LVwG-600436/6/Br/HK

Linz, 10.09.2014

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Mag. Dr. Bleier, über die Beschwerde des Herrn S. K., geb. 1984, H.straße, L. gegen das Straferkenntnis der Landespolizeidirektion Oberösterreich, vom 18.6.2014, GZ: VSTV/914300039768/2014, nach der am 10.9.2014 durchgeführten öffentlichen mündlichen Verhandlung,

 

zu Recht  e r k a n n t:

 

 

 

I. Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben; das Straferkenntnis wird behoben und das Verwaltungsstrafverfahren nach § 45 Abs.1 Z4 VStG eingestellt.

 

 

 

II. Gemäß § 52 Abs.9 VwGVG entfällt jeglicher  Verfahrenskostenbeitrag.

 

 

 

III. Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine Revision des Beschwerdeführers an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs.4 B-VG nicht zulässig; für die belangte Behörde und die revisionslegitimierte Formalpartei ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4   B-VG unzulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

I. Mit dem oben bezeichneten Straferkenntnis wurde über den Beschwerdeführer wegen einer Übertretung nach § 24 Abs.1 lit.a StVO 1960 iVm § 99 Abs.3 lit.a StVO 1960 eine Geldstrafe in der Höhe von 40 Euro und für den Nichteinbringungsfall eine Ersatzfreiheitsstrafe in der Dauer von 18 Stunden  und 30 Minuten verhängt.

Es wurde ihm sinngemäß zur Last gelegt, er habe 08.03.2014 um 01:24 Uhr, in L., H.straße den Pkw mit dem Kennzeichen L-.., im Bereich „Halten und Parken verboten“ mit der Zusatztafel „4m“ gehalten.

 

 

I.1. Die Behörde begründete ihre Entscheidung im Wesentlichen unter Hinweis auf die unbestrittene Tatsache und damit die Erfüllung des Tatbestandes des zur Last gelegten Regelverstoßes.

Die subjektive Tatseite betreffend wurde auf § 5 Abs.1 VStG und betreffend die Strafzumessung auf den Unrechtsgehalt der Übertretung und angesichts von einschlägigen verwaltungsstrafrechtlichen Vormerkungen straferschwerenden Umstandes, die Schuldangemessenheit der Strafe verwiesen.

 

 

 

II. In der dagegen fristgerecht bei der Behörde am 18.7.2014 niederschriftlich eingebrachten Beschwerde rügt der Beschwerdeführer, dass ihm die Polizei (gemeint wohl der oder die einschreitenden Beamten) keinerlei Gelegenheit zu einer Rechtfertigung gewährt habe. Es habe verschwindendes Verkehrsaufkommen geherrscht und er habe niemanden behindert. Wäre dies der Fall gewesen, hätte er sein Fahrzeug sofort weggefahren.

Bereits im Zuge seines Einspruches vom 7.5.2014 gegen die Strafverfügung vom 11.3.2014, über die sich kein Zustellnachweis im Akt befindet, wird eine Bevollmächtigung der für den Beschwerdeführer einschreitenden Person  angezeigt und inhaltlich ob der Kürze des Haltens zur Nachtzeit, auf die fehlende Strafwürdigkeit plädiert. Im Rahmen des Anbringens des Einspruches mit Vollmachtsankündigung wurde mit dem Beschwerdeführer bzw. dessen Vertreterin bereits eine Niederschrift aufgenommen, worin dem Beschwerdeführer die Frist für die Erstattung einer Stellungnahme aufgetragen wurde.

Diese Darstellung wiederholt der Beschwerdeführer schließlich anlässlich seiner Beschuldigtenniederschrift.

 

 

III. Die Behörde hat den Verfahrensakt mit Vorlageschreiben vom 09.05.2014 dem Oö. Landesverwaltungsgericht in einem losen und nicht durchnummerierten Konvolut zur Entscheidung vorgelegt.

Ergänzend wurde im Vorlageschreiben darauf hingewiesen, dass seit etwa November 2013 im Stadtgebiet von L., insbesondere in den Nachtstunden Taxifahrzeuge verstärkt kontrolliert würden. Dabei würden prima vista festgestellten Übertretungen insbesondere nach der Straßenverkehrsordnung sowie nach dem oberösterreichischen Taxi- und Mietwagen-Betriebsordnung ausnahmslos zur Anzeige gebracht, größtenteils werde den Taxilenkern vor Ort mangels Kontaktaufnahme auch keine Gelegenheit zur Rechtfertigung gegeben.

Mangels einschlägiger Erkenntnisse des Oö. LVwG (bzw. des UVS Oö.) betreffend den Großteil der den Taxilenker zur Last gelegten Delikte, stelle die Landespolizeidirektion Oberösterreich das Ersuchen an das Oö. LVwG für das vorliegende Verfahren eine richtungsweisende Entscheidung zu treffen.

Hinsichtlich der Übertretungen gemäß § 24 Abs. 1 lit.a StVO am H.platz sowie gemäß § 36 Abs.1 der Oö. Taxi- und Mietwagen-Betriebsordnung (Auffahren außerhalb von Standplätzen) wären nach Erhebung eines Einspruches gegen die Strafverfügungen bei der vorlegenden Behörde etwa 100 Verwaltungsstrafverfahren offen.

 

 

III.1. Eine öffentliche mündliche Verhandlung war gemäß § 44 Abs.1 VwGVG und hier insbesondere in Wahrung der durch Art. 6 EMRK indizierten Rechte durchzuführen. Beweis erhoben wurde durch auszugweise Verlesung der Akteninhalte, sowie die  zeugenschaftliche Befragung des Meldungslegers über die Verkehrssituation und  der  unterbliebenen Konfrontation des Angezeigten mit dem Tatvorwurf. Während ein Vertreter der Behörde an der öffentlichen mündlichen Verhandlung teilnahm, ist dem ursprünglich durch eine durch Vollmacht ausgewiesene Rechtsvertreterin – die außerhalb ihres Dienstverhältnisses das Rechtschutzmandat nicht annehmen hätte dürfen - dem Beschwerdeführer die Ladung letztlich nicht zugekommen. Seine Nichtteilnahme gilt als entschuldigt. Eine Vertragung bzw. Anhörung des Beschwerdeführers  war mit Blick auf den Sachausgang  nicht erforderlich und insbesondere aus verfahrensökonomischen Gründen untunlich.

 

 

 

IV. Sachverhalt und Beweiswürdigung:

Hinsichtlich des objektiven Tatbestandes kann in Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen der Behörde verwiesen werden. Ergänzend folgt auch aus dem Ergebnis der verwaltungsgerichtlichen Beweisaufnahme, dass mit dem Verhalten des Beschwerdeführers kein wie immer gearteter Nachteil für das Verkehrsgeschehen einhergegangen ist und darüber hinaus davon ausgegangen werden kann, dass diese in vergleichbaren Situationen offenbar stets auch von anderen  Taxilenkern gepflogene Praxis sowohl objektiv als subjektiv tatseitig von bloß geringem Verschulden umfasst zu qualifizieren ist.

Der Zeuge legt im Rahmen der öffentlichen mündlichen Verhandlung dar, dass diese Anzeige im Rahmen einer damals angeordneten Schwerpunktkontrolle von Taxilenker erfolgte. Aufgrund der großen Zahl der außerhalb des Standplatzes abgestellten und fast bis zur Nibelungenbrücke zurück reichenden Taxis wäre bloß eine Anzeige nach dem Kennzeichen möglich gewesen. Der Zeuge räumte andererseits im Ergebnis jedoch ein, dass ein rechtmäßiges Alternativverhalten wohl nur im Anfahren eines anderen Standplatzes oder eben im Verweilen im fließenden Verkehr die Konsequenz gewesen wäre. Diese Problematik sei am H.platz an sich bekannt, indem beginnend ab Mitternacht ein großer Zulauf an Taxis gegeben wäre und demnach die auf dem offiziellen Standplatz auf Gäste wartenden Taxis dort nicht unterzubringen sind. Ferner räumte der Zeuge auch ein, dass mit diesem Regelverstoß keine negativen Auswirkungen für den sonstigen Fahrzeugverkehr einhergegangen sind. Dies würde erst dann der Fall sein, wenn etwa der Rückstau in den Brückenbereich hinein reichen würde. Üblicherweise würde man für derartige Regelverstöße sehr wohl nach § 50 Abs.5a VStG Vorgehen. Hier konnte jedoch nur mit einer Anzeige nach dem Kennzeichen auch mit Blick darauf vorgegangen werden, weil sonst wohl es unvermeidlich zu unerwünschten Auseinandersetzungen mit den Taxilenker kommen hätte können. Dies habe es zu vermeiden gegolten.

Die Angaben des Zeugen sind praxisnah und schlüssig nachvollziehbar. Insbesondere kann seiner Einschätzung dahingehend gefolgt werden, dass in der Realität einem Taxilenker keine wirklich sinnvolle Alternative offen steht,  als  sich hinten anzustellen, auch wenn dies außerhalb des für diese spezifische Situation zur Nachtzeit über den Standplatz hinausreicht. Ebenfalls nachvollziehbar ist, dass mit einem Verweilen im fließenden Verkehr oder eine ungleich nachteiligere Beeinträchtigung gesetzlich geschützter Interessen einhergehen würde, nämlich die Herbeiführung vermeidbaren Lärms und Abgasen, was es insbesondere zur Nachtzeit zu vermeiden gilt.

Der Behördenvertreter wies ebenfalls darauf hin, dass es seine Intention entsprechen würde in diesem Fall von einer Bestrafung abzusehen. Dies habe die Behörde auch in derartigen Fällen vielfach so gehandhabt. Doch aufgrund der großen Zahl der während des im Vorlageschreiben genannten Zeitraumes von der  Polizeiinspektion übermittelten Anzeigen, habe er diese bislang in spezifischen Einzelfällen ständig praktizierten und vom Gesetz indizierte Vorgehensweise, nun aber im Wege einer Vorlage an das Landesverwaltungsgericht, sozusagen einer „Evaluierung“ unterziehen zu müssen vermeint.

Das Landesverwaltungsgericht schließt sich ebenfalls der im Tenor sowohl seitens der Behörde als auch des einschreitenden Meldungslegers zum Ausdruck gebrachten Sichtweise an, der zur Folge sich das gleichsam aus einem Sachzwang herleitende Verhalten des Angezeigten, weder zu nachteiligen Auswirkungen gegen Schutzziele der Straßenverkehrsordnung gekommen ist und objektiv besehen auch kaum ein anderes Verhalten erwartet werden musste.

 

 

V. Rechtlich folgt demnach für das Oö. Landesverwaltungsgericht:

Das Organ (Abs. 1 [von der Behörde besonders geschulte und ermächtigte Organe der öffentlichen Aufsicht Organstrafverfügungen Geldstrafen einzuheben]) kann von der Einhebung einer Geldstrafe mit Organstrafverfügung absehen, wenn die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beanstandeten gering sind; eine Anzeige an die Behörde ist in diesem Fall nicht zu erstatten. Das Organ kann jedoch den Beanstandeten in einem solchen Fall in geeigneter Weise auf die Rechtswidrigkeit seines Verhaltens aufmerksam machen.

Nun sollte unter sachlicher Betrachtung wohl kein Zweifel daran bestehen, dass diese Bestimmung typischer Weise auf Sachzwänge anzuwenden ist denen insbesondere Taxilenker unterworfen sind, wenn sie entweder an der Zieladresse auf einem Fahrgast noch kurzzeitig warten müssen, ehe dieser aus dem Haus oder dem Lokal kommt, oder wie hier, der Standplatz nicht ausreicht und so die Fahrer zum sprichwörtlichen „Kreisen“ gezwungen wären. Der Gesetzgeber hat diese Regelung wohl dafür geschaffen um Organen der öffentlichen Aufsicht eine praxisgerechte und mit dem oft mit Augenmaß bezeichnete Ordnungsfunktion rechtskonform ausüben zu können. Das mit dem kurzzeitigen Verweilen in einem Bereich, der etwa tagsüber stark von Fahrzeugen frequentiert ist, jedoch zur nahezu völlig verkehrsleeren Nachtzeit keine Schutzziele beeinträchtigt werden, rechtfertigt nicht nur die Anwendung der hierfür geschaffenen Rechtsnormen, sondern gebietet diese geradezu mit Blick auf das Sachlichkeitsgebot. 

In der täglichen Straßenverkehrspraxis  sind geringfügige Abweichungen von Regeln oft unausweichlich. Anzeigen bloß nach dem Kennzeichen, ohne von der Möglichkeit ein sogenanntes Organmandat zu verhängen Gebrauch zu machen, wird nicht nur dem Gebot zu einer sparsamen und wirtschaftlichen Verwaltungsführung entgegengewirkt, sondern würde auch der Sinn des § 50 Abs.5a VStG verkannt bzw. diesem nicht Rechnung getragen.

Gemäß § 45 Abs.1 hat schließlich auch die Behörde von der Einleitung oder Fortführung eines Strafverfahrens abzusehen und die Einstellung zu verfügen, wenn …

Z4.) die Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und die Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat und das Verschulden des Beschuldigten gering sind ….

Z6.) die Strafverfolgung einen Aufwand verursachen würde, der gemessen an… der Bedeutung des strafrechtlich geschützten Rechtsgutes und der Intensität seiner Beeinträchtigung durch die Tat unverhältnismäßig wäre.

Dies hätte hier bereits im Vorfeld vom Organ der Straßenaufsicht durch die Anwendung des § 50 Abs.5a VStG zu geschehen gehabt.

VI. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

Die ordentliche Revision ist für die belangte Behörde und die revisionsberechtigte Formalpartei unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs.4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

 

Gegen dieses Erkenntnis besteht die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof. Die Beschwerde ist innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung des Erkenntnisses – von gesetzlichen Ausnahmen abgesehen – durch eine bevollmächtigte Rechtsanwältin oder einen bevollmächtigten Rechtsanwalt abzufassen und einzubringen. Für die Beschwerde ist eine Eingabegebühr von 240.- Euro zu entrichten.

Da für den vorliegenden Fall gemäß § 25a Abs. 4 VwGG eine Revision nur wegen Verletzung in subjektiven Rechten (Art. 133 Abs. 6 Z 1 B-VG) ausgeschlossen ist, steht der belangten Behörde/der revisionslegitimierten Formalpartei die außerordentliche Revision beim Verwaltungsgerichtshof offen.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

Dr. B l e i e r

 

 

 

 

LVwG-600436/6/Br/HK vom 10. September 2014

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

 

Normen:

VStG §45 Abs1 Z4

VStG §50a Abs5

 

 

 

* Bei Vorliegen der Voraussetzungen des § 50a Abs.5 VStG bzw. des § 45 Abs.1 Z4 VStG besteht ein Rechtsanspruch auf die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

 

* Diese Voraussetzungen treffen zu, wenn ein Taxilenker zur Nachtzeit und bei starker Nachfrage an Beförderungsbedarf kurzfristig in einer über den Standplatz hinausreichenden Warteschlange in ein Halteverbot „hineinstaut“. Das rechtmäßige Alternativverhalten würde das Anfahren eines anderen Standplatzes oder ein Kreisen im fließenden Verkehr bedeuten. Damit würden aber gesetzlich geschützte Rechtsgüter (Vermeidung von Lärm und Abgasen) jedenfalls mehr beeinträchtigt werden als dies durch das kurze Verweilen in einem Halteverbot bei Anwesenheit des Fahrers der Fall ist.

 

* Im gegenständlichen Fall erfolgte eine Anzeige auf Grund des Kennzeichens, was wiederum dem Gebot der sparsamen Verwaltungsführung krass entgegenstand.

 

Beschlagwortung:

 

Taxi; Beförderungsbedarf; Stau; Hineinreichen der Warteschlange in ein Halteverbot; Effizienzgebot