat der Beschwerdeführer anwaltlich vertreten Revision beim Verwaltungsgerichtshof erhoben.

Dieser hat mit Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Ra 2014/11/0002, das angefochtene Erkenntnis wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

Zur Begründung seiner Entscheidung führte der Verwaltungsgerichtshof im erwähnten Erkenntnis folgendes aus (auszugsweise Wiedergabe):

„Festzuhalten ist zunächst, dass sich das Verwaltungsgericht, wie der bestätigte Entziehungsausspruch und die Entscheidungsbegründung zeigt, nicht auf § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG gestützt hat, wonach eine Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR Staates auszusprechen ist, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem die Person in Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1 FSG) in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat des Führerscheines hatte.

Das Verwaltungsgericht stützt sein Erkenntnis vielmehr auf § 30 Abs. 2 vierter und fünfter Satz FSG. [...]

Wie das Verwaltungsgericht zutreffend erkannt hat, endet, wenn aus Anlass einer Entziehung vorgeschriebene begleitende Maßnahmen nicht absolviert bzw. Anordnungen wie z. B. derjenigen der Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens über die gesundheitliche Eignung nicht befolgt würden, gemäß § 24 Abs. 3 sechster Satz FSG die Entziehungsdauer nicht vor Befolgung dieser Anordnungen (vgl.  u.a. das hg. Erkenntnis vom 20. Februar 2013, Zl. 2013/11/0013).

Allerdings erlischt gemäß § 27 Abs. 1 Z 1 FSG eine Lenkberechtigung nach Ablauf einer Entziehungsdauer von mehr als 18 Monaten. Da der Revisionswerber unstrittig die im Entziehungsbescheid vom 18. Jänner 2010 unter einem angeordneten begleitenden Maßnahmen bzw. Aufforderungen nicht befolgt hat, ist seine österreichische Lenkberechtigung für die Klasse B, die ihm mit Wirkung vom 6. Jänner 2010 entzogen worden war, bereits am 7. Juli 2011 erloschen.

 

§ 30 Abs. 2 fünfter Satz FSG erlaubt die Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung nur "bis zu jenem Zeitpunkt ..., zu dem die bereits angeordnete Entziehungsdauer endet". Da das Ende der angeordneten "Entziehungsdauer" die Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung zeitlich begrenzt, ist davon auszugehen, dass eine auf § 30 Abs. 2 vierter und fünfter Satz FSG gestützte Entziehung einer ausländischen Lenkberechtigung jedenfalls nicht mehr zulässig ist, wenn die österreichische Lenkberechtigung bereits erloschen ist, weil eine Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung nur für die verbleibende Dauer der aufrechten Entziehung der österreichischen Lenkberechtigung vorgesehen ist. Ein Anhaltspunkt dafür, dass die Entziehung der ausländischen Lenkberechtigung auch rückwirkend ausgesprochen werden kann, ist weder dem Wortlaut noch den Gesetzesmaterialien (vgl. RV 230 Blg. NR 23. GP, 5, zur Novelle BGBl. I Nr. 31/2008, und 1203 Blg. NR 24. GP, 12, zur Novelle BGBl. I Nr. 61/2011) zu entnehmen.“

 

I.6.) Gemäß § 42 Abs. 3 VwGG tritt die Rechtssache durch die Aufhebung des angefochtenen Erkenntnisses des Verwaltungsgerichtes in die Lage zurück, in der sie sich vor Erlassung des angefochtenen Erkenntnisses befunden hat.

I.7.) Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat nach Aufhebung seiner Beschwerdeentscheidung vom 21. Jänner 2014, GZ LVwG-650035/5/Sch/Bb/Sa, durch den Verwaltungsgerichtshof neuerlich Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den Akt der belangten Behörde, das erwähnte Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 2014 und Durchführung einer weiteren öffentlichen mündlichen Verhandlung am 21. August 2014, zu welcher die Verfahrensparteien geladen wurden und der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers und ein Vertreter der belangten Behörde erschienen sind und zum Sachverhalt gehört und befragt wurden. Der Beschwerdeführer selbst hat an der Verhandlung entschuldigt nicht teilgenommen.

 

I.7.1) Aufgrund der Aktenlage und der durchgeführten Beweisverfahren im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlungen steht für das                   OÖ. Landesverwaltungsgericht folgender Sachverhalt als entscheidungswesentlich fest:

 

Dem am x in L geborenen Beschwerdeführer wurde aufgrund der Begehung eines Alkoholdeliktes im Straßenverkehr (festgestellte Atemluftalkoholkonzentration 1,02 mg/l) mit rechtskräftigem Mandatsbescheid der Bezirkshauptmannschaft Freistadt vom 18. Jänner 2010, GZ VerkR21-7-2010-Kla, seine österreichische Lenkberechtigung der Klasse B für die Dauer von 12 Monaten, bis einschließlich 6. Jänner 2011, entzogen. Überdies wurde er zur Absolvierung begleitender führerscheinrechtlicher Maßnahmen verpflichtet. Diese Maßnahmen, und zwar die Nachschulung für alkoholauffällige Lenker, die Beibringung eines amtsärztlichen Gutachtens gemäß § 8 FSG und einer verkehrspsychologischen Stellungnahme hat der Beschwerdeführer bislang – in unbestrittener Weise – nicht oder nur zum Teil absolviert bzw. erfüllt, in der Beschwerdeverhandlung vom 21. August 2014 wurde die Absolvierung der Nachschulung behauptet.

 

Am 9. Februar 2011 wurde dem Beschwerdeführer in T von der „M Z“ zu GZ EF 799495 eine Lenkberechtigung für die Führerscheinklasse B, am 11. Mai 2011 für die Klasse A erteilt. Im Rahmen einer polizeilichen Lenker- und Fahrzeugkontrolle am 25. Februar 2013 wies der Beschwerdeführer den amtshandelnden Polizeibeamten den darüber ausgestellten tschechischen Führerschein vor.

 

Laut dem Zentralen Melderegister ist der Beschwerdeführer österreichischer Staatsbürger und hat seinen Hauptwohnsitz seit 30. März 2001 ununterbrochen in Österreich. Eine Unterbrechung bzw. Abmeldung des Wohnsitzes scheint im Melderegister nicht auf und wurde auch nicht behauptet. Darüber hinaus war der Beschwerdeführer laut Versicherungsdatenauszug der österreichischen Sozialversicherung vom 24. Jänner 2014 im Zeitraum von 1. Jänner 2011 bis 20. Dezember 2013 als Arbeiter bei der Firma M M GmbH in G beschäftigt. Seit 18. Jänner 2014 bis zumindest zur Erstellung des Versicherungsdatenauszuges am 24. Jänner 2014 war er beim Arbeitsmarktservice R arbeitslos gemeldet.

 

I.7.2) Anlässlich der mündlichen Verhandlung am 21. August 2014 beantragte der Rechtsvertreter des Beschwerdeführers neuerlich die Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung der gegenständlichen Beschwerde und verwies auf die Rechtsprechung des EuGH, wonach der Besitz eines von einem Mitgliedstaat ausgestellten Führerscheines der Beweis dafür sei, dass ein Inhaber alle Ausstellungsvoraussetzungen am Tag der Ausstellung erfülle. Hinsichtlich des Wohnsitzes habe der Gerichtshof in mehreren Urteilen, zuletzt im Urteil „A“ vom 1. März 2012 dargelegt, dass nur dann, wenn sich aufgrund von unbestreitbaren, von den Behörden des Ausstellungsstaates stammenden Informationen Zweifel an der Erfüllung des Wohnsitzerfordernis ergeben, anhand dieser Beweismittel die Frage vom Aufnahmemitgliedsstaat beurteilt werden dürfe.

 

Befragt über den Wohnsitz des Beschwerdeführers während des Erwerbes des tschechischen Führerscheines erläuterte der Rechtsvertreter, dass sich aufgrund der dargestellten Judikatur des EuGH jede Erörterung der näheren Lebensumstände des Beschwerdeführers im Hinblick auf Arbeitsverhältnisse und private Verhältnisse in Zusammenhang mit der Dauer eines Aufenthaltes in T erübrige. § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG widerspreche dem Unionsrecht und sei aufgrund des Anwendungsvorranges des Unionrechtes nicht anzuwenden.

 

I.8.) Dem Antrag auf Zuerkennung der aufschiebenden Wirkung wurde mit Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich vom 3. September 2014, GZ VwSen-650035/28/Sch/Bb/KR, gemäß § 13 Abs. 5 VwGVG (nunmehr) stattgegeben und der diesbezügliche Ausspruch im angefochtenen behördlichen Entziehungsbescheid vom 26. November 2013, GZ VerkR21-356-2013, unter Hinweis auf den - im Rahmen der erhobenen Revision - ergangenen Beschluss des Verwaltungsgerichtshofes vom 25. März 2014, GZ Ra 2014/11/0002-4, aufgehoben.

 

I.9.) Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

I.9.1) Im vorliegenden Fall sind folgende nationale Bestimmungen nach dem FSG maßgebend:

 

Gemäß § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG ist eine Entziehung der Lenkberechtigung eines anderen EWR-Staates oder eines Nicht-EWR-Staates auszusprechen, wenn eine Person eine Lenkberechtigung in diesem Staat zu einem Zeitpunkt erworben hat, zu dem die Person in Wohnsitz (§ 5 Abs. 1 Z 1 FSG) in Österreich und nicht im Ausstellungsstaat des Führerscheines hatte.

§ 5 Abs. 1 Z 1 FSG normiert, dass ein Antrag auf Erteilung einer Lenkberechtigung nur gestellt werden darf, wenn der Antragsteller seinen Wohnsitz im Sinne des Art. 12 der Richtlinie über den Führerschein ABl. Nr. 403/2006 in Österreich hat (Abs. 2).

 

Gemäß § 5 Abs. 2 FSG liegt ein Wohnsitz in Österreich gemäß Abs. 1 Z 1 vor, wenn sich die betreffende Person aufgrund ihrer persönlichen und – sofern vorhanden – beruflichen Bindungen innerhalb der letzten zwölf Monate nachweislich während mindestens 185 Tagen in Österreich aufgehalten hat oder glaubhaft macht, dass sie beabsichtigt, sich für mindestens 185 Tage in Österreich aufzuhalten. Als Wohnsitz eines Führerscheinwerbers oder -besitzers, dessen berufliche Bindungen in einem anderen Staat als seine persönlichen Bindungen liegen, gilt unabhängig von der 185-tägigen Frist der Ort der persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt.

 

Die verfahrenswesentlichen Rechtsgrundlagen der Richtlinie 2006/126/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20. Dezember 2006 über den Führerschein (im Folgenden kurz: Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG) lauten:

 

Gemäß Art. 2 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG werden die von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine gegenseitig anerkannt.

 

Nach Art. 7 Abs. 1  lit. e dieser Richtlinie darf ein Führerschein nur an Bewerber ausgestellt werden, die im Hoheitsgebiet des den Führerschein ausstellenden Mitgliedstaats ihren ordentlichen Wohnsitz haben oder nachweisen können, dass sie während eines Mindestzeitraumes von sechs Monaten dort studiert haben.

 

Gemäß Art. 7 Abs. 5 letzter Satz der Richtlinie achten die Mitgliedstaaten unbeschadet des Art. 2 bei der Erteilung der Fahrerlaubnis sorgfältig darauf, dass eine Person die Anforderungen des Abs. 1 des vorliegenden Artikels erfüllt; sie wenden ihre nationalen Vorschriften für die Aufhebung oder den Entzug der Fahrerlaubnis an, wenn feststeht, dass ein Führerschein ausgestellt worden ist, ohne dass die Voraussetzungen hiefür vorlagen.

 

Art. 12 der Führerscheinrichtlinie 2006/126/EG lautet:

„Im Sinne dieser Richtlinie gilt als ordentlicher Wohnsitz der Ort, an dem ein Führerscheininhaber wegen persönlicher und beruflicher Bedingungen oder – im Falle eines Führerscheininhabers ohne berufliche Bindungen – wegen persönlicher Bindungen, die enge Beziehung zwischen dem Führerscheininhaber und dem Wohnort erkennen lassen, gewöhnlich, d. h. während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr, wohnt.

Als ordentlicher Wohnsitz eines Führerscheininhabers, dessen berufliche Bindungen an einem anderen Ort als dem seiner persönlichen Bindungen liegen und der sich daher abwechselnd an verschiedenen Orten in zwei oder mehr Mitgliedstaaten aufhalten muss, gilt jedoch der Ort seiner persönlichen Bindungen, sofern er regelmäßig dorthin zurückkehrt. Diese letztgenannte Voraussetzung muss nicht erfüllt sein, wenn sich der Führerscheininhaber in einem Mitgliedstaat zur Ausführung eines Auftrags von bestimmter Dauer aufhält. Der Besuch einer Universität oder einer Schule hat keine Verlegung des ordentlichen Wohnsitzes zur Folge.“

 

I.9.2) Wesentlich ist zunächst die Klärung der Frage, ob trotz Zweifel an der Erfüllung des Wohnsitzerfordernisses durch den Beschwerdeführer im EU-Mitgliedstaat T (mindestens 185 Tage im Kalenderjahr) die Verpflichtung zur Anerkennung des im Ausland erworbenen Führerscheines ohne jede Formalität besteht oder es dem Mitgliedstaat Österreich gestattet ist, diesbezüglich Ermittlungen zu tätigen und Beweisergebnisse und Informationen zu verwerten.

 

Art. 2 Abs. 1 der Führerscheinrichtlinie verpflichtet die Mitgliedstaaten der Europäischen Union zwar zur gegenseitigen Anerkennung der von den Mitgliedstaaten ausgestellten Führerscheine, allerdings gibt es in Ausnahmefällen eine Durchbrechung dieses Anerkennungsgrundsatzes.

 

Nach der Regelung des § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG nämlich, welche aufgrund von Art. 7 Abs. 5 letzter Satz FS-RL ergangen ist (vgl. Grundtner/Pürstl, FSG – Führerscheingesetz, 5. Auflage, Anm. 8 zu § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG) und daher nicht in Widerspruch zu Unionsrecht steht, in Zusammenschau mit dem angeführten letzten Satz des Art. 7 Abs. 5 der Führerscheinrichtlinie ergibt sich, dass eine EWR-Lenkberechtigung nach den nationalen Vorschriften jedenfalls dann zu entziehen ist, wenn eine Person eine Lenkberechtigung im Ausland entgegen dem Erfordernis des ordentlichen Wohnsitzes während mindestens 185 Tagen im Kalenderjahr im Ausstellungsstaat erwirbt.

 

Es scheinen demnach die österreichischen Behörden und Verwaltungsgerichte ermächtigt bzw. sogar verpflichtet, die Frage, ob der Inhaber eines Führerscheines im Austellermitgliedstaat das Wohnsitzerfordernis erfüllt hat, entsprechend zu prüfen und Beweisergebnisse zu verwerten.

 

Überdies verpflichtet § 39 Abs. 2 AVG die inländischen Behörden bei der Durchführung eines Ermittlungsverfahrens von Amts wegen vorzugehen. Die Behörden haben demnach von sich aus den entscheidungsrelevanten Sachverhalt durch Aufnahme aller nötigen Beweise festzustellen und die Erbringung der erforderlichen Beweise anzuordnen. Nach dem sich aus § 46 AVG ergebenden Grundsatz der Unbeschränktheit und der Gleichwertigkeit aller Beweismittel kommt dabei als Beweismittel alles in Betracht, was zur Feststellung des maßgebenden Sachverhaltes, d. h. zur Ergründung der Wahrheit, geeignet und nach Lage des einzelnen Falles zweckdienlich ist.

 

Mit der amtswegigen Pflicht zur Sachverhaltsfeststellung korrespondiert auch die Mitwirkungspflicht der Parteien an der Ermittlung des Sachverhaltes. Wenn und soweit die Behörde ohne Mitwirkung der Partei Ermittlungen nicht oder nur mit einem unzumutbaren Aufwand durchführen kann, ist nach verwaltungsgerichtlicher Judikatur von einer Mitwirkungspflicht der Partei auszugehen. Unterlässt die Partei die ihr obliegende Mitwirkung, ist dieser Umstand gemäß §§ 45 Abs. 2 und 46 AVG im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen (z. B. VwGH 4. September 2013, 2011/08/0201). Eine solche Mitwirkungspflicht bestand für den Beschwerdeführer, da zahlreiche Anfragen und Kontaktaufnahmen der belangten Behörde mit der Führerscheinausstellungsbehörde in T erfolglos verliefen und es daher – ohne Mitwirkung des Beschwerdeführers – nicht bzw. nur erschwert möglich war, das Wohnsitzerfordernis in T zu prüfen.

 

Gemäß § 45 Abs. 2 AVG hat die Behörde unter sorgfältiger Berücksichtigung der Ergebnisse des Ermittlungsverfahrens nach freier Überzeugung zu begründen, ob eine Tatsache als erwiesen anzunehmen ist oder nicht. Es besteht kein gesetzliches Verbot, wonach Ermittlungsergebnisse im Verfahren nicht herangezogen werden dürften. Eine Beweismittelbeschränkung ist den dargestellten nationalen und internationalen Bestimmungen nicht zu entnehmen.

 

All diese gesetzlichen Vorgaben für Behörden und die Verwaltungsgerichte gebieten es - zumindest bei Zweifel an der Erfüllung des Wohnsitzes - ein entsprechendes Ermittlungsverfahren ex offo durchzuführen, ohne ein Verwertungsverbot eigener Ermittlungsergebnisse erkennen zu lassen. Sämtliche zitierten Vorschriften nach dem AVG sind gemäß § 17 VwGVG auch von Verwaltungsgerichten anzuwenden.

 

Auch die Ausführungen im bereits mehrfach erwähnten und zitierten Erkenntnis des Verwaltungsgerichtshofes vom 27. Mai 2014, Ra 2014/11/0002, lassen sich so interpretieren, dass eine Weiterführung des Entziehungsverfahrens gestützt auf die Wohnsitzfrage zulässig scheint und es der Behörde nicht verwehrt ist, diesbezüglich Erhebungen zu tätigen und Ermittlungsergebnisse der Entscheidung zu Grunde zu legen (vgl. dazu I.6.).

 

I.9.3) Es ergibt sich für den gegenständlichen Fall folgende Würdigung der vorliegenden Beweismittel:

 

Der Umstand, dass der Beschwerdeführer laut Melderegister seit 30. März 2001 stets in Österreich gemeldet war und die Tatsache, dass er bereits vor dem Erwerb bzw. der Ausstellung des tschechischen Führerscheines als Arbeiter bei der Firma M M GmbH in G (seit 1. Jänner 2011 bis 20. Dezember 2013) beschäftigt war, sprechen eindeutig für einen dauerhaften Aufenthalt des Beschwerdeführers in Österreich. Im Hinblick auf das andauernde Bestehen seines Wohnsitzes und die Ausübung einer beruflichen Tätigkeit im Inland bereits vor Ausstellung des ausländischen Führerscheines ist eine persönliche als auch berufliche Bindung in Österreich anzunehmen.

 

Der Beschwerdeführer hat nicht nur keinen Beweis erbracht, der glaubhaft dargelegt hätte, dass er zum Zeitpunkt des Erwerbes der tschechischen Lenkberechtigung einen Wohnsitz in der T R gehabt habe, sondern nicht einmal jenen Ort in T genannt, an dem er angeblich - zumindest 185 Tage - gewohnt habe, obwohl er im Verwaltungsverfahren ausreichend Gelegenheit und aufgrund der ihn treffenden Mitwirkungspflicht (vgl. I.9.2 – Absatz 6 und 7) Veranlassung hatte, ein entsprechendes Vorbringen zu erstatten. Er unterließ es bei der Klärung des entscheidungswesentlichen Sachverhaltes auch nur ansatzweise mitzuwirken. Unter diesen Umständen kommt daher seiner Meldung in Österreich mit Hauptwohnsitz und seiner Erwerbstätigkeit im Inland entscheidende Bedeutung zu und es ist davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer sich während des Zeitraumes des Führerscheinerwerbes jedenfalls nicht annähernd in einem Ausmaß von 185 Tagen innerhalb von 12 Monaten in T aufgehalten und dort einen Wohnsitz begründet hat, sondern sich seine wesentlichen Lebensbeziehungen im relevanten Zeitraum in Österreich befanden.

 

Als Indiz dafür, dass der Beschwerdeführer das Wohnsitzerfordernis in T nicht erfüllte, kann auch die Mitteilung der Österreichischen Botschaft in P vom 18. Juni 2014, GZ Prag-ÖB/KONS/0480/2014, in einem nahezu ähnlich gelagerten Fall, in welchem Zweifel am Vorliegen eines Wohnsitzes in T bestanden, herangezogen und gewertet werden. Gemäß diesem Schreiben der Österreichischen Botschaft sei von der übergeordneten Behörde, hier dem zuständigen Kreisamt, festgestellt worden, dass von der  tschechischen Führerscheinbehörde in Angelegenheiten der Führerscheinerteilungen an fremde Staatsangehörige der Nachweis über den üblichen Wohnsitz des Antragstellers auf dem Gebiet der T R nicht ausreichend verlangt worden sei. Auch die Entziehung solcher Lenkberechtigungen durch die tschechischen Behörden ist in diesem Schreiben in Aussicht genommen.

 

I.9.4) Aufgrund dieser Überlegungen im Rahmen der freien Beweiswürdigung ist davon ausgehen, dass sich der Beschwerdeführer innerhalb von 12 Monaten nicht ansatzweise tatsächlich mindestens 185 Tage in Tschechien aufgehalten und damit seinen Wohnsitz nie von Österreich in die Tschechische Republik verlegt bzw. gewechselt hat. Da er das in § 5 FSG iVm Art. 7 und 12 der Führerscheinrichtlinie verankerte Wohnsitzerfordernis in Tschechien damit nicht erfüllte, ist daher nach der Norm des § 30 Abs. 2 letzter Satz FSG seine in Tschechien erworbene Lenkberechtigung für die Klassen AM, A1, A2, A und B zu entziehen. Es war demnach spruchgemäß (I.) zu entscheiden.

 

I.9.5) Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich sieht sich aufgrund der dargelegten Erwägungen zur Einholung einer Vorabentscheidung beim Europäischen Gerichtshof (EuGH) zur Auslegung der Art. 2 Abs. 1 und 11 Abs. 4 Unterabsatz 2 der Richtlinie 2006/126/EG vom 20. Dezember 2006 nicht veranlasst. Die Entscheidung des Landesverwaltungsgerichtes erfolgte aufgrund der gesetzlichen Vorgaben, des Ergebnisses der freien Beweiswürdigung und unter Berücksichtigung der Ausführungen des Verwaltungsgerichtshofes im Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Ra 2014/11/0002, zu Punkt 2.2.2.1., sodass dem diesbezüglichen Antrag des Beschwerdeführers daher nicht zu entsprechen war.

 

 

II. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Eine solche liegt durch das gegenständliche Erkenntnis vom 27. Mai 2014, Ra 2014/11/0002 und das Erkenntnis vom 27. Mai 2014, 2013/11/0068, vor. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass es sich im gegenständlichen Fall im Wesentlichen um die Klärung einer Sachverhaltsfrage, nämlich eines Aufenthaltes des Beschwerdeführers im Führerschein-Ausstellungsmitgliedstaat Tschechien bzw. die Aufrechterhaltung des Wohnsitzes in Österreich handelte.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

 

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

 

 

 

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

 

S c h ö n

Beachte:

Das angefochtene Erkenntnis wurde wegen Rechtswidrigkeit seines Inhaltes aufgehoben.

VwGH vom 16. Dezember 2014, Zl.: Ra 2014/11/0084-7