LVwG-700079/2/MB/BD

Linz, 03.08.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seinen Richter Dr. Markus Brandstetter über die Beschwerde des B. D., geb. x, Xgasse 7/Stg. x, A., gegen das Straferkenntnis des Landespolizeidirektors von Oberösterreich vom 18.12.2014, GZ: VStV/914301269143/2014,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Der Beschwerde wird stattgegeben, das angefochtene Straferkenntnis ersatzlos behoben und das Verwaltungsstrafverfahren eingestellt.

 

II.      Der Beschwerdeführer hat keinen Beitrag zu den Kosten des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens zu leisten.

 

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art 133 Abs 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I.

 

1. Mit Straferkenntnis des Landespolizeidirektors von Oberösterreich vom 18.12.2014, GZ: VStV/914301269143/2014, wurde über den Beschwerdeführer (in Folge: Bf) wie folgt abgesprochen:

 

„Sie haben, wie am 27.10.2014, um 16:00 Uhr, in A., x Str.km x, Parkplatz Raststation A. festgestellt wurde, mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, dem Fremden (§ 3 Abs.4 Zi.1 FPG) D. K., geb.: x, Staatsangehörigkeit K., den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union erleichtert, indem Sie ihm vom 25.10.2014 bis 27.10.2014 in Ihrer Wohnung in A., xgasse 7, Unterschlupf gewährt haben.“

 

Der Bf habe § 120 Abs 3 Z 2 FPG verletzt, weshalb über ihn eine Geldstrafe in der Höhe von 1.000,- Euro verhängt wurde. Eine Ersatzfreiheitsstrafe im Falle der Uneinbringlichkeit wurde mit 5 Tagen festgesetzt.

 

Die Entscheidung begründend führt der Landespolizeidirektor von Oberösterreich aus:

„Am 27.10.2014, um 16:00 Uhr, wurde Ihr Cousin B. D. auf der x, Parkplatz Raststation A., in Ihrem PKW sitzend angetroffen.

 

Zu seinem illegalen Aufenthalt in Österreich befragt, gab er am 27.10.2014 im Wesentlichen an, dass er von U. nach Österreich eingereist und mit dem Zug nach W. gefahren war, von wo aus er Sie angerufen hat. Sie haben dann Ihren Cousin vom Bahnhof abgeholt, ihn zu sich nach Hause gebracht und ihm 2 Nächte Unterkunft gewährt.

 

Sie gaben zum Sachverhalt am 27.10.2014 im Wesentlichen an, dass Sie Ihr Cousin vor 4 Tagen von Ungarn aus angerufen und gesagt hat, dass er in Ungarn Asyl wollte, nun nach Österreich kommen möchte, und Sie gefragt hat, ob er zu Ihnen kommen könnte.

Vor zwei Tagen ist Ihr Cousin in A.-P. am Bahnhof angekommen. Von dort haben Sie ihn zu Fuß abgeholt, und er ist bis zum 27.10.2014 in Ihrer Wohnung geblieben.

 

Am 27.10.2014 hatten Sie frei und wollten nach W. einkaufen fahren, wobei dann am Parkplatz A. schließlich die polizeiliche Kontrolle stattfand.

 

Wörtliche Aussage von Ihnen: „Ich habe gewusst, dass er illegal in Österreich ist. Ich wollte ihn morgen zum Asylheim nach St. G. bringen, damit er einen Asylantrag stellen kann. Er will nämlich hier bleiben und nicht mehr zurück. Ich habe von ihm kein Geld bekommen, weder für´s Fahren noch für´s Wohnen. Ich habe ihm nur geholfen, weil er mein Verwandter ist.“

 

Mit Schreiben vom 19.11.2014 – von Ihnen am 24.11.2014 per RSa übernommen – wurden Sie aufgefordert, sich innerhalb von 2 Wochen schriftlich zu dem gegen Sie erhobenem Vorwurf zu rechtfertigen.

 

Eine Rechtfertigung ist bislang ha. nicht eingelangt.“

 

2. Gegen das Straferkenntnis erhob der Bf rechtzeitig das Rechtsmittel der Beschwerde.

 

Der Bf führt darin wie folgt aus:

„Ich B. D. bin am 27.10.2014 mit meiner Frau A. D. und meinem Cousin der bei mir zu Besuch war, nach W. einkaufen gefahren.

 

Ich wurde bei einer Polizeikontrolle um 16:00 aufgehalte und wir wurden um unsere Papiere gebeten. Meine Frau und ich konnten uns ausweise mein Cousin nicht.

 

Worauf wir einvernommen wurden. Mein Cousin kamm am Vortag mit dem Zug in A. an. Er gehört zur familie und da ist es für mich selbstverständlich das ich ihn als Besucher in meiner Familie willkommen heisse.

 

Es war nie die Rede davon dass er Asyl beantragen möchte, und ich habe dieses auch nie geäußert oder behauptet.

 

Mir war nicht bewusst dass ich bestraft werden könnte wenn ich einem Verwandten die Gastfreundschaft gewähre.

 

Sollte ich mich durch mein Verhalten wirklich Schuldig gemacht haben und dadurch von einer Strafe nicht abzusehen ist möchte ich sie um Stundung bzw Ratenzahlung bitten.

 

Ich bin Alleinverdiener und darum ist es mir nicht möglich die gesamte Summe von 1 100€ auf einmal aufzubringen.“

 

3. Die belangte Behörde legte die rechtzeitig erhobene Beschwerde unter Anschluss des Bezug habenden Verwaltungsstrafaktes dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vor. Eine Beschwerdevorentscheidung wurde nicht erlassen.

 

 

II.

 

1 Gemäß Art 135 Abs 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch den nach der Geschäftsverteilung zuständigen Einzelrichter.

 

2. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweis erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt. Von der Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte schon deshalb abgesehen werden, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist. Im Übrigen hat keine der Verfahrensparteien die Abhaltung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung beantragt.

 

3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht von dem von der belangten Behörde festgestellten Sachverhalt aus, der vom Bf unwidersprochen geblieben ist.

 

 

III.

 

1. § 120 Abs. 3 Z 2 des Fremdenpolizeigesetzes 2005 - FPG, BGBl I 2005/100, in der im Tatzeitpunkt anzuwendenden Fassung BGBl I 2012/87, normiert:

 

„Wer mit dem Vorsatz, das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanzuhalten, einem Fremden den unbefugten Aufenthalt im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates der Europäischen Union wissentlich erleichtert, ist mit Geldstrafe von 1 000 Euro bis zu 5 000 Euro, im Fall ihrer Uneinbringlichkeit mit Freiheitsstrafe bis zu drei Wochen, zu bestrafen.“

 

Dass der Bf durch die Unterkunftgabe und Mitnahme eines Fremden in Österreich in seiner Wohnung und in seinem PKW die den unbefugten Aufenthalt in Österreich erleichtert hat, steht unstrittig fest.

 

Das Tatbild ist somit verwirklicht und in Folge daher die subjektive Tatseite zu prüfen.

 

2. Dahingehend ist zu differenzieren. Einerseits setzt der Tatbestand Wissentlichkeit im Hinblick auf die Erleichterung des unbefugten Aufenthaltes voraus. Andererseits wird einleitend ein erweiterter Vorsatz (überschießende Innentendenz) im Vorsatzgrad des dolus eventualis gefordert. Dieser Vorsatz hat keinen Bezugspunkt im Tatbild.

 

2.1. § 5 Abs. 1 VStG legt fest, dass, wenn eine Verwaltungsvorschrift über das Verschulden nicht anderes bestimmt, fahrlässiges Verhalten zur Strafbarkeit genügt.

 

Bei § 120 Abs. 3 Z 2 FPG handelt es sich aber um eine Verwaltungsvorschrift im Sinne der zitierten Bestimmung. Es reicht daher nicht aus, wenn der Bf den ihm angelasteten Tatbestand der Förderung des unbefugten Aufenthaltes in Österreich in irgendeiner Form der Fahrlässigkeit verwirklicht hat, sondern er muss die Tat in der Vorsatzform der Wissentlichkeit mit einer überschießenden Innentendenz begangen haben.

 

2.2. Das VStG enthält keine ausdrückliche Regelung des Vorsatzes. Das Gesetz setzt aber in den Bestimmungen über die Tatbeteiligung (§ 7 VStG) und den Versuch (§ 8 VStG) die Strafbarkeit vorsätzlichen Handelns voraus. Ebenso geht § 5 leg cit selbst in Hinblick auf die Anordnung, wonach zur Strafbarkeit fahrlässiges Verhalten genügt, ersichtlich von einem Stufenverhältnis zwischen Fahrlässigkeit und Vorsatz aus. Der Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes zufolge gilt in diesem Zusammenhang die Regelung des Vorsatzes in § 5 StGB der Sache nach auch für das VStG (VwSlg 11.940 A/1985; VwGH 15.5.1991, 90/10/0152).

 

2.3. Der unter der Überschrift „Vorsatz“ stehende § 5 StGB lautet:

„(1) Vorsätzlich handelt, wer einen Sachverhalt verwirklichen will, der einem gesetzlichem Tatbild entspricht; dazu genügt es, daß der Täter diese Verwirklichung ernstlich für möglich hält und sich mit ihr abfindet.

 

(2) Der Täter handelt absichtlich, wenn es ihm darauf ankommt, den Umstand oder Erfolg zu verwirklichen, für den das Gesetz absichtliches Handeln voraussetzt.

 

(3) Der Täter handelt wissentlich, wenn er den Umstand oder Erfolg, für den das Gesetz Wissentlichkeit voraussetzt, nicht bloß für möglich hält, sondern sein Vorliegen oder Eintreten für gewiss hält“.

 

Auch für das VStG bedeutet vorsätzliches Verhalten sohin das Wissen und Wollen der Tatbildverwirklichung (vgl. VwGH 23.1.1970, 0094/69; 17.2.1954, 1656/51: „Bedenken und Beschließen des Tatbestands“). Bezugspunkt des Vorsatzes sind jeweils alle Elemente des äußeren Tatbestandes (z.B. VwSlg 7766 A/1970): Bei Handlungsdelikten hat der Tätervorsatz die gesamte – gesetzlich vertypte – Tathandlung zu umfassen; bei Erfolgsdelikten hat sich der Tatvorsatz auch auf den tatbildlichen Erfolg zu erstrecken.

 

In Einklang mit § 5 Abs 1 StGB gilt: Soweit die Verwaltungsgesetze keine besondere Vorsatzart voraussetzen, reicht eventualvorsätzliches Handeln. Der Täter handelt dolo eventuali, wenn er die Tatbildverwirklichung ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet. Der Täter muss also nicht nur das Risiko einer Tatbestandsverwirklichung ernstlich als möglich veranschlagen, er muss sich auch mit dem Umschlagen dieser Möglichkeit in die Wirklichkeit abfinden, also auf das Risiko der tatsächlichen Tatbildverwirklichung hinauf handeln (zB VwGH 20. 9. 2000, 2000/03/0239).

 

Für das Vorliegen von Eventualvorsatz ist es nicht erforderlich, dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung positiv bewertet; es reicht, dass der Täter eingedenk der von ihm bedachten Tatbestandsverwirklichung handelt. Wissentlichkeit bedeutet – so wie im StGB – dass der Täter die Tatbestandsverwirklichung für gewiss hält (VwGH 23. 4. 1996, 94/11/0006). Bloßes Hätte-Wissen-Müssen bedeutet daher weder Wissentlichkeit noch Eventualvorsätzlichkeit, sondern bloße Nachlässigkeit.

 

3. Zunächst ist festzuhalten, dass der Bf selbst ausführt, dass er wisse, dass der Verwandte des Bf illegal in Österreich sei und er ihm als Verwandten in Österreich geholfen hat. Er hat ihn vom Bahnhof abgeholt und ihm eine Unterkunft gegeben. Insofern ist sich der Bf subjektiv gewiss, dass er einem Fremden, der unbefugt in Österreich aufhältig ist den Aufenthalt erleichtert. Die Tathandlung des Erleichterns ist insofern als sehr weit anzusehen und erfasst auch dem Grunde nach sozial-adäquate Handlungen. Insofern hat der Tatvorsatz – hier insb. die Wissentlichkeit – eine (notwendig) starke Filterfunktion (s Tipold in WK-StGB2 § 115 FPG Rz 26 mwN).

 

Der Bf hat subjektiv auch mit überschießender Innentendenz zu handeln. Der Bf muss es ernstlich für möglich halten und sich damit abfinden, dass er das Verfahren zur Erlassung oder die Durchsetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen hintanhält. Für diesen erweiterten Vorsatz ist es erforderlich, dass der Bf ein Verfahren zur Erlassung aufenthaltsbeendender Maßnahmen ernstlich für möglich hält und sich mit dessen Anhängigkeit abfindet. Dasselbe gilt für das Vorliegen aufenthaltsbeendender Maßnahmen, deren Durchsetzung hintanzuhalten der Bf ernstlich für möglich hält und sich damit abfindet. Insofern setzt diese überschießende Innentendenz voraus, dass sich das Wissen des Bf – iSd kognitiven Komponente des Vorsatzes – auf ein konkretes Verfahren bzw. eine konkret durchzusetzende Maßnahme bezieht (s Tipold in WK-StGB2 § 115 FPG Rz 28). MaW: Der Bf muss es ernstlich für möglich halten – und sich in weiterer Folge auch damit abfinden (voluntative Komponente), dass gegenüber seinem Verwandten ein Verfahren zur Erlassung oder eine im Stadium der Durchsetzbarkeit befindliche aufenthaltsbeendende Maßnahme vorhanden ist. Derartiges wird dem Bf von der belangten Behörde nicht vorgeworfen und auch im Straferkenntnis nicht zur Last gelegt.

 

4. Insofern ist der von der belangten Behörde dem Bf zur Last gelegte Lebenssachverhalt nicht mit verwaltungsrechtlicher Strafe bedroht und war daher spruchgemäß zu entscheiden.

 

 

 

 

5. Bei diesem Verfahrensergebnis hat der Bf weder einen Ersatz der Kosten im Verfahren vor der belangten Behörde, noch einen Ersatz der Kosten im verwaltungsgerichtlichem Verfahren zu leisten (vgl. § 52 VwGVG, § 64 VStG).

 

 

IV.

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da die gegenständliche Entscheidung vollinhaltlich im Einklang mit der oben zitierten, nicht uneinheitlichen Judikatur des Verwaltungsgerichtshofes zur wissentlichen Tatbegehung steht, und die Frage, ob konkret der Bf mit erweitertem Vorsatz gehandelt hat, keine über den Anlassfall hinausgehende Wirkung zeitigt.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.

 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Markus Brandstetter