LVwG-750090/24/MB

Linz, 01.07.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Geschäftszeichen:                                                                                                                                                                                                                                                 Datum:

LVwG-750090/24/MB                                                                             Linz, 1. Juli 2015

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde der B. C., geb. x, StA von Türkei, vertreten durch Rechtsanwältin F. Ö., x, gegen den Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Wels-Land vom 13. August 2013, GZ: Sich40-362-1994, mit dem der Antrag der Beschwerdeführerin auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung Angehöriger abgewiesen wurde,

 

zu Recht   e r k a n n t :

I.         Gemäß § 28 Abs. 1 VwGVG wird der Beschwerde stattgegeben und ist der Beschwerdeführerin die Niederlassungsbewilligung im gesetzlich geforderten Ausmaß nach §§ 20 Abs. 1 iVm 47 NAG zu erteilen.

 

II.      Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 

.


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

 

1. Mit Bescheid des Bezirkshauptmannes des Bezirks Wels-Land vom 13. August 2013, wurde der Antrag der Beschwerdeführerin (im Folgenden: Bf) vom 19. Dezember 2012 auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung Angehöriger abgewiesen. Begründend führt die belangte Behörde nach Wiedergabe der einschlägigen Bestimmungen des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetzes Nachfolgendes aus:

„Nach Prüfung der eingereichten Unterlagen geht die Behörde von folgendem Sachverhalt aus und hat erwogen: Sie sind türkische Staatsbürgerin und haben am 19.12.2012 beim Österreichischen G. I. einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung Angehöriger eingereicht. Auf Grund des beabsichtigten Wohnsitzes wurden die Anträge über das Amt der OÖ. Landesregierung an die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land zur Entscheidung weitergeleitet. Der Antrag ist am 09.01.2013 in der Bezirkshauptmannschaft Wels-Land eingelangt.

 

Gemäß § 11 Abs. 2 Z 3 NAG dürfen Aufenthaltstitel einem Fremden nur erteilt werden, wenn der Fremde über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist.

 

Als Krankenversicherungsnachweis brachten Sie eine Reisekrankenversicherung sowie eine Bescheinigung über den Anspruch auf Sachleistungen während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Österreich ein. Beide Nachweise sind jedoch im Sinne des § 11 Abs. 2 Z 3 NAG nicht geeignet, den notwendigen Krankenversicherungsschutz in Österreich abzudecken. Somit ist eine allgemeine Erteilungsvoraussetzung nicht gegeben.

 

Gemäß § 47 Abs. 3 Ziffer 1 NAG kann Angehörigen von Zusammenführenden auf Antrag eine „Niederlassungsbewilligung - Angehöriger" erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird.

 

Mit einer Haftungserklärung vom 03.12.2012 haben Sie ihr Enkelkind S. Ö., geb. x, österreichische Staatsbürgerin, als Haftende namhaft gemacht. In Ihrem Schreiben vom 25.04.2013 gaben Sie an, keine Nachweise der tatsächlichen Unterhaltsleistung zu besitzen, jedoch zwei Mal jährlich im Zuge von Besuche einen Betrag von ca. 1.000 Euro zu erhalten. Weiters erhalten Sie monatlich eine türkische Alterspension in der Höhe von 461 Euro. Es kann zu Recht davon ausgegangen werden, dass Sie von Unterhaltsleistungen Ihres Enkelkindes S. Ö. nicht zwingend angewiesen sind, obwohl Sie dies im Ihrem Schreiben vom 25.04.2013 bekannt gaben. Durch die Alterspension in der Türkei sind Sie nicht von Ihrem Enkelkind finanziell abhängig. Sie können zur Abdeckung Ihrer Grundbedürfnisse in der Türkei selbst aufkommen. Ein Antrag gemäß § 47 Abs. 3 NAG bedeutet jedoch, dass Sie Unterhaltsleistungen benötigen müssen, um Ihre Grundbedürfnisse im Herkunftsland abdecken zu können.

 

Gemäß § 11 Abs. 3 kann trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses ein Aufenthaltstitel gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention - EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

Dazu hat die Behörde folgendes festgestellt:

Nach ha. Aktenstand haben Sie im Jahr 1994 einen Erstantrag auf Familienzusammenführung gestellt, welcher letztendlich nach jahrelangem Verfahren durch Ausschöpfung dreier Instanzenzüge abgewiesen wurde. Zwischenzeitig hielten Sie sich zwei Mal als Touristin für kurze Aufenthaltszeiten in Österreich auf. In Österreich ist daher von einem in der Vergangenheit bezogenen Familienleben nicht auszugehen. Ebenso können gewachsene soziale, persönliche als auch wirtschaftliche Bindungen in Österreich nicht festgestellt werden. Auf Grund Ihrer bisherigen touristischen Aufenthalte kann daher von einer erfolgten Integration nicht die Rede sein.

 

Sie verbrachten beinahe Ihr gesamtes Leben in Ihrem Heimatland, sind daher naturgemäß mit der dortigen Kultur und Sprache bestens vertraut. Von einer starken Bindung zum Heimatland ist daher auszugehen. Sie sind in der Türkei krankenversichert und im Genuss eines sicheren Pensionsbezuges. Darüber hinaus sind Sie in der Türkei Hausbesitzerin. Ihren Angaben zufolge haben Sie keinerlei Angehörige mehr im Heimatland und leiden an Hypertonie, Sehstörung und Diabetes. Nach ha. Informationen können diese Krankheiten auch in Ihrem Heimatland behandelt werden. Eine gemeinsame Pflege ist aus Sicht der Behörde nicht zwingend notwendig. Der Lebensmittelpunkt des Zusammenführenden Enkelkindes befindet sich auch nicht in Bad W. sondern in S..

 

Die strafgerichtliche Unbescholtenheit sowie Verstöße gegen die öffentliche Ordnung kann in dieser Abwägung nicht als Vorteil für den Antragsteller gewertet werden, dies haben bereits mehrmals die Höchstgerichte festgestellt.

 

Zusammenfassend muss daher festgestellt werden, dass nach einer Gesamtabwägung des Artikel 8 EMRK eine Erteilung des begehrten Aufenthaltstitels trotz Ermangelung mehrerer Erteilungsvoraussetzungen nicht möglich ist.

 

Mit einer Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.07.2013 hat Sie die Behörde über den Sachverhalt informiert und dazu die Möglichkeit eingeräumt, binnen 14 Tagen Stellung zu nehmen. Durch Ihre rechtsfreundliche Vertretung, der Rechtsanwaltskanzlei F. Ö., gaben Sie im Wesentlichen folgendes an:

 

‚Gemäß §11 des Abkommens über soziale Sicherheit zwischen Österreich und der Türkei (BGBl III, Nr. 220/2000) hat meine Mandantin als in der Türkei krankenversicherte Rentnerin einen Anspruch auf Sachleistungen des zuständigen österreichischen Krankenversicherungsträgers während ihres Aufenthaltes in Österreich. Da meine Mandantin noch nicht in Österreich niedergelassen ist, kann der türkische Krankenversicherungsträger nur eine vorübergehende Bescheinigung ausstellen (vgl § 5 Abs. 1 leg. cit). Die Bescheinigung TR/A 4 als Nachweis für den dauerhaften Leistungsanspruch wird nur nach Erteilung des Aufenthaltstitels vom türkischen Krankenversicherungsträger ausgestellt. Gemäß § 7 Abs. 1 Ziffer 6 NAG-DV ist in diesem Fall kein weiterer Nachweis für einen Krankenversicherungsschutz vorzulegen.

 

Es ist zwar richtig, dass meine Mandantin eine Pension iHv. umgerechnet ca. 461 Euro bezieht, dieser Betrag ist jedoch nicht ausreichend, um ihre Grundbedürfnisse zu decken, da sie als mittlerweile 71-jährige Frau vermehrte Bedürfnisse hat. Wie im vertrauensärztlichen Attest bescheinigt, leidet meine Mandantin an kortikalen Funktionsstörungen und Störungen des Kurzzeitgedächtnisses. Sie ist Witwe und hat keine Angehörigen im Haushalt, sodass sie für den Haushalt und alltägliche Besorgungen (Lebensmitteleinkäufe, Arztbesuche,  Körper- und Leibwäsche, Behördengänge etc.) auf fremde Unterstützung angewiesen ist, die auch in der Türkei Geld kostet. Es ist nicht ganz verständlich, wie die Behörde zu dem Schluss gelangt, dass meine Mandantin mit ihrer geringen Pension ihre Grundbedürfnisse befriedigen könne.

 

Dass die Enkelin meiner Mandantin in S. wohnhaft ist, ist kein Hindernis für die Erteilung des Aufenthaltstitels. Meine Mandantin hat nicht geltend gemacht, dass eine persönliche Pflege durch ihre Enkelin iSd. §47 Abs. 3 Ziffer 3 Ute) NAG erforderlich ist‘

 

Die Behörde hat entschieden:

Es steht außer Zweifel, dass ein Aufenthaltstitel nur dann gewährt werden kann, wenn die Erteilungsvoraussetzungen gemäß § 11 Abs. 2 erfüllt sind. Demnach ist ein Aufenthaltstitel nur dann zu erteilen, wenn der Fremde über einen alle Risiken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist. Sie gaben in Ihrer Stellungnahme an, dass Sie während Ihres Aufenthaltes in Österreich einen Anspruch auf Sachleistungen des zuständigen österreichischen Krankenversicherungsträger haben. Nachgewiesen haben Sie jedoch nur eine Bescheinigung über den Anspruch auf Sachleistungen während eines vorübergehenden Aufenthaltes in Österreich. Da Sie sich in Österreich niederlassen möchten, ist vor Erteilung dieses Aufenthaltstitels ein entsprechender Nachweis gemäß § 11 Abs. 2 NAG nachzuweisen. Dieses Beweismittel konnten Sie bis dato nicht einbringen. Eine gewichtige Erteilungsvoraussetzung ist somit nicht gegeben.

 

Weiters gaben Sie an, mit Ihrer Rente von 461 Euro die Grundbedürfnisse in der Türkei nicht abdecken zu können. Die BH Wels-Land nahm daraufhin mit dem österreichischen G. I. Kontakt auf, um die Höhe einer Mindestpension in der Türkei herauszufinden. Das G. I. gab bekannt, dass es in der Türkei keine generelle Mindestpension gibt, jedoch seit neuestem für Witwen, deren Ehemänner nie eingezahlt haben, eine Mindestzahlung in der Höhe von 250 TL unter Beachtung der Eigenmittel und bestimmten Voraussetzungen gibt. Umgerechnet bedeutet dies eine Mindestzahlung von ca. 97 Euro monatlich.

 

Die Bezirkshauptmannschaft Wels-Land kann somit aus gutem Recht davon ausgehen, dass Ihre Pension in der Höhe von 461 Euro ausreicht, um in der Türkei die Grundbedürfnisse abdecken zu können. Aus Sicht der Behörde können Sie für Ihren Lebensunterhalt in der Türkei selbst aufkommen und sind auf den Haftenden nicht angewiesen. In einem Schreiben vom 25.04.2013 gaben Sie an, zweimal jährlich einen Geldbetrag von 1.000 Euro von der Haftenden zu erhalten. Demnach wären dies monatlich 166 Euro, welche aus Sicht der Behörde ein zusätzlicher finanzieller Polster für ein besseres Leben in der Türkei darstellen.

 

Im besagten Schreiben vom 25.04.2013 gibt die Haftende sehr wohl an, dass Sie Pflegebedürftig sind, dies wird jedoch durch das Schreiben der Rechtsanwaltskanzlei vom 25.07.2013 widerlegt. Jedenfalls ist ein gemeinsamer Wohnsitz zwischen der Haftenden und der Antragstellerin nicht gegeben und daher Ihre Pflegebedürftigkeit mehr als fraglich.

 

In Verfahren zur Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 und 3 NAG hat die Behörde infolge des Urteils des Europäischen Gerichtshofes (EuGH) vom 15. November 2011 in der Rechtsache C-256/11, M. D. u.a., zu berücksichtigen, ob eine österreichische Ankerperson eines drittstaatsangehörigen Antragstellers bei Nichtgewährung des von diesem begehrten Aufenthaltstitels de facto gezwungen wäre, Österreich und das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen.

 

Mit Verständigung vom Ergebnis der Beweisaufnahme vom 11.07.2013 wurde Ihnen Gelegenheit gegeben, Umstände im oben genannten Sinne vorzubringen.

Ein entsprechendes Vorbringen wurde von Ihnen in der Folge jedoch nicht erstattet. In seiner aktuellen Entscheidung in der Rechtssache D. (C-256/11) hebt der EuGH mehrfach hervor, dass der Unionsbürgerstatus dazu bestimmt ist, der grundlegende Status der Angehörigen der Mitgliedstaaten zu sein. Art. 20 AEUV stehe nationalen Maßnahmen entgegen, die bewirken, dass den Unionsbürgern (hier der österreichischen Ankerperson) der tatsächliche Genuss des Kernbestandes der Rechte, die ihnen der Unionsbürgerstatus verleiht, verwehrt wird (vgl. Rz 62 der genannten EuGH Entscheidung).

 

Mit der Entscheidung in der Rechtssache D. präzisierte der EuGH seine bisherige Rechtsprechung (insbesondere in der Rs. Zambrano, C-34/09) und folgerte, „dass sich das Kriterium der Verwehrung des Kernbestandes der Rechte, die der Unionsbürgerstatus verleiht, auf Sachverhalte bezieht, die dadurch gekennzeichnet sind, dass sich der Unionsbürger de facto gezwungen sieht, nicht nur das Gebiet des Mitgliedstaats, dem er angehört, zu verlassen, sondern das Gebiet der Union als Ganzes." (vgl. Rz. 66 der genannten EuGH Entscheidung D.). Ein Aufenthaltsrecht darf dieser Entscheidung zu Folge einem drittstaatszugehörigen Familienangehörigen eines Österreichers nicht verwehrt werden, wenn die österreichische Ankerperson im Falle der Verweigerung des begehrten Aufenthaltstitels nach § 47 Abs. 2 oder 3 NAG für den drittstaatszugehörigen Antragsteller de facto gezwungen wäre, sowohl Österreich als auch das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. In einem derartigen Fall würde die Nichtgewährung des Aufenthaltsrechts bedeuten, dass die Unionsbürgerschaft der österreichischen Ankerperson ihrer praktischen Wirksamkeit beraubt würde.

 

Als Anhaltspunkte für die maßgebliche Frage, unter welchen tatsächlichen Gegebenheiten ein Antragsteller de facto gezwungen ist, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, erläutert der EuGH, dass die bloße Tatsache, dass es für einen Staatsbürger eines Mitgliedstaates aus wirtschaftlichen Gründen oder zur Aufrechterhaltung der Familiengemeinschaft im Gebiet der Europäischen Union wünschenswert erscheinen könnte. dass sich Drittstaatsangehörige mit ihm zusammen im Gebiet der Europäischen Union aufhalten können, für sich genommen nicht die Annahme rechtfertigt, dass der Unionsbürger gezwungen wäre, das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen, wenn kein Aufenthaltsrecht gewährt würde (vgl. EuGH, Rechtssache D., C-256/11, Rz 68, bzw. VwGH vom 19. Jänner 2012, ZI. 2011/22/0313 sowie VwGH vom 19. Jänner 2012, ZI. 2011/22/0312)

 

Mit Blick auf die Rechtsprechung des EuGH in der Rechtssache Zambrano, C - 34/09, ist jedenfalls in jenen Fällen der Kernbestand der Unionsbürgerrechte beeinträchtigt, in denen ein minderjähriger Unionsbürger aus dem Gebiet der Europäischen Union ausreisen müsste, um seinen beiden drittstaatsangehörigen Elternteilen (weil diesen kein Aufenthaltsrecht gewährt wurde) zu folgen.

 

Auf Grundlage der bisherigen Judikatur des EuGH ist daher lediglich in Ausnahmesituationen von einer Gefahr der Beeinträchtigung des Kernbestands der Unionsbürgerrechte auszugehen (vgl. EuGH Entscheidung in der Rechtssache D., Rz67). Diese Auffassung des EuGH hat mittlerweile auch der VwGH seinen Entscheidungen mehrfach zugrunde gelegt (vgl. z.B. VwGH vom 21. Dezember 2011, ZI. 2009/22/0054, sowie vom 19. Jänner 2012, ZI. 2008/22/0130).

 

Nach vorliegender Aktenlage wird vor dem Hintergrund der obigen Ausführungen im Ergebnis nicht davon ausgegangen, dass es für Ihre österreichische Ankerperson bedeuten würde, „de facto" Österreich und das Gebiet der Europäischen Union verlassen zu müssen, wenn Ihnen kein Aufenthaltstitel erteilt wird.

 

Dies aus folgenden Erwägungen:

Sie sind Großmutter eines erwachsenen Österreichers. Aus der Aktenlage ergeben sich keinerlei Hinweise darauf, dass sich Ihr Enkelkind in einer Ausnahmesituation befindet, die bei Nichtgewährung eines Aufenthaltstitels an Sie bedeuten würde, dass der Zusammenführende de facto gezwungen wäre das Gebiet der Europäischen Union zu verlassen. Weder der bloße Wunsch nach einem Zusammenleben in Österreich, noch wirtschaftliche Überlegungen rechtfertigen jedoch für sich genommen die Annahme eines de facto Zwanges im oben genannten Sinn. Weitere besondere Umstände, die in Ihrem Fall auf eine Ausnahmesituation schließen lassen könnten, haben Sie weder vorgebracht, noch ergeben sich diese unmittelbar aus dem Akteninhalt.

 

Auf Grund der oben beschriebenen fehlenden Erteilungsvoraussetzung sowie Ihrer Möglichkeit, die Grundbedürfnisse in der Türkei selbst abdecken zu können, sind für die Antragstellerin maßgebliche Voraussetzungen für die Erteilung des beantragten Aufenthaltstitels nicht erfüllt und kann aus diesem Grunde der beantragte Aufenthaltstitel nicht erteilt werden.“

 

2. Gegen diesen Bescheid erhob die Bf rechtzeitig die nunmehr als Beschwerde geltende Berufung und stellte darin den Antrag, dass der Bescheid der Berufungsbehörde ersatzlos behoben und die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurückverwiesen werden möge.

 

Begründend führt die Bf aus.

„I. Sachverhalt

Die Berufungswerberin stellte am 19.12.2012 einen Antrag auf Erteilung einer Niederlassungsbewilligung „Angehöriger". Sie ist Witwe, bezieht eine Witwenpension und leidet an altersbedingten Krankheiten, sodass sie Hilfe im Alltag benötigt. Sie erhält Unterhaltsleistungen von ihrer in Österreich lebenden Enkelin Mag. S. Ö..

 

Mit streitgegenständlichem Bescheid wurde der Antrag der Berufungswerberin abgewiesen, mit der Begründung, dass sie keinen Nachweis der Krankenversicherung erbracht habe, sie mit ihrer Pension in der Türkei das Auslangen hätte und die Zusammenführende Enkelin nicht gezwungen wäre das Gebiet der Europäischen Union

zu verlassen, wenn der Berufungswerberin kein Aufenthaltstitel erteilt wird.

 

II. Rechtliche Würdigung

Der Bescheid der BH Wels-Land ist rechtswidrig, da das Ermittlungsverfahren mangelhaft durchgeführt wurde und dem Bescheid eine falsche rechtliche Würdigung zugrunde liegt.

 

1. Verfahrensfehler

Die BH Wels-Land hat in ihrem Bescheid angeführt, dass sie das Österreichische G. I. kontaktiert und Informationen hinsichtlich Mindestpensionen in der Türkei eingeholt hat. Die Ergebnisse dieser Anfrage wurden zur Entscheidungsfindung herangezogen, aber der Berufungswerberin bzw. der Rechtsvertreterin zu keinem Zeitpunkt mitgeteilt, sodass auch keine Stellungnahme diesbezüglich abgegeben werden konnte. Es liegt somit eine Verletzung des Parteiengehörs vor.

 

2. Inhaltliche Mängel

a) Krankenversicherung

Bezüglich der Krankenversicherung der Berufungswerberin wurde bereits in der Stellungnahme vom 23.07.2013 auf § 11 des Sozialversicherungsabkommens zwischen Österreich und der Türkei hingewiesen. Die Berufungswerberin als Bezieherin einer Witwenpension hat einen Anspruch auf Sachleistungen des zuständigen österreichischen Krankenversicherungsträgers während ihres Aufenthalts in Österreich. Da sie noch nicht in Österreich niedergelassen ist, kann der türkische Krankenversicherungsträger nur eine vorübergehende Bescheinigung ausstellen. Die Bescheinigung TR/A 4 als Nachweis für den dauerhaften Leistungsanspruch wird nur nach Erteilung des Aufenthaltstitels ausgestellt.

Gemäß § 7 Abs. 1 Ziffer 6 NAG-DV ist in diesem Fall kein weiterer Nachweis für einen Krankenversicherungsschutz vorzulegen.

 

b) Unterhalt

Es wurde bereits in der Stellungnahme vom 23.07.2013 die persönliche Situation dargelegt und darauf hingewiesen, dass die Berufungsweberin aufgrund ihres Alters von 71 Jahren und ihrer Erkrankungen, die auch von der BH Wels-Land nicht bestritten werden, vermehrte Bedürfnisse hat. Um diese Bedürfnisse, wie etwa Haushaltshilfe, Mobilität etc. zu befriedigen, bedarf es finanzieller Mittel. Die Berufungswerberin ist Witwe und lebt allein, sodass sie auf Hilfe von Dritten angewiesen ist, um ihren Alltag zu meistern.

 

Bei den von der BH ermittelten 250,00 TL handelt es sich um keine Mindestpension, sondern eine Art Sozialhilfeleistung für Witwen, die keine soziale Absicherung haben. Das bedeutet nicht, dass mit 250,00 TL der Lebensunterhalt finanziert werden kann. Solch eine unqualifizierte Behauptung der BH ist schlichtweg absurd und entbehrt jeglicher nachvollziehbarer Grundlage.

 

Fragwürdig ist des Weiteren die These der BH Wels-Land, dass die Berufungswerberin aufgrund der Unterhaltszahlungen der zusammenführenden Enkelin ein finanzielles Polster für ein „besseres Leben in der Türkei" darstelle. Folgt man dieser Meinung, ist § 47 Abs. 3 Ziffer 1 NAG obsolet, da unter diesen Umständen kein Angehöriger nach Österreich ziehen könnte, da durch die tatsächlichen Unterhaltsleistungen immer eine finanzielle Besserstellung im Ausland erfolgt.

 

Da die Voraussetzungen für die Erteilung des Aufenthaltstitels erfüllt gewesen sind, hätte die BH-Wels-Land dem Antrag der Berufungswerberin entsprechen müssen.“

 

3. Mit Schreiben vom 21. Mai 2014 erstattete die Bf ein ergänzendes Vorbringen und legte einen medizinischen Bericht vor. Im Wesentlichen führt die Bf aus, dass sich ihr Gesundheitszustand verschlechtert hat. Die Bf leide an Herzproblemen und benötige dringend die Betreuung durch ihre Familienangehörigen, da sie alleine lebe und auf die Hilfe Dritter angewiesen sei, um den Alltag meistern zu können. Um sich diese Hilfe derzeit zu finanzieren erhalte die Bf auch die Unterhaltszahlungen ihrer Enkelin S. Ö., welche auch die Haftungserklärung abgegeben habe.

 

4. Mit Schreiben vom 27. Jänner 2014 legte das Bundesministerium für Inneres den in Rede stehenden Verwaltungsakt dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zur Entscheidung vor.

 

5. Mit Beschluss vom 1. Juli 2014 behob das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich den Bescheid der belangten Behörde und verwies ob der ausschließlichen Antragstellung der Bf die Angelegenheit zur neuerlichen Entscheidung an die belangte Behörde zurück. Der diesbezüglich erhobenen außerordentlichen Revision wurde vom Verwaltungsgerichtshof mit Entscheidung vom 27. Jänner 2015 Recht gegeben und der Beschluss des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich mit der Argumentation behoben, dass eine strikte Antragsbindung mit § 28 VwGVG nicht vereinbar ist (VwGH 27.1.2015, Ra 2014/22/0087).

 

6. Mit Schreiben vom 12. März 2015 forderte das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich die Bf zur Vorlage ergänzender Beweismittel auf.

 

7. Mit Schreiben vom 25. März 2015 übermittelte die Bf nachfolgende Urkunden:

·         Nachweis der Notwendigkeit einer Unterhaltsgewährung an die Bf durch die Zusammenführende durch Bestätigung des Herrn I. B., des Taxiunternehmers „E. T.“ und Frau B. B.. Diesbezüglich führt die Bf an, dass sie aufgrund ihres Alters und des Pflegebedarfes monatlich Ausgaben in der Höhe von 500 TL hat. Diese Ausgaben werden durch die vorgelegten Nachweise belegt. Frau B. B. gibt an, dass sie jeden zweiten Tag für die Bf putze und koche. Dafür erhalte sie 220 TL monatlich. Herr S. E. D. bestätigt, dass er die Bf für 80 TL zum Krankenhaus und zum Einkaufen fährt. Weiters gibt Herr I. B. an, dass er der Bf grundsätzlich im Haushalt behilflich ist, sie zu Terminen begleitet, ihre Rechnungen erledigt und Gegenstände im Haushalt repariert. Dafür erhält er 200 TL pro Monat. Die gesamte Rente in der Höhe von 1080 TL (ca. 380 EUR) werde von der Bf für ihre allernotwendigsten Ausgaben vollständig verbraucht (Betriebskosten, Lebensmittel, Strom, Heizung, Wasser, Telefon etc.). Ohne die finanzielle Unterstützung der Zusammenführenden wäre es der Bf daher nicht möglich ihren Lebensunterhalt, insb. den erhöhten Pflegebedarf zu finanzieren.

·         Betreffend den Krankenversicherungsschutz legt die Bf ein anonymisiertes Formular für die Bescheinigung über den Anspruch auf Sachleistungen während eines dauernden Aufenthaltes in Österreich und das Abkommen zwischen Österreich und der Türkei über die Soziale Sicherheit, BGBl. III 220/2000 vor. Zudem übermittelt die Bf die Kopie eines Antragsformulares der steiermärkischen Gebietskrankenkasse, worin die Bescheinigung des dauernden Aufenthaltes außerhalb Österreichs als Voraussetzung für die Erledigung des Antrages genannt wird. Zudem wird ein email-Verkehr mit der Oö. GKK, worin diese darauf hinweist, dass die Rechtsgrundlage für den Leistungsaustausch ausschließlich das genannte Abkommen ist.

 

8. Die ergänzend vorgelegten Beweismittel wurden der belangten Behörde zur Stellungnahme vorgelegt. Nach Gewährung der beantragten Fristerstreckung tritt die belangte Behörde den vorgelegten Beweisen insofern entgegen, als sie auf die Revisionsschrift verweist.

 

9. Zusätzlich dazu legte die Bf mit Schreiben vom 18.6.2015 einen gültigen Mietvertrag und mehrere Unterlagen betreffend ihres bestehenden Krankenversicherungsschutzes in der Türkei, der Tragfähigkeit der Haftungserklärung der Zusammenführenden vor sowie eine private Krankenversicherung der Bf in Österreich.

 

10. Mit Schreiben vom 22. Juni 2015 wurden die vorgelegten Beweismittel der belangten Behörde zur Stellungnahme vorgelegt. Die belangte Behörde verweist dazu mit Schreiben vom 25. Juni 2015 auf die Ausführungen in der Revision.

 

 

II.

 

1. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den vorgelegten Verwaltungsakt und das Beschwerdevorbringen samt den ergänzenden Vorbringen der Bf. Gem. § 24 Abs. 2 Z 1 VwGVG konnte von einer öffentlichen mündlichen Verhandlung abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid zu beheben war.

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht bei seiner Entscheidung von dem unter Punkt I. dieses Erkenntnisses dargestellten Lebenssachverhalt aus.

 

Darüber hinaus ist aufgrund der von der Bf vorgelegten Unterlagen, welche im Wesentlichen unwidersprochen blieben, und das Landesverwaltungsgericht auch keinen Grund zum Zweifeln an deren Wahrheitsgehalt hat, folgender Sachverhalt ergänzend festzustellen:

 

Die Bf hat von ihrer Witwenpension idHv. ca. 461 Euro notwendige Aufwendungen idHv ca. 170 Euro für ihren Lebensunterhalt zu leisten, welche Aufwendungen darstellen, die aufgrund ihrer körperlichen Konstitution, ihres Alters, der Situierung ihres Haushaltes und die mangelnde familiäre Anknüpfung in ihrer Heimat resultieren. Die Bf hat kortikale Funktionsstörungen, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, Hypertonie, Sehstörungen, Diabetes, Herzflimmern, unkontrollierter und undefinierbarer hoher Blutdruck. Es liegt eine ärztliche Empfehlung vor, dass die Bf bei ihrer Familie wohnen soll. Die Bf verwendet die ca 166 Euro pro Monat, welche sie von der Zusammenführenden erhält zur Deckung ihrer Grundbedürfnisse vor Ort. Der Mindestlohn beträgt in der Türkei ca 350 Euro. Weiters ist festzustellen, dass die Zusammenführende 2592 Euro netto pro Monat verdient. Die Bf soll im gemeinsamen Haushalt mit der Zusammenführenden leben und hat insofern gesichert eine Unterkunft. Die Zusammenführende hat auch keine weiteren Leistungspflichten. Der Gatte der Zusammenführenden weist ein Nettogehalt idHv ca. 1500 Euro netto im Monat auf. Die Bf hat zudem eine Krankenversicherung für Ausländer abgeschlossen, welche ab Niederlassung in Österreich für 12 Monate Gültigkeit aufweist (Pol.Nr.: x).

 

Der Sachverhalt ergibt sich insofern unwidersprochen und unstrittig aus dem Akteninhalt und den ergänzenden Beweisvorbringen der Bf.

 

 

III.

 

1. Gemäß § 82 Abs. 26 NAG, BGBl I 100/2005 idF 40/2014 sind alle mit Ablauf des 31. Dezember 2013 beim Bundesminister für Inneres anhängigen Berufungsverfahren und Verfahren wegen Verletzung der Entscheidungspflicht (§ 73 AVG) nach diesem Bundesgesetz, ab 1. Jänner 2014 vom jeweils zuständigen Landesverwaltungsgericht nach den Bestimmungen dieses Bundesgesetzes in der Fassung vor dem Bundesgesetz BGBl. I Nr. 87/2012 zu Ende zu führen.

 

2. § 47 Abs. 1 NAG idF BGBl I 50/2012 (in der Folge: NAG) normiert, dass Zusammenführende im Sinne der Abs. 2 bis 4 Österreicher oder EWR-Bürger oder Schweizer Bürger sind, die in Österreich dauernd wohnhaft sind und nicht ihr unionsrechtliches oder das ihnen auf Grund des Freizügigkeitsabkommens EG-Schweiz zukommende Aufenthaltsrecht von mehr als drei Monaten in Anspruch genommen haben.

 

Gem. § 47 Abs. 3 NAG kann Angehörigen von Zusammenführenden auf Antrag eine „Niederlassungsbewilligung – Angehöriger” erteilt werden, wenn sie die Voraussetzungen des 1. Teiles erfüllen und

1. Verwandte des Zusammenführenden, seines Ehegatten oder eingetragenen Partners in gerader aufsteigender Linie sind, sofern ihnen von diesen tatsächlich Unterhalt geleistet wird,

2. Lebenspartner sind, die das Bestehen einer dauerhaften Beziehung im Herkunftsstaat nachweisen und ihnen tatsächlich Unterhalt geleistet wird oder

3. sonstige Angehörige des Zusammenführenden sind,

a) die vom Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat Unterhalt bezogen haben,

b) die mit dem Zusammenführenden bereits im Herkunftsstaat in häuslicher Gemeinschaft gelebt haben oder

c) bei denen schwerwiegende gesundheitliche Gründe die persönliche Pflege durch den Zusammenführenden zwingend erforderlich machen.

 

Unbeschadet eigener Unterhaltsmittel hat der Zusammenführende jedenfalls auch eine Haftungserklärung abzugeben.

 

Gem. § 11 Abs. 2 NAG dürfen einem Fremden Aufenthaltstitel nur erteilt werden, wenn

1. der Aufenthalt des Fremden nicht öffentlichen Interessen widerstreitet;

2. der Fremde einen Rechtsanspruch auf eine Unterkunft nachweist, die für eine vergleichbar große Familie als ortsüblich angesehen wird;

3. der Fremde über einen alle Risken abdeckenden Krankenversicherungsschutz verfügt und diese Versicherung in Österreich auch leistungspflichtig ist;

4. der Aufenthalt des Fremden zu keiner finanziellen Belastung einer Gebietskörperschaft führen könnte;

5. durch die Erteilung eines Aufenthaltstitels die Beziehungen der Republik Österreich zu einem anderen Staat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt nicht wesentlich beeinträchtigt werden, und

6. der Fremde im Fall eines Verlängerungsantrages (§ 24) das Modul 1 der Integrationsvereinbarung gemäß § 14a rechtzeitig erfüllt hat.

 

Gem. § 11 Abs. 3 NAG kann ein Aufenthaltstitel trotz Vorliegens eines Erteilungshindernisses gemäß Abs. 1 Z 3, 5 oder 6 sowie trotz Ermangelung einer Voraussetzung gemäß Abs. 2 Z 1 bis 6 erteilt werden, wenn dies zur Aufrechterhaltung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 der Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (Europäische Menschenrechtskonvention – EMRK), BGBl. Nr. 210/1958, geboten ist. Bei der Beurteilung des Privat- und Familienlebens im Sinne des Art. 8 EMRK sind insbesondere zu berücksichtigen:

1. die Art und Dauer des bisherigen Aufenthalts und die Frage, ob der bisherige Aufenthalt des Drittstaatsangehörigen rechtswidrig war;

2. das tatsächliche Bestehen eines Familienlebens;

3. die Schutzwürdigkeit des Privatlebens;

4. der Grad der Integration;

5. die Bindungen zum Heimatstaat des Drittstaatsangehörigen;

6. die strafgerichtliche Unbescholtenheit;

7. Verstöße gegen die öffentliche Ordnung, insbesondere im Bereich des Asyl-, Fremdenpolizei- und Einwanderungsrechts;

8. die Frage, ob das Privat- und Familienleben des Drittstaatsangehörigen in einem Zeitpunkt entstand, in dem sich die Beteiligten ihres unsicheren Aufenthaltsstatus bewusst waren;

9. die Frage, ob die Dauer des bisherigen Aufenthaltes des Fremden in den Behörden zurechenbaren überlangen Verzögerungen begründet ist.

 

2. Unstrittig ist zunächst festzuhalten, dass die Bf die Großmutter der österreichischen Staatsbürgerin, S. Ö., geb. x – und Zusammenführenden iSd § 47 Abs. 1 NAG – ist. Die grundlegende Anwendbarkeit des § 47 Abs. 3 NAG ist somit gegeben.

 

2.1. Eine Haftungserklärung der Zusammenführenden liegt ebenso unstrittig gem. § 47 NAG vor. Vor dem Hintergrund der Ausführungen unter Pkt. 4.ff ist auch deren Tragfähigkeit iSd § 2 Abs. 1 Z 15 NAG iVm § 11 Abs. 5 NAG gegeben. Es liegt eine notarielle beglaubigte Haftungserklärung vor, welche aufgrund des Einkommens der Zusammenführenden (12x2592 Euro netto; als Beschäftigte des G. der Republik T. in S.) auch die entsprechende (finanzielle) Leistungsfähigkeit im Lichte der ASVG-Richtsätze zu Grunde gelegt hat (VwGH 18.3.2010, 2008/22/0637; VwGH 19.1.2012, 2009/22/0137). Hinzutritt, dass die Bf selbst eine türkische Pension idHv. ca. 461 Euro erhält und dies bei der Berechnung der Leistungsfähigkeit einfließt. Entsprechend den Angaben der Zusammenführenden (ON 41) wird sie auch mit der Zusammenführenden in einem gemeinsamen Haushalt leben. Darüber hinaus ist zu erkennen, dass die Zusammenführende über keine weiteren Leistungspflichten verfügt. Insofern sind bei einem Nettoeinkommen von 2268 Euro pro Monat und einer Mietzinsbelastung von 200 Euro pro Monat die von der Judikatur vorgegebenen Richtsätze – auch ohne Bezug auf die Pension der Bf - erfüllt (VwGH 25.3.2010, 2009/21/0297).

 

3. Weiters ist festzuhalten, dass die Bf einen Rechtsanspruch auf eine ausreichende Unterkunft iSd § 11 Abs. 2 Z 2 NAG nachweist (s dazu Vertrag vom 13.6.2015).

 

4. Zu den (weiteren) Voraussetzungen des 1. Teiles des Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetztes ist zunächst auszuführen, dass die Bf ob ihres Gesundheitszustandes und Alters gem. § 14a Abs. 5 Z 2 NAG von der Erfüllung der Integrationsvereinbarung ausgenommen ist (s dazu ON 43; s Gutachten des Gesundheitsausschusses des G. Krankenhauses).

 

4.1. Festzuhalten ist weiters, dass betreffend den Krankenversicherungsschutz gem. § 11 Abs. 2 Z 3 NAG auf das Abkommen zwischen der Republik Österreich und der Republik Türkei über die soziale Sicherheit Bedacht zu nehmen ist (vgl. BGBl III 219/2000). Artikel 11 Abs. 1 des Abkommens sieht vor, dass eine Person, welche die Voraussetzungen für einen Leistungsanspruch nach den Rechtsvorschriften eines Vertragsstaates erfüllt und im Gebiet des anderen Vertragsstaates (= hier: Österreich) wohnt Anspruch auf Sachleistungen zu Lasten des zuständigen Trägers vom Träger des Wohn- oder Aufenthaltsortes nach den für diesen Träger geltenden Rechtsvorschriften hat, als ob die Person bei diesem versichert wäre.

 

Im gegenständlichen Fall stellt der türkische Sozialversicherungsträger die Bestätigung des sich in Art. 11 Abs. 1 lit. a des Abkommens gründenden Rechts nur nach vorheriger Wohnsitznahme aus. Die Bescheinigung selbst ist aber nur ein Beweismittel für das Bestehen des Anspruches. Aus dem Bestehen der Sozialversicherungsnummer, der Bestätigung der Pensionsleistung, der Vorlage des Dokumentes TR/A 3 und den Ausführungen der Bf, dass eine Ausstellung der Bestätigung nur aufgrund des „verkehrten“ Ablaufes im konkreten Fall nicht möglich ist, ist obschon die Bestätigung TR/A 4 nicht vorliegt, davon auszugehen, dass die Bf mit der Versicherungsnummer x in der Türkei leistungsberechtigt ist und daher gem. Art. 11 Abs. 1 lit a des Abkommens ein umfassender Krankenversicherungsschutz in Österreich mit Regress an den türkischen Träger besteht. Die Bf bringt hier – entgegen der Konstellation zu VwGH 4.9.1998, 96/19/0377, zumal auch das Abkommen über die soziale Sicherheit in der derzeit geltenden Fassung erst im Jahr 2000 beschlossen wurde! – von sich aus vor, dass eben durch ihren in der Türkei bestehenden Krankenversicherungsschutz (so auch die belangte Behörde, Bescheid S 4) und den funktionierenden Mechanismus der Rückverrechnung (s email Oö. GKK, Antragsformular S. GKK) ein alles abdeckender Krankenversicherungsschutz im Zeitpunkt der Erteilung des Aufenthaltstitles besteht, da eben ein aufrechtes Versicherungsverhältnis in der Türkei Bestand hat.

 

Zusätzlich dazu bringt die Bf eine private Krankenversicherung für die Dauer von 12 Monaten bei.

 

5. Streitgegenständlich (§§ 9, 27 VwGVG) erweist sich nun noch die weitere Voraussetzung der Unterhaltsleistung gem. § 47 Abs. 3 Z 1 NAG von der Zusammenführenden. Unstrittig ist in diesem Punkt, dass die Bf eine monatliche Zuweisung der türkischen Republik idHv. 1038,82 TL erhält (Alterspension). Die Zusammenführende selbst überweist der Bf ca. 2000 Euro pro Jahr als Zuschuss.

 

5.1. Als Unterhalt sind in Zusammenhang mit dieser Bestimmung nur Leistungen zu verstehen, welche benötigt werden, um für die Bf im derzeitigen Unterkunftsland die Grundbedürfnisse abzudecken (s EuGH Rs C-1/05 Rs Yunying Jia gg Migrationswerk, I-53 2.). Diese Unterhaltsgewährung muss tatsächlich gegeben sein und wird nicht alleine durch einen Formalakt (z.B.: Verpflichtungserklärung) erfüllt (s EuGH Rs C-1/05 Rs Yunying Jia gg Migrationswerk, I-53 Rz 42; s auch VwGH 19.1.2012, 2009/22/0146).

 

Hieraus ergibt sich nun, dass nicht jedwede Geldleistung des Zusammenführenden an die Bf als Unterhalt im Sinne des § 47 Abs. 3 Z 1 NAG zu werten ist. Bloß jene Geldleistung die zur Deckung der Grundbedürfnisse notwendig ist, wird gewertet. Zu beachten ist, dass im Sinne dieser Ausführungen vom Europäischen Gerichtshof ein gewisses Ausmaß an Grundbedarfsrelevanz nicht gefordert wird (s dahingehend auch NAG-Handbuch Pkt. 5.1.6.3.). MaW: Der Grundbedarf muss nicht zur Gänze aus der Geldleistung gedeckt werden. Es reicht im Lichte dieser Judikatur hin, dass bloß ein Teil der Grundbedürfnisse notwendig mit der Geldleistung des Zusammenführenden gedeckt werden, um die Voraussetzung des § 47 Abs. 3 Z 1 NAG zu erfüllen.

 

Die Bf – wie im Verfahren ausdrücklich dargelegt – ist mit erheblichen gesundheitlichen Problemen konfrontiert. Sie hat selbst kein familiäres Netzwerk in ihrer Heimat und lebt zudem außerhalb des städtischen Raumes (300 km außerhalb I.). Aus diesen Umständen ergibt sich folgende Situation: kein Netzwerk, hohes Alter, ungünstiger Wohnort, kein Familienanschluss, Krankheit, Einschränkung der Mobilität, Medikation, hoher Bedarf an Unterstützung.

 

Die Bf bezieht zur Deckung ihres Grundbedarfes und zur Abdeckung der sonst notwendigen Aufwendungen eine türkische Alterspension in der Höhe von ca. 461 Euro. Mit dieser Alterspension hat die Bf auch die oben angeführten Unterstützungsleistungen zu bezahlen. So ist es notwendig, dass die Bf für Frau B. B. zum Putzen und Kochen monatlich 220 TL zahlt. Herr S. E. D. erhält dafür, dass er die Bf zum Krankenhaus und zum Einkaufen fährt 80 TL im Monat. Weiters erhält Herr I. B., für seine grundsätzliche Unterstützung im Haushalt und der sonstigen Lebensführung (Begleitung zu Terminen, Rechnungen erledigen und Gegenstände im Haushalt reparieren) 200 TL pro Monat. In Summe stellt dies aufgrund der Gesamtsituation der Bf (Alter, Gesundheit, Wohnsitz, Familienstruktur, Familieneinbindung etc.) eine Belastung von 500 TL pro Monat dar (= ca. 170 Euro). Die Notwendigkeit dieser Leistungen sind durch die Bf nachgewiesen worden und durch ihr Alter und ihren Krankheitszustand indiziert (kortikale Funktionsstörungen, Störungen des Kurzzeitgedächtnisses, Hypertonie, Sehstörungen, Diabetes, Herzflimmern, unkontrollierter und undefinierbarer hoher Blutdruck – diesbezüglich findet sich auch die ärztliche Empfehlung die Bf bei ihrer Familie wohnen zu lassen). Erschwerend kommt hinzu, dass die Bf auf keinerlei familiäres Netzwerk in ihrer Heimat zurückgreifen kann und sohin unterstützende Tätigkeiten zugekauft werden müssen. Werden nun diese 170 Euro von den der Bf zur Verfügung stehenden 461 Euro abgezogen, so ergibt sich ein Volumen von ca. 291 Euro, welches die Bf zur Deckung ihres Grundbedarfes zur Verfügung hat. Entsprechend den Ausführungen der belangten Behörde in der Revision liegen sohin die der Bf zur Deckung ihrer grundlegenden Bedürfnisse zur Verfügung stehenden Mittel unter dem offiziellen Mindestlohn von 350 Euro pro Monat. Die von der Zusammenführenden geleisteten 2000 Euro pro Jahr (166 Euro pro Monat) sind sohin notwendig, damit die Bf das Volumen eines Mindestlohnes zur Verfügung hat, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten und sohin ihre Grundbedürfnisse (EuGH Rs C-1/05 Rs Yunying Jia gg Migrationswerk, I-53 2.) zu decken.

 

Insofern erfüllt die Bf auch die Voraussetzungen des § 47 Abs. 3 Z 1 NAG.

 

6. Im Ergebnis ist sohin der Beschwerde stattzugeben und die beantragte Niederlassungsbewilligung für die Dauer von 12 Monaten (§§ 8, 20 Abs. 1 und 47 Abs. 3 NAG) zu erteilen.

 

 

 

 

IV.

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes. Einerseits ist zu erkennen, dass das Landesverwaltungsgericht nicht entgegen der Rsp des Verwaltungsgerichtshofes entschieden hat, da die Rechtslage sich als geändert darstellt. Andererseits ist zu erkennen, dass die darüber hinausgehenden Fragestellungen sich auf die Art und Weise des Nachweises der Tatbestandsvoraussetzungen des Art 11 des Abkommens über die soziale Sicherheit (Türkei) bzw. des § 11 NAG beziehen (s VwGH 20.10.2011, 2009/2/0277). Zum Beweismaß selbst bzw. zur Funktion der Beweiswürdigung ist ebenso einschlägige Rechtsprechung vorhanden (s Hengstschläger/Leeb, § 45 Rz 2f). Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor, zumal im Rahmen dieser Beurteilung jeweils auf die konkrete familiäre, budgetäre Einzelsituation abzustellen ist.

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.


 

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter