LVwG-850302/12/BMa

Linz, 23.06.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin
Maga. Gerda Bergmayr-Mann über die Beschwerde des Arbeitsinspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk gegen den Bescheid des Bezirkshauptmanns von Kirch­dorf an der Krems vom 15. Dezember 2014, GZ: Ge20-56-2014, mit dem J K, x, die gewerbebehördliche Genehmigung für die Änderung der bestehenden gastgewerblichen Betriebsanlage „D“ durch Einbau und Betrieb einer Bar „P“ auf den Grundstücken Nr. x und x, KG und Gemeinde H, unter Erteilung von Ausnahmegeneh­migungen von den Erfordernissen des § 33 Abs. 5 Arbeitsstättenverordnung (AStV) und des § 5 Abs. 3 zweiter Satz AStV erteilt wurde, nach Durchführung einer öffent­lichen mündlichen Verhandlung am 13. Mai 2015,

 

zu Recht   e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde insofern Folge gegeben, als die unter Spruchpunkt II./lit. b.) erteilte Ausnahmegenehmigung vom Erfordernis des § 5 Abs. 3 zweiter Satz AStV (inkl. der Auflage 16.) zur Gänze entfällt und zusätzlich folgende Auflage vorgeschrieben wird:

 

„16. Der innenliegende Umkleideraum ist mit einer mechanischen Abluftanlage auszustatten, welche einen 4-fachen stündlichen Luftwechsel sicherstellt.“

 

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG nicht zulässig.

 

 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

 

 

Zu I.:

 

1. Folgender rechtlich relevanter Sachverhalt wird festgestellt:

 

1.1. Mit dem bei der Bezirkshauptmannschaft Kirchdorf an der Krems am
23. Mai 2014 eingelangten Antrag hat J K,  H, um Erteilung der gewerbebehördlichen Genehmigung für die Änderung des bestehenden Gastge­werbebetriebes „P“ unter Vorlage von Unterlagen angesucht.

 

Eine mündliche Verhandlung wurde für den 4. Dezember 2014 anberaumt und an diesem Tag durchgeführt. Im Zuge der Verhandlung wurden von J K zwei Ausnahmeanträge nach dem § 95 Abs. 3 ASchG betreffend § 33 Abs. 5 AStV und § 5 Abs. 3 letzter Satz AStV gestellt. Zum Ausnahmeantrag gemäß
§ 33 Abs. 5 AStV betreffend die Toiletten hat der bei der Verhandlung anwesende Vertreter des Arbeitsinspektorates erklärt, es würde gegen die Erteilung der beantragten Ausnahmegenehmigung kein Einwand bestehen. Zur Ausnahme von § 5 Abs. 3 AStV wurde vom Arbeitsinspektor ausgeführt, dass grundsätzlich alle Räume in Arbeitsstätten entsprechend ihrer Nutzungsart natürlich oder mecha­nisch, erforderlichenfalls direkt ins Freie, ausreichend lüftbar einzurichten seien. Räume, durch die Verkehrswege hindurchführen, wie insbesondere Gänge, seien jedenfalls natürlich oder mechanisch direkt ins Freie ausreichend lüftbar einzurich­ten. Der gegenständliche Umkleideraum sei gleichzeitig auch der Ver­kehrsweg zu der schon mit einer Ausnahme behafteten WC-Anlage. Inwieweit als Ersatzmaßnahme das Öffnen und Schließen von Türen als direkt ins Freie ent­lüftbar anzusehen sei, habe die Behörde in ihrem Ausnahmeverfahren mit ent­sprechenden Gutachten klarzulegen.

 

In der erstinstanzlichen mündlichen Verhandlung hat der beigezogene gewerbetechnische Amtssachverständige in seinem Befund auf Seite 3 der Verhandlungsschrift u.a. ausgeführt: „Anschließend an den Getränkekühlraum und das Lager wurde ein Personal-WC mit vorgelagertem Umkleide- und Personalraum eingebaut, der über einen neu geschaffenen Vorraum erschlossen wird. Dieser ist innenliegend ausgeführt und weist keine natürliche oder mechanische Be- und Entlüftung auf. Inwieweit hier entsprechende Lüftungs- und Klimaverhältnisse gewahrt bleiben, wird aus gewerbetechnischer Sicht nicht beurteilt. Es handelt sich dabei um eine medizinische Frage.“

 

Ein medizinisches Gutachten zu dieser Frage wurde von der belangten Behörde nicht eingeholt.

 

Daraufhin erging der bekämpfte Bescheid vom 15. Dezember 2014, mit dem auch die Ausnahme betreffend den Umkleideraum gemäß § 5 Abs. 3 zweiter Satz AStV unter Vorschreibung der Auflage 16. erteilt wurde, wonach bei der Zutrittstür zum Umkleideraum (zugleich Verkehrsweg zum WC) oben und unten ein Lüftungsgitter (ca.  cm x 12 cm) einzubauen sei.

Als Begründung für die Erteilung der Ausnahmegenehmigung wurde im Wesentlichen ausgeführt, der Gleichzeitigkeitsfaktor des Aufenthalts mehrerer Arbeitnehmer im verfahrensgegenständlichen Raum sei gering. Dieser Weise eine geringe Benützungsfrequenz und geringe Verkehrsfrequenz auf, es handle sich auch nur um einen kleinen Raum.

Daraus wurde aus juristischer Sicht geschlossen, dass der Raum als ausreichend belüftet erachtet werde, weil sowohl die Sicherheit als auch die Gesundheit der Arbeitnehmer bei Genehmigung der Ausnahme gewährleistet seien.

Dennoch wurde zur Verbesserung der Zielsetzung der Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer die  Auflage 16. im bekämpften Bescheid vorgeschrieben.

 

1.2. In der dagegen rechtzeitig erhobenen Beschwerde vom 30. Dezember 2014 wurde vom Arbeitsinspektorat im Wesentlichen ausgeführt, die Erteilung der Aus­nahme vom § 5 Abs. 3 AStV iVm § 95 Abs. 3 ASchG sei rechtswidrig, der Antrag bzw. die in dem Antrag beigefügten Unterlagen würden nicht den Arbeitnehmer­schutzvorschriften entsprechen und der Antrag dürfe auch auf Grund der Bestim­mung des § 93 Abs. 2 ASchG nicht genehmigt werden. Das durchgeführte Ermittlungsverfahren sei mangelhaft, weil die Einholung eines entsprechenden Gutachtens unterblieben sei, aus dem geschlossen werden könne, dass die Vor­aussetzungen für die Erteilung einer Ausnahmegenehmigung vorliegen würden bzw. dass die Vorgaben der arbeitnehmerinnenrechtlichen Bestimmungen erfüllt seien.

 

1.3. Nach Vorlage der Beschwerde gemeinsam mit dem erstinstanzlichen Verfahrens­akt an das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich wurde mit dem beigezogenen Amtssachverständigen DI (FH) H B vom Amt der Oö. Landesre­gierung, Abteilung Umwelt-, Bau- und Anlagentechnik, Bezirksbauamt Ried im Innkreis am 30. März 2015 eine Vorbesprechung (Aktenvermerk vom 30. März 2015, LVwG-850302/6/BMa/AK) und in dessen Beisein am 13. Mai 2015 eine mündliche Verhandlung durchgeführt, zu der ein Vertreter des Arbeits­inspektorates für den 19. Aufsichtsbezirk, ein Vertreter der belangten Behörde und der Konsenswerber J K gekommen sind.

 

1.4. Nachdem allen Parteien die Möglichkeit eingeräumt worden war, ihren Standpunkt dar­zulegen, erstattete der Amtssachverständige nachstehenden Befund und folgen­des Gutachten:

 

„Grundlage für diesen Befund und das nachstehende Gutachten ist im Wesent­lichen der vorliegende Einreichplan der Firma F vom 8.1.2014 in Verbindung mit den gesetzlichen Vorgaben der AStV und der OIB-Richtlinie 3, welche als Stand der Technik herangezogen werden.

Im gegenständlichen Einreichplan ist zwischen einem innenliegenden Erschließungs­gang mit einer Größe von 4,92 m2 und dem Personal-WC- und Duschraum mit einer Größe von 3,1 ein Umkleideraum mit einer Größe von 7,44 geplant. Dieser Umkleideraum bildet einen innenliegenden Raum,  welcher über keine Fensteröffnungen verfügt.  Der Umkleideraum verfügt lediglich über 2 Türverbindungen, wobei eine unmittelbar in das WC mündet und die andere auf einen innenliegenden Gang, welcher wiederum nicht natürlich oder mechanisch be- und entlüftet wird.

 

Gemäß den Bestimmungen des § 5 Abs. 3 der Arbeitsstättenverordnung sind ‚alle Räume in einer Arbeitsstätte entsprechend ihrer Nutzungsart natürlich oder mechanisch, erforderlichenfalls direkt ins Freie, ausreichend lüftbar einzurichten‘. Weiters sieht auch die OIB-Richtlinie 3, welche in bautechnischer Sicht den Stand der Technik darstellt, im Punkt 10.1.1 vor, dass ‚bei sonstigen innenliegenden Räumen, ausgenommen Gänge, für eine Lüftungsmöglichkeit zu sorgen ist.‘

 

Eine derartige Lüftung ist im vorliegenden Projekt nicht ersichtlich. Erschwerend kommt im konkreten Fall dazu, dass unmittelbar an den Umkleideraum ein WC-Raum anschließt und zwischen dem Umkleideraum und dem WC-Raum kein Vorraum besteht. Diese Abweichung vom § 33 Abs. 5 AStV wurde im erstinstanzlichen Verfahren im Zuge eines Ausnahmeantrages durch die Gewerbebehörde behandelt und wurde diesbezüglich vom AI zugestimmt. Der WC-Raum ist zwar durch ein Fenster direkt ins Freie lüftbar, wobei jedoch aufgrund der direkten Verbindung mit dem Umkleideraum eine Geruchs­entwicklung in diesen nicht ausgeschlossen werden kann. Aufgrund der Tatsache, dass laut dem vorliegenden Projekt der innenliegende Umkleideraum nicht be- oder entlüftet wird, kann es zu einer Geruchsansammlung im Umkleideraum kommen.

Aus technischer Sicht kann die erforderliche natürliche oder mechanische Lüftung jedenfalls nicht durch eine Türverbindung oder ein Lüftungsgitter in einer Tür zu einem weiteren innenliegenden Raum, welcher wiederum nicht be- und entlüftet ist, ersetzt werden.

 

Aus gewerbetechnischer Sicht ist daher folgende Forderung zum Schutz der im
§ 74 Abs. 2 GewO genannten Interessen erforderlich:

 

‚Der innenliegende Umkleideraum ist mit einer mechanischen Abluftanlage auszustatten, welche einen 4-fachen stündlichen Luftwechsel sicherstellt.“

 

Mit dem Konsenswerber wurde anlässlich der mündlichen Verhandlung unter Einbeziehung der von diesem bekanntgegebenen vorhandenen Lüftungsanlagen besprochen, den vorhandenen Abluftventilator mit einem zusätzlichen Ventilator für den Umkleideraum zur Sicherstellung der mechanischen Lüftung zu versehen.

 

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat in rechtlicher Hinsicht erwogen:

 

2.1. Gemäß § 74 Abs. 2 GewO 1994 idgF dürfen gewerbliche Betriebsanlagen nur mit Genehmigung der Behörde errichtet oder betrieben werden, wenn sie wegen der Verwendung von Maschinen und Geräten, wegen ihrer Betriebsweise, wegen ihrer Ausstattung oder sonst geeignet sind,

1.   das Leben oder die Gesundheit des Gewerbetreibenden, der nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unterliegenden mittätigen Familien­an­gehörigen oder des nicht den Bestimmungen des ArbeitnehmerInnen­schutzgesetzes, BGBl. Nr. 450/1994, in der jeweils geltenden Fassung, unter­liegenden mittätigen eingetragenen Partners, der Nachbarn oder der Kunden, die die Betriebsanlage der Art des Betriebes gemäß aufsuchen, oder das Eigentum oder sonstige dingliche Rechte der Nachbarn zu gefährden; ....

 

Wenn es zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen erforderlich ist, bedarf auch die Änderung einer genehmigten Betriebsanlage einer Genehmigung im Sinne der vorstehenden Bestimmungen. Diese Genehmigung hat auch die bereits genehmigte Anlage so weit zu umfassen, als es wegen der Änderung zur Wahrung der im § 74 Abs. 2 umschriebenen Interessen gegenüber der bereits genehmigten Anlage erforderlich ist (§ 81 Abs. 1 leg.cit.).

 

Nach § 77 Abs. 1 GewO 1994 idgF ist die Betriebsanlage zu genehmigen, wenn nach dem Stand der Technik (§ 71a) und dem Stand der medizinischen und der sonst in Betracht kommenden Wissenschaften zu erwarten ist, dass überhaupt oder bei Einhaltung der erforderlichenfalls vorzuschreibenden bestimmten geeigneten Auflagen die nach den Umständen des Einzelfalles voraussehbaren Gefährdungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 1 vermieden und Belästigungen, Beeinträchtigungen oder nachteilige Einwirkungen im Sinne des § 74 Abs. 2 Z 2 bis 5 auf ein zumutbares Maß beschränkt werden.

 

Der Stand der Technik (beste verfügbare Techniken - BVT) im Sinne dieses Bundesgesetzes ist der auf den einschlägigen wissenschaftlichen Erkenntnissen beruhende Entwicklungsstand fortschrittlicher Verfahren, Einrichtungen, Bau- oder Betriebsweisen, deren Funktionstüchtigkeit erprobt und erwiesen ist (§ 71a Abs. 1 leg.cit).  ......

 

Gemäß § 93 Abs. 2 des ArbeitnehmerInnenschutzgesetzes dürfen Anlagen unter anderem nur genehmigt werden, wenn sie den Arbeitnehmerschutzvorschriften entsprechen. Nach Abs. 3 leg.cit. gilt dies auch für die Genehmigung einer Änderung oder einer Sanierung von in Abs. 1 angeführten Anlagen.

 

Gemäß § 95 Abs. 2 können Abweichungen von den im 1. bis 6. Abschnitt sowie in §§ 97 und 98 festgelegten Anforderungen in den in Durchführung dieses Bundesgesetzes erlassenen Verordnungen geregelt werden.

 

Darüber hinaus kann die zuständige Behörde gemäß § 95 Abs. 3 leg.cit. im Einzelfall auf begründeten Antrag des Arbeitgebers Ausnahmen von den Bestimmungen der in Durchführung des § 6 Abs. 4 sowie des 2. bis 4. und
6. Abschnittes erlassenen Verordnungen zulassen, wenn u.a. nach den Umständen des Einzelfalls zu erwarten ist, dass Sicherheit und Gesundheit der Arbeitnehmer auch bei Genehmigung der Ausnahme gewährleistet sind oder dass durch eine andere vom Arbeitgeber vorgesehene Maßnahme zumindest der gleiche Schutz erreicht wird, wie bei Einhaltung der betreffenden Bestimmungen der Verordnung und die Genehmigung dieser Ausnahme nicht gemäß Abs. 1 ausgeschlossen ist.

 

Nach Abs. 4 leg.cit. können Ausnahmen nach Abs. 3 befristet oder unter Vorschreibung bestimmter geeigneter Auflagen erteilt werden, wenn dies zur Erreichung der in Abs. 3 Z 2 genannten Zielsetzungen erforderlich ist.

 

Nach § 5 Abs. 3 AStV sind alle Räume in Arbeitsstätten entsprechend ihrer Nutzungsart natürlich oder mechanisch, erforderlichenfalls direkt ins Freie, ausreichend lüftbar einzurichten. Räume, durch die Verkehrswege hindurch­führen, insbesondere Gänge, sind jedenfalls natürlich oder mechanisch direkt ins Freie ausreichend lüftbar einzurichten.

 

2.2. Zur Beurteilung, ob die Sicherheit und Gesundheit von Arbeitnehmern bei Erteilung von Ausnahmegenehmigungen, die von den gesetzlichen Vorgaben abweichen, gewährleistet ist, ist ein medizinischer Sachverständiger heran­zuziehen. Die diesbezügliche Rüge der beschwerdeführenden Partei erfolgte somit zu Recht. Auch wenn die belangte Behörde in ihrer Begründung darauf abstellt, dass es sich lediglich um einen kleinen Raum mit geringer Verkehrsfrequenz und geringer Benützungsfrequenz handelt, sind schon nach der allgemeinen Lebenserfahrung Geruchseinwirkungen durch Lüftungsschlitze in der Türe zur WC-Anlage oder Schimmelbildung in unzureichend belüfteten Räumen möglich, die sich negativ auf die Gesundheit der diese Räume benutzenden Arbeitnehmer auswirken können. Eine diesbezügliche behördliche Prüfung wurde unterlassen.

 

Die Erteilung der bekämpften Ausnahmegenehmigung ist aber auch dem Stand der Technik (§ 71a GewO) entgegenstehend - siehe oben.

In diesem Fall ist der Stand der Technik vorrangig, ist dieser doch Genehmigungsvoraussetzung des am 01.01.2011 in der geltenden Fassung in Kraft getretenen § 77 Abs. 1 GewO. Diese Regelung steht in Zusammenhang mit dem zuletzt am 12.07.2013 novellierten § 71a GewO, in dem der Stand der Technik definiert ist.

§ 95 ArbeitnehmerInnenschutzgesetz, auf den sich die erteilte und bekämpfte Ausnahme stützt, ist in der geltenden Fassung am 01.01.2002 in Kraft getreten. Beide Gesetze regeln Genehmigungsvoraussetzungen für Betriebsanlagen und sind als einfache Bundesgesetze im Stufenbau der Rechtsordnung gleichrangig, sodass der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ zur Anwendung kommt und eine Ausnahmegenehmigung nach dem § 95 ArbeitnehmerInnenschutz-gesetz nur erteilt werden kann, wenn die Betriebsanlagengenehmigung - trotz Erteilung der Ausnahme - dem Stand der Technik entspricht, was bei der erteilten Genehmigung jedoch nicht der Fall ist.

 

Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Judikatur des VwGH der Grundsatz "lex posterior derogat legi priori" auf das Verhältnis einer späteren generellen zu einer früheren speziellen Norm nicht ohne weiteres angewendet werden kann, lässt doch die genannte (ältere) Bestimmung des Arbeit­nehmerInnenschutzgesetzes keinen Aspekt erkennen, der eine abweichende Regelung vom Stand der Technik der GewO herbeiführen wollte. Es handelt sich in diesem Fall nach Auffassung des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich nicht um eine ältere spezielle Norm und eine jüngere generelle Norm, vielmehr sind bei der Genehmigung die in den beiden Gesetzen geregelten Voraus­setzungen kumulativ zu beachten, sodass eine Ausnahme nach dem ArbeitnehmerInnenschutzgesetz unter den dort geregelten Voraussetzungen nur dann erteilt werden kann, wenn diese nicht dem in der GewO 1994 geregelten Stand der Technik zuwiderläuft.

 

2.3. Aus der AStV geht lediglich hervor, dass für einen ausreichenden Luftaustausch zu sorgen ist. Eine nähere Präzisierung, auf welche Weise die mechanische Abluft­anlage auszustatten ist, um eine ausreichende Durchlüftung zu erreichen, nämlich, dass ein 4-facher stündlicher Luftwechsel sicherzustellen ist, wurde erst durch die Forderung aus gewerbetechnischer Sicht dargelegt.

Aus diesem Grund war auch eine entsprechende Auflage vorzuschreiben.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

Zu II.:

 

Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinn des
Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Insbesondere weicht die gegenständliche Entscheidung, nämlich die Annahme der Notwendigkeit der Heranziehung von medizinischen Amtssachverständigen zur Beurteilung von allfälligen gesundheitlichen Beeinträchtigungen und die konsensuale Findung einer Lüftungsvariante in der mündlichen Verhandlung, die dem Stand der Technik entspricht, von der als einheitlich zu beurteilenden Rechtsprechung des Verwal­tungs­gerichtshofes nicht ab.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsge­richtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsge­richtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landes­verwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsan­walt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 2,- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

 

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

 

 

Maga. Gerda Bergmayr-Mann

 

 

 

 

 

 

 

 

LVwG-850302/12/BMa vom 23. Juni 2015

 

Erkenntnis

 

Rechtssatz

    

Normen:

§ 71a GewO

§ 77 GewO

§ 95 ASchG

 

Für den Fall der Erteilung einer Ausnahmegenehmigung, die sich auf § 95 ASchG stützt und dem Stand der Technik (§ 71a GewO) entgegenstehen würde, ist der Stand der Technik vorrangig. Denn dieser ist Genehmigungsvoraussetzung des am 1.1.2011 in der geltenden Fassung in Kraft getretenen § 77 Abs. 1 GewO. Diese Regelung steht in Zusammenhang mit dem zuletzt am 12.7.2013 novellierten § 71a GewO, in dem der Stand der Technik definiert ist.

§ 95 ASchG, auf den sich die erteilte und bekämpfte Ausnahme stützt, ist in der geltenden Fassung am 1.1.2002 in Kraft getreten. Beide Gesetze regeln Genehmigungsvoraussetzungen für Betriebsanlagen und sind als einfache Bundesgesetze im Stufenbau der Rechtsordnung gleichrangig, sodass der Grundsatz „lex posterior derogat legi priori“ zur Anwendung kommt und eine Ausnahmegenehmigung nach dem § 95 ASchG nur dann erteilt werden kann, wenn die Betriebsanlagengenehmigung - trotz Erteilung der Ausnahme - dem Stand der Technik entspricht.

 

Dem steht auch nicht entgegen, dass nach der Judikatur des VwGH der Grundsatz "lex posterior derogat legi priori" auf das Verhältnis einer späteren generellen zu einer früheren speziellen Norm nicht ohne weiteres angewendet werden kann, lässt doch die genannte (ältere) Bestimmung des ASchG keinen Aspekt erkennen, der eine abweichende Regelung vom Stand der Technik der GewO herbeiführen wollte. Es handelt sich in diesem Fall nach Auffassung des LVwG nicht um eine ältere spezielle Norm und eine jüngere generelle Norm, vielmehr sind bei der Genehmigung die in den beiden Gesetzen geregelten Voraussetzungen kumulativ zu beachten, sodass eine Ausnahme nach dem ASchG unter den dort geregelten Voraussetzungen nur dann erteilt werden kann, wenn diese nicht dem in der GewO geregelten Stand der Technik zuwiderläuft.

 

Beschlagwortung:

 

Stand der Technik; Ausnahmegenehmigung; Derogation