LVwG-600852/7/EW

Linz, 22.10.2015

I M   N A M E N   D E R   R E P U B L I K

 

 

Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat durch seine Richterin Dr. Elisabeth Wiesbauer über die Beschwerde des Herrn J M Z, geb. 1974, vertreten durch Dr. P F, Rechtsanwalt, T, R, gegen das Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 3. Februar 2015 GZ: VerkR96-31171-2014,

 

zu Recht   e r k a n n t :

 

I.         Gemäß § 50 VwGVG wird der Beschwerde Folge gegeben, das angefochtene Straferkenntnis aufgehoben und das Verfahren eingestellt.

 

II.      Gemäß § 52 VwGVG hat der Beschwerdeführer weder einen Beitrag zu den Kosten des Verfahrens vor der belangten Behörde noch vor dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich zu leisten.

 

III.   Gegen dieses Erkenntnis ist gemäß § 25a VwGG eine ordentliche Revision an den Verwaltungsgerichtshof nach Art. 133 Abs. 4 B-VG unzulässig.

 

 


 

E n t s c h e i d u n g s g r ü n d e

I. Mit Straferkenntnis des Bezirkshauptmannes von Linz-Land vom 3. Februar 2015, GZ: VerkR96-31171-2014, wurde der Beschwerdeführer (in Folge: Bf) belangt, weil er sich am 30. Juli 2014 um 22:45 Uhr im Gemeindegebiet von 4622 Eggendorf, M Nr. x, nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Straßenaufsichtsorgan geweigert habe seine Atemluft auf Alkohol untersuchen zu lassen, obwohl er im Verdacht gestanden habe, am 30. Juli 2014 um 22:40 Uhr auf dem GW D bis auf Höhe Haus M Nr. x im Gemeindegebiet von Eggendorf das angeführte KFZ, PKW Audi A1, Kennzeichen LL-... in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand gelenkt zu haben.

 

Der Bf habe daher eine Übertretung des § 5 Abs. 2 StVO 1960 begangen, weshalb gegen ihn gem. § 99 Abs. 1 lit b leg cit – aufgrund einer Schätzung seiner Einkommens-, Vermögens- und Familienverhältnisse – eine Geldstrafe in der Höhe von € 2.800, ersatzweise eine Freiheitsstrafe von 22 Tagen, verhängt wurde.

 

II. Gegen diesen Bescheid erhob der Beschwerdeführer (im Folgenden: Bf) innerhalb offener Frist das Rechtsmittel der Beschwerde.

 

In seiner Beschwerde führte der Bf aus, dass er zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig gewesen sei, da er manisch-depressiv sei und es Anfang August 2014 aufgrund einer unrichtigen medikamentösen Einstellung zu Bewusstseinsstörungen bei ihm gekommen sei. Sowohl im Juli als auch im August 2014 sei er in der Landesnervenklinik W-J aufgrund seiner manisch-depressiven Anfälle stationär behandelt worden. Zum Tatzeitpunkt sei der Bf daher nicht im Stande gewesen das Unrecht seiner Tat einzusehen. Zwischenzeitlich sei es gelungen eine medikamentös korrekte Einstellung vorzunehmen, sodass es bei korrekter Einnahme der Medikamente auszuschließen sei, dass neuerlich die manisch-depressiven Anfälle auftreten.

 

Der Bf weist in seiner Beschwerde weiters darauf hin, dass die Staatsanwaltschaft Linz mit Benachrichtigung vom 7. Oktober 2014 ein Verfahren gegen ihn, wegen des Verdachtes am 5. Juli 2014 und 2. August 2014 strafrechtliche Tatbestände gesetzt zu haben, eingestellt hätte.

 

Der Bf beantragt die Durchführung einer mündlichen Verhandlung und die Einstellung des Verwaltungsstrafverfahrens.

 

III.1. Die belangte Behörde hat die Beschwerde unter Anschluss des bezughabenden Verwaltungsstrafaktes mit Vorlageschreiben vom 27. April 2015, eingelangt am 29. April 2015, ohne eine Beschwerdevorentscheidung zu erlassen, dem Landesverwaltungsgericht Oberösterreich vorgelegt. Damit ergibt sich die Zuständigkeit des Landesverwaltungsgerichtes Oberösterreich zur Entscheidungsfindung (Art 130 Abs. 1 Z 1 iVm 131 Abs. 1 B-VG iVm § 3 VwGVG). Gemäß Art. 135 Abs. 1 erster Satz B-VG iVm § 2 VwGVG entscheidet das Landesverwaltungsgericht durch die nach der Geschäftsverteilung zuständige Einzelrichterin.

 

2. Mit Schreiben des Landesverwaltungsgerichts Oberösterreich vom 1. September 2015 wurde der Bf aufgefordert die in seiner Beschwerde genannten Beweismittel (psychologisches Gutachten, alle Unterlagen zur Krankengeschichte des Bf, Benachrichtigung der Staatsanwaltschaft Linz vom 7. Oktober 2014) vorzulegen. Dieser Aufforderung kam der Bf mit Schriftsätzen vom 23. September und 4. September 2015 nach. Die beigebrachten Beweismittel wurden der belangten Behörde mit Schreiben vom 8. September 2015 mit der Möglichkeit zur Stellungnahme, welche nicht erfolgt ist, vorgelegt.

 

3. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat Beweise erhoben durch Einsichtnahme in den von der belangten Behörde zur Entscheidung übermittelten Verfahrensakt und folgender vom Bf vorgelegten Beweismittel: Arztbrief Forensik der Nervenklinik W-J vom 24. September 2014, Arztbrief Psychiatrie 2 der Nervenklinik W-J vom 14. August 2014, Röngtenbefund der Nervenklinik W-J vom 25. August 2014, psychiatrisches Sachverständigengutachten des MR Dr. W S, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie vom 17. September 2014, Benachrichtigung von der Einstellung des Verfahrens der Staatsanwaltschaft Linz vom 7. Oktober 2014. Die Durchführung einer öffentlichen mündlichen Verhandlung konnte trotz Antrages gemäß § 44 Abs. 2 VwGVG entfallen, da bereits aufgrund der Aktenlage feststeht, dass der mit der Beschwerde angefochtene Bescheid aufzuheben ist.

 

4. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich geht von folgendem entscheidungsrelevanten Sachverhalt aus:

 

Der Bf hat sich am 30. Juli 2014 um 22:45 Uhr im Gemeindegebiet von 4622 Eggendorf, M Nr. x, nach Aufforderung eines besonders geschulten und von der Behörde hiezu ermächtigten Straßenaufsichtsorgan geweigert seine Atemluft auf Alkohol untersuchen zu lassen, obwohl er im Verdacht gestanden hat, am 30. Juli 2014 um 22:40 Uhr auf dem GW D bis auf Höhe Haus M Nr. x im Gemeindegebiet von Eggendorf das angeführte KFZ, PKW Audi A1, Kennzeichen LL-... in einem vermutlich durch Alkohol beeinträchtigtem Zustand gelenkt zu haben.

 

Der Bf war von 16. Juni 2014 bis 27. Juni 2014 wegen Alkoholintoxikation bei fraglichem Alkoholmissbrauch mit einem manisch-dysphorischen Erregungszustand bei bekannt bipolarer Störung und von 2. August 2014 bis 16. September 2014 wegen einer bipolar affektiven Störung und einer Manie mit psychotischer Symptomatik in der Landesnervenklinik W-J stationär aufgenommen. Er leidet an einer manischen Psychose. Aggressives Verhalten, insbesondere Beschimpfungen und Drohen sind offensichtlich ein bereits bekannter deliktischer Handlungsstil des Bf. Gewaltbereites Verhalten solcher Art muss jedoch immer im Konnex mit einer psychischen Störung der Hintergrunddynamik gesehen werden. Bei pathologischer Vermehrung derselben in Richtung Hypomanie oder Manie kommt es zu parathym psychotischer Symptomatik im Sinne verworrener Manie. Der Bf ist daher zum Tatzeitpunkt nicht zurechnungsfähig im Sinne des § 11 StGB gewesen.

 

Aufgrund der feststehenden Zurechnungsunfähigkeit des Bf erübrigen sich weitergehende Sachverhaltsfeststellungen im Hinblick auf einen Verstoß gegen die Verweigerung der Untersuchung der Atemluft.

 

5. Beweiswürdigung

 

Die Arztbriefe der Psychiatrie 2 vom 14. August 2014 und der Forensik vom 24. September 2014 bestätigen zwei stationäre Aufenthalte des Bf in der Landesnervenklinik W-J vom 16. Juni 2014 bis 27. Juni 2014 wegen Alkoholintoxikation bei fraglichem Alkoholmissbrauch mit einem manisch-dysphorischen Erregungszustand bei bekannt bipolarer Störung und vom 2. August 2014 bis 16. September 2014 wegen einer bipolar affektiven Störung und einer Manie mit psychotischer Symptomatik.

 

Im vom Bf vorgelegten Gutachten des medizinischen Sachverständigen für Neurologie und Psychiatrie Dr. W S wird die Zurechnungsfähigkeit des Bf im Zeitraum Juli 2014 und August 2014 beurteilt und belegt dieses (auch Bezug nehmend auf die Aufenthalte in der Landesnervenklinik W-J) schlüssig und nachvollziehbar, dass der Bf zum Tatzeitpunkt aufgrund einer relevanten, verworrenen manischen Psychose nicht in der Lage war, das Unrecht seiner Tat einzusehen und gemäße dieser Einsicht zu handeln.

 

Nicht unerwähnt soll bleiben, dass aus dem Schreiben vom 7. Oktober 2014 der Staatsanwaltschaft Linz hervorgeht, dass die Verfahren wegen Widerstandes gegen die Staatsgewalt und der gefährlichen Drohung (Vorfälle am 2. August 2014) sowie der betrügerischen Inanspruchnahme von Leistungen (Vorfälle am 3., 4. und 5. Juli 2014) aufgrund dieses medizinischen Gutachtens gemäß § 190 Z 1 StPO mangels Zurechnungsfähigkeit (§ 11 StGB) eingestellt wurden.

 


 

IV. Das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich hat erwogen:

1. Die im Entscheidungszeitpunkt maßgebliche Bestimmung des Verwaltungsstrafgesetzes 1991 (VStG) BGBL 1991/52 idF BGBl I 2013/33 lautet:

 

„Zurechnungsfähigkeit

 

§ 3. (1) Nicht strafbar ist, wer zur Zeit der Tat wegen Bewußtseinsstörung, wegen krankhafter Störung der Geistestätigkeit oder wegen Geistesschwäche unfähig war, das Unerlaubte der Tat einzusehen oder dieser Einsicht gemäß zu handeln.

 

(2) War die Fähigkeit zur Zeit der Tat aus einem dieser Gründe in hohem Grad vermindert, so ist das als mildernder Umstand bei der Bemessung der Strafe zu berücksichtigen. Das gilt aber nicht für Bewußtseinsstörungen, die auf selbst verschuldeter Trunkenheit beruhen.“

 

2. Entscheidende Frage für die Beurteilung des gegenständlichen Sachverhaltes ist, inwiefern der Bf zum Zeitpunkt seiner Tat zurechnungsfähig im Sinne des § 3 VStG war oder nicht. Nach der Beurteilung dieser Frage richtet sich der weitergehende Sachverhalt bzw. die daran anknüpfende rechtliche Beurteilung. Nur für den Fall, dass der Bf während der vorgeworfenen Tatzeit, zurechnungsfähig war, ist zu beurteilen, inwiefern der Bf den gegen ihn gerichteten Tatvorwurf verwirklicht hat oder nicht.

 

Die Zurechnungsfähigkeit iSd § 3 Abs. 1 VStG bildet eine unbedingte Voraussetzung der Strafbarkeit. Schon bei bloßem Zweifel an der Tatbegehung ist nämlich von der Fortführung eines Verwaltungsstrafverfahrens abzusehen und dessen Einstellung zu verfügen (vgl. VwGH 12.3.1986, 84/03/0251). Ob aber von einer mangelnden Zurechnungsfähigkeit zur Tatzeit ausgegangen werden kann stellt eine Rechtsfrage dar, welche – wenn Indizien in dieser Richtung vorliegen - nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten hinreichend geklärt werden kann (VwGH 23.11.1972, 1317, 1318/72; 19.03.1990, 85/18/0174; 24.02.2012, 2010/02/0122), wobei nach Auffassung des Höchstgerichtes in der Regel die Beiziehung eines Sachverständigen aus dem Fachgebiet der Psychiatrie erforderlich sein wird (VwGH 10.10.1990, 90/03/0140).

 

Im gegenständlichen Fall hat das Landesverwaltungsgericht Oberösterreich nicht bloß Zweifel an der Zurechnungsfähigkeit des Bf; vielmehr hat sich aufgrund des vorliegenden neurologisch-psychiatrischen Sachverständigengutachtens ergeben, dass die Zurechnungsfähigkeit im Sinn von § 11 StGB im Tatzeitpunkt nicht gegeben war, da er nicht in der Lage war das Unrecht seiner Tat einzusehen (Fehlen der Diskretionsfähigkeit). Selbiges gilt für § 3 VStG, welcher dem gegenständlichen Verwaltungsstrafverfahren zugrunde zu legen ist.

 

Es war somit spruchgemäß zu entscheiden.

V. Unzulässigkeit der ordentlichen Revision:

 

Die ordentliche Revision ist unzulässig, da keine Rechtsfrage im Sinne des Art. 133 Abs. 4 B-VG zu beurteilen war, der grundsätzliche Bedeutung zukommt. Weder weicht die gegenständliche Entscheidung von der bisherigen Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes ab, noch fehlt es an einer Rechtsprechung. Weiters ist die dazu vorliegende Rechtsprechung des Verwaltungsgerichtshofes auch nicht als uneinheitlich zu beurteilen. Ebenfalls liegen keine sonstigen Hinweise auf eine grundsätzliche Bedeutung der zu lösenden Rechtsfrage vor.

 

R e c h t s m i t t e l b e l e h r u n g

Gegen dieses Erkenntnis besteht innerhalb von sechs Wochen ab dem Tag der Zustellung die Möglichkeit der Erhebung einer Beschwerde beim Verfassungsgerichtshof und/oder einer außerordentlichen Revision beim Verwaltungsgerichtshof. Eine Beschwerde an den Verfassungsgerichtshof ist unmittelbar bei diesem einzubringen, eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof beim Landesverwaltungsgericht Oberösterreich. Die Abfassung und die Einbringung einer Beschwerde bzw. einer Revision müssen durch einen bevollmächtigten Rechtsanwalt bzw. eine bevollmächtigte Rechtsanwältin erfolgen. Für die Beschwerde bzw. Revision ist eine Eingabegebühr von je 240.- Euro zu entrichten.

 

H i n w e i s

Anträge auf Bewilligung der Verfahrenshilfe zur Abfassung und Einbringung einer außerordentlichen Revision sind unmittelbar beim Verwaltungsgerichtshof einzubringen.


 

Landesverwaltungsgericht Oberösterreich

Dr. Elisabeth Wiesbauer